Als Frauen noch keine Wahl hatten
Zeit des MutesEtwas Klärendes vorab: Das Buch ist ursprünglich unter dem Titel „Zeit des Mutes„ erschienen und wurde inzwischen als eBook mit dem Titel „Die Frauen von Hazelwell Manor“ neu aufgelegt. Ich habe die ursprüngliche ...
Etwas Klärendes vorab: Das Buch ist ursprünglich unter dem Titel „Zeit des Mutes„ erschienen und wurde inzwischen als eBook mit dem Titel „Die Frauen von Hazelwell Manor“ neu aufgelegt. Ich habe die ursprüngliche Taschenbuch-Ausgabe und muss gestehen, dass mir dieser Titel und auch das Cover besser gefallen als bei der Neuauflage, denn meines Erachtens passt die frühere Aufmachung besser zur Geschichte und ist aussagekräftiger. Besonders gut gefällt mir am ersten Cover, dass es passenderweise in den Farben der Suffragetten-Bewegung, weiß, violett und grün, gehalten ist.
Der Roman spielt in den Jahren 1913 bis 1918. Zu Beginn gibt es zwei Handlungsfäden, die nebeneinander her laufen und sich nach einiger Zeit miteinander verflechten.
Im einen geht es um die junge Deutsche Emma zu Sommerfeldt. Wegen eines „unverzeihlichen“ Fehltritts wird sie zu entfernten Verwandten nach England geschickt. Auf Hazelwell Manor fühlt sie sich fehl am Platz und nicht anerkannt. Dabei verliebt sie sich hoffnungslos in den jungen Lord Percival. Leider beruhen ihre Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit, und doch gelingt es Emma, Percival zu einer Heirat zu nötigen, indem sie ein tragisches Ereignis für sich ausnutzt, ein Fehler, wie sich herausstellt und wie sich die junge Frau eingestehen muss, denn Liebe lässt sich nicht erzwingen.
Die zweite Protagonistin ist das Dienstmädchen Lucy, die aufgrund falscher Beschuldigungen ihre Arbeitsstelle auf Hazelwell Manor verliert.
Beide Frauen gehen, unabhängig voneinander, nach London. Der Zufall will es, dass sie sich wieder begegnen, aber auf einer völlig anderen Ebene. Beide schließen sich den Suffragetten an, die für das Wahlrecht aller Frauen in England kämpfen, und für beide heißt es nun, ihr Leben neu zu ordnen.
Am Beispiel der beiden Protagonistinnen, die aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsklassen stammen und letztendlich doch ein gemeinsames Ziel haben, werden die Ereignisse der damaligen Zeit sehr lebendig dargestellt. Trotz der gesellschaftlichen Kontraste haben die Frauen alle mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, auch wenn diese sich sehr unterschiedlich manifestieren. Letztendlich hatten weder arme noch gut situierte Frauen zur damaligen Zeit eine Wahl, wenn es darum ging, ihre Zukunft zu gestalten. Während Emma ihr Heil einzig in einer guten Partie sieht, geht es bei Lucy ums Überleben, denn mit ihrer Arbeit sichert sie nicht nur ihre Existenz, sondern auch die Versorgung ihrer kranken Mutter und ihres jüngeren Bruders. Beide sind, wenn auch auf unterschiedliche Art, der Willkür der Männer ausgeliefert. Dass Emma auf der Suche nach dem Glück zu einer eher zweifelhaften Maßnahme greift, kann man durchaus verstehen, denn in gewisser Weise ist ihre Handlung auch teilweise ihrer jugendlichen Naivität geschuldet. Dass sie einen Fehler begangen hat, merkt sie sehr bald, denn nun ist sie in einer unglücklichen Ehe gefangen und ihrem Wunsch nach Freiheit keinen Schritt näher. An Lucys Beispiel erfährt man interessante Details zu den damaligen Ereignissen. Es ist bestürzend, wenn man erfährt, wie unterschiedlich inhaftierte Kämpferinnen behandelt wurden. Frauen der gehobenen Gesellschaft wurden früher aus dem Gefängnis entlassen und besser behandelt als ihre armen Kampfgenossinnen.
Die Geschichte liest sich flüssig und sehr spannend. Bis auf ein paar Kapitelübergänge, die etwas abgehackt wirkten und bei denen ich manchmal das Gefühl hatte, es würde eine Szene fehlen, hat mir der Roman ausgesprochen gut gefallen.
Anhand vielschichtiger Charaktere und vieler historischen Fakten hat Christiane Lind hier ein klares Bild der damaligen Zeit entworfen. So ist ihr Roman nicht nur fesselnd und berührend, sondern daneben auch sehr informativ. Auf hundert Jahre Frauenwahlrecht konnten wir 2018 zurück blicken, und so ist dieser Roman genau zur rechten Zeit erschienen. Auch wenn ich aus heutiger Sicht nicht alle Aktionen der Suffragetten nachvollziehen kann, so ist mir doch bewusst, dass wir diesen mutigen, starken Frauen zu verdanken haben, wo wir heute stehen. Insofern ist dies meiner Meinung nach ein wichtiger Roman, der viel mehr Beachtung finden sollte.