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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.04.2019

Vielversprechende Idee, leider nicht durchweg gelungen umgesetzt

Lass sie nicht in dein Haus
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Der Klappentext des Buches macht neugierig. Zwei Frauen, Melanie und Abi, ehemals beste Freunde, seit 17 Jahren ohne Kontakt. Nun meldet sich Abi, sucht den Kontakt und tut dies anscheinend mit sinistren ...

Der Klappentext des Buches macht neugierig. Zwei Frauen, Melanie und Abi, ehemals beste Freunde, seit 17 Jahren ohne Kontakt. Nun meldet sich Abi, sucht den Kontakt und tut dies anscheinend mit sinistren Motiven. Ich habe mir daraufhin einen raffinierten Psychothriller erwartet.

Es läßt sich recht gut an, die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, mal berichtet Melanie, mal Abi, später kommen auch andere Charaktere zu Wort. Melanie und Abi könnten gegensätzlicher nicht sein. Melanies Leben stellt sich für mich recht trostlos da - mit Mann und drei Kindern lebt sie in einer Siedlung, in der alle Häuser gleich aussehen; des Tagesablauf ist bestimmt von den Bedürfnissen der zwei kleineren Kinder, das Haus ein wenig ramponiert und unordentlich, Melanie ohne Zeit und Muße, sich um sich und ihre Beziehung zu kümmern. Abi dagegen hat es zur mittleren Fernsehprominenten in den USA geschafft, hat einen reichen Mann, kennt Berühmtheiten, ist gepflegt und attraktiv. Beides für mich kein erstrebenswerter Lebensstil, aber Abi wirkt auf viele schillernd und kommt mit einem ganz anderen Selbstbewußtsein daher als Melanie. Diese Gegensätze, das Aufeinandertreffen der beiden früheren Freundinnen und das allmähliche Einnisten von Abi in Melanies Leben werden auf etwa 200 Seiten recht ausführlich und gemächlich beschrieben. Kleine Andeutungen weisen darauf hin, daß in der Vergangenheit etwas vorgefallen ist und man merkt schnell, daß Abi nicht mit positiven Motiven agiert, weiß aber noch nicht genau, was sie vorhat. Mir hat dieser Teil des Buches ausgezeichnet gefallen und mir fehlte die Spannung nicht, denn es gab genügend Entwicklungen und wir erfuhren allmählich immer neue Facetten der beiden Hauptpersonen.

Störend fand ich allerdings hier schon, was im Laufe des Buches immer stärker wird: die Autorin scheint noch nie von „show, don’t tell“ gehört zu haben. Sie vermittelt nur sehr selten etwas durch Handlung und Dialoge, sondern erklärt es dem Leser ausführlich. Gedanken, Motive, Persönlichkeiten werden uns oft recht plump auf dem Tablett serviert. Wenn etwas dann doch mal gezeigt wird, wird es zur Sicherheit oft noch zusätzlich erklärt. Das ist überflüssig und ärgerlich. Manche Dinge werden uns gleich mehrfach erklärt, noch ärgerlicher. Man hätte hier vieles so herrlich raffiniert darstellen können, diese Möglichkeit wurde fast komplett verschenkt und das Lesevergnügen dadurch beeinträchtigt.
Auch sonst gibt es leider viele Längen. Erinnerungen der Charaktere sind viel zu detailreich, Tagesabläufe werden enervierend ausführlich beschrieben, jeder Schritt erläutert. Man hätte meines Erachtens um die 100 Seiten ersatzlos streichen können.

Die Charaktere reagieren oft nicht plausibel und nicht ihrem Charakter entsprechend. An manchen Stellen hatte ich beim Lesen das Gefühl, daß die gesamte Charakterentwicklung über den Haufen geworfen wurde, um die Geschichte in die gewünschte Richtung zu erzählen. Einige der Motivationen waren ebenfalls für meinen Geschmack zu weit hergeholt, zu unlogisch oder zumindest übertrieben. Abis Plan enthüllt sich uns zu Ende, er ist aber auf so viele unsichere Komponenten aufgebaut, daß es mir nicht plausibel erschien, daß eine intelligente Frau auf einen solchen Plan verfällt. Das Ende selbst ist leider auch ein wenig antiklimaktisch. ich brauche keinen langgezogenen gewalttätigen Showdown, im Gegenteil, aber hier verpufft alles irgendwie und ließ mich ein wenig enttäuscht zurück.

Nun gab es aber auch durchaus Gutes in dem Buch. Die Grundidee gefällt mir. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Lebensstile und Persönlichkeiten von Abi und Melanie fand ich gelungen und interessant, ebenso wie die Gedanken und Gefühle, mit der beide Frauen auf das Leben der jeweils anderen blicken. In manchen Rezensionen zum Buch wird Vorhersehbarkeit bemängelt - ich fand das Buch nicht zu vorhersehbar. Es gab für meinen Geschmack mehrere gute und überraschende Wendungen. Das Erzähltempo per se fand ich nicht übel, denn ich mag diese allmählichen Entwicklungen, wenn sie gut dargestellt sind. An der Darstellung haperte es aus o.e Gründen eben leider, aber im Großen und Ganzen ließ sich das Buch recht gut lesen. Aber für den erwarteten raffinierten Psychothriller reichte es leider nicht.

Veröffentlicht am 05.02.2019

Angenehmer Schreibstil, etwas zerfaserte Geschichte

Die Lichtung (Jan-Römer-Krimi 1)
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Die Geschichte hat mich gleich interessiert: 1986 werden während eines Wochenendes unter Jugendlichen zwei von ihnen umgebracht. Einer dieser Jugendlichen, Jan Römer, ist 27 Jahre später Journalist und ...

Die Geschichte hat mich gleich interessiert: 1986 werden während eines Wochenendes unter Jugendlichen zwei von ihnen umgebracht. Einer dieser Jugendlichen, Jan Römer, ist 27 Jahre später Journalist und soll ausgerechnet über diesen Fall berichten - nun will er endlich herausfinden, was damals wirklich geschah. Das ist eine gute Idee, bringt einen frischen Gesichtspunkt hinein und liest sich auch anfangs sehr unterhaltsam.

Jan Römer begleitet uns als Ich-Erzähler. Man kommt leicht in die Geschichte hinein, der Schreibstil liest sich gut und ist sympathisch. Jan ist ein recht gelungener Progagonist - nicht fehlerlos, sehr menschlich. Seine heutigen Ermittlungen wechseln sich ab mit Rückblicken zur Vorgeschichte und den Geschehnissen 1986. Diese Zeit wird anschaulich berichtet, viele gelungene Details zeichnen ein gutes Bild der Jugend in den 80ern. Jan, mit den typischen Unsicherheiten eines 16jährigen behaftet, wirkt auch hier echt. Der Wechsel zwischen den Zeitebenen funktioniert. Unterhaltsam waren die Gegenüberstellungen der Freunde von 1986 und den Erwachsenen, zu denen sie in der Gegenwart geworden sind.

Die Welt des Gegenwarts-Jan ist ebenfalls anschaulich dargestellt, die lähmende Sommerhitze wird immer wieder (ein wenig zu oft) durch kleine Anmerkungen einflochten und lokale Details zu Köln und der Umgebung machen sich ganz gut, wenn sie auch an mehreren Stellen zu ausführlich geraten. Jans Privatleben überzeugt weniger. Er hat eine Ehefrau und einen Sohn, die schon im Urlaub sind und darauf warten, daß er nachkommt. Er kommuniziert mit seiner Frau in gelegentlichen Telefongesprächen, die nicht besonders interessant sind und die Geschichte eher unterbrechen als weiterbringen. Die wacklige Ehe bringt eine unnötige Komponente in die Handlung und wird halbherzig behandelt. Ich hätte es gelungener gefunden, diesen Punkt entweder richtig zu thematisieren oder (vorzugsweise) ganz rauszulassen.

Zur Unterstützung bei seinen Ermittlungen wendet Jan sich an seine ehemalige Kollegin, die den etwas irritierenden Spitznamen "Mütze" hat (ich mußte mich immer daran erinnern, daß sie eine junge Frau ist, bei dem Spitznamen stellte ich mir einen schluffigen Typen vor). Auch hier ist es etwas halbgar: so richtig viel trägt Mütze zu den Ermittlungen nicht bei und die Freundschaft zwischen den beiden schwankt von Jans Seite her zwischen platonisch und dem Wunsch nach mehr. Auch das ist für die Geschichte nicht wirklich relevant und tröpfelt ab und an ins Geschehen. Wenn Mütze nicht vorkam, hatte ich sie als Charakter auch schon fast wieder vergessen.

Ist das Erzähltempo anfangs noch angemessen, hat es mich nach dem ersten Drittel nicht mehr sonderlich gebannt. Ich habe das Buch zwischendurch eine Woche einfach nicht weitergelesen, und hatte bis zum Ende nie dieses "noch eine Seite, ich muß wissen, was passiert"-Gefühl. Die Geschichte zerfasert sich zu sehr, dann verliert Jan sich in etwas langatmigen Überlegungen zu diversen Themen. Die detaillierte Beschreibung einer Boxhalle, die ausführlichen Abhandlungen zu Musik und insbesondere die Grübeleien zum Thema "früher war alles besser" haben alle zur Geschichte nichts beigetragen und für Zähigkeit gesorgt. Auch in den Rückblicken werden dann manche Dinge detailliert geschildert, die wir schon aus den Gegenwartsszenen wußten.
Dazu kamen dann noch einige etwas billige Schockmomente (à la "da steht jemand in der Ecke und starrt mich an - oh, das ist mein Spiegelbild"). Einer davon ist so wenig plausibel, daß ich mir als Leser verulkt vorkam (ohne zu viel zu spoilern: daß jemand in einer Stadt wie Köln aus Versehen die Wohnungstüre aufläßt, ist schon seltsam. Daß aber ein harmloser Besucher einfach nachts in die Wohnung kommt und sich gemütlich ins Wohnzimmer setzt, während der Wohnungsinhaber im Schlafzimmer schläft, ist schlichtweg absurd). Eine Polizeiverhörszene fand ich in ihrer übertriebenen "good cop - bad cop"-Manier auch eher albern, denn der "bad cop" reagiert so unverhältnismäßig, daß es unglaubwürdig ist.

Am Ende ging es dann auch leider nicht ohne die von wohl 98 % aller Krimis verwendete Szene, in der der Täter den Ermittler mit einer Waffe bedroht und ausführlich seine Taten und Motivationen erklärt. Abgesehen davon, daß das in der Wirklichkeit sicher so gut wie nie vorkommt, ist diese Szene überbenutzt. Gerade da hier die sonstige Geschichte schon angenehm vom üblichen Krimigerüst abweicht, die Beziehungen der Freunde untereinander thematisiert und eine Mischung aus Krimi und Entwicklungsroman bietet, hätte ich mehr erwartet. Wenigstens aber nimmt dieser End-Showdown dann noch eine etwas originellere Wendung.

Jans Verhalten selbst ist an manchen Stellen wenig nachvollziehbar, was aber nicht so störend wirkte wie die o.g. Szenen. Prinzipiell habe ich ganz gerne über ihn gelesen und in einer etwas konzentrierteren Geschichte würde ich auch noch ein Buch mit ihm als Protagonisten lesen, gerade auch weil der Autor einen erfreulichen Schreibstil hat. Hier aber war es mir einfach zu unentschlossen, mit zu vielen Abschweifungen.

Veröffentlicht am 24.01.2019

Ungewöhnliche und spannende Geschichte mit Lektorierungsbedarf

Er hat mich umgebracht
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Die Beschreibung dieses Buches hat mich gleich neugierig gemacht - ein Mädchen träumt einen viele Jahre später stattfindenden Mord in allen Details, das ist schon ungewöhnlich. Der Prolog beschreibt diesen ...

Die Beschreibung dieses Buches hat mich gleich neugierig gemacht - ein Mädchen träumt einen viele Jahre später stattfindenden Mord in allen Details, das ist schon ungewöhnlich. Der Prolog beschreibt diesen Mord dann auch gleich sehr lebendig und anschaulich, man ist sofort drin.

Die nächsten zwei Kapitel widmen sich diesem Mädchen namens Luna und den verstörenden Träumen, die sie im Alter von 6 Jahren hat. In diesen Kapiteln empfand ich den Schreibstil manchmal als etwas unbeholfen und es gab auch einige Unklarheiten. Die Unheimlichkeit der Träume und das Gefühl der Bedrohung, welches diese auslösen, wurde allerdings hervorragend vermittelt. Mit einer Hypnose versucht die Familie, Abhilfe zu schaffen, Details möchte ich natürlich nicht verraten. Die angewandte Methode selbst und ihr Ergebnis war für mich nicht ganz nachvollziehbar. Allerdings muß man sich in diesem Buch auch einfach mal auf einige Dinge einlassen, die nicht rational erklärbar sind, das hat sich mir beim weiteren Lesen erschlossen.

Der Hauptteil der Geschichte behandelt dann Luna als Erwachsene, der geträumte Mord geschieht nun tatsächlich und es zeigt sich, daß die zu ihrer Kindheit versuchte Abhilfe erhebliche Nachteile hat. Nach und nach wird Luna sich bewußt, daß sie tatsächlich in Gefahr ist und erfährt auch allmählich mehr über die Probleme ihrer Kindheit und Jugend. Die entwickelt sich interessant und zwar sowohl die Mordermittlungen, Lunas allmähliche Erkenntnisgewinnung und auch Lunas inneres Wachsen als Person. Luna ist sehr gut und glaubhaft dargestellt, sie ist vielseitig und es ist hervorragend beschrieben, daß sie zugleich verletztlich & verängstigend, aber auch innen richtig stark ist.

Während die Charakterentwicklung und Spannung sich sehr gut entwickeln und auch der Schreibstil etwas kraftvoller wird, beeinträchtigen leider sehr häufige grammatikalische Fehler das Lesevergnügen doch erheblich, zumindest bei mir. Es sind ziemlich viele Schreibfehler im Buch, wesentlich stärker wirkt sich aber aus, daß die Vorvergangenheit so gut wie durchgehend (abgesehen von 2 oder 3 Ausnahmen) falsch - also: nicht - verwendet wurde. Dies erschwert an einigen Stellen das Verständnis und ist eben auch zum Lesen unerfreulich, ebenso wie der fast immer falsch verwendete Konjunktiv. Da hat, ich muß es leider schreiben, ein Lektor sehr unzureichend gearbeitet und ich kann nur dringend empfehlen, daß das Buch anständig lektoriert wird. Gerade bei einer so guten spannenden Geschichte ist es besonders schade, wenn so viele Fehler vorhanden sind.

Es gibt einige kleine Längen, aber im Ganzen wird die Geschichte immer spannender, Luna immer konturierter, der Schreibstil immer stärker. Sehr schön finde ich, daß die Autorin auf billige Effekte verzichtet hat. Es gibt eine Liebesgeschichte im Buch, aber sie ist nicht nur da, damit eine Liebesgeschichte enthalten ist, sondern ist wichtig für die Geschichte. Die Spannung wird raffiniert bis zum Ende gehalten, es gibt keinen 08/15-Showdown, sondern viele unerwartete Wendungen, die Schritt für Schritt zu einem wohlausgedachten Ende führen.

Veröffentlicht am 23.01.2019

Direkter Einblick in die bayerische Königsfamilie

Eben noch unter Kronleuchtern ...
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Über die Revolution von 1918 gibt es verhältnismäßig wenige Bücher und schon alleine deshalb ist "Eben noch unter Kronleuchtern" eine gute Idee. Christiane Böhm wählt in diesem Buch den interessanten ...

Über die Revolution von 1918 gibt es verhältnismäßig wenige Bücher und schon alleine deshalb ist "Eben noch unter Kronleuchtern" eine gute Idee. Christiane Böhm wählt in diesem Buch den interessanten Weg, dem Leser das Revolutionsgeschehen durch Zeitzeugenberichte nahezubringen, und zwar von jenen, die unmittelbar betroffen waren. Es hat mich sehr neugierig gemacht, zu lesen, wie die bayerische Königsfamilie die Revolution, die völlige Umkehrung ihres Lebens, empfunden hat.

Hauptsächlich kommt die bayerische Prinzessin Wiltrud zu Wort, deren Tagebuch wir hier in Auszügen lesen können. Ergänzt werden ihre Tagebucheinträge durch Berichte der Kammerfrau der bayerischen Königin, Fanny Scheidl, und einigen Schwestern Wiltruds. Fanny Scheidls Bericht bringt eine weitere Perspektive in das Geschehen und war mir sehr willkommen. Diese zeitgenössischen Texte werden angereichert durch Anmerkungen der Autorin, ein Personenverzeichnis sowie zahlreiche Fotos und Landkarten. Eine Einführung gibt einen Überblick über die Situation direkt vor der Revolution, ein Anhang berichtet kurz über die weiteren Schicksale der Königsfamilie. Sowohl Einführung wie auch Anhang waren mir zu kurz. Sie hätten gerne doppelt so lang sein können. In der Einführung fehlten mir zB Informationen zum bayerischen König, seiner Stellung beim Volk, seinem Regierungsstil.

Die Autorin hat die meisten ihrer Anmerkungen per Fußnoten in einem Anhang zusammengefaßt, so daß die zeitgenössischen Texte nicht unterbrochen werden. Dies führt zu recht häufigem Hin- und Herblättern (was aber für gut recherchierte Sachbücher normal ist), zu diesem Zweck hat der Verlag das Buch mit einem Lesebändchen versehen, welches gute Dienste leistete. Manchen Textabschnitten folgt noch eine Zusammenfassung der Autorin. Die war oft recht nützlich, gerade bei der sich teils verwirrend lesenden Flucht der verschiedenen Familienmitglieder, die dann in der Zusammenfassung klarer wurde. Auch gibt die Autorin oft wertvolle Hinweise, wie manche Äußerungen einzuordnen sind oder welche politischen Hintergründe/Ereignisse sich hier auswirkten. An manchen wenigen Stellen waren die Zusammenfassungen für meinen Geschmack zu wiederholend, überwiegend aber nützlich und hilfreich. Ich finde es gut gewichtet, wie die Autorin Wiltrud und ihre Zeitgenossen für sich sprechen läßt und sich weitgehend zurückhält, aber eben mit ihren Anmerkungen an den richtigen Stellen Hilfreiches und/oder Interessantes beiträgt.

Die Fußnoten-Anmerkungen im Anhang haben mich mit etwas gemischten Gefühlen zurückgelassen. Es steht auch hier viel Informatives, dafür fehlt aber auch viel Informatives. Es gab einige Stellen im Buch, an denen mir eine Erklärung/Anmerkung sehr gefehlt hat. Dafür sind eigentlich nicht fragliche Begriffe (wie "Leib" anstelle von Bauch oder "Laternen" am Auto) extra erklärt, was nicht notwendig gewesen wäre. Fußnoten zu Personen führen manchmal lediglich zur Anmerkung "vgl Personenverzeichnis", was nicht notwendig gewesen wäre, denn dort würden die Leser sicher auch so nachschauen, wenn es keine Fußnote zur Person gibt.

Die Fotos ergänzen den Text sehr gut, hier kann man sich im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild der Personen und Lokalitäten machen. Sie sind informativ und gut, abgesehen von einem sehr dunklen Foto auf Seite 43. Es ist ein Nachtfoto und die sind naturgemäß eher dunkel, aber es hilft ja nichts, wenn man auf dem Foto so gut wie nichts erkennen kann. Dafür sind aber die anderen Fotos von guter Qualität. Die nicht gut erkennbaren, und somit nicht hilfreichen, Landkarten werden laut Verlag in der Neuauflage überarbeitet und werden dann hoffentlich auch die nützliche Ergänzung sein, als die sie gedacht waren.

Die Tagebucheinträge der Prinzessin Wiltrud hinterlassen ebenfalls gemischte Eindrücke bei mir. Im ersten Teil, der doch gerade die Flucht der Familie vor der Revolution behandelt, und somit über höchst dramatisches Geschehen berichtet, sind keine Emotionen spürbar, die Familie bleibt einem gänzlich fremd, die Monumentalität der Ereignisse und ihre Auswirkungen auf die Königsfamilie haben mich als Leser nicht erreicht. Wiltrud verliert sich hier in ausführlichen und nebensächlichen Details und so wurde mir das Lesen dieser Passagen eher zäh. Dies ändert sich in den folgenden Buchabschnitten, die persönlicher werden und auch größtenteils - nicht ganz allerdings - auf überflüssige Alltagsroutinedetails verzichten. Hier kann man als Leser schon eher teilhaben, kann dank der Erklärungen der Autorin vieles besser einsortieren. Hier habe ich am Schicksal der Familie richtig Anteil genommen, mitgefühlt. Hier kommt auch die Verzweiflung, die nervliche Belastung aber ebenso der große Mut insbesondere Wiltruds durch. Ich habe hier zudem viel über die fortgehenden Unruhen in München gelernt.

Obwohl ich mir nach Buchbeschreibung und Klappentext tiefergehendere Informationen erwartet hatte, hat mir das Buch einen guten Eindruck der bayerischen Königsfamilie in den turbulenten Revolutionsmonaten und Bayern in der Revolutionszeit vermittelt. Auch mein Interesse wurde angeregt, zur Familie noch mehr zu lesen und zu erfahren.

Zum Abschluß noch ein Lob für die Ausstattung des Buches. Es ist ansprechend gebunden, mit einer schlichten, stilvollen Umschlaggestaltung. Das Vorsatzpapier ist ansprechend und die gesamte Gestaltung ist hochwertig und sorgfältig.

Veröffentlicht am 23.01.2019

Facettenreiche Familiengeschichte der Nachkriegszeit

Die Schwestern vom Ku'damm: Jahre des Aufbaus
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Die Schwestern vom Ku’damm ist der erste Teil einer Trilogie, in der die Familie Thalheim durch die Nachkriegsjahre und die 50er begleitet wird. In jedem Buch wird eine andere Schwester der Familie im ...

Die Schwestern vom Ku’damm ist der erste Teil einer Trilogie, in der die Familie Thalheim durch die Nachkriegsjahre und die 50er begleitet wird. In jedem Buch wird eine andere Schwester der Familie im Mittelpunkt stehen, in diesem Buch ist es die Älteste, Rike, die eine entscheidende Rolle bei dem Weg hat, den die Familie direkt nach dem Krieg einschlägt.

Von 1945 bis 1951 sind wir hier bei den Thalheims, die sich Schritt für Schritt aus den Schrecken der letzten Kriegstage auf den zaghaften Beginn des Wirtschaftswunders zu bewegen. Eine Vielzahl von Charakteren tauchen auf, vorwiegend Familienangehörige, aber auch Freunde, ehemalige Weggefährten, neue Bekanntschaften. Manchmal konnte ich einen Namen nicht gleich zuordnen, bei den nicht so häufig vorkommenden Charakteren wird aber auf angenehm unaufdringliche Art meistens noch eine kurze Erinnerung oder Erklärung eingefügt, was hilfreich war. Durch die vielen Personen bekommen wir auch einen guten Überblick über die verschiedenen Lebenswege während und nach dem Krieg. Während manche die Einschränkungen durch die Besatzung als Zumutung empfinden, andere einfach froh sind, wieder ohne Angst leben zu können, sind wieder andere vom vermeintlich besseren System in der SBZ/DDR angezogen. Es gibt hier ein schönes facettenreiches Panorama verschiedener Schicksale, welches die Situation im Nachkriegsdeutschland gut wiederspiegelt.

Überhaupt sind die geschichtlichen Fakten hervorragend recherchiert und meistens sehr gut ins Geschehen eingeflochten. Im letzten Drittel des Buches gibt es mehrere längere Passagen mit Hintergrundinformationen, die zwar interessant sind, die aber die Handlung manchmal etwas überlagerten. Sehr schön untergebracht wurden viele Alltagsdetails dieser Zeit und auch über die besondere Situation Berlins gerade während der Blockade habe ich viel Neues gelernt. Diese Situation wurde gekonnt mit dem Geschehen in der Familie und ihrem Kaufhausaufbau verbunden.

Der Schreibstil liest sich leicht, es gibt keine unnötigen Längen, was ich immer sehr begrüße. An manchen Stellen hätte ich mir sogar etwas mehr Detailfreude gewünscht, so ist der harte Hungerwinter 46/47 für meinen Geschmack etwas knapp behandelt - ich hätte gerne mehr darüber erfahren, wie die Familie zurechtkam.
Einige der Situationen in diesen Jahren wurden mir zu einfach und problemlos aufgelöst - auch wenn man bedenkt, daß die Thalheims sich aufgrund von Status, Vermögen und Beziehungen in einer privilegierteren Situation befinden, als die meisten anderen. Oft (für mich zu oft) kamen glückliche Zufälle zur Hilfe, ob nun im Kleineren (jemand taucht genau im richtigen Moment auf, oder verläßt genau im richtigen Moment ein Gebäude) oder auch bei recht monumentalen Dingen, bei denen mir der jeweilige Zufall einfach zu unwahrscheinlich war. Ich hätte weniger Zufälle und auch manchmal schwierigere Lösungen vorgezogen.

Die Atmosphäre wird gut geschaffen, insbesondere wenn es um das Kaufhaus geht, sieht man alles bildlich vor sich, aber auch die bedrückende Kelleratmosphäre am Anfang, die Tristesse des Trümmerräumens und vieles andere sind richtig gut beschrieben.

Es haben mich nicht alle Charaktere wirklich erreicht, aber einige haben mich neugierig gemacht oder waren mir sehr angenehm. Der Abschluß des Buches ist gut gelungen, das Ende gefiel mir richtig gut. Die Mischung zwischen noch offenen Punkten (wie bei einer Trilogie zu erwarten) und geklärten Fragen ist gut. Man merkt, es gibt in den beiden folgenden Büchern noch viel zu erzählen, bleibt aber nicht ohne inneren Abschluß wichtiger Fragen, die einen durch das erste Buch begleitet haben. Die weiteren Bände werde ich aber wohl eher nicht lesen, dafür haben mich die Charaktere nicht genug gepackt und aufgrund der zu leichten Lösungen fehlte mir der Realismus zu sehr.