Die Stärkung des Einzelnen gegenüber den Vielen
Pause für WanzkaWenn ich heutzutage DDR-Literatur lese, dann habe ich oft das Gefühl, dass die Geschichte wie eine alte Matrizen-Kopie sind: blass, nicht farbecht, provisorisch und zu den Rändern hin altersbraun verfärbt. ...
Wenn ich heutzutage DDR-Literatur lese, dann habe ich oft das Gefühl, dass die Geschichte wie eine alte Matrizen-Kopie sind: blass, nicht farbecht, provisorisch und zu den Rändern hin altersbraun verfärbt. Das trifft in Teilen auch auf Wellms „Pause für Wanzka“ zu, aber dahinter steht eine humane, allgemeingültige Weisheit über die Notwendigkeit, das Individuum vor dem Kollektiv zu verteidigen. Und deshalb habe ich diesen Lehrerroman gerne gelesen.
Die Muffigkeit des DDR-Schulalltags entsteht auch durch die lähmende Ideologie, der sich Sprechen und Handeln des „Lehrerkollektivs“ unterwerfen, das wiederum seine Schüler unter die Kaderanforderungen der sozialistischen Einheitsgesellschaft zwingen will und soll. In diese muffige Provinzschule lässt sich der kurz vor der Pensionierung stehende Kreisschulrat Wanzka versetzen: Er will noch einmal richtig als Lehrer arbeiten, von Lehre zu Schüker, von Mensch zu Mensch. Schon dieser Wunsch erweist Wanzka als Individualisten aus, den sein Bürokratendasein in der Kreisschulbehörde zu einer Art inneren Immigration getrieben hat, aber auch dazu, wieder „konkret“ zu werden. „Konkret“ und „konsequent“ sind Modewörter der DDR-Gesellschaft jener Zeit. Wanzka eckt in der kleinen Schule in Mirenberg aber an, denn zu unkonventionell sind seine Methoden, zu nonkonform seine Ideen.
Der Roman holpert sich durch die unterschiedlichen Szenen von Wanzkas Verwandlung zunächst in den Vorbildlehrer und dann den leisen Lehrerrebellen. Als aber die Konfrontation zwischen dem System und Wanzkas Engagement für das Individuum akut wird, als er nämlich das von ihm entdeckte Mathematiktalent Norbert „Konsequent“ Kniep gegen die rechtwinklige Strenge des Stromlinienlehrers Seiler verteidigt, nimmt auch der Roman Fahrt auf. Die Wendung „gegen die Kollektiverziehung“ (S. 160) bringt Wanzka ins Abseits, wo er nur von seinem halbverrückten Kollegen Bientzek, dem Faktotum Pikors und der Junglehrerin Marlott Unterstützung erfährt.
In Marlott wächst das Verständnis für Wanzkas Anliegen, und in der finalen Konfrontation mit Seiler formuliert sie den Vorwurf: „Der Mensch müsse erst bezwungen werden, auf daß er für uns paßt, auf daß der für den Sozialismus paßt.“ (S. 313) Wellms Roman richtet sich gegen die Gleichmacherei des Kollektivs, das alles Außergewöhnlich wir Unkraut ausjätet, auch und vor allem Talente und Genies.
Ein Nachwort weist auf die Parallelen zwischen Wanzka und Wellm hin, der sich selbst al Kreisschulrat auf eine Lehrerstelle versetzen ließ, und erläutert auch den schwierigen Publikationsprozess des Romans in der DDR.
Die Reihe wiederentdeckter DDR-Romane im Verlag Faber & Faber beschert mit diesem Roman einen nicht immer konzis erzählten, aber lesenswerten Roman mit einem humanistischen Anliegen, dessen Gültigkeit noch immer besteht.