Aus Berlin wird Wien
Die FliedertochterVon Berlin nach Wien geht es Mitte der 1930er Jahre für die junge Luzie: nicht aus freiem Willen! Nein, der eklige Goebbels hat ein Auge auf die vielversprechende Schauspielerin geworfen und möchte sie ...
Von Berlin nach Wien geht es Mitte der 1930er Jahre für die junge Luzie: nicht aus freiem Willen! Nein, der eklige Goebbels hat ein Auge auf die vielversprechende Schauspielerin geworfen und möchte sie näher kennenlernen - was das heißt, ist allen klar. Ihm einen Korb zu geben, das würde Luzie sich schon trauen, aber sie muss auch andere schützen und begibt sich daher zur Wiener Verwandtschaft - Maria, Leo und dem kleinen Peter, die sie mit offenen Armen empfangen. Und nicht nur das: sie lassen auch ihre Kontakte für Lucie spielen und bald hat sie nicht nur ein Engagement an einer Bühne, sondern auch Verehrer noch und nöcher. Und die sind teilweise wesentlich ansprechender als Goebbels.
Zunächst kann Luzie in Wien das Leben mit ihrem Geliebten, dem Librettisten Bela, einem ungarischen Juden, der jedoch bereits seit seiner Kindheit in Österreich lebt, genießen - ihr einziges Problem vor Ort ist dessen Stiefbruder Richard, den sie fast ebenso attraktiv findet und er sie sowieso. Und natürlich die Sorge um das, was sie in Berlin gelassen hat. Doch bereits wenige Jahre später ist Wien mindestens genauso braun wie Berlin und Luzie muss ihre Haut retten - ein besonders fanatischer Nazi hat ihre Ablehnung nicht vergessen und will Rache!
Dass wir aber überhaupt von Luzies Schicksal erfahren, das verdanken wir Paulina, einer 30jährigen Künstlerin, die sich im Jahre 2018 auf Bitten einer alten Familienfreundin, Toni nämlich, wie ehemals Luzie von Berlin nach Wien begibt und dort Luzies Tagebuch zu lesen bekommt. Danach ist nicht nur für sie nichts mehr wie es vorher war!
Luzies ebenso spannendes wie tragisches Leben erlesen wir in allen Einzelheiten, denn es wird mit Herz und Verstand von Teresa Simon erzählt, die genau dieses exzellent beherrscht - das Schreiben kluger, fesselnder und unterhaltender historischer Romane, von denen man sich wünscht, dass sie nie zu Ende gehen! Ein solches Buch liegt nun vor Ihnen: genau das Richtige für freie Ferientage, an denen man unbegrenzt Zeit zum Schmökern hat. Und es geht hier nicht nur um Freundschaft und Liebe - gewisse Parallelen zwischen Luzies und Paulinas Schicksalen sind nicht zu übersehen!
Eine tolle Geschichte, bei der aber einige Entwicklungen ein wenig im Unklaren blieben. Da ich das Buch und die wunderbar gezeichneten Figuren so liebte, dass ich alles über sie erfahren wollte, hat mich das ein bisschen geärgert. Auf der anderen Seite jedoch empfinde ich es als authentisch - genauso ist es im wahren Leben (auch wenn ich mir eigentlich in einem Buch, das so mitreißend ist wie dieses, wünsche, alles genau zu erfahren, bis aufs letzte Fitzelchen). Weil ich von der Geschichte einfach nicht genug bekommen kann. Aber damit muss ich dann leben.
Trotzdem ein absolut rundes Ende, vor allem für Paulina und ihre Freunde und Verwandten in der Gegenwart, denn für sie schließt sich ein Kreis nicht nur im eigenen Leben, sondern auch in Bezug auf die Familiengeschichte. Dies ist der Autorin - wie auch alles andere - absolut großartig gelungen.
Ein wunderbares Buch, zu dem mir - man liest es in meinen Elogen - nur Superlative einfallen und das in mir ein warmes, wohliges Gefühl interlässt, weil es so viele meiner (Lese-)Bedürfnisse befriedigt hat: eindringliche, teilweise durchaus auch unkonventionelle Charaktere - mein Favorit war ein katholischer Priester, der sich in allerschwersten Zeiten um die Schwächsten kümmerte -, literarischer und historischer Anspruch, gute Unterhaltung, ein angenehmer, aber nicht zu glatter Stil - ein Roman, der trotz der Tragik, die sich im Erzählverlauf immer mehr offenbart, auch von Freundschaft, Liebe und Wärme handelt.