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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.02.2019

Faszinierende Geschichten, die Abgründe offenbaren

Cat Person
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12 Geschichten, die teilweise unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Großteil sind überaus realitätsgetreue Erzählungen, wie sie sich jederzeit in unserer unmittelbaren Umgebung ereignen könnten; daneben ...

12 Geschichten, die teilweise unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Großteil sind überaus realitätsgetreue Erzählungen, wie sie sich jederzeit in unserer unmittelbaren Umgebung ereignen könnten; daneben gibt es ein Märchen sowie Geschichten, die gekonnt die Balance zwischen Phantasie und Realität halten. Das Bemerkenswerte an den Meisten ist die unglaubliche Dynamik, die entwickelt wird, sodass man atemlos Seite um Seite liest und kaum glauben kann, was sich hier ereignet. Meist jüngere Menschen, die überzeugt davon scheinen zu wissen, was ihr Gegenüber denkt und ihr Handeln danach ausrichten, sodass sie sich in Situationen hineinmanövrieren, aus denen sie kaum noch herauskommen bzw. deren Nachwirkungen sie auch noch nach Jahren spüren. Die Dinge tun, von denen sie nie gedacht hätten, dass sie dazu nie in der Lage wären, aber durch welche Umstände auch immer dazu gebracht wurden.
Die Autorin schildert das Innenleben ihrer jeweiligen ProtagonistInnen derart intensiv und detailliert, dass man die Angst, Furcht und den Ekel regelrecht miterlebt. Und in den 'normalen' Geschichten beschreibt sie so überzeugend die Geschehnisse, dass wohl fast Alle das Geschriebene bis ins Detail nachvollziehen können.
Für empfindsame Gemüter ist dieses Buch vermutlich nicht so ganz geeignet, aber für mich war es eine richtig klasse Sammlung von Kurzgeschichten, einem Genre, mit dem ich bisher nur wenig anfangen konnte.

Veröffentlicht am 17.02.2019

Atmosphärischer Krimi ohne Schwarz-Weiß-Denken

Nacht über dem Bayou
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Ein verurteilter Mörder bittet Dave Robicheaux um Hilfe, da er zu Unrecht verurteilt worden sei. Gleichzeitig beginnt ein Filmteam eine Dokumentation über diesen Fall zu drehen, da es offenbar Ungereimtheiten ...

Ein verurteilter Mörder bittet Dave Robicheaux um Hilfe, da er zu Unrecht verurteilt worden sei. Gleichzeitig beginnt ein Filmteam eine Dokumentation über diesen Fall zu drehen, da es offenbar Ungereimtheiten gibt. Schnell ist klar, dass der kommende Gouverneur LaRose alles andere als begeistert über dieses Engagement ist, was Daves Interesse erst richtig weckt. Als er sich intensiver mit LaRose beschäftigt, begegnet er einer früheren Geliebten wieder, die offenbar noch eine Rechnung offen hat mit ihm und mit ihrem Ehemann LaRose einiges zu verbergen scheint.
Auch dieser 9. Band spielt im tiefen Süden der USA, in den Sümpfen Louisianas. Wie zu erwarten gelingt es Burke erneut, die spezielle Atmosphäre dieser Gegend so intensiv zu vermitteln, dass man sie beim Lesen praktisch vor sich sieht (sollte ich jemals in dieser Gegend Urlaub machen, werde ich die Bücher Burkes im Handgepäck haben). Seine Beschreibungen sind intensiv und bildhaft, aber nie ausufernd oder langatmig ("Die Bogenfenster waren noch mit den ursprünglichen Eisenläden verschlossen, an denen orangefarbene Rostschlieren herunterliefen wie Blut aus einer Wunde."), was sich auch auf die Darstellung der Menschen bezieht, die in seinen Romanen eine Rolle spielen ("Er hatte lange Haare, wie ein Indianer aus dem 19. Jahrhundert, das Gesicht war unrasiert, die Haut dunkel und körnig, wie mit schwarzem Pfeffer eingerieben.").
Bemerkenswert ist, dass Burke seine Figuren stets so differenziert beschreibt, dass eine klare Schuldzuweisung selbst am Ende nicht einfach ist. Immer wieder wird deutlich gemacht, dass es nicht nur Gutes und Böses, Schwarz oder Weiß gibt, sondern eine Menge an Zwischentönen, die allzu häufig nicht beachtet werden.
Ach ja, der Fall selbst ist natürlich packend und spannend mit schnellen Szenewechseln, die konzentriertes Lesen voraussetzen. Ansonsten muss man sich einen Abschnitt nochmal vornehmen - was bei einer solchen Lektüre aber wohl nicht so schlimm ist

Veröffentlicht am 19.01.2019

Die Rache einer Frau - großartiger Schmöker aus dem Frankreich der 1930er Jahre

Die Farben des Feuers
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Vorab: Dies ist kein kleiner Unterhaltungsroman, den man so zwischendurch liest. Es sind knapp 500 Seiten mit vergleichsweise kleiner Schrift und kaum leerem Raum dazwischen. Dazu springt die Geschichte ...

Vorab: Dies ist kein kleiner Unterhaltungsroman, den man so zwischendurch liest. Es sind knapp 500 Seiten mit vergleichsweise kleiner Schrift und kaum leerem Raum dazwischen. Dazu springt die Geschichte zwischen einer Reihe Personen hin und her, sodass man ein gebündelt Maß an Aufmerksamkeit fürs Lesen mitbringen sollte. In diesem Fall erwartet einen ein fesselnder und grandioser Schmöker, den man kaum aus der Hand legen mag. Zumindest mir ging es so
Die geschiedene Madeleine Péricourt ist (bis auf ihren siebenjährigen Sohn Paul) die letzte Nachkommin einer vermögenden Bankiersfamilie. Da Paul während der Beerdigung seines Großvaters aus dem Fenster springt und nur schwerst verletzt überlebt, kümmert sie sich nicht weiter um die Geschäfte ihres Erbe, sondern widmet sich ausschließlich der Pflege ihres Sohnes. Doch direkt um sie herum werden Intrigen gesponnen und bringen sie um fast ihr gesamtes Vermögen. Doch Madeleine gibt sich nicht geschlagen und schmiedet einen perfiden Racheplan.
Neben Madeleines Geschichte erfährt man fast beiläufig auch von der Atmosphäre und den Geschehnissen im Frankreich der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts: die Krisenjahre mit den schnell wechselnden Regierungen; die Käuflichkeit der Presse; die Ablehnung des Staates durch die Eliten. Geschickt verbindet der Autor historischen Hintergrund und Fiktion, sodass ein eindrucksvolles Sittengemälde jener Zeit entsteht.
Diese an sich schon fesselnde Geschichte erhält durch den besonderen Stil von Pierre Lemaitre noch einen zusätzlichen Reiz. Als allwissender Erzähler beschreibt er auf eine leicht ironisch-spöttische Weise die Geschehnisse und bezieht die Lesenden mit einer gelegentlichen direkten Ansprache mit ein, als säße er uns unmittelbar gegenüber. Dadurch ensteht ein lockerer und ungemein unterhaltsamer Tonfall, der es einem erlaubt, sich voll und ganz auf die verschiedenen Personen zu konzentrieren, von denen es nicht gerade wenige gibt.
Ein toller Roman, spanned und fesselnd wie ein Krimi!

Veröffentlicht am 14.01.2019

Die Wahrheit ist selten so oder so. Meistens ist sie so und so. (Geraldine Chaplin)

nichts, was uns passiert
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Juli 2014: Hannes feiert bei Jonas im Garten seinen Geburtstag. Es herrscht gute Stimmung, wie so häufig wird viel zu viel getrunken. So viel, dass Anna nicht mehr richtig gehen kann und von Hannes und ...

Juli 2014: Hannes feiert bei Jonas im Garten seinen Geburtstag. Es herrscht gute Stimmung, wie so häufig wird viel zu viel getrunken. So viel, dass Anna nicht mehr richtig gehen kann und von Hannes und dem ebenfalls sehr betrunkenen Jonas in dessen Bett getragen wird, um dort ihren Rausch auszuschlafen. Als sie aufwacht, registriert sie, immer noch betrunken, dass Jonas ihr die Hose auszieht und trotz ihres Protestes in sie eindringt. Anna schläft danach wieder ein, verschwindet am Morgen lautlos aus der Wohnung und erstattet zwei Monate später gegen Jonas Anzeige wegen Vergewaltigung.
Liest man Annas Geschichte aus ihrer Sicht, scheint die Sache klar zu sein. Doch so einfach macht es sich die Autorin nicht. Sie schiebt eine dritte, unbenannte Person zwischen die Lesenden und die jeweils erzählende Figur, die wie bei einer Reportage die Beteiligten befragt. Nicht nur Anna und Jonas, der eine völlig andere Erinnerung an diese Nacht hat, sondern auch Freunde und Freundinnen, Bekannte, Verwandte usw. Dadurch entwickelt sich aus dem scheinbar klaren Tatvorwurf der Vergewaltigung ein differenziertes Bild, das beim Lesen immer wieder aufs Neue die unterschiedlichsten Gefühle und Überlegungen entstehen lässt. Hier eine eindeutige Schuldzuweisung zu formulieren, gestaltet sich mit zunehmender Seitenzahl zusehends schwieriger.
Auch das Gesetz, das wohl mehr einem Schwarz-Weiß-Denken geschuldet ist (Vergewaltigung = Einsatz von Gewalt und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr), kommt bei einem solchen Sachverhalt an seine Grenzen. Die große Grauzone, zu der auch der hier erzählte Vorfall gehört, bleibt davon ausgespart.
Eine einfache Lösung gibt es nicht, denn egal wie Gesetze formuliert werden, es steht Aussage gegen Aussage. Und das Grundproblem, dass Alkohol Schranken fallen lässt, von denen man vorher nicht einmal wusste, dass sie existieren, wäre damit immer noch nicht gelöst.
Ein sachliches, gut zu lesendes Buch, das sehr zum Nachdenken anregt.

Veröffentlicht am 14.01.2019

Eine Reise in Chinas Vergangenheit

Gott der Barbaren
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In der heutigen Zeit scheint China allgegenwärtig zu sein, ein Land, das alle kennen. Doch was weiß man von seiner Geschichte? Mir zumindest waren die Geschehnisse der Taiping-Revolution, von denen dieses ...

In der heutigen Zeit scheint China allgegenwärtig zu sein, ein Land, das alle kennen. Doch was weiß man von seiner Geschichte? Mir zumindest waren die Geschehnisse der Taiping-Revolution, von denen dieses Buch berichtet, unbekannt.
In den Jahren 1851 bis 1864 versuchten die Taiping-Rebellen die Qing-Dynastie zu stürzen, die von den Mandschu, die allgemein als grausam und korrupt galten, begründet worden war. Die Ideologie dieser neuen Bewegung gründete sich neben anderen zu großen Teilen auf christlichen Idealen, die der Gründer Hong Xiuquan vermutlich durch einen Missionar vermittelt bekam.
Stephan Thomes Roman setzt mit dem Jahr 1858 ein, wobei die einzelnen Kapitel zumindest zu Beginn nicht chronologisch aufeinander aufbauen. Ein junger Deutscher, Philipp Johann Neukamp, der sich in den Staaten des Deutschen Bundes 1848 an den bürgerlich-revolutionären Erhebungen beteiligte, flieht über die Niederlande nach China, um dort im Auftrag einer Mission den christlichen Glauben zu verbreiten. In Hongkong, wo er die ersten Jahre lebt, hört er vom Aufstand der Taiping-Rebellen, mit dem er aufgrund seiner Einstellungen sympathisiert. Als einer seiner Kollegen, ein konvertierter Chinese, die Mission verlässt um sich den Rebellen anzuschließen, folgt er ihm einige Zeit später nach.
Dies ist nur einer der drei Protagonisten, aus deren Sicht die damaligen Geschehnisse berichtet werden. Die herrschende Qing-Dynastie wird vertreten durch Zeng Guofan, den Oberbefehlshaber der Hunan Armee, die gegen die Rebellen kämpft. Lord Elgin, Sonderbotschafter der Britischen Krone, steht für die westliche Welt, die China mit allen Mitteln für den britischen Markt öffnen möchte, was auch unter dem Deckmantel 'Zivilisierung der Barbaren' gerechtfertigt wird. Daneben gibt es immer wieder Berichte einzelner Personen, die die jeweiligen Geschehnisse aus ihrer Sicht erzählen, sodass sich ein umfassendes Porträt dieser Zeit herausbildet.
Wer nun tatsächlich 'Die Barbaren' sind, die auch im Buchtitel stehen, bleibt nach dem Lesen dieses dicken Wälzers (über 700 Seiten) unklar. Die Qing-Dynastie, die rücksichtslos ihre Gegner massakriert? Die Rebellen, die grausam die Ungehorsamen und Ungläubigen niedermetzeln? Die Briten, die sich unbarmherzig ihr scheinbares Recht auf einen freien Handel erkämpfen? Oder die Missionare, die selbstherrlich ihren Glauben verbreiten und denen es egal ist, welche Folgen das nach sich zieht?
Untypisch sind die Führer der beiden großen Armeen und sich darin ähnlicher als sie ahnen, Zeng Guofan und Lord Elgin. Beide traten ihre Aufgaben mehr aus Pflichtgefühl als aus Überzeugung an und hadern den Großteil der Zeit mit dem, was ihnen aufgetragen wurde: Krieg zu führen. Man kann sie durchaus als Brüder im Geiste bezeichnen und hätten sie sich jemals getroffen und verständigen können, wären sie vermutlich sogar Freunde geworden. Auch der Dritte im Bunde, Philipp Johann Neukamp, der sich zumindest zu Beginn voller Idealismus und Begeisterung der Sache der Rebellen verschrieben hat, beginnt zu zweifeln. Wenn Etwas am Ende dieses Buches deutlich wird, dann: Nichts rechtfertigt einen Krieg, keine noch so gute Sache.
Man sollte sich schon etwas Zeit nehmen für diesen Wälzer, auch wenn die Sprache meist gut verständlich ist (nur gegen Ende hin, wenn die Protagonisten zu ihrem Lebensende hin zu philosphieren beginnen, wird es etwas schwieriger). Manche bemängeln, das Werk sei zu klischeebehaftet - doch man sollte nie vergessen, dass Klischees sich aus der Realität herausbilden. Stephan Thome beschreibt das Leben einer vergangene Epoche eines Landes, die einzelnen Figuren hingegen sind aber alles andere als klischeehaft. Und weshalb nur junge Leute dieses Buch lesen sollten, erschließt sich mir überhaupt nicht. Es ist eine Geschichte über eine Zeit in einem Land, von der mit Sicherheit nur die Allerwenigsten jemals etwas gehört haben - zur Allgemeinbildung gehört dies sicherlich nicht. Ausserdem: Ein Buch, mit dem man seinen Horizont erweitern kann und in dem einem eindrucksvoll dargestellt wird, wie überflüssig Kriege sind (auch wenn man es schon weiß), lohnt sich immer!