Das Ehepaar Stella und Gerry Gilmore, beide im Ruhestand und in ihren 60ern, sind seit gefühlten Ewigkeiten verheiratet. Stella ist eine ehemalige Lehrerin und streng gläubige Katholikin, während Gerry als ausgebildeter Architekt eine Professur an der Universität Glasgow hat. Nun reisen sie für einen Wochenendtrip nach Amsterdam, ein Geschenk Stellas an ihren Mann zum letzten Weihnachtsfest. Während Stella das Reisegepäck zusammenstellt, hat Gerry nur eine Sorge, denn er muss unbedingt seinen besten Freund, den Whiskey noch unbemerkt in den Koffern unterbringen, denn ohne ihn kommt er nicht über die Runden. Es wird eine Reise ins Ungewisse, denn bei den beiden liegt beziehungstechnisch lange etwas im Argen. Jeder von ihnen hatte andere Vorstellungen von ihrer Ehe und deren Entwicklung. Vielleicht bringt der Kurzausflug ja neue Impulse in ihr Eheleben, zumindest hofft Stella dies insgeheim, auch wenn sie mit dem Reiseziel eigene Pläne verfolgt, möchte sie doch dort einen Beginenhof aufsuchen. Was werden Stella und Gerry auf der Reise miteinander erleben? Und was bedeutet die Reise am Ende für ihre Ehe?
Bernard MacLaverty hat mit seinem Buch „Schnee in Amsterdam“ eine wunderbare, teil melancholische Studie über eine langjährige Ehe vorgelegt und kann den Leser mit einer gefühlvollen, detaillierten und sehr akribischen Beobachtungsgabe sowie einer leisen nuancierten Erzählweise begeistern. Sehr bildhaft und genau lässt er den Leser am Leben des Ehepaars teilnehmen, wobei diesem Stück für Stück auch Dinge aus der Vergangenheit dargeboten werden, die zur Veränderung der Protagonisten beigetragen haben. Nicht nur für Stella und Gerry wird die Reise zu einer emotionalen Achterbahn, auch der Leser lernt die beiden so gut kennen, dass er einiges nachvollziehen kann, bei anderen Dingen aber auch nur den Kopf schüttelt. Während liebevolle Augenblicke und alte Gewohnheiten über die Jahre das gegenseitige Vertrauen und das Eheleben geprägt haben, vergiften spezielle Angewohnheiten und unausgesprochene Dinge aufgrund des Verschweigens das Miteinander. Gerade die Thematisierung letzterer erzeugt ein Gefühl von Resignation und Unzufriedenheit, woraus der Eindruck Hinnehmens bzw. der langsamen Aufgabe resultiert. MacLaverty legt dem Leser eine brillante Studie seine Charaktere vor, die alle Gefühlsregungen abdeckt. Ebenso lässt der Autor die Schauplätze in Amsterdam gleich den Gefühlen seiner Protagonisten auf den Leser wirken und ihn gedanklich jeden Schritt begleiten.
Die Charaktere sind sehr differenziert ausgestaltet mit viel Liebe zum Detail. Sie werden vor dem inneren Auge es Leser regelrecht zum Leben erweckt und begeistern mit prononcierten Konturen, die sie so realitätsnah und gleichsam individuell wirken lassen. Stella ist eine sehr gläubige Frau, die mit Gott insgeheim einen Handel ausgemacht hat. Sie fühlt sich an dieses Versprechen gebunden und möchte dieses nun umsetzen. Ihre Ehe ist ihr eher Last, als dass sie ihr Zufriedenheit und Glück beschert. Doch gleichzeitig ist Stella auch noch nicht wirklich sicher, ob sie ihr Leben so drastisch verändern oder lieber weiterhin mit Gerry leben möchte. Irgendetwas muss sich verändern, denn so, wie es ist, hält sie es nicht mehr aus. Gerry ist seiner Frau sehr zugetan, doch den Alkohol liebt er noch mehr, was ihn zum Betrüger, zum Lügner und zum Heuchler werden lässt. Am meisten macht er sich selbst etwas vor, denn seine Sucht zeigt nicht nur eine Flucht, sondern regelrechte Aufgabe und diese gilt es zu bekämpfen. Damit die beiden überhaupt eine gemeinsame Zukunft haben, müssen sich beide öffnen und eine offene andauernde Kommunikation pflegen, wobei auch neue Erfahrungen und Pläne gehören, die in ihre Welt passen könnten.
„Schnee in Amsterdam“ überzeugt durch die wunderschöne und facettenreiche Erzählweise des Autors, der seine Protagonisten als lebendige Wesen mit Fehlern, Eigenarten und Träumen präsentiert. Ein berührender Roman über eine langjährige Ehe, in der man sich schon mal aus den Augen verlieren kann, ein Wiederfinden aber ebenso möglich ist. Absolute Leseempfehlung!