Der erste Horror-Roman, der mich zum Weinen gebracht hat! Ein Meisterwerk! ♥
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Es beginnt plötzlich: Überall auf der Welt scheint sich etwas herumzutreiben, denn sobald Menschen es sehen, werden sie unrettbar verrückt und reißen sich und oft auch ...
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Es beginnt plötzlich: Überall auf der Welt scheint sich etwas herumzutreiben, denn sobald Menschen es sehen, werden sie unrettbar verrückt und reißen sich und oft auch andere in den Tod. In dieser gefährlichen Welt versucht eine Gruppe Menschen gemeinsam in einem Haus zu überleben – und muss schon bald feststellen, dass die größten Gefahren vielleicht nicht draußen, sondern innerhalb der scheinbar sicheren Mauern lauern…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Band 1/2
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präsens
Perspektive: hauptsächlich weibliche Perspektive, vereinzelt männliche
Kapitellänge: kurz bis mittel
Inhaltswarnung: Tod von Menschen, Tod von Kindern, Tod von Tieren, Trauer, Suizid, Gewalt, Blut, psychische Krankheiten, Schwangerschaft, Geburt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schla+++
Rezension
„Auf CNN sagten sie gerade, das sei eine Konstante bei allen Zwischenfällen. Dass die Opfer etwas gesehen haben, bevor sie Leute angriffen und sich selbst umbrachten.“ Seite 23
Der spannende Klappentext hat mich vor einigen Jahren sofort überzeugt, trotzdem verstaubte das Buch daraufhin lange ungelesen im Regal – völlig unverdient, wie sich nun herausgestellt hat. Hätte ich gewusst, WIE gut „Bird Box“ ist, hätte ich es bestimmt schon viel früher gelesen!
Wenn man einen Horrorroman liest, weiß man ja, worauf man sich einlässt: Man rechnet mit gruseligen Momenten, Gewalt und Tod. Womit man aber nicht rechnet: dass einem die Figuren, diese kleine Gruppe von Überlebenden (ihre Gesamtheit, ihr „Vibe“) SO ans Herz wächst, dass man auf einmal um ihr Leben bangt und vom Genre, das man sich zuvor bewusst ausgesucht hat, plötzlich nichts mehr wissen will. Man beginnt im Kopf zu verhandeln und ist im Zwiespalt: Einerseits will man unbedingt wissen, wie es weitergeht, andererseits hat man das Gefühl, dass man es nicht ertragen könnte, wenn die Geschichte schlecht ausgeht.
„Sie haben alle getrauert, denkt Malorie. Diese Menschen haben, genau wie ich, schreckliche Dinge erlebt.“ Seite 56
Genau das ist auch die größte Stärke dieses Romans: dass er einen emotional nicht kaltlässt, sondern mitreißt und berührt. „Bird Box“ steckt nämlich voller hoffnungsvoller, aber auch voller deprimierender, tragischer und schmerzhafter Momente, die schwer zu verdauen sind, und schockierender Bilder, die einen wohl nie mehr loslassen. Dazu kommt die große, stellenweise fast unerträgliche Beklemmung, die man beim Lesen spürt; sie resultiert daraus, dass (zusätzlich zur Gefahr vor der Tür) die Lage auch im eigentlich sicheren Haus immer angespannter und gefährlicher wird. Die letzten 100 Seiten musste ich auf einmal lesen, weil ich diese unglaubliche Anspannung irgendwann nicht mehr ausgehalten habe! Nach der letzten Seite war ich emotional total fertig, verstört und mit den Nerven total am Ende, aber IRGENDWIE auch absolut begeistert und glücklich über dieses Leseerlebnis. Und – jetzt kommt’s! – das Buch hat mich (völlig unerwartet) sogar zum Weinen gebracht! Das hat bisher noch kein Horror-Roman geschafft! Chapeau, Josh Malerman!
„Ja, sie hat sie gut trainiert. Aber es ist nicht schön, daran zu denken. Die Kinder ‚trainieren‘ bedeutet, sie hat ihnen solche Angst gemacht, dass sie ihr unter allen Umständen gehorchen.“ Seite 83
Doch was macht „Bird Box“ eigentlich so gut und überzeugend? Da wären einerseits die originelle Grundidee und die dichte, düstere Atmosphäre. Diese Mischung aus Horror, Dystopie und Drama wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Man spürt beim Leben der Rückblenden eine unglaublich intensive Angst vor der Zukunft, die hängt nämlich wie ein unheilvolles Damokles-Schwert über der Gruppe. Momentan haben sie noch genug zu essen, ABER die Vorräte reichen nur noch für 3 Monate. Was dann? Aktuell verhalten sich noch alle zivilisiert, weil sie einen vernünftigen Anführer haben, ABER sobald dieser auf Erkundungsmission geht und das Haus verlässt, kommt es fast zu Handgreiflichkeiten. Der schwangeren Hauptfigur Malorie geht es aktuell noch gut, ABER wird sie die gefährliche Geburt überstehen? Und die drängendste Frage: In der Vergangenheit lebt Malorie noch mit der Gruppe im Haus und in Sicherheit, ABER in der Gegenwart ist sie plötzlich mit zwei Kleinkindern alleine und auf sich gestellt? Warum? Wo sind die anderen? Was ist passiert? Das sind die genau Fragen, die einen Seite um Seite umblättern lassen und das Buch damit zu einem echten Pageturner machen!
Dazu kommt, dass Josh Malermans relativ nüchterner, einfacher, wenig ausgeschmückter, durch die kurzen Sätze ruhelos wirkender Schreibstil perfekt zu dieser Geschichte passt. Besonders gut gefallen hat mir, wie nuanciert und treffend der Autor alle erdenklichen Geräusche beschreibt. Fasziniert hat mich auch, wie spannend das Buch (das man auch als Charakterstudie bezeichnen könnte) ist, OBWOHL eigentlich gar nicht so viel passiert und OBWOHL die Beziehungen und Spannungen in der Gruppe und Malories Innenwelt im Mittelpunkt stehen – noch mehr als die Gefahr, die vor der Tür lauert. Und doch beschreibt Josh Malerman banale Dinge wie den Gang zum Brunnen vor dem Haus so atemlos spannend und unheimlich, dass man kaum atmen kann und eine Gänsehaut am ganzen Körper bekommt. Beispiel: In einer Szene erkunden zwei Männer mit verbundenen Augen die Straße vor dem Haus, als einer über etwas stolpert, von dem er glaubt, dass es sich um einen Koffer handelt. Doch als sich der andere bückt und das Ding betastet, stellt sich heraus, dass es die Leiche einer Frau ist! Beim Lesen war das so ein Schock! Themen wie das Überleben an sich, Menschlichkeit (wie viel kann man sich noch leisten?), Trauer, Angst, Freundschaft, Liebe (auch Tierliebe), Mutterschaft (was macht eine gute Mutter aus?) und Hoffnung in einer zerstörten Welt werden dabei überraschend tiefgründig, stellenweise sogar richtig philosophisch behandelt. Großartig!
„Wie oft hat sie an ihren Mutterpflichten gezweifelt, als sie die Kinder zu Lauschapparaten ausgebildet hat? […] Als hätte sie für zwei Mutantenkinder zu sorgen. Kleine Monster. Selbst eine Art unheimlicher Wesen, die ein Lächeln hören können.“ Seite 161
Aus feministischer Sicht war ich auch positiv überrascht – vor allem, da es sich ja um einen Horror-Roman handelt (ein Genre, das nicht für seinen Feminismus bekannt ist), der noch dazu von einem männlichen Autor geschrieben wurde. Bis auf die sechsmalige Verwendung von „hysterisch“ für weibliches Verhalten (und das verzeihe ich) gibt es hier absolut nichts auszusetzen. Das Buch ist praktisch frei von Male Gaze (danke!) und Malorie ist eine intelligente, unglaublich starke weibliche Hauptfigur, in die ich mich sehr gut hineinfühlen konnte. Am Anfang dachte ich noch genervt: Warum muss der Anführer unbedingt männlich sein? Aber schon bald habe ich verstanden, was für eine tolle Person dieser Tom ist (keine toxische Männlichkeit vorhanden!) und dass ER der Kitt ist, der die ganze Gruppe mit seiner Höflichkeit, Menschlichkeit und seinen Erfindungen und Ideen und Hoffnungen zusammenhält. Jedes Mal, wenn er das Haus verlassen hat, habe ich mich genauso leer gefühlt wie Malorie. Das ist die Art Mensch, die man in der Apokalypse um jeden Preis beschützen muss!
Manchen Rezensent:innen waren es am Ende zu viele offene Fragen – ich muss sagen, diesen Kritikpunkt kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Man erfährt doch im Laufe der Geschichte recht viel über das, was sich draußen herumtreibt, auch durch die Experimente und Theorien der Gruppe. Mehr können diese Leute einfach nicht wissen (woher auch?), mehr Informationen wären einfach unrealistisch gewesen aus meiner Sicht. Für mich war dieses Buch jedenfalls von der ersten bis zur letzten Seite gerade richtig, der Autor hat aus einer großartigen Grundidee eine großartige Geschichte gesponnen – voller gemeiner, unerwarteter Wendungen und Enthüllungen, und trotzdem noch rätselhaft genug, sodass sich das Grauen oft in der eigenen Fantasie abspielt. So etwas liebe ich ja! Ob ich die Fortsetzung lesen werde, weiß ich allerdings noch nicht – denn eigentlich kann sie nach diesem großartigen ersten Band doch nur eine Enttäuschung sein, oder?
Mein Fazit
Für mich ist „Bird Box“ ein Jahreshighlight und neues Lieblingsbuch – und vielleicht sogar das beste Buch des Jahres! Warum? Es ist erfrischend anders, tiefgründig, berührend, furchteinflößend und atemlos spannend! Ein Buch, das man einerseits total genießt und liebt und andererseits kaum ertragen kann, weil es so beklemmend, deprimierend, verstörend und schmerzhaft ist. Trotz meiner hohen Erwartungen hat es mich vollkommen umgehauen! Darum: Unbedingt lesen – ihr werdet es nicht bereuen!
Bewertung
Cover / Aufmachung: 4 Sterne
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 3 Sterne
Ende: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Figuren: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Wendungen: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 5 Sterne ♥
Insgesamt:
❀❀❀❀❀♥ Sterne
Dieses Buch bekommt von mir 5 Sterne und ein Herz – und damit den Lieblingsbuchstatus!