Robert Harris‘ „Imperium“ ist der Auftakt einer Trilogie über Ciceros Leben. Erzählt wird die Handlung von Tiro, dem Schreiber und Sekretär des aufstrebenden Politikers, dessen „Tironischen Noten“ es ihm erlaubten, per Kurzschrift das gesprochene Wort einzufangen. Dieser Kunstgriff in der Erzählperspektive ist der erste große Coup, der Harris in seinem Roman gelingt: indem Tiro zwar immer ganz nah dabei ist, aber eben nicht in Ciceros Kopf, bleibt der Leser vor einem allwissenden Erzähler verschont, der „genau weiß, wie es wirklich gewesen ist“. Im Gegenteil: Oft ist Tiro nicht dabei und oft kommentiert er die Handlung, Ciceros Verhalten oder ein Ereignis, was den Kontext des Zeitzeugen liefert, ohne jemals belehrend oder langweilig zu wirken. Was ist riskant? Was ist eine Grenzübertretung? Was ist ganz und gar alltäglich? Der Leser weiß es nicht, aber Tiro liefert es nebenbei – sehr gut gemacht.
Ciceros Figur in ihrer Vielschichtigkeit ist der zweite große Wurf des Romans: Er ist ein „homo novus“, ein Mensch aus einer Familie, die noch keinen Amtsträger hervorgebracht hat, weshalb Cicero für seinen Aufstieg nicht auf Papis Beziehungen, Reichtum oder den Ruhm der Väter zurückgreifen kann. Ihm stehen nur drei Dinge zur Verfügung: seine Intelligenz, sein Redetalent und sein Ehrgeiz. Dieser Ehrgeiz ganz und gar legitime Ehrgeiz ist es auch, der Cicero in seinem geraden Weg wanken lässt, ihn Kompromisse eingehen lässt und mit den Wölfen heulen. Der Satz „Mit Würsten ist es wie mit Gesetzen – von beiden will man nicht wissen, wie sie gemacht werden“ könnte statt von Bismarck auch von Cicero stammen. Politik ist ein schmutziges Geschäft, und wenn man darin etwas werden möchte, dann kann die Weste nicht sauber bleiben. Damit ist der Roman auf erfrischende Weise auch sehr aktuell.
Zum dritten ist Politik im alten Rom auch immer Juristerei – nach oben kommt man als Staatsdiener nur, wenn man die richtigen Prozesse führt. Und Cicero hat einige aufsehenerregende Prozesse geführt, die seinen Ruhm begründen und deren Reden bis heute weitgehend bekannt sind: Das Verfahren gegen Verres und die Präliminarien zu Catilina bilden die Folie der Handlung, die regelrecht zum Gerichtsdrama wird. In diesen Passagen fand ich den Roman besonders stark – man müsste mal vergleichen, wie viel antiker Cicero in Harris‘ Dialogen steckt. Als Gerichtskrimi gefällt „Imperium“ fast am besten.
Einziger Wermutstropfen ist, dass Ciceros Ende ja bekannt ist. Mithin habe ich mich schon gefragt, wie ich mir den Lesespaß erhalten kann, je weiter es in Ciceros Leben geht. Bei „Imperium“ ist es noch einfach: Hier geht es nur aufwärts, bei den anderen Bänden hingegen war es für misch wirklich schwierig, am Ball zu bleiben.
Harris‘ Interpretation von Caesar und Pompeius haben mir gut gefallen, Clodius‘ hingegen weniger.
Alles in allem: großartiger Auftakt mit einem auferstehenden politischen Genius!