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Veröffentlicht am 19.09.2016

Historischer Krimi Dresden 1944/45

Der Angstmann
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Dresden, November 1944. Kommissar Heller ermittelt im Fall einer bestialisch in einem Bootshaus ermordeten Frau. Seinem Vorgesetzten Klepp ist er ein Dorn im Auge, weil er kein Parteimitglied ist und aufgrund ...

Dresden, November 1944. Kommissar Heller ermittelt im Fall einer bestialisch in einem Bootshaus ermordeten Frau. Seinem Vorgesetzten Klepp ist er ein Dorn im Auge, weil er kein Parteimitglied ist und aufgrund einer Verletzung im Ersten Weltkrieg auch nicht zum Frontdienst einberufen wurde. Die schnelle Lösung des Vorgesetzten, dass es der jüdische Ex-Mann der Frau war, mag Heller nicht glauben. Und richtig, kurze Zeit später gibt es eine zweite Frauenleiche. Doch die Ermittlungen sind nicht einfach, offiziell gibt es keine Pathologen mehr im Krankenhaus, das sichtlich überlastet ist mit den Flüchtlingen aus Schlesien. Doch Heller lässt sich nicht von seinen Ermittlungen abbringen und findet doch noch einen Arzt, der die Leichen für ihn untersucht. Der zweite Teil des Buches spielt direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges; Dresden ist nun unter russischer Besatzung. Diese Zweiteilung hat mir sehr gefallen, weil der Leser so nebenbei auch viel über den Alltag am Ende des Krieges, aber auch direkt nach dem Krieg erfährt. Diese Informationen sind gut in die Geschichte des Falles eingebunden. Allerdings leidet manchmal der Krimiaspekt ein wenig unter den Beschreibungen des Alltags mit seinen Entbehrungen. Heller setzt sich auch in Zeiten des Krieges für die Menschlichkeit ein; auch hier zählt jedes Menschenleben und die bestialischen Morde sind nicht mit den Kriegsopfern zu vergleichen. Das Ende kam für mich nicht ganz unerwartet, passt aber zum Aufbau der Geschichte. Ich bin gespannt, ob es weitere Fälle geben wird.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Suche nach dem Mörder innerhalb einer Therapiegruppe

Die Schande der Lebenden
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Eine Gruppe von Süchtigen trifft sich jeden Montag bei Therapeut Tony de Silva. Die Süchte sind unterschiedlicher Natur, die Gruppe bunt zusammen gewürfelt. Ein Anästhesist, eine reiche geschiedene Frau, ...

Eine Gruppe von Süchtigen trifft sich jeden Montag bei Therapeut Tony de Silva. Die Süchte sind unterschiedlicher Natur, die Gruppe bunt zusammen gewürfelt. Ein Anästhesist, eine reiche geschiedene Frau, die ihrem Mann hinterhertrauert, eine Verkäuferin, eine gescheiterte Studentin und ein junger Mann, dessen Leben ein wahres Lügengerüst ist.

Alles, was in der Gruppe besprochen wird, bleibt in der Gruppe. Und so bleibt es auch, als einer von ihnen ermordet aufgefunden wird und die Polizei den Täter innerhalb der Gruppe vermutet.

Aus welchen Gründen geschah der Mord? Wer war es? Jeder hat etwas zu verbergen. Ich lag mit meiner Vermutung zwar schon recht früh richtig, aber die Beweggründe haben sich erst ganz am Ende erschlossen.

Mark Billingham erzählt die Geschichte aus der Sicht der Gruppenteilnehmer und der Polizistin, die den Fall untersucht. Neben den wechselnden Perspektiven gibt es zwei Zeitebenen, die Vergangenheit und die Gegenwart, die sich langsam annähern. Dann gibt es noch eine andere Perspektive, die man erst am Ende versteht.

Der Autor erzählt viel von den Therapiesitzungen und dem Verhalten innerhalb der Gruppe, die Geschichten der Einzelnen nehmen viel Raum ein und das Buch ist nicht so „actionlastig“, was mir allerdings gefiel. Eher ruhiger erzählt, dennoch bleibt die Spannung aufrecht. Ein guter Blick in die menschliche Psyche.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Reise in die Normandie

Wiedersehen in Barfleur
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Charlotte hat Kunstgeschichte studiert und arbeitet nun als Kuratorin in einem Kölner Museum. Sie lebt mit ihrem Partner Gregor zusammen, doch in der Wohnung fühlt sie sich nicht so wohl und auch die Beziehung ...

Charlotte hat Kunstgeschichte studiert und arbeitet nun als Kuratorin in einem Kölner Museum. Sie lebt mit ihrem Partner Gregor zusammen, doch in der Wohnung fühlt sie sich nicht so wohl und auch die Beziehung zu Gregor war schon mal besser. Da erhält sie auf einmal eine Nachricht von ihrer Cousine Sophie. Der Kontakt ist vor Jahren abgebrochen, aber plötzlich holt Charlotte die Vergangenheit wieder ein. Sophie schickt ihr ein Foto, auf dem ihr vor 15 Jahren verschollenener Vater sein könnte. Seit damals war sie nicht mehr in dem kleinen Ferienhäuschen in Barfleur, aber sie hat viele schöne Erinnerungen an die Zeit und so beschließt sie spontan, der Sache auf den Grund zu gehen und fährt in die Normandie. Dort wird sie auf mehr als eine Art mit der Vergangenheit konfrontiert.
Ein zweiter Erzählstrang spielt ab dem Jahr 1933, vorrangig aber in den Jahren 1940-1942.

Den Autorinnen ist eine schöne Sommerlektüre gelungen, die jedoch keinesfalls zu kitschig ist, sondern auch ernste Themen anspricht, wenn es um die Zeit der Besatzung in der Normandie geht und das Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen, um das Leben zwischen Kollaboration und Résistance. Informationen über das Werk von Paul Signac und weiterer Künstler, die Architektur von Le Havre und immer wieder Barfleur, sein Leuchtturm, die Bunker, die in Wohnhäuser umgewandelt wurden etc. sowie das französische Essen werden gekonnt in die Geschichte eingebunden. Auch die vielen französischen Begriffe und (Halb-)Sätze lassen das Buch authentischer wirken und vermitteln ein tolles Frankreichflair. Ich habe auf jeden Fall Lust auf einen Urlaub in der Normandie bekommen und habe den salzigen Geruch des Meeres in der Nase gehabt.
Über eine Fortsetzung der Geschichte würde ich mich freuen, denn es gibt noch so einiges, was weiter erzählt werden könnte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Geschichte eines langen Lebens

Die Frau, die allen davonrannte
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Aganetha Smart wird im Jahre 1908 geboren als jüngstes Kind von Robert Smart und seiner zweiten Frau Jessica. Von ihren Halbgeschwistern aus der ersten Ehe ihres Vaters sind schon einige gestorben und ...

Aganetha Smart wird im Jahre 1908 geboren als jüngstes Kind von Robert Smart und seiner zweiten Frau Jessica. Von ihren Halbgeschwistern aus der ersten Ehe ihres Vaters sind schon einige gestorben und sie besucht mit ihrer Schwester Fannie oft den Friedhof und erfährt von ihr etwas über die Verstorbenen. Das Leben auf der Farm in Kanada ist hart und Aggie läuft, um allem zu entkommen und zu flüchten. Als junges Mädchen kommt sie nach Toronto und wird dort in einer Fabrik-Mannschaft aufgenommen und gewinnt 1928 bei den Olympischen Spielen in Amsterdam die Goldmedaille. Frauen durften das erste Mal den 800m-Lauf machen und damit ist es leider bald wieder vorbei. Doch Aggie läuft weiter und weiter....
Der Leser erfährt ihre Geschichte und die ihrer Familie in Rückblicken, nicht immer chronologisch und mit großen Zeitsprüngen. Die mittlerweile 104 Jahre alte Aggie lebt im Altersheim und bekommt Besuch von zwei jungen Menschen, die sie - angeblich - interviewen möchten. Doch die Motive sind noch ganz andere (am Ende des Buches erfährt der Leser die Hintergründe).
Mal ein anderes Buch über Frauenemanzipation im 20. Jahrhundert, aber auch die Geschichte einer Familie.
Sehr interessant mit einem angenehmen Schreibstil. Die mosaikartige Darstellung der Familiengeschichte der Smarts, immer mit dem Fokus auf Aganetha, überlässt viel der Fantasie und verliert dennoch nicht den roten Faden.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Beeindruckendes Porträt eines Sommers

The Girls
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Kalifornien Sommer 1969, Evie Bolt langweilt sich, verkracht sich mit ihrer besten und einzigen Freundin und sieht lange, einsame Wochen vor sich bevor sie ins Internat kommt. Sie ist 14 Jahre alt, fühlt ...

Kalifornien Sommer 1969, Evie Bolt langweilt sich, verkracht sich mit ihrer besten und einzigen Freundin und sieht lange, einsame Wochen vor sich bevor sie ins Internat kommt. Sie ist 14 Jahre alt, fühlt sich aber erwachsener. Dann trifft sie auf Suzanne und die anderen Mädchen, die so ganz anders sind. Mit langen Haaren, bunten Kleidern und fehlendem Schamgefühl. Sie wühlen in Abfallcontainern nach Essen, stehlen und leben auf einer Ranch. Dorthin begleitet Evie sie bald und trifft auch auf Russell, den charismatischen Anführer, zu dem alle aufblicken. Doch etwas wird am Ende des Sommers passieren und das weiß der Leser auch schon recht bald, da Evie die Geschichte im Rückblick erzählt und zwischendurch Passagen aus der Gegenwart erzählt werden und man erfährt, was sie nach diesem Sommer aus ihrem Leben gemacht hat.

Ein toller, eindringlicher Schreibstil mit einigen überraschenden Stilmitteln, Sätzen, die anders als üblich formuliert werden und so auffallen. Der Autorin gelingt es gut, das Gefühl dieses Sommers auszudrücken. Die Psyche von Evie und Suzanne, aber auch einigen anderen wird gut ausgeleuchtet und immer wieder mit Mosaiksteinchen ergänzt. Ein Roman, der mich in seinen Bann gezogen hat - sowohl inhaltlich als auch sprachlich.