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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.01.2019

"A man named Lucy"

Der Diener, die Dame, das Dorf und die Diebe
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Ein Aufbruchsmärchen, eine Ausbruchsfabel - Ein "Man named Lucy" wird Unteroberhaushofmeister in einer düsteren Burg, die an das unheimliche Setting von Draculas Burg erinnert, einschließlich der gespannten ...

Ein Aufbruchsmärchen, eine Ausbruchsfabel - Ein "Man named Lucy" wird Unteroberhaushofmeister in einer düsteren Burg, die an das unheimliche Setting von Draculas Burg erinnert, einschließlich der gespannten Beziehungen zum Dorf. Die Verwicklungen, die Lucy erlebt, sind komisch, unheimlich, phantasievoll und skurril, die Liebesgeschichte wirkt keinesfalls aufgepfropft, sondern nimmt den Protagonisten für mich ein. Allerdings
nerven nur die inszenierten Dialoge ein wenig, in denen sich die Personen ständig missverstehen und in einer Weise an einander vorbeireden, die übers Knie gebrochen wirkt.

Alles in allem nicht so toll, wie der "Roadmovie" der Sisters-Brothers, aber - auch in der schönen Ausgabe - eine gelungene Abenteuerlektüre!

Veröffentlicht am 18.01.2019

Michelangelo über die Schulter schauen

Erzähl ihnen von Schlachten, Königen und Elefanten
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Enard versteht es meisterlich, eine Lücke in der Biographie des sonst so ausgeforschten Künstlers, Baumeisters und Architekten Michelangelo zu entdecken und auch zu nutzen. "Keine Quellen? Hurra! Platz ...

Enard versteht es meisterlich, eine Lücke in der Biographie des sonst so ausgeforschten Künstlers, Baumeisters und Architekten Michelangelo zu entdecken und auch zu nutzen. "Keine Quellen? Hurra! Platz für eigene Gedanken!" Und diese Gedanken verweben Michelangelos Geldklammheit, sein Künstlergeschick als Abhängiger von Geldgebern mit charakterlichen Schwächen (auch päpstlichen) sowie der Lebenswelt des Orients. Dass man sich auf jeder Seite nicht sicher sein kann, ob es so gewesen ist oder Enard es sich ausgedacht hat, beweist den exakt getroffenen Tonfall, die stimmige Atmosphäre. Hätte gern auch ein wenig länger sein können!

Veröffentlicht am 18.01.2019

Politik ist ein schmutziges Geschäft

Imperium
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Robert Harris‘ „Imperium“ ist der Auftakt einer Trilogie über Ciceros Leben. Erzählt wird die Handlung von Tiro, dem Schreiber und Sekretär des aufstrebenden Politikers, dessen „Tironischen Noten“ es ihm ...

Robert Harris‘ „Imperium“ ist der Auftakt einer Trilogie über Ciceros Leben. Erzählt wird die Handlung von Tiro, dem Schreiber und Sekretär des aufstrebenden Politikers, dessen „Tironischen Noten“ es ihm erlaubten, per Kurzschrift das gesprochene Wort einzufangen. Dieser Kunstgriff in der Erzählperspektive ist der erste große Coup, der Harris in seinem Roman gelingt: indem Tiro zwar immer ganz nah dabei ist, aber eben nicht in Ciceros Kopf, bleibt der Leser vor einem allwissenden Erzähler verschont, der „genau weiß, wie es wirklich gewesen ist“. Im Gegenteil: Oft ist Tiro nicht dabei und oft kommentiert er die Handlung, Ciceros Verhalten oder ein Ereignis, was den Kontext des Zeitzeugen liefert, ohne jemals belehrend oder langweilig zu wirken. Was ist riskant? Was ist eine Grenzübertretung? Was ist ganz und gar alltäglich? Der Leser weiß es nicht, aber Tiro liefert es nebenbei – sehr gut gemacht.

Ciceros Figur in ihrer Vielschichtigkeit ist der zweite große Wurf des Romans: Er ist ein „homo novus“, ein Mensch aus einer Familie, die noch keinen Amtsträger hervorgebracht hat, weshalb Cicero für seinen Aufstieg nicht auf Papis Beziehungen, Reichtum oder den Ruhm der Väter zurückgreifen kann. Ihm stehen nur drei Dinge zur Verfügung: seine Intelligenz, sein Redetalent und sein Ehrgeiz. Dieser Ehrgeiz ganz und gar legitime Ehrgeiz ist es auch, der Cicero in seinem geraden Weg wanken lässt, ihn Kompromisse eingehen lässt und mit den Wölfen heulen. Der Satz „Mit Würsten ist es wie mit Gesetzen – von beiden will man nicht wissen, wie sie gemacht werden“ könnte statt von Bismarck auch von Cicero stammen. Politik ist ein schmutziges Geschäft, und wenn man darin etwas werden möchte, dann kann die Weste nicht sauber bleiben. Damit ist der Roman auf erfrischende Weise auch sehr aktuell.

Zum dritten ist Politik im alten Rom auch immer Juristerei – nach oben kommt man als Staatsdiener nur, wenn man die richtigen Prozesse führt. Und Cicero hat einige aufsehenerregende Prozesse geführt, die seinen Ruhm begründen und deren Reden bis heute weitgehend bekannt sind: Das Verfahren gegen Verres und die Präliminarien zu Catilina bilden die Folie der Handlung, die regelrecht zum Gerichtsdrama wird. In diesen Passagen fand ich den Roman besonders stark – man müsste mal vergleichen, wie viel antiker Cicero in Harris‘ Dialogen steckt. Als Gerichtskrimi gefällt „Imperium“ fast am besten.

Einziger Wermutstropfen ist, dass Ciceros Ende ja bekannt ist. Mithin habe ich mich schon gefragt, wie ich mir den Lesespaß erhalten kann, je weiter es in Ciceros Leben geht. Bei „Imperium“ ist es noch einfach: Hier geht es nur aufwärts, bei den anderen Bänden hingegen war es für misch wirklich schwierig, am Ball zu bleiben.

Harris‘ Interpretation von Caesar und Pompeius haben mir gut gefallen, Clodius‘ hingegen weniger.

Alles in allem: großartiger Auftakt mit einem auferstehenden politischen Genius!

Veröffentlicht am 18.01.2019

Kyoko denkt nach

Kein schönerer Ort
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Umizuka ist ein Ort, der immer schöner werden soll. dafür sind den Einwohnern zahlreiche Regeln auferlegt worden - vom nachbarschaftlichen Mülleinsammeln, Grünanlagenpflegen bis hin zu gemeinschaftlichen ...

Umizuka ist ein Ort, der immer schöner werden soll. dafür sind den Einwohnern zahlreiche Regeln auferlegt worden - vom nachbarschaftlichen Mülleinsammeln, Grünanlagenpflegen bis hin zu gemeinschaftlichen Feiern und einer gruppenstiftenden Hymne. Dass diese Regeln in alle Bereiche des Lebens vordringen, erlebt schon die elfjährige Kyoko in der Schule, wo die Schüler nach den „Zehn Regeln der Klasse 5b“ (S. 48) leben sollen. Nummer 3. etwa lautet „Beim Schulessen wollen wir nichts zurückgehen lassen“, Nr. 8 „Wir wollen zusammenstehen“, Nr. 10 „Wir alle sind eins“. Da die Lektüre dem Bericht des Mädchens Kyoko folgt, enthüllt sich nur Zeile für Zeile, wie tief Umizukas Regeln in alle Winkel des Privaten vordringen. Denn Kyoko versteht nicht alles, was um sie geschieht, aber sie denkt viel nach und reibt sich stark mit den strengen, scheinbar antisozialen Regeln ihrer Mutter, die sich vor den Nachbarn versteckt und immer weniger mit Kyoko versteht. Die erkennt schließlich: „Wie soll man auch verstehen können, was andere dachten, wenn man oft genug nicht einmal verstand, was im eigenen Kopf vorging.“ (S. 104)

Es geht aber noch sehr viel mehr vor in diesem Ort Umizuka, den offenbar vor einigen Jahren eine schlimme Katastrophe heimgesucht hat, deretwegen alle Bewohner erst fort- und später wieder hergezogen sind. Dieser Umzug hat offenbar mit der Einführung strenger Regeln zu tun und mit einigen Merkwürdigkeiten, die Kyoko nicht in Frage stellt, die aber beim Lesen so gar nicht alltäglich wirken: Sieben Schüler sterben innerhalb eines Schuljahrs, doch Kyoko argwöhnt nichts, während am Ende jedes Absatzes Alarmglocken schrillen.

Es ist eine Stärke des Buchs, das es nicht versucht, den naiven Tonfall einer Elfjährigen zu imitieren, denn Kyoko erzählt mit fast zwanzig Jahren Abstand in der Sprache der Erwachsenen. Aber sie referiert ihren damaligen Wissensstand glaubwürdig und umso überzeugender. Es ist eine weitere Stärke dieses Romans, wie er den Blick des Lesers auf die Mutter Seite für Seite wandelt. Der innere Totalitarismus wird durch den äußeren abgelöst und öffnet den Blick auf eine Gesellschaft, die sich dem nichtalltäglichen Alltag nach einer Katastrophe unterwirft. Da der Roman im Angesicht der Fukushima-Katastrophe geschrieben wurde, denkt man unwillkürlich an radioaktive Verseuchung - aber hierzu gibt es allenfalls Andeutungen. Wohl aber wird deutlich, wie wichtig der Verlust des Hinterfragens, die Eindämmung des individuellen Willens und die Einschränkung einer wissensbasierten Fähigkeit zur Kritik für eine etwaige Regierung ist, die einfach weitermacht. Umizuka war nicht schön und ist nun erst recht nicht schöner, egal was die Hymnen künden!

Ein strahlkräftiger Roman mit langer Halbwertzeit.

Veröffentlicht am 18.01.2019

Das Mädchen im Nebel

Der Nebelmann
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Carrisis „Nebelmann“ trägt einen der verwirrendsten Klappentexte auf dem Rücken: Er verrät nämlich ohne Not einen Clou des Romans, der sich erst sehr, sehr spät enthüllt, und legt überdies damit einen ...

Carrisis „Nebelmann“ trägt einen der verwirrendsten Klappentexte auf dem Rücken: Er verrät nämlich ohne Not einen Clou des Romans, der sich erst sehr, sehr spät enthüllt, und legt überdies damit einen Schwerpunkt, den der Roman nicht hat. Vielleicht ist deshalb auch der deutsche Titel so gewählt worden: „Der Nebelmann“ heißt im Original „La ragazza nella nebbia“, also „das Mädchen im Nebel“ - und so sollte das Buch auch besser heißen.

Vogel ist ein interessanter Ermittler: einer, der mit den Medien spiel. Kein echter Schnüffler oder Codeknacker, sondern ein manipulativer Ermittler, der mehr mit dem Bauch klärt und seinem Gespür für die Schwächen der Menschen als mit überlegenem Intellekt. Er ist unsympathisch und überheblich, hat offenbar gerade ein paar eklatante Fehler hinter sich und deshalb weiß man als Leser nicht so genau, wie man es mit ihm halten soll. Anna Lou ist verschwunden, und als Hauptverdächtiger des Geschehens scheint der Lehrer Martini ausgemacht zu sein. Von diesem stammt der denkwürdige Hinweis: „Es sind die Bösen, die eine Geschichte ausmachen.“ Auch Vogel erinnert daran, dass man nur die Namen der schlimmen Täter im Kopf behält, nicht aber die der Opfer.

Es gehört zu den geschickten selbstreflexiven Hinweisen des Autors, denn auch sein Roman lässt das Opfer bald in den Hintergrund treten und lebt von den Handlungen der Bösen - worin Vogel mit eingeschlossen ist. Die Die Konstruktion des Romans nimmt drei auktoriale Perspektiven ein: zum Teil Wochen nach dem Geschehen, als Vogel blutbesudelt im Dorf wieder auftaucht, und dann die Erzählstränge mit je Vogel und Martini im Zentrum. Das ist nicht besonders komplex, wie auch der Stil Carrisis schnörkellos und knapp ist, obschon ihm eine dichte Atmosphäre gelingt. Der Roman nennt sich Thriller, ist aber kein Spannungskracher.

Deshalb ist angesichts aller oben genannten Einschränkungen am überraschendsten eigentlich, wie gern ich den Roman gelesen habe – wirklich ansprechend.