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Veröffentlicht am 26.01.2019

Hiromi Kawakami – Die zehn Lieben des Nishino

Die zehn Lieben des Nishino
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Yukihiko Nishino ist ein auf den ersten Blick unauffälliger Mann, doch irgendetwas fasziniert an ihm und die Frauen verfallen reihenweise seinem Charme. Zahlreiche Freundinnen hat er, zeitgleich, kurz ...

Yukihiko Nishino ist ein auf den ersten Blick unauffälliger Mann, doch irgendetwas fasziniert an ihm und die Frauen verfallen reihenweise seinem Charme. Zahlreiche Freundinnen hat er, zeitgleich, kurz nacheinander; oftmals wissen sie voneinander, vielfach ignorieren sie die anderen. Er trifft sie, er liebt sie, er telefoniert mit ihnen, trennt sich und begegnet ihnen Jahre später wieder. In der Schule, auf der Arbeit, in einem Kochkurs, die Nachbarin – überall lernt er Frauen kennen, die sich ihm ergeben. Nun erzählen sie von ihrem Liebhaber, von dem sie oftmals gar nicht wissen, ob sie ihn überhaupt geliebt haben, aber ganz sicher haben sie ihn vermisst, als er fort war.

Die japanische Autorin Hiromi Kawakami hat mit ihrem Roman ein außergewöhnliches Portrait eines Mannes geschaffen. Sie hat in ihrer Heimat zahlreiche Literaturpreise erhalten und ist seit einigen Jahren auch in Deutschland zu lesen. Ihr literarisches Feingefühl offenbart sich schon nach wenigen Seiten, wenn man nämlich durchschaut hat, dass sie in ihrem Roman die zentrale Figur immer nur vorbeihuschen lässt, sich ihm nie direkt, sondern immer nur durch andere Figuren nähert. Das diffuse Bild, das so entsteht, ist jedoch das Bild, das den Charakter Nishinos ausmacht.

Er bleibt schwer zu greifen, selbst für die Frauen, die ihn liebten:

„(...) war Nishino ein gutaussehender Mann. Adrett gekleidet, wohlerzogen und charmant. Und zur Krönung in einer renommierten Firma beschäftigt. (138)“

Die Äußerlichkeiten sind greifbar, aber eine herzliche Wärme strahlt er nicht aus. Er schläft mit den Frauen, zeigt Interesse und Zuneigung, aber es bleibt eine undefinierte Distanz, geradezu eine Kälte wie eine der Frauen beschreibt. Es ist diese Gegensätzlichkeit, die er scheinbar ausstrahlt, die die Frauen magisch zu ihm hinzieht:

„Mir gegenüber war er jedenfalls nicht besonders höflich, und besonders moralisch verheilt er sich auch nicht.“ (152)

Trotzdem fühlen sie sich geliebt – auch wenn Nishino am Ende seines Lebens Zweifel daran hegt, tatsächlich jemals geliebt zu haben. Mit jedem neuen Kapitel lernt man auch eine andere Facette Nishinos kennen. Was bleibt sind vor allem Erinnerungen an ihn, schöne Momente, die die Frauen teilten und die Erkenntnis, dass sie ihn hätten ziehen lassen dürfen.

Japanische Literatur ist immer etwas anders, man spürt die gesellschaftlichen Zwänge in ihr deutlicher als dies in manch anderer Kultur ist und die dadurch hervorgebrachte und tolerierte Untergrundkultur des Ausbruchs wird oftmals zum Schauplatz der Handlung. Was in „Die zehn Lieben des Nishino“ deutlich wird, ist die Schwierigkeit der dauerhaften Zuneigung und der tatsächlichen Liebe. Vielfach scheinen die Figuren Sex und Liebe gleichzusetzen und sich dann zu wundern, dass über die Lust hinaus nur wenig Verbindendes bleibt. Die Isolation des Individuums, von der man in vielen Gegenwartsromanen des fernöstlichen Landes lesen kann, tritt auch hier deutlich hervor. Selbst eine Heirat scheint kein inneres Bekenntnis zu sein.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Catherine Ryan Howard – Ich bringe dir die Nacht

Ich bringe dir die Nacht
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Nichts hat Alison weniger erwartet als Besuch von der Polizei. Von der irischen Polizei und das, wo sie seit zehn Jahren in den Niederlanden lebt. Nach den schrecklichen Vorfällen war sie geflohen und ...

Nichts hat Alison weniger erwartet als Besuch von der Polizei. Von der irischen Polizei und das, wo sie seit zehn Jahren in den Niederlanden lebt. Nach den schrecklichen Vorfällen war sie geflohen und hat sich mühsam ein neues Leben aufgebaut und versucht zu vergessen. Doch jetzt beginnt alles scheinbar von Neuem. Der so genannte Kanalkiller von Dublin hat wieder zugeschlagen, aber eigentlich sitzt dieser doch im Gefängnis? Sie selbst hatte auch keine Zweifel mehr an der Schuld ihres Freundes Will, nachdem dieser die Morde an den Studentinnen gestanden hatte. Doch nun werfen die neuerlichen Tötungen Fragen auf und Will möchte reden, aber nur mit einer einzigen Person: mit Alison. Ist er womöglich doch unschuldig?

Catherine Ryan Howards zweiter Krimi war einer der erfolgreichsten Titel im angloamerikanischen Raum 2018. Es braucht nur wenige Seiten, um dies nachvollziehen zu können: die Autorin packt einem vom ersten Moment und man ist derart gefesselt von der Geschichte, dass man den Roman kaum beiseite legen möchte. Ein Thriller, der zwar durchaus bekannte Muster zeigt, aber dennoch überraschen kann und unerwartete Wendungen aufbietet.

Auf zwei Zeitebenen werden die Ereignisse der Gegenwart und der Vergangenheit erzählt. Interessant dabei bleibt, dass manche der Figuren doch so zweideutig und vage bleiben, dass man bis zur letzten Seite nicht sicher ist, ob man ihnen trauen kann oder ob sie ein falsches Spiel spielen. Die Protagonistin Alison bleibt dabei als 19-jährige Studentin etwas unbedarft und naiv und ist auch zehn Jahre später nicht viel weiter. Nichtsdestotrotz trägt die Figur die Handlung überzeugend und man kann ihr emotionales Hin-und-Hergerissen-sein sehr gut nachvollziehen.

Der Fall ist plausibel konstruiert und clever spielt die Autorin mit den Wissenslücken und voreiligen Deutungen der Figuren, um so nicht nur ihre Charaktere in zweifelhaftem Licht erscheinen zu lassen, sondern auch dem Leser einige Fährten zu legen, denen man bereitwillig folgt.

Kein Thriller, der an die Grenzen der Nervenanspannung geht, aber der Schreibstil hält die Ungeduld und Vorahnung konstant oben und lässt sowohl das Setting wie auch die Figuren authentisch und glaubhaft wirken. Es braucht keine brutalen Szenen mit detailreichen Schilderungen von Verletzungen und dem Aussehen der Leichen, um spannungsreich gut zu unterhalten.

Veröffentlicht am 16.01.2019

Benedict Wells – Spinner

Spinner
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Jesper Lier ist Anfang 20 und hatte eigentlich vor nach seinem Umzug von München nach Berlin so richtig das Leben zu beginnen und als Autor zu arbeiten. Die Realität sieht jedoch anders aus: er lebt in ...

Jesper Lier ist Anfang 20 und hatte eigentlich vor nach seinem Umzug von München nach Berlin so richtig das Leben zu beginnen und als Autor zu arbeiten. Die Realität sieht jedoch anders aus: er lebt in einem Kellerloch, schreibt für eine Lokalzeitung, um sich finanziell über Wasser zu halten, die Uni hat er nur zur Immatrikulation betreten und langsam wird ihm auch bewusst, dass sein Mammutwerk von Roman, an dem er zwei Jahre lang gearbeitet hat, vermutlich nichts taugt. Der Rest seines kümmerlichen Lebens ist so beklagenswert, dass die Depression die logische Folge ist. Auch seine Freunde dringen kaum mehr zu ihm durch. Seiner Mutter hat er versprochen für den anstehenden Umzug zurückzukehren und zu helfen, aber der geplante Familienbesuch drückt ebenfalls aufs Gemüt – wofür lebt er eigentlich noch?

Benedict Wells zweiter Roman, der bereits 2009 erschien, im Herbst 2016 jedoch in einer überarbeiteten Fassung nochmals aufgelegt wurde, hat deutliche autobiografische Züge. Genau wie sein Protagonist verließ Wells nach Ende der Schulzeit die bayerische für die Bundeshauptstadt, um dort die Schriftstellerkarriere zu starten. Mit Nebenjobs als Redakteur schlug er sich durch, bis ihm mit „Becks letzter Sommer“ der Durchbruch als Autor gelang. „Spinner“ hat er in sehr jungen Jahren verfasst, was man dem Roman deutlich anmerkt, alles in der Geschichte dreht sich in einem sehr begrenzten Radius um den Protagonisten, der Blick über den Tellerrand und das Wahrnehmen der Welt um ihn herum gelingt ihm noch nicht.

Der Roman klingt ein wenig nach einem verspäteten Vertreter der Popliteratur. Die junge Hauptfigur auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, das hauptsächlich von Alkohol, Zigaretten und Drogen bestimmt wird und immer wieder Referenzen zu den Größen des Literatur- und Musikbetriebs aufweist. Allerdings bleibt Wells völlig frei von Gesellschaftskritik und Jesper ist weitgehend unpolitisch, ja noch nicht einmal offen politisch desinteressiert, weshalb er dann doch hinter den bekannten Vertretern des Genres zurückbleibt. Auch die psychologische Tiefe des Charakters bleibt überschaubar, er ist nicht der intellektuelle Denker, der innerlich zerrissen ist und so tiefgründige Sinnsuche betreiben würde. Im Gegenteil: Jesper Lier ist in weiten Teilen wohlstandsverwöhnt und badet in Selbstmitleid. Auch wenn er durchaus harte Schicksalsschläge erlebt hat, eigentlich ist er in einer sehr komfortablen Lebenssituation und findet nur Gefallen an dem dandyhaften Auftritt eines Emos, der nicht erwachsen geworden ist.

Trotz der Kritik hat mir der Roman gefallen und ich würde ihn ohne Frage als lesenswert bezeichnen wollen. Auch wenn ihm die Tiefe fehlt und er nicht ganz so berühren kann wie mit „Vom Ende der Einsamkeit“, gelingt es Wells doch eine überzeugende Figur zu schaffen, die in sich stimmig ist und deren Seelenleben er glaubwürdig einfängt. Jesper Lier wirkt authentisch und meiner Einschätzung nach durchaus ein symbolischer Vertreter für seine Generation. Sprachlich lässt der Autor an einigen Stellen sein Können aufblitzen, das sich in seinen späteren Büchern dann richtig entfaltet.

Veröffentlicht am 13.01.2019

Un-Su Kim - Die Plotter

Die Plotter
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Eine Wahl für sein Leben hatte er nie. Raeseng ist schon in der Bibliothek bei Old Raccoon aufgewachsen und dort ganz selbstverständlich in das Metier eines Auftragskillers eingeführt worden. Doch die ...

Eine Wahl für sein Leben hatte er nie. Raeseng ist schon in der Bibliothek bei Old Raccoon aufgewachsen und dort ganz selbstverständlich in das Metier eines Auftragskillers eingeführt worden. Doch die Lage in Seoul verändert sich, Wahlen stehen an, die Regierung schwächelt und es scheint als wenn unter den Plottern, die seit Jahrzehnten im Land entscheiden, wessen Tage gezählt sind, ein Machtkampf ausgebrochen ist. Auch Raeseng bemerkt, dass seine Arbeit kritischer wird und dass auch er selbst ins Visier der Plotter geraten zu sein scheint – eine Bombe in seiner Wohnung ist da doch recht eindeutig. Er forscht nach und kommt einer kleinen, aber interessanten Gruppe auf die Schliche, die ihn auf ihrer Liste stehen hat.

Koreanische Literatur ist häufig etwas härter als der durchschnittliche deutsche Krimi, auch „Die Plotter“ erfüllt in dieser Hinsicht alle Erwartungen. Menschenleben sind nichts mehr als Spielfiguren in einem Schachspiel, die bisweilen an die falsche Stelle rücken und dann aus dem Spiel entfernt werden. Ein ewiger Kampf ums Überleben, der am Ende nur einen Sieger kennen kann.

Zunächst erscheint der Auftragskiller als Protagonist eher unnahbar in seiner Abgeklärtheit und Kühle. Aber im Laufe der Handlung entwickelt Raeseng immer mehr Profil und vor allem zeigt sich seine menschliche Seite. Er ist keineswegs so gefühllos, als dass er unhinterfragt jeden Auftrag nach Vorgabe ausführt und sich keine weiteren Gedanken um seine Opfer macht. Gerade dieser humane Zug wird ihm schließlich zum Verhängnis, zeigt aber auch, dass man zwar in ein Milieu hineingeboren werden, aber trotzdem so etwas wie Mitgefühl entwickeln kann. Seine Neigung zur Literatur ist glaubwürdig motiviert, aber doch so außergewöhnlich für seinen Berufsstand, dass es die Figur umso interessanter macht.

Die Handlung ist in gewissen Maße abzusehen, die Erinnerungen Raesengs bringen diese auch weniger voran als dass sie zur Profilschärfung des Protagonisten dienen. Das Trio, das Raeseng letztlich ausmacht, hat auch eine recht unerwartete Note, in diesem Punkt kann der Roman sich wahrlich aus der Masse hervorheben: ein Mangel an Überraschungsmomenten kann man Un-Su Kim sicher nicht vorwerfen und derart eigene, ausgefeilte Charaktere findet man auch eher selten. Insgesamt ein stimmiger und außergewöhnlicher Thriller.

Veröffentlicht am 23.12.2018

Der Verrrat

Der Verrat
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"Am Zorn festhalten ist wie Gift trinken und erwarten, dass der andere daran stirbt."

Zwanzig Jahre hat Nane im Gefängnis gesessen wegen Mordes. Sie hat ihre Strafe verbüßt, aber ihrer Schwester Pia und ...

"Am Zorn festhalten ist wie Gift trinken und erwarten, dass der andere daran stirbt."

Zwanzig Jahre hat Nane im Gefängnis gesessen wegen Mordes. Sie hat ihre Strafe verbüßt, aber ihrer Schwester Pia und deren Mann Thomas scheint das immer noch nicht genug, doch Nane hat Fragen, die sie über all die Jahre beschäftigt haben und diese will sie nun stellen. Als sie zu Thomas‘ und Pias Weingut kommt und ihrem ehemaligen Liebhaber gegenübertritt, erleidet der einen schweren Herzinfarkt und ihre Schwester jagt sie davon. Warum hegt Pia so einen Groll und weshalb will sie das, was in der unsäglichen Nacht geschah, unbedingt für immer totschweigen? Nane riskiert alles, sogar ihre Bewährung, um endlich Gewissheit zu haben, ob sie wirklich eine Mörderin ist, denn ihre Zweifel scheinen berechtigt.

Ellen Sandbergs zweiter Roman ist ein überzeugendes Spiel zwischen starken Figuren. Interessant ist dabei, dass es vor allem die Frauenfiguren sind, die das Spiel gegeneinander austragen und aus völlig verschiedenen Motiven, aber mit allen verfügbaren Mitteln in den Kampf gehen und zum Äußersten bereit sind. Parallel lässt sie die Geschehnisse Ende der 90er Jahre und die aktuellen Ereignisse ablaufen, der Leser muss so die Puzzleteile nach und nach zusammensetzen, um den perfiden Komplott zu durchschauen, der durchaus noch einmal Figuren in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Der Roman beginnt mit einem recht gemächlichen Tempo und bietet einiges an Vorlauf, bevor so wirklich Spannung aufkommt. Für das Agieren der Figuren ist dies jedoch wichtig, denn in genau dieser Phase liegt das entscheidende Motiv. Die Handlung ist insgesamt clever aufgebaut und überzeugend konstruiert, mir fehlten jedoch ein wenig die Sympathieträger, mit denen man mitfühlt und für die man sich Gerechtigkeit wünscht. Die Protagonistinnen Pia und Nane ebenso wie Thomas‘ Schwester sind von negativen Emotionen zerfressen, die sie zwanghaft bedienen. Keine kann vergeben, keine kann loslassen und keine gönnt einem anderen Glück. Es gibt diese Menschen, aber es ist erschreckend, wie sehr die drei darin gefangen sind und aus purem Egoismus auch bereitwillig das Leben der anderen zerstören und sogar deren Tod in Kauf nehmen. Die Töchtergeneration ist noch zu naiv und schwach, um diesen Frauen etwas entgegenzusetzen, ihre einzige Handlungsoption ist das Weglaufen.

Insgesamt ein runder und spannungsreicher Roman, der zwar nicht als Psychothriller kategorisiert ist, aber durchaus auch in diesem Genre angesiedelt sein könnte, denn die Handlung lebt von dem Psychospiel der Figuren. Abzug gibt es von mir einzig wegen der wenig überzeugenden erotischen Passagen, die sprachlich wie auch bezogen auf die Handlung etwas gestelzt wirken und bei denen weniger sicher mehr gewesen wäre.