Eine authentische Reise zurück ins viktorianische Zeitalter
Archibald Floyd verwöhnt und kümmert sich, nach dem frühen Tod seiner über alles geliebten Frau, ausgiebig um seine Tochter Aurora. Nach einem hässlichen Streit schickt er Aurora auf eine Pariser Privatschule. ...
Archibald Floyd verwöhnt und kümmert sich, nach dem frühen Tod seiner über alles geliebten Frau, ausgiebig um seine Tochter Aurora. Nach einem hässlichen Streit schickt er Aurora auf eine Pariser Privatschule. Als sie nach einem Jahr zurück auf den Landsitz ihres Vaters kehrt, hat sich die schwarzäugige Schönheit verändert. Trotz aller Bemühungen sich in das gesellschaftliche Leben einzufügen, hängt über Aurora ein dunkles Geheimnis aus ihrer Pariser Zeit. Sie will mit niemandem darüber sprechen und so verliert sie nicht nur ihren Verlobten, sondern wird obendrein verdächtigt eine Mörderin zu sein.
Dieser Krimi ist ein britischer Roman aus dem Jahr 1863 und spielt in ebendieser Epoche. Damit ist dieses Buch ein Klassiker und ermöglichte mir nicht nur eine authentische Reise in das viktorianische Zeitalter, sondern ließ dieses auch mit all seinen Eigenheiten wieder auferstehen.
Diese Geschichte ist somit logischerweise kein typisch moderner Krimi, in dem haufenweisen Blut fließt und super ausgebildete Polizisten auf Mörderjagd gehen. Hier spiegelt sich realistisch die Welt um 1860 wider.
Das Kernthema ist die persönliche Tragödie von Aurora Floyd. Dabei wurden gesellschaftliche Tabuthemen der damaligen Zeit verarbeitet. Was uns heutzutage kaum mehr ein müdes Lächeln entlocken würde, konnte damals einen handfesten Skandal, ja sogar das gesellschaftliche Ansehen für immer ruinieren.
Der personale Erzähler führte durch die gesamte Geschichte. Zu Beginn beschäftigte er sich ausgiebig mit der Familiengeschichte Auroras, um dann zu dem Punkt zu gelangen, an dem sie nach Paris geschickt wurde. Dieses Auslandsjahr verlief, für mich als Leserin, ungewiss und wurde vom personalen Erzähler gekonnt übersprungen. Er erzählte nicht nur die Begebenheiten, beleuchtete Zusammenhänge, brachte einige vergangene Ereignisse immer wieder in Erinnerung, nein, er wandte sich auch selbst an mich. So als säße ich dem Erzählenden bei einer Tasse Tee gegenüber. Dies erzeugte eine ganz eigne Atmosphäre und ließ mich tief in dieses vergangene Jahrhundert abtauchen.
Der Schreibstil war recht flüssig, durch ungewohnte Begrifflichkeiten war er stellenweise etwas zäher geworden, nahm aber rasch wieder Fahrt auf. An dieser Stelle möchte ich auch erwähnen, dass die Übersetzerin, Anja Marschall, eine wirklich gute Arbeit geleistet hat. Die Art zu reden und zu schreiben war früher ganz anders und dennoch gelang es Anja Marschall der Geschichte ihren Ursprung zu lassen, aber so, dass ich mich nicht von dem Text überfordert fühlte. Am Ende des Buches gab es auch eine Seite mit Erläuterungen, die mir einige Begrifflichkeiten näherbrachten.
Am Anfang fiel es mir etwas schwer in die Geschichte zu kommen. Dafür habe ich einfach zu lange keine Krimis dieser Art mehr gelesen. Dennoch war die Story von Beginn an unterhaltsam und interessant.
In insgesamt 39 Kapiteln folgte die Handlung überwiegend Aurora, aber auch andere Personen wurden hin und wieder mit einbezogen, teilweise in Begegnung mit der Protagonistin, manchmal ohne. Die einzelnen Kapitel hatten eigene Titel, die den Hauch einer Vorahnung auf die kommenden Szenen heraufbeschworen.
Das große Geheimnis, welches Aurora um ihre Vergangenheit machte, schwebte über der Geschichte wie eine dunkle Wolke. Stets wollte ich wissen, was denn so fürchterlich gewesen sein kann, dass sie beharrlich schwieg und dafür jede Menge Unannehmlichkeiten in Kauf nahm. Dabei war der Mord eher ein Nebenprodukt, denn der Fokus lag auf der allgemeinen Gesellschaft. Mit vielen klugen Worten und klar skizzierten Beschreibungen brachte Mary Elizabeth Braddon die Probleme und Ansichten der damaligen Zeit auf den Punkt. Dabei beleuchtete sie ausgiebig wie und vor allem warum es zu solchen Dramen überhaupt kommen konnte.
Ab etwa der Hälfte des Romans stieg die Spannung spürbar an und nahm ab da auch nicht wieder ab. Die Autorin hatte schon zu Beginn reichlich kleine, sehr gut versteckte Hinweise hinterlassen, die mir erst so richtig am Ende des Buches entgegen leuchteten.
Obwohl ich nicht wollte, zweifelte ich hier und da an Aurora und schwankte oft, bezüglich des Mörders.
Dieser Roman war keineswegs darauf ausgelegt die morbide Neugier des Lesers zu befriedigen, sondern eher dahingehend die Fallstricke unserer Entscheidungen und deren Konsequenzen aufzuzeigen. Dieser klug ausgearbeitete Krimi hat es mit sehr angetan und begeistert mich auch im Nachhinein.
Fazit: Eine tolle Gesamtkomposition aus gesellschaftlichen Zwängen, Skandalen und die Reise zurück ins viktorianische Zeitalter. Mit feiner Spannung und viel klugen Beobachtungen gespickt, ist dieser Klassiker sicher nicht jedermanns Geschmack. Mir hat der Krimi ausgezeichnet gefallen und ich kann das Buch jedem empfehlen, der sich traut einen etwas schwierigen Einstieg ins Buch zu bezwingen, um im Anschluss mit einem tollen und sehr geistreichen Roman belohnt zu werden.