Ein Krimi, der unter die Haut geht
Es ist Ende Oktober als Chefinspektor Leo Lang zu einem Einsatz in die Lobau gerufen wird, der ihm so ziemlich alles abverlangen wird. Ein Kind wird erschossen und mit zerstörtem Gesicht aufgefunden. Will ...
Es ist Ende Oktober als Chefinspektor Leo Lang zu einem Einsatz in die Lobau gerufen wird, der ihm so ziemlich alles abverlangen wird. Ein Kind wird erschossen und mit zerstörtem Gesicht aufgefunden. Will sein Mörder die Identifizierung unmöglich machen? Doch mit Hilfe des Gerichtsmediziners gelingt es, dem Kind ein Antlitz zu geben, das engelhaft ist. Aufgrund der blauen Augen und der hellen Haare, wird „Silvio“ – so der Fallname – als mitteleuropäisches Kind geführt. Doch warum gibt es keine Vermisstenmeldung? Warum geht dieses Kind niemand ab?
Als wenig später wird die Leiche eines Vertreters für Gastronomiebedarf erschossen aufgefunden. Die Tatwaffe ist dieselbe wie bei Silvio. Was hat der biedere Familienvater, dessen Lebensstil ein wenig zu üppig ist, mit dem kleinen Jungen, dem noch dazu eine Niere entfernt wurde, zu tun?
Mit akribischer Recherche gehen Leo Lang und sein Team jedem noch so kleinen Hinweis nach und entdecken einerseits eine Spur zu einem Waisenhaus in Kalkutta, einer Privatklinik in Wien und andererseits einen Anhaltspunkt, der Silvios wahre Identität lüften könnte.
Meine Meinung:
Dieser Krimi, den ich an einem Tag ausgelesen habe, weil er mich so in den Bann gezogen hat, ist das Debüt der oberösterreichischen Autorin Heidi Emfried. Das Szenario, das sich die Autorin ausgedacht hat, wird in ähnlicher Weise bereits praktiziert und liegt dennoch über unserem Vorstellungsvermögen.
Die Charaktere sind zutiefst menschlich. Da ist zum einen Leo Lang, der vor einigen Jahren seine kleine Tochter durch eine Krankheit verloren hat und zum anderen Marlene, die Besitzerin eines kleinen Maßsalons, die vorab als Expertin für Näharbeiten in Leos Leben hereinschneit und durch ihr vielfältiges Wissen über Stoffe, einen wichtigen Hinweis zu Silvio geben kann. Auch Leos Team besteht aus verschiedenen spannenden Charakteren. Hier ist der, fast ausschließlich im breiten Wiener Dialekt sprechende Nowotny als besonders herausstechend zu nennen.
Anders als in vielen Krimis arbeiten Staatsanwaltschaft oder Vorgesetzte nicht gegen die Ermittler. Allerdings haben alle so ihre politischen Zwänge, die hier nicht verschwiegen werden. Knapp Ressourcen an Mensch und Mittel erzeugen Druck auf die Ermittler. Das lässt Leo Lang manchmal auch zu ungewöhnlichen Alleingängen greifen. Der Erfolg gibt ihm Recht, gewagt ist es trotzdem.
Sprachlich bewegt sich der Krimi auf hohem Niveau. Ein kleiner Lapsus ist mir dennoch aufgefallen: es muss Rom (die weibliche Form ist Romni) statt Roma, wenn man einen Angehörigen der Volksgruppe der Roma meint.
Die Autorin beobachtet und schreibt punktgenau und messerscharf.
Sehr gut gefällt mir die Schilderung des Ermittlungsalltags, der abseits von jeglicher „Action“ häufig der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleichen. Heide Emfried beschreibt diese Recherchen strukturiert, beinahe schon technisch nüchtern. Hier kommen ihre Kenntnisse aus der Informatik durch – man kann beinahe ein Ablaufdiagramm im Hintergrund sehen. Polizeiarbeit hat eben viel mit dem Abhaken von Listen, langweiligen Befragungen, „if, then“ sowie Abarbeiten von vorgegebenem Procedere zu tun. Die Lösung dieses komplexen Falles fällt nicht vom Himmel, sondern ist das Ergebnis von akribischer Arbeit und einem gut durchdachtem Plot.
Schmunzeln musste ich über die Beschreibung der Uniformen der Stewardessen der Austrian Airlines, deren blickdichten roten Strumpfhosen wirklich hässlich sind.
"Da sie außer Dienst war, trug sie saloppe Alltagskleidung, was ihr wahrscheinlich ohnehin viel besser passte als die AUA-Uniform, die Lang überhaupt nicht gefiel. Das viele Rot, besonders bei den Strümpfen, stand den wenigsten, fand er."
Auch die Szene in Langs Küche als er mit Marlene über Koriander philosophiert hat mir gut gefallen.
Fazit:
Diesem fesselnden Krimi, der unter die Haut geht, gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.