Sehr schön geschriebene Geschichte einer Jugend in einer tragischen Familie
Sommer in Super 8Schon am Titelbild sieht man, daß Anne Müller ihre Leser in die späten 60er bis 70er Jahre führt, und dies tut sie ganz hervorragend und lebendig. Wir begleiten Clara durch ihre Kindheit und Jugend in ...
Schon am Titelbild sieht man, daß Anne Müller ihre Leser in die späten 60er bis 70er Jahre führt, und dies tut sie ganz hervorragend und lebendig. Wir begleiten Clara durch ihre Kindheit und Jugend in einem norddeutschen Dorf; lernen nach und nach die dunklen Seiten hinter der auf den ersten Blick so perfekten Landarztfamilie kennen.
Der Schreibstil ist angenehm, man ist sofort mitten in der Geschichte, nimmt gleich teil am Leben der Familie König, welches aus Claras Sicht erzählt wird. Man merkt schon im ersten Kapitel, daß Clara ein tiefgründiges Kind mit teils traurigen Gedanken ist. Ebenso schnell wird deutlich, daß hinter der respektablen Front der Familie - mit attraktiven, eleganten Eltern, der alten Villa, den Ausflügen - nicht alles so perfekt ist, wie es scheint. Sowohl das Wesen Claras und ihrer Familie wie auch die Risse in der Fassade werden uns auf sehr gekonnte Weise vermittelt, durch kleine Bemerkungen, Beobachtungen, Nebensätze. Hier werden keine Fakten plump serviert, das Gesamtbild entfaltet sich nach und nach, die Hinweise sind gut eingesetzt und man möchte gleich weiter lesen und alles erfahren.
Vordergründig berichtet Clara harmlose kleine Episoden, in denen man die 70er Jahre richtig vor sich sieht, die leuchtenden Farben, Riesensonnenbrillen, die Super 8-Filme. Auch das Zeitgeschehen wird immer wieder eingeflochten, so die Angst vor den Russen, die Mondlandung, der Terroranschlag bei den olympischen Spielen. Es werden viele solche interessanten Details erwähnt und dadurch ersteht dieses Jahrzehnt auf den Seiten des Buches auf.
Während sich in Claras Grundschulzeit die Abgründe der Familie noch gut vertuschen lassen und von einem solch kleinen Kind auch eher nur in Nuancen wahrgenommen werden (können), ändert sich sowohl für Clara wie auch für den Leser einiges, als Clara zum Teenager geworden ist. Die Familienprobleme werden deutlicher, zugleich aber rückt die Familie leider in der Erzählung in den Hintergrund. Wir lesen detailreich über die typischen Teenagererfahrungen - Schminken, Tanzstunde, erster Kuß, Discobesuch, Konfirmation. Dies ist immer noch gut (manchmal etwas zu ausführlich) erzählt (abgesehen von einigen kleinen Wiederholungen), aber für meinen Geschmack verlor sich die Geschichte zu sehr in diesen Dingen und ließ die für mich viel interessantere Familiendynamik zurückstehen.
Während man im ganzen Buch Claras Vater vielseitig erlebt und kennenlernt, bleibt ihre Mutter fast die ganze Zeit über blaß. Im ersten Teil hat sie noch Persönlichkeit und man möchte mehr über sie erfahren, dieser Wunsch wird nicht erfüllt, im Gegenteil. Die Beziehung zwischen Claras Eltern ist sehr interessant, ist auch das, was zur Besonderheit dieses Buches beiträgt, sie hätte neben den Teenageralltagserfahrungen meiner Meinung nach viel mehr Raum verdient.
Der letzte Teil des Buches ist sowohl berührend, wie auch ein wenig verstörend, letzteres auch wegen der für mich nicht ganz nachvollziehenden Reaktionen (oder teils fehlenden Reaktionen) der Familie.
"Sommer in Super 8" ist ein Buch, das von Anfang an berührt, Emotionen weckt, in einem angenehmen Stil geschrieben ist und auch nach dem Lesen noch nachwirkt.