"Kurzgeschichte" mit viel Tiefe
Der ZopfDrei Geschichten. Von Smita aus Indien, Giulia aus Sizilien und Sarah aus Kanada. Drei ganz unterschiedliche Leben, aber in ihrem Schicksal miteinander verflochten zu einem großen Ganzen.
Dieses Buch ...
Drei Geschichten. Von Smita aus Indien, Giulia aus Sizilien und Sarah aus Kanada. Drei ganz unterschiedliche Leben, aber in ihrem Schicksal miteinander verflochten zu einem großen Ganzen.
Dieses Buch führt vor Augen, warum man von SchreibKUNST spricht. Laetitia Colombani versteht ihr Handwerk, versorgt uns Leser zum Ende jedes Kapitels mit einem Cliffhanger, sodass man ihr fast böse ist, dass immer zwischen den drei Charakteren gewechselt wird, obwohl jede Figur ihren Reiz hat. Die Charaktere erzählen über sich, über ihr Leben, ihre Ängste und Nöte. Ihr Schmerz ist nachvollziehbar und nachzuempfinden. Colombani arbeitet mit ausdrucksstarken Sätzen und koloriert ihre Erzählung mit Metaphern und Umschreibungen.
„Sie haben sie bereits in die Grube hinuntergelassen, werfen schaufelweise Lächeln und kräftig unaufrichtiges Mitleid hinterher. In beruflicher Hinsicht ist sie tot. Sie weiß es. […] In ihren Augen ist sie keine kranke Rechtsanwältin, sondern eine Kranke, die Rechtsanwältin ist.“
„Die Nonna hat sich bereits Sorgen gemacht, zur Beruhigung behauptet Giulia, sie habe einen Platten gehabt. Doch das ist nicht die Wahrheit: Ihr Fahrrad ist völlig intakt, es ist ihr Herz, das ins Schlingern geraten ist.“
Für die drei Frauen hat die Autorin vorher einige Mühe in Recherchearbeit gesteckt, insbesondere zur indischen Kultur. Das zahlt sich aus. Sie erzählt eine glaubhafte Sichtweise Smitas, welche dem realen Leben sehr nahkommen mag. Das Buch zu lesen ist Genuss.
Soviel zu den positiven Seiten, aber die negativen sollen auch nicht verschwiegen werden. Die Geschichte ist mit 282 Seiten schnell erzählt und dadurch sehr kurzweilig. Eigentlich ist sie noch kürzer, denn direkte Rede wird hier nicht mit Anführungszeichen versehen, sondern durch eigene Absätze gekennzeichnet, welche den Text in die Länge ziehen.
Das Ende ist abrupt gekommen. Die Strähnen laufen noch weiter, aber sind doch schon zusammengefasst zu einem Ganzen.
Wie bei einer Gute-Nacht-Geschichte, in der Mutter oder Vater kurz innehalten, kurz das Gelesene kommentieren und mit ihrem Kind Vermutungen anstellen, was noch folgen mag, wird hier mehrmals unterbrochen und auf die Metaebene gewechselt. Auf je etwa einer Doppelseite beschreibt die Autorin ihre Inneneinsichten. Sie ist diejenige, die jene drei Fäden knüpft, der Raum für ihre Ergötzung sei ihr gegönnt, jedoch hätte es dieser Worte meiner Ansicht nach nicht bedurft. Ihre Zuneigung und Fürsorge, die sie für ihre drei starken Frauen empfindet, wird über die Zeilen an sich schon ausreichend geteilt.
Eine Empfehlung kann ich insgesamt definitiv aussprechen. Ich selber habe das Buch trotz Leseprobe, die ich bei Erscheinen auf der Frankfurter Buchmesse erhielt, und die mir auch gefiel, erst später gegen Spende für einen guten Zweck erhalten. Ich bin sehr froh, dass ich den Roman in seiner unbestreitbaren Qualität doch noch kennenlernen durfte.