Federleicht und tiefgründig
AgatheEin nicht nur physisch gealterter Psychiater, der sich von seiner Umwelt abgekapselt hat, findet mit kleinen Schritten ins Leben zurück. Und dies durch eine Klientin, die er eigentlich gar nicht mehr annehmen ...
Ein nicht nur physisch gealterter Psychiater, der sich von seiner Umwelt abgekapselt hat, findet mit kleinen Schritten ins Leben zurück. Und dies durch eine Klientin, die er eigentlich gar nicht mehr annehmen wollte, weil er kurz vor seiner Pension steht. Sie, Agathe, die der Meinung ist, nur er könne ihr noch helfen, ist es, die den Mann zum Nachdenken bringt. Er ist lebensmüde, genervt von den Problemen seiner Klienten und er hat vergessen, warum er mal diesen Beruf ergriffen hat. Und auch seine Sekretärin, die letztendlich dafür verantwortlich ist, dass Agathe Termine erhält, und deren todkranker Mann haben Einfluss auf die Wandlung des Psychiaters.
Die Geschichte, die im Paris der 40er Jahre spielt, kommt leicht und luftig daher und ist gleichzeitig sehr tiefgründig und traurig. Dies wird für mich durch das zauberhafte Cover unterstützt. Sie regt zum Nachdenken an nicht nur darüber, wie es dazu kommen konnte, dass der Psychiater so ist, wie er ist, sondern auch über das eigene Leben.
Obwohl in der Geschichte im Grunde äußerlich nicht viel passiert, geht dennoch schleichend eine große innere Wandlung vor sich.
Agathe weckt jugendliche Gefühle in dem alternden Mann und man weiß bis zum Ende nicht, wie sich die Geschichte weiterentwickeln wird. Agathe selbst erscheint recht selbstbewusst, was bei ihrem biografischen Hintergrund eher verwundern könnte. Vom Vater begrapscht, was von der Mutter geduldet wurde, sollte man eigentlich davon ausgehen, dass sie ein sehr gestörtes Verhältnis zu Männern haben müsste. Das zu ihrem Mann Julien nennt sie selbst auch kompliziert. Stattdessen vermittelt Anne Cathrine Bomann eher das Gefühl, als wäre sie absichtlich geschickt worden, um den lebensmüden Psychiater zu altem Elan zu verhelfen. Er eröffnet ihr, dass sie wieder lernen muss, sich selbst zu sehen und bemerkt dadurch, dass er dies selbst verlernt hat. Indem er wieder lernt, sich selbst zu sehen, sehen ihn auch andere.
Auch die Sekretärin, Madame Surruge, trägt zu der Wandlung bei, indem sie den Psychiater mit ihrem totkranken Mann bekannt macht. Dieser konfrontiert ihn mit der Frage, wovor er Angst habe und der erschütternden Feststellung, dass er, der Psychiater, noch nie jemanden geliebt hat.
Es macht schon sehr traurig und nachdenklich, wenn man sich überlegt, wie wenig man manchmal von seinem Umfeld weiß. Dass man keine Ahnung hat, was den Nachbarn bewegt, dass man Vorurteile schafft, obwohl oder besser weil man den anderen gar nicht kennt, wie hier der taube Nachbar, der gar nicht so reagieren kann, wie der Psychiater es von ihm erwartet hätte. Eine Person, wie Madame Surruge, die seit Jahrzehnten für einen arbeitet und von der man im Grunde ebenso wenig weiß wie über den Nachbarn.
Obwohl man beim Lesen meint, es lese sich mal so schnell durch, stellt man bei genauerem Hinsehen im Nachhinein fest, dass unglaublich viel Potential in diesem kleinen unscheinbaren Buch steckt und dass Kleinigkeiten und ein wenig Umdenken Großes bewirken kann.
Unbedingt zu empfehlen!