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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.03.2019

Frischer Wind im Berliner Hinterhaus

Sommer bei Gesomina
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Der 12jährige Jona verbringt seine Sommerferien lieber bei einer alten Frau im nicht-so-hippen Teil Berlins als in Hollywood. Krass! Zumal er Gesomina vor 5 Jahren zum letzten Mal gesehen hat und sich ...

Der 12jährige Jona verbringt seine Sommerferien lieber bei einer alten Frau im nicht-so-hippen Teil Berlins als in Hollywood. Krass! Zumal er Gesomina vor 5 Jahren zum letzten Mal gesehen hat und sich kaum noch an sie erinnern kann. Mit seinen Lieblingsgerichten und vor allem tollen Geschichten kann die ‚Nonna‘ aber ganz schnell sein Herz gewinnen. Diese Geschichte der Gesomina war für mich das Herzstück des Buches; sie hat mich sehr berührt.
Aber auch wie Jonas Ferien ganz ohne Besuch einer Kletterhalle, Paintball-Challenge oder 3D-Kinobesuch zu einem großartigen Abenteuer werden war toll zu lesen. Mit ganz alltäglichen Dingen (bis auf die Saunahütte, die fand ich wirklich skurril) füllt Gesomina ihre gemeinsamen Tage und erschafft ein ganz besonderes Ferienerlebnis, bei dem man nicht ständig das Handy braucht – außer man will Sherlock Holmes Junior spielen. Die zahlreichen ‚Nebendarsteller‘ tragen ebenfalls dazu bei, dass es sowohl tolle Ferien für Jona werden als auch ein Lesegenuss für mich. Nur das Ende ließ mich etwas unbefriedigt zurück… Hat der kleine frische Windhauch in der Straße nachhaltige Veränderungen gebracht? Was wird aus Tom, Milan und Julika?

Quatschlappen kenne ich seit letztem Jahr auch, da hat es ein Kollege in der Faschingszeit ins Büro mitgebracht und als traditionelles Gebäck der Italiener im Karneval vorgestellt. Ganz so umgehauen wie Tom Spencer hat es mich nicht, es waren halt hauchdünne knusprige Rechtecke, die allein durch den Puderzucker Geschmack bekamen. Aber den Bewohnern dieser kleinen abgeschiedenen Straße in Berlin haben sie offensichtlich sehr gut geschmeckt.
Und weil ich gerade „Moby Dick“ angefangen habe zu lesen, konnte ich sogar mit der Anspielung auf Peter Coffin was anfangen! Zufälle gibt‘s…

Beim Lesen habe ich mir die Geschichte öfter mal als Film vorgestellt, und musste dabei an „Sommer vorm Balkon“ von Andreas Dresen denken. Ein in meinen Augen ganz ganz toller Film, mit ähnlichem Setting und Typ von Charakteren nur natürlich einer ganz anderen Geschichte. Ich könnte mir aber eine Verfilmung dieses Buches – und dann bitte mit Andreas Dresen als Regisseur! – sehr gut vorstellen. Und irgendwie habe ich auch ein klein wenig gehofft, Herr Haiduk aus Beckerhoffs letztem Roman taucht wenigstens als Cameo mal auf. Den sehe ich mit seinem Laden voller geheimer Wünsche nämlich in unmittelbarer Nachbarschaft von Tom, Milan, Herrn Dong und Gesomina.

Veröffentlicht am 15.02.2019

Lang aber gut

Der dunkle Garten
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Es ist ein wirklich laaanges Buch, das zwar supergut geschrieben ist, sich aber auch ganz schön hinzieht, ohne dass sehr viel passiert. Das Hauptaugenmerk liegt natürlich ganz klar auf dem Geheimnis, dass ...

Es ist ein wirklich laaanges Buch, das zwar supergut geschrieben ist, sich aber auch ganz schön hinzieht, ohne dass sehr viel passiert. Das Hauptaugenmerk liegt natürlich ganz klar auf dem Geheimnis, dass der dunkle Garten diesen Sommer offenbart - und deren Aufklärung. Dazu gibt es viele Gedanken, vornehmlich natürlich von Ich-Erzähler Toby, und auch Gespräche, aber eben wenig Action.

~~Vorsicht: ganz leichter SPOILER Die kriegt man dann aber ganz zum Schluss doch noch, wenn man denkt alles ist vorbei und geklärt. Ein heftiger Überraschungsmoment! Im Sinne der Dramatik des Buches ist das natürlich Klasse. Im Sinne des Charakters, den es betrifft, habe ich mir nur gedacht 'Ach Mensch, muss das sein. Es war doch schon alles gut.' SPOILER ENDE~~

Tana French liefert hier also vordergründig eine ausgezeichnete Sektion der menschlichen Seele ab, kombiniert mit ein wenig Spannung (die sich aber sehr in Grenzen hielt, da die Vorkomnisse schon lange zurück lagen) und auch etwas Action. Das alles in einer Schreibweise, die absolut angenehm zu lesen ist. Allein deswegen verzeihe ich auch die Länge des Buches.

Ich habe den Roman in einer Verlosung gewonnen, für das Gewinnspiel sollte man eine Frage an Tana French stellen. Ich fragte sie, wann sie einen neuen Teil der Dublin Murder Squat Reihe schreiben wird. Sie antwortete, dass sie jetzt 6x einen Kriminalfall aus Sicht der Polizei betrachtet hat und sich derweil schon immer fragte, wie es wohl für die anderen Parteien die dabei involviert sind ist. Und so war die Idee zum 'dunklen Garten' geboren.

Veröffentlicht am 13.02.2019

Hamburg vor 100 Jahren

Die Villa an der Elbchaussee
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Selten, aber manchmal eben doch lese ich auch mal was historisches. Vor allem interessiert es mich, wie das Leben der Leute damals war. Dieses Buch spielt zwar vordergründig in der gehobenen Gesellschaftsschicht, ...

Selten, aber manchmal eben doch lese ich auch mal was historisches. Vor allem interessiert es mich, wie das Leben der Leute damals war. Dieses Buch spielt zwar vordergründig in der gehobenen Gesellschaftsschicht, aber auch diese hat so ihre Probleme, z.B. die Repressalien nach dem Weltkrieg oder die Inflation. Sehr interessant fand ich die Thematik der posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kriegsheimkehrern, die damals ja gar nicht als solche diagnostiziert und behandelt wurden. Die Kerle sollten sich gefälligst zusammenreißen. Keep calm and carry on.

Der Leser begleitet hauptsächlich Frieda, wie sie durch Hamburg wandert (und dabei auch kleine, aber wirklich nur sehr kleine Einblicke in das Leben der armen Leute erhascht) und sich immer neue Schokoladenkompositionen ausdenkt. Ihr Vater ist für damalige Verhältnisse sehr liberal eingestellt und lässt ihr in ihrer Experimentierküche völlig freie Hand, was Frieda unendlich glücklich macht. Denn vor 100 Jahren fielen den feinen Damen lediglich Repräsentations- und Reproduktionsaufgaben zu. Für alles andere gab es Personal. Frieda hat allerdings ihren eigenen Kopf und will den durchsetzen. Auch als es darum geht, einen Ehemann für sie zu suchen.

Der Titel des Buches klingt sehr herrschaftlich, passt aber gar nicht zu diesem Buch, da die Familie erst ganz am Ende dorthin umzieht und die Villa auch überhaupt keine Bedeutung für die Geschichte hat.
Das Ende war für mich irgendwie unbefriedigend, zu abrupt. Aber eine kurze Recherche bestätigte meine Vermutungen: es gibt bald schon einen 2. Teil. Vielleicht wird da Friedas kleine Schokoladen-Manufaktur dann auch zur 'Dynastie', von dem im Titel schon so vollmundig die Rede ist.

Veröffentlicht am 07.02.2019

Frauenroman mit ernsteren Themen

Neues Glück in Willow Cottage
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Das Cover sieht nach einem netten Frauenroman auf dem Lande aus. Die Kurzbeschreibung bringt dazu den romantischen Faktor ins Spiel. Und all die Dinge, die versprochen werden, werden im Buch auch eingehalten. ...

Das Cover sieht nach einem netten Frauenroman auf dem Lande aus. Die Kurzbeschreibung bringt dazu den romantischen Faktor ins Spiel. Und all die Dinge, die versprochen werden, werden im Buch auch eingehalten. Aber das Buch ist auch noch so viel mehr. Ein Drama über häusliche Gewalt. Die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter. Ein 'Fixer Upper' Roman. Ein Buch über Freundschaft und Hilfsbereitschaft, und auch über vorschnelle Urteile und Mißverständnisse. Und wie die Beziehung zu einem liebenswerten aber etwas planlosen tauben Computerspiele-Nerd aussehen könnte erfährt man obendrauf auch noch.

Klingt nach ein bißchen viel - und ich muss zugeben dass mich der zweite Handlungsstrang um Carly und Fergus in der ersten Hälfte des Buches nicht so sehr interessiert hat wie der um Beth - aber die Autorin schafft es, all das zu einem großen Ganzen zu verweben, und jedem Aspekt auch die nötige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ganz besonders gut fand ich, wie hier verschiedene Symptome für eine Mißbrauchs-Beziehung aufgezeigt werden, die neben der Körperverletzung alle auftreten und als Warnsignal dienen können. Das ist ein sehr wichtiges Thema, und es wurde hier gut umgesetzt. Doch auch andere Themen, wie zB der Hausumbau, wurde mit diversen schönen Szenen gut beschrieben.

Ich habe erst zum Schluss gesehen, dass dieses Buch im Original in 4 einzelnen Teilen veröffentlicht wurde. Davon ist hier nichts mehr zu merken, es liest sich wie ein (zugegeben langer) Roman aus einem Guss, ohne dass man mittendrin unnötige Wiederholungen hätte (für Leser die einen Teil ausgelassen haben). Also entweder wurde da im Lektorat nochmal sehr gut nachgearbeitet, oder es gab diese Einführungsszenen erst gar nicht. Und der Schreibstil ist wirklich gut gelungen, so dass das Buch trotz seines Umfangs keine wirklichen Längen für mich hatte.

Veröffentlicht am 30.01.2019

Spannendes Rittermärchen mit anspruchsvollem Schreibstil

Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe
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Die ersten drei Kapitel wurden noch von Michael Ende geschrieben, die folgenden 13 dann von Wieland Freund. Ich finde durchaus, dass sich der Schreibstil ändert, denn Wieland Freund versuchte natürlich ...

Die ersten drei Kapitel wurden noch von Michael Ende geschrieben, die folgenden 13 dann von Wieland Freund. Ich finde durchaus, dass sich der Schreibstil ändert, denn Wieland Freund versuchte natürlich die ausschweifend beschreibende Sprache von Michael Ende zu kopieren, doch schoss damit ein bißchen über das Ziel hinaus. Denn rausgekommen ist zwar eine literarisch sehr wertvolle Geschichte, aber für Kinder in der Zielgruppe 6-8 Jahre ist es sehr anstrengend wenn fast in jedem Satz ein eingeschobener Nebensatz vorkommt (der meist auch nur sehr Nebensächliches beinhaltet). So wurde ein Satz nicht selten auch mal bis zu 8 Zeilen lang. Zudem hat Freund die Angewohnheit, Dinge aus vorangegangenen Sätzen, oder sogar demselben Satz, gleich zu wiederholen. Ein Beispiel (doch es geht auch wesentlich länger und verschachtelter) "Unvorstellbar, dass ein Raubritter sich von Mama Dick in einen Waschzuber stecken lassen würde, wie sich Knirps in einen Waschzuber hatte stecken lassen, bevor er unter die Raubritter gegangen war." Beim Vorlesen habe ich solche Einschubsätze oder Wiederholungen teilweise weggelassen, sofern mir das so spontan möglich war. Ebenso wie ich zahlreiche Wörter, die entweder schon sehr veraltet sind und/oder im normalen Sprachgebrauch von Kindern niemals vorkommen, ausgetauscht oder zumindest für sie übersetzt habe.

Trotz kleinerer Kürzungen brauchten wir für das Vorlesen eines Kapitels 20-25 Minuten, das sollte man einplanen wenn es so wie bei uns die "Gute-Nacht-Geschichte" ist. Wir mussten immer rechtzeitig anfangen, damit wir zumindest 2 Kapitel pro Abend schafften, denn natürlich waren die Jungs immer sehr gespannt wie es weitergeht (auch wenn sich die Geschichte manchmal echt hinzieht, und es z.B. über 3 Seiten beschrieben wird wie sich Rodrigo Raubein versucht seiner Rüstung zu entledigen; oder Sokrates, der Papagei, über den möglichen Verlauf der Geschichte sinniert. Jüngere Kinder sind da eher ungeduldig und wollen lieber wissen wie es denn nun tatsächlich mit Knirps und Flip und Rodrigo Raubein weitergeht.

Meinen Jungs gefielen am besten die Erlebnisse von Knirps, vor allem seit dem Zeitpunkt wo er auf Prinzessin Flip stößt. Doch folgen wir nicht ausschließlich dem kleinen Jungen und seiner neuen Freundin, sondern die Geschichte wechselt hin und her zwischen bis zu 4 Erzählsträngen, die nach und nach zusammen kommen. Denn da gibt es noch die Familie Dick, die verzweifelt ihren Sohn sucht. Den melancholischen König Kilian, der sich um seine verschwundene Thronfolgerin sorgt. Und den fiese Zauberer mit seinem nachtschwarzen Drachen Wak, der selbst die Krone haben will.

Doch trotz der recht anspruchsvollen Erzählweise mit den verschiedenen Plots, ist die Geschichte an sich für Kinder ab 6 Jahren bestens geeignet. Mein jüngerer Sohn sagte, als wir etwa bei Kapitel 10 waren, "Mama, zuerst fand ich die Geschichte ja langweilig, aber jetzt finde ich sie total spannend." Ein größeres Kompliment gibt es fast nicht, wenn ein Buch es schafft, die Meinung seiner Leserschaft noch so 'herumzureißen'.
Den sehr künstlerischen Schreibstil hingegen wissen aber wohl eher ältere Kinder (ab 11 Jahren?) und Erwachsene zu schätzen.
Ich hätte 3,5 Sterne vergeben, die Jungs 4,5. Wir haben uns in der Mitte getroffen.