Von Gewinnern und Verlierern
Dieser Roman ist gleichzeitig ein Psychothriller, denn er startet mit dem schrecklichen Ende, mit der Tragödie eines Kindesmordes. Weil die Autorin ihren Roman von hinten aufzäumt, wird dem Leser sofort ...
Dieser Roman ist gleichzeitig ein Psychothriller, denn er startet mit dem schrecklichen Ende, mit der Tragödie eines Kindesmordes. Weil die Autorin ihren Roman von hinten aufzäumt, wird dem Leser sofort die dramatische Lage bewusst, aber er weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Also erliegt man dem Buch und liest, um zu erfahren wie das unfassbare Verbrechen geschehen konnte. In diesem Fall wird nicht alles aufgeklärt, es gibt noch offene Fragen, aber die erklären sich auch der Situation der Täterin heraus.
Man gerät in einen Lesesog, man erlebt, wie das Kindermädchen Louise zu einem unverzichtbaren Teil in dieser Familie wird. Man könnte an einen Fels in der Brandung denken, so schmeißt die Nounou den Haushalt, kocht und putzt und erzieht nebenbei die Kinder, damit sich die Eltern beruflich verwirklichen können. Doch in Wahrheit ist sie kein Fels, in ihr rumort etwas, es gärt und beginnt dramatische Folgen anzunehmen.
Die Gründe liegen in ihrer Vergangenheit, Louise gehört zur unteren sozialen Schicht, sie ist ungebildet, bekommt schon früh ein Kind, ihre Ehe ist lieblos und als ihr Mann stirbt, hinterlässt er ihr seine angehäuften Schulden. Louise sucht nach Liebe, möchte ein Teil der neuen Familie sein und ermöglicht ihnen, sich selbst zu verwirklichen.
Nach und nach bekommt man ein Bild vom Leben Louises und des Ehepaares und man sieht mögliche Tatmotive. Daraus zieht der Roman ein unglaubliches Spannungspotential, denn man kann sich nicht vorstellen, wie aus dieser friedfertigen Louise eine Mörderin werden konnte.
Mich hat die Darstellung des gesellschaftlichen Hintergrundes interessiert und mitgenommen. Es geht um die Menschen hinter den funktionierenden Großverdienern und Steuerzahlern der westlichen Länder. Es geht um die chancenlosen Kindermädchen aus armen Ländern der Erde, die für einen geringen Lohn die Kinder der Besserverdienenden hüten. Ist das schon Ausbeutung oder ist das Beschäftigung? Der gesellschaftskritische Unterton ist spürbar, aber nicht direkt anprangernd.
Die Autorin hat einen sachlich, nüchternen Erzählstil, der in einem ruhigen Ton eher beschreibt als erklärt und keine Wertung einfließen lässt. Die fesselnden Charaktere und die unheimliche Atmosphäre sorgen für ein intensives Leseerlebnis.
Dieser Roman bekommt deshalb von mir die vollste Leseempfehlung.