Der dreifache Roth - ein Widerspruch in sich
„Operation Shylock“ ist ein ‚Bekenntnis‘, kein Roman, betont Philip Roth schon im Untertitel. der Textberuhe auf genauesten Aufzeichnungen seiner Tätigkeit für den israelischen Geheimdienst Anfang 1988 ...
„Operation Shylock“ ist ein ‚Bekenntnis‘, kein Roman, betont Philip Roth schon im Untertitel. der Textberuhe auf genauesten Aufzeichnungen seiner Tätigkeit für den israelischen Geheimdienst Anfang 1988 in Athen. Und in der Tat geben sich ganze Abschnitte den Anschein, Aufzeichnungen, Zusammenfassungen, Ideensplitter zu sein. Der Clou aber ist, dass Philip Roth nach Isreal reist, um dort einen Doppelgänger zustellen, der als ‚Philip Roth‘ dem Prozess gegen den SS-Wachmann John „Ivan den Schrecklichen“ Demjanjuk beiwohnt und gleichzeitig wie ein wiedergeborener Anti-Herzl die Rückkehr der Juden nach Europa (Diasporismus) propagiert. Roth trifft Roth, erzählt von Roth - das ist keine leichte Kost, auch wenn sie sich gefällig lesen lässt.
Warum das Ganze? „Wegen Israel.“ (S. 88) Roth lässt sich und seine Figuren nicht nur über die Identität des Staates Israel (und die Identität der Palästinenser) monologisieren, sondern auch - und dies wie in allen seinen Romanen - über die jüdische Identität. Seine eigene und die eines jeden Juden, der in sich die Zerrissenheit einer jüdischen und womöglich einer nationalen Identität trägt, beispielsweise als US-Amerikaner. Innere Zerrissenheit ergibt sich in der inneren Suche nach sich selbst - und bei Roth kommen zwei Roth heraus, die miteinander diskutieren. Schon die dem Text vorangestellten Mottos leiten auf die Zwiegespaltenheit des Selbst hin: „Der ganze Inhalt meines Daseins schreit im Widerspruch gegen sich selbst“ (Kierkegaard) und „Also blieb Jakob allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach“ (Genesis 32,25).
Die Fragen: Bin ich ich? Leide ich an „Ichtis“? Ist Roth Roth? Ist Demjanjuk wirklich „Ivan der Schreckliche“ aus dem Lager Treblinka? sind komplex und bleiben offen. Die Wahheit lasse sich oft nur in der Lüge erkennen, werde sichtbar sozusagen in der gespiegelten Antithese. Insofern ist das Nicht-Gesagte oft dem Gesagten beigesellt - und deshalb der gleichwohl lockere Text oft schwer und satt. Auch wenn Roth, „Roth“ oder sein palästinensischer Freund Zee über den Staat Israel sprechen, schwingen Kritik und Imperativ gleichzeitig und dennoch gegeneinander. Was ist „jüdischer Geist“ und wo ist er zuhause (S. 137), ist kaum zu beantworten - oder immer anders. Vor der Welt als Shakespeares „Shylock“ seit 400 Jahren zur polemischen Figur gezeichnet, sucht ein Jude stets sein eigenes Bild (als spezielle Form der Sinnsuche eines jeden Menschen) und wundert sich, sofern er glaubt: „Wo war Gott zwischen 1939 und 1945? ich bin sicher, daß er bei der Schöpfung dabei war.“ (S. 239)
Zwiegespaltenheit als Merkmal des Menschen schreibt Roth auch den Tätern zu: „Die Deutschen haben der ganzen Welt endgültig bewiesen, daß die Aufrechterhaltung zweier radikal divergenter Persönlichkeiten, einer sehr netten und einer nicht gar so netten, nicht länger das Vorrecht von Psychopathen ist.“ (S. 68) Roths ganzer Text steckt voller Wahnsinnigkeiten, Klarsichtigkeiten, Bedeutsam- und Nichtigkeiten, seinen Zentralthemen Frauen, Judentum und Ich und ist deshalb ein Füllhorn kluger, nachdenklicher, auch absurder Gedanken, die so genial sind, wie sie bisweilen langatmig geraten.
Eine Schlusspointe ist, dass Roth die titelgebende Geheimdienstoperation „Shylock“ schlicht weglässt und im letzten Satz noch einen doppelten Boden einzieht: „Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen oderSchauplätzen oder Personen, seien sie lebendig oder tot, ist reiner Zufall. Dieses Bekenntnis ist falsch.“(S. 457)
Und der dritte Roth? Ist der Verfasser der „Operation Shylock“, von dem nicht klar ist, wie viel Roth in den beiden Roth-Figuren steckt.
Eine großartige Lektüre!