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Veröffentlicht am 27.01.2019

Suchtfaktor Gut Greifenau

Gut Greifenau - Nachtfeuer
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1914. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges müssen sowohl Konstantin als auch Nikolaus an die Front rücken, während das Gut in den Händen von Konstantins Vaters bleibt und auch eine Aussöhnung mit Rebecca ...

1914. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges müssen sowohl Konstantin als auch Nikolaus an die Front rücken, während das Gut in den Händen von Konstantins Vaters bleibt und auch eine Aussöhnung mit Rebecca nicht stattgefunden hat. Leider hat Graf Adolphis kein Händchen für die Führung des Gutes, und schon bald türmen sich die Schulden. Deshalb gibt es keinen anderen Ausweg, als Katharina schnellstmöglich mit Ludwig von Preußen, dem Kaiserneffen, zu verheiraten. Katharina dagegen hofft immer noch auf die Rückkehr von Julius, um dem verhassten Ludwig und der Eheschließung zu entgehen. Auch Kutscher Albert ist weiterhin auf der Suche nach seinen Eltern und als er diese schließlich ausfindig macht, ist die Überraschung perfekt, denn diese Neuigkeit eröffnet völlig neue Perspektiven…
Hanna Caspian hat mit ihrem Buch „Gut Greifenau – Nachfeuer“ den zweiten Teil ihrer Greifenau-Trilogie vorgelegt, die den ersten Band an Spannung, Verwicklungen und Überraschungen noch übertrifft. Der Schreibstil ist flüssig, bildhaft und detailreich, schnell lässt sich der Leser in die Seiten saugen und Gut Greifenau erneut einen Besuch abstatten, wobei man sich nun dort schon recht heimisch fühlt zwischen all den Bediensteten und den adligen Herrschaften. Unsichtbar und doch nicht unbeteiligt verfolgt der Leser das Treiben der einzelnen Gutsbewohner, die mit Anbeginn des Krieges so einiges an Ängsten und Entbehrungen in Kauf nehmen müssen, was andere wiederum nicht wahrhaben wollen und die Augen davor verschließen. Der Autorin gelingt es scheinbar mühelos, Historie mit Fiktion zu verweben und dem Leser nicht nur ein anschauliches Bild der damaligen Lebensumstände zu vermitteln, sondern auch die vielen Fallstricke aus Intrigen, Geheimnissen und Lügen wunderbar miteinander zu verstricken, so dass der Spannungsbogen nicht eine Sekunde lang abreißt, und der Leser regelrecht an den Seiten klebt. Aus wechselnden Perspektiven erhält der Leser ein wunderbares Bild sowohl hinter als auch vor den Kulissen und leidet, hofft und bangt mit den Protagonisten, als wäre er ebenso Teil der Familie. Der Knall am Schluss lässt nur einen Wunsch offen: Band 3 – wann kommst du?
Mit besonderer Liebe zum Detail wurden die Charaktere weiter ausgestaltet und erleben durchweg alle eine Entwicklung in ihrem Lebenslauf. Sie wirken greifbar, menschlich, lebensnah, aber auch abgehoben, unerbittlich oder unversöhnlich. Der Leser hat eine bunte Palette an Protagonisten, denen er seine Sympathie schenken kann, aber es gibt auch diejenigen, denen man die Pest an den Leib wünscht. Katharina ist nicht zu beneiden, denn sie soll das Bauernopfer sein, um die finanzielle Not der Familie zu lindern. Ludwig ist ein ekelhaftes Scheusal, dem man die gerechte Strafe wünscht. Konstantin sehnt sich nach Rebecca, die aber ist immer noch unversöhnlich. Adolphis ist ein Fehlgriff für die Gutsführung, sein Vergnügen sucht er außerhalb seines Hauses, was wohl auch mit zu den finanziellen Nöten der Familie führt. Feodora ist unbestritten eine Ignorantin erster Stunde und immer noch unerbittlich. Albert hegt sein Geheimnis und treibt die Spurensuche voran. Clara ist zu bedauern, sie trifft es besonders hart. Ebenso wichtig sind auch alle anderen Bewohner für das schöne Gesamtbild der Handlung.
„Gut Greifenau – Nachtfeuer“ ist ein sehr gelungener, vielschichtiger und hochspannender Roman mit vielen Verwicklungen, menschlichen Abgründen sowie den normalen Ängsten, Nöten, Träumen und Wünschen aller Bewohner, die das Gut zum Leben erwecken. Wunderbar lebendig erzählt und mit hohem Suchtpotential! Eine verdiente absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 27.01.2019

"Das Feuer brennt — die Liebe aber löscht." (Immanuel Gottlieb Kolb)

Wenn die Nacht in Flammen steht
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1947. Grace Holland lebt mit Ehemann Gene in einem kleinen Haus in Main und hat zwei kleine Kinder, um die sie sich liebevoll kümmert, während ihr Mann den Lebensunterhalt verdient. Mit ihrer besten Freundin ...

1947. Grace Holland lebt mit Ehemann Gene in einem kleinen Haus in Main und hat zwei kleine Kinder, um die sie sich liebevoll kümmert, während ihr Mann den Lebensunterhalt verdient. Mit ihrer besten Freundin Rosie, die gleichzeitig ihre Nachbarin ist, verbringt sie mit den Kindern gern Zeit am Meer. Doch dann kommt es nach einer langen Dürreperiode zu einem Feuer, das ihr Haus und alles, was Grace‘ Familie in all den Jahren angesammelt hat, verzehrt. Während ihr Ehemann Gene der Feuerwehr beim Löschen der Brände hilft, flüchtet Grace mit Rosie und den Kindern vor den Flammen ins Meer und können so ihr Leben retten. Aber Gene wird vermisst und niemand weiß, was mit ihm geschehen ist. Grace, erst 23 Jahre alt, muss nun allein und aus eigener Kraft für sich und ihre Kinder sorgen und ihrer aller Leben eine neue Zukunft geben…
Anita Shreve hat mit ihrem Buch „Wenn die Nacht in Flammen steht“ einen sehr spannenden und eindringlichen Roman vorgelegt, der mit seinem gekonnten Erzählstil und einer bildgewaltigen Sprache den Leser regelrecht an sich kettet und ihn in eine Zeit versetzt, als das Rollenbild von Mann und Frau noch recht festgelegt war. An der Seite von Grace erlebt man den gewöhnlichen Tagesablauf einer Familie, wobei es auch hier Probleme und Streitereien gibt, der Alltag der ehemaligen Verliebtheit Platz gemacht hat und jeder seinen Platz innerhalb dieses Konstrukts finden musste. Das hereinbrechende Feuerunglück stellt Grace vor ganz neue Herausforderungen, denn plötzlich ist sie ohne Ehemann und Ernährer. Mit fulminanten Bildern verwebt die Autorin die historisch belegte Feuersbrunst und ihre zerstörerische Gewalt mit ihrer Handlung, so dass man als Leser die Hitze auf der Haut und die Angst selbst spüren kann. Ebenso weckt sie Hilflosigkeit und Mitleid mit all jenen, die durch die Flammen so viel verlieren und mit praktisch Nichts dastehen. Der Roman beginnt zwar mit eher leisen Tönen, doch unterschwellige Konflikte sowie die Brandkatastrophe lassen die Spannung schnell steigen und auf gleichmäßigem Niveau verharren, das den Leser das Buch nicht aus der Hand legen lässt. Auch die geschickten angelegten Wendungen überraschen den Leser und geben der Geschichte immer neue Blickwinkel.
Die Protagonisten sind ausdrucksstark und detailliert skizziert, in ihrem Verhalten spiegeln sie den Zeitgeist einer vergangenen Generation. Mit glaubhaften Eigenschaften ausstaffiert wirken sie sehr lebendig, individuell und vor allem sehr real, was den Leser zum Mitfiebern und Mitbangen anregt. Grace ist eine Frau, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmert und für den Haushalt sorgt. Sie hat viel zu jung geheiratet, hatte immer jemanden, der sie versorgt. Trotzdem ist ihr ihre Unzufriedenheit anzumerken. Nach dem Feuer steht sie vor Nichts, was in ihr anscheinend ungeahnte Kräfte frei setzt und als Löwenmutter alle Reserven mobil macht, um sich und ihre Kinder irgendwie durchzubringen. Aber sie verliert auch sich selbst dabei nicht aus den Augen und steht zum ersten Mal auf eigenen Beinen, ist für sich selbst verantwortlich, und gerade das scheint ihr die nötige Stärke zu verleihen.
„Wenn die Nacht in Flammen steht“ ist ein wahrer Pageturner, der dem Leser ein tolles Kopfkino sowie eine Achterbahn der Gefühle beschert. Wunderbar packend erzählt und absolut empfehlenswert!

Veröffentlicht am 27.01.2019

"Auge um Auge - und die ganze Welt wird blind sein." (Mahatma Ghandi)

Die Farben des Feuers
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1927 Paris. Als ihr Vater, der angesehene und berühmte französische Bankier Marcel Péricourt, stirbt, erbt Tochter Madeleine, deren Exmann im Gefängnis sitzt, das von ihm hinterlassene Bankenimperium. ...

1927 Paris. Als ihr Vater, der angesehene und berühmte französische Bankier Marcel Péricourt, stirbt, erbt Tochter Madeleine, deren Exmann im Gefängnis sitzt, das von ihm hinterlassene Bankenimperium. Während der Trauerzug, an dem die gesamte Elite der französischen Gesellschaft und sogar der Präsident der Republik teilnehmen, an der Villa der Péricourts vorbeizieht, fällt Madeleines siebenjähriger Sohn Paul aus dem oberen Stockwerk auf den Sarg seines Großvaters und ist fortan querschnittsgelähmt. Madeleine hat alle Hände voll zu tun, sich um ihren kleinen Sohn und dessen Betreuung kümmern, so dass andere die Möglichkeit haben, sich auf ihre Kosten zu bereichern und ihr Vermögen sowie das der Bank zu veruntreuen. Als Madeleine dahinter kommt, wer sie so schamlos hintergangen und die Bank in den Ruin getrieben hat, schmiedet sie einen Racheplan, den sie auch auszuführen gedenkt…
Pierre Lemaitre hat mit seinem Buch „Die Farben des Feuers“ einen besonders treffenden Titel für seinen Gesellschaftsroman mit historischem Hintergrund gewählt. Sein Erzählstil ist anspruchsvoll, detailreich und bildgewaltig, der Leser versinkt in einer Pariser Zeit zwischen zwei Weltkriegen, wo Frauen noch als nicht geschäftsfähig angesehen wurden und eine leichte Beute für Männer waren, die vor nichts zurückschreckten, um Macht und Geld durch Intrigen und Verschwörungen an sich zu bringen. Durch gekonnt wechselnde Perspektiven gibt Lemaitre dem Leser die Möglichkeit, die Geschichte von allen Seiten und durch viele Augen zu beleuchten, um ein vollständiges Bild zu erhalten und gleichzeitig die damalige Atmosphäre widerzuspiegeln. Dazu gehören auch die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründe, die Lemaitre wunderbar recherchiert und mit seiner Handlung verwoben hat. Schöne Dialoge und auch eine gewisse Situationskomik machen die Geschichte lebhaft und reizvoll.
Die Charaktere sind liebevoll und detailliert ausgestaltet, jeder mit einer eigenen Persönlichkeit und den benötigten Ecken und Kanten, die sie so individuell wie authentisch wirken lassen und dem Leser die nötige Spanne fürs Mitfiebern und Mitleiden geben. Madeleine ist mit Leib und Seele Mutter, ihrem Sohn gehört ihre ganze Aufmerksamkeit und Sorge. Das mag für viele naiv wirken, doch verkennt man sie da völlig. In einer der dunkelsten Stunden reißt sie sich zusammen und tritt mit einer Stärke und Intelligenz daraus hervor, dass einem angst und bange werden kann. Man möchte sie auf keinen Fall zum Feind haben. Andere unterschätzen sie völlig und sind drauf und dran, in ihre Falle zu tappen. Gustave Joubert ist ein Mann, der jahrelang im Hintergrund agierte und nun seine Stunde gekommen sieht. Er will auch mal an der Macht und dem Geld schnuppern, möchte auch jemand sein. Das wird ihm irgendwann zum Verhängnis. Vladi ist das polnische Kindermädchen, das zwar kein Wort Französisch spricht, aber für die Familie alles tut. Auch die weiteren Protagonisten sind schön gezeichnet und beleben die Handlung durch ihr Erscheinen.
„Die Farben des Feuers“ ist ein rundum gelungener wunderbarer Gesellschaftsroman vor historischem Hintergrund mit spannender Handlung und anspruchsvoller Sprache. Ein literarisches Meisterwerk, das jede erdenkliche Leseempfehlung verdient!

Veröffentlicht am 26.01.2019

Vergebung

Die Sünden aus der Vergangenheit
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Spät am Abend erwischt Park Ranger Griffin McGray, der früher als Scharfschütze bei einer polizeilichen Spezialeinheit war, zwei Männer bei dem Versuch, ein Grab auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Gettysburg ...

Spät am Abend erwischt Park Ranger Griffin McGray, der früher als Scharfschütze bei einer polizeilichen Spezialeinheit war, zwei Männer bei dem Versuch, ein Grab auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Gettysburg zu schänden. Dabei wird eine Leiche gefunden, die noch nicht so lange dort vergraben war. Deshalb kontaktiert Griffin die forensische Anthropologin Dr. Finley Scott, die die Tote untersucht und schnell eine Einschusswunde findet, die von einem Scharfschützen verursacht wurde. Griffin trommelt seine alten Freunde, den Gerichtsmediziner Parker Mitchell und den FBI-Agenten Declan Gray, zusammen, um mit ihm diesen Fall zu untersuchen und aufzuklären. Allerdings lässt sich auch Finley nicht davon abhalten, bei der Spurensuche dabei zu sein. Doch schnell wird allen klar, dass der Mörder noch in der Nähe ist und nun sie alle im Visier hat, denn er möchte nicht, dass seine Identität offenbart wird…
Dani Pettrey hat mit ihrem Buch „Die Sünden der Vergangenheit“ den ersten Roman ihrer neuen Baltimore-Serie vorgelegt. Mit flüssigem und fesselndem Erzählstil zieht die Autorin den Leser schnell in ihre Geschichte hinein, während die Seiten nur so dahinfliegen. Durch die ständigen Perspektivwechsel erhält der Leser die Möglichkeit, alle Protagonisten gut kennenzulernen und ihre Gefühle und Gedanken zu erfahren. Die zwischenmenschlichen Beziehungen unter den Freunden sind genauso interessant wie das Entspinnen romantischer Bande zwischen einigen von ihnen, was wie eine gewisse Auflockerung zu den Ermittlungen erscheint. Das Besondere in dieser Geschichte ist allerdings auch, dass die Täterseite ebenfalls in kurzen Sequenzen zu Wort kommt, aber bis zum Ende für den Leser unsichtbar bleibt. Ebenso ist die Spurensuche über die Identität der Toten sowie die Beweggründe für den Mord eine interessante Angelegenheit. Erst nach und nach setzen sich die gefundenen Antworten wie ein Puzzle zusammen und ergeben ein Gesamtbild. Die Spannung ist von Beginn an auf hohem Niveau und schraubt sich im Verlauf der Handlung immer weiter in die Höhe.
Der christliche Glaube ist in diesem Buch ein großes Thema, denn zentral um Hoffnung und Vergebung. Die eingestreuten kleinen Gebete sind von alltäglicher Natur, spiegeln aber auch das Seelenleben des einzelnen wieder und kommen dem Leser doch bekannt vor aufgrund eigener Erlebnisse. Dass der Glaube und die Gebete auch verbinden können, zeigt sich in diesem Buch auf wunderschöne Weise.
Die Charaktere sind sehr lebensecht ausgearbeitet und bestehen aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften, die den Leser seine Sympathien gerecht verteilen lassen und ein Mitfiebern und Mitbangen möglich machen. Griff ist eine interessante Persönlichkeit, verschwiegen und fast schon unnahbar, dabei hat er sich nur einen Schutzwall aufgebaut, um nicht verletzt zu werden. Finley hat eine traumatische Erfahrung hinter sich, die ihr Leben immer noch stark beeinflusst. Declan wirkt zwar wie ein trockener FBi-Stratege, insgeheim besitzt er aber ein Herz und ist ein guter Freund. Parker ist der coole Teufelskerl, der immer einen Scherz auf den Lippen hat, derweil er innerlich noch immer unter dem Zerwürfnis mit seinem besten Freund leidet und sich selbst die Schuld gibt. Avery ist eine geheimnisvolle Frau, die tolle Fotos macht und doch nichts von sich preis gibt. Ebenso überzeugen die weiteren Protagonisten, von denen der eine oder andere sicherlich im weiteren Verlauf der Serie eine besondere Rolle einnehmen wird.
„Die Sünden der Vergangenheit“ ist ein spannender Kriminalroman, der auch Romantik und Freundschaft in sich vereint. Der Titel ist nicht nur für diese Handlung Programm, sondern trifft auch den Nagel auf den Kopf, was die Beziehungen der einzelnen untereinander betrifft. Ein toller Pageturner, der jede Leseminute wert ist!

Veröffentlicht am 26.01.2019

Ein Stück Zeitgeschichte hautnah miterleben

Wir nannten es Freiheit
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1916. Lene Lehmann wuchs allein bei ihrer liebevollen Mutter in Berlin-Schöneberg auf, die als Witwe gezwungen ist, sie beide mit harter Arbeit als Putzfrau bei einer gutbetuchten Adelsfamilie durchzubringen. ...

1916. Lene Lehmann wuchs allein bei ihrer liebevollen Mutter in Berlin-Schöneberg auf, die als Witwe gezwungen ist, sie beide mit harter Arbeit als Putzfrau bei einer gutbetuchten Adelsfamilie durchzubringen. Gerade diese Familie gibt Lene die Chance, ein Gymnasium zu besuchen und sich danach als Lehrerin für die Fächer Zeichnen, Deutsch und Handarbeiten ausbilden zu lassen. Da viele Lehrer während des Krieges gefallen sind oder noch an der Front dienen und an allen Ecken und Enden Lehrkräfte fehlen, bekommt Lene die Möglichkeit, als Lehrerin an einer Volksschule für Mädchen Unterricht zu geben. Gleichzeitig bekommt Lenes Verlobter Paul Kruse seine Einberufung für den Frontdient. Bei seiner Rückkehr wollen die beiden heiraten, doch Paul wird nicht nur verwundet, sondern ist durch die Erfahrungen an der Front ein anderer geworden. Gedanken an die geplante Heirat plagen Lene, denn Frauen dürfen nach der Hochzeit nicht mehr als Lehrerin arbeiten. So will es das sogenannte Lehrerinnenzölibat. Aber Lene liebt ihre Arbeit und möchte unbedingt weiter unterrichten. Da sie aber auch heiraten möchte, sieht sie sich gezwungen, sich mit anderen Frauen zusammenzutun, denen es ebenso geht wie ihr und gegen das Lehrerinnenzölibat aufzubegehren…
Silke Schütze hat mit ihrem Buch „Wir nannten es Freiheit“ einen sehr tiefgründigen und packenden historischen Roman vorgelegt, der die gesellschaftlichen Verhältnisse und Lebensanschauungen des vergangenen Jahrhunderts sehr genau veranschaulicht und dem Leser das Gefühl gibt, während der Lektüre alles hautnah mitzuerleben. Die Autorin ist mit ihrem sehr eingängigen Schreibstil am Puls der Zeit und gibt einen guten Abriss über die Rolle der Frau vor 100 Jahren. Die beinhaltete Heirat, Kinder und Familienleben oder aber alleinstehend und berufstätig. Beides gemeinsam wurde Frauen zur damaligen Zeit nicht zugetraut, ebenso waren sie nicht mündig, sondern oftmals abhängig von den Entscheidungen ihrer Ehemänner oder ihrer Väter. Dazu kam, dass Frauen für die gleiche Arbeit viel weniger Lohn bekamen als die Männer, was zum großen Teil leider heutzutage ja auch noch gilt. Zudem zeigt die Autorin auf, wie schwer die einfache Bevölkerung es während des Krieges hatte, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen bzw. sich die rationierten Lebensmittel kaufen zu können. Einzig der wohlhabende Teil der Bevölkerung war in der Lage, sich alles leisten zu können. Sehr engagiert und ausführlich lässt die Autorin den Leser teilhaben an dem Zusammenschluss der Frauen und ihren Kampf für Gleichberechtigung, Aufhebung des Lehrerinnenzölibats sowie das Frauenwahlrecht. Die engstirnige Sicht des Schulleiters Frambosius wird ebenso dargelegt und lässt einen als Leser nur den Kopf schütteln über die damals herrschenden Ansichten.
Die Charaktere sind außerordentlich gut ausgeformt, die meisten nehmen den Leser schnell für sich ein, denn sie besitzen individuelle Eigenschaften und vor allem wirken sie lebendig, was ein Mitfühlen und Mitfiebern leicht macht. Lene ist eine Frau, die allein von ihrer Mutter fürsorglich erzogen wurde. Mit ihrer guten Ausbildung hat sie sich auch Selbstbewusstsein angeeignet, denn sie weiß, was sie kann und auch, was sie will. Lene ist nicht auf den Mund gefallen und sagt, was sie denkt. Sie will sich die von der Gesellschaft auferlegten Auflagen nicht gefallen lassen und wehrt sich gegen Ungerechtigkeit. Paul ist Lenes Verlobter, der sich durch seinen Kriegseinsatz allerdings sehr verändert hat. Trotzdem hält Lene aus Liebe an ihm fest. Ferdinand von dem Hofe stammt aus reicher Familie und eröffnet Lene eine völlig andere Welt. Frambosius ist ein egoistischer und selbstgefälliger Mann seiner Zeit, der sich dem Fortschritt verschließt und Frauen lieben als Menschen zweiter Klasse sieht. Alexander Dominicus war einst Oberbürgermeister in Schöneberg und ist mit seinen Gedanken der damaligen Gesellschaft weit voraus, da er sich für die Frauen und ihre Belange einsetzt.
„Wir nannten es Freiheit“ ist ein wunderbares Abbild über die Zustände, die 1916 in Berlin herrschten. Nicht nur die gesellschaftliche und politische Lage wird thematisiert, sondern gibt einen guten Rundumblick über das alltägliche Leben der Bevölkerung. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Frauen gelegt, die damals aufgestanden sind, um für ihre Rechte zu kämpfen. Einfach ein tolles Stück Zeitgeschichte und jede Leseminute wert!