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Veröffentlicht am 10.02.2019

Schonungslos ehrliche Dorfstimmen zur irischen Finanzkrise

Die Gesichter der Wahrheit
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Donal Ryan erzählt von der Finanzkrise in Irland. Ort des Geschehens ist ein Dorf, dessen Baufirma durch falsch kalkulierte Immobilienkäufe pleite geht. Der korrupte Chef Pokey Burke hat sich abgesetzt ...

Donal Ryan erzählt von der Finanzkrise in Irland. Ort des Geschehens ist ein Dorf, dessen Baufirma durch falsch kalkulierte Immobilienkäufe pleite geht. Der korrupte Chef Pokey Burke hat sich abgesetzt - ohne ausgezahlte Löhne und ohne Alterssicherung für seine Angestellten. Doch nicht nur Pokeys ehemaligen Angestellten sind betroffen: alle Dorfbewohner leiden auf verschiedene Weise unter der Krise.
In "Gesichter der Wahrheit" erzählen 21 Menschen, wie sie zur Krise stehen und welchen Hürden sie ausgesetzt sind. Darunter befindet sich der ehemalige Vorarbeiter Bobby, der einst gut bezahlt wurde und nun ohne Job seine schöne Frau und seinen Sohn versorgen muss, ein Zuwanderer, die örtliche Prostituierte, die ganz allein lebt, und Bobbys Vater, der nur noch aus Boshaftigkeit lebt.

Der Autor gibt jedem Bewohner im jeweiligen Kapitel eine Stimme, lässt sie sagen, was sie auf der Zunge haben, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Die einen pöbeln, die anderen hassen, wieder andere weinen. Es wird deutlich, dass der dörfliche Unmut durch die Krise steigt - jeder ist auf sein Leben und seinen Vorteil bedacht. Hass gegenüber anderen wird geschürt, es wird gelästert und geprügelt. Es kommt zu einer gemunkelten Affäre, einer Kindesentführung und zu Mord.

Der Leser kann sich kurz dem Leben der einzelnen Menschen annähren, ihre Geschichte hören, ihre Wut, ihren Hass oder ihre Trauer spüren und im Laufe der Kapitel spüren, wie zerrüttet die Dorfgemeinschaft ist und wie getroffen das Dorf ist - durch Pokey Burke, der nun der meist gehasste Mann der Gegend ist.

Donal Ryans Schreibstil ist klar, umgangsprachlich, bildhaft und lässt den Leser auf den Wellen der Emotionen und Schimpfereien treiben.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Der Märchenwald hat Schauriges zu bieten!

Märchenwald
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Max und Ellie werden von ihrer Mutter im Wandschrank versteckt - mit dem Auftrag, zum Opa zu gehen. Das letzte, was die beiden hören, ist das Knallen der Haustür. Ihre Mutter ist weg. Das Geschwisterpaar ...

Max und Ellie werden von ihrer Mutter im Wandschrank versteckt - mit dem Auftrag, zum Opa zu gehen. Das letzte, was die beiden hören, ist das Knallen der Haustür. Ihre Mutter ist weg. Das Geschwisterpaar macht sich nun quer durch Berlin auf den Weg zu ihrem Opa. Währenddessen erzählt Max seiner Schwester die Geschichte vom Märchenwald.
Zum selben Zeitpunkt kommt auf dem Alexanderplatz eine junge Frau zu sich - körperlich zugerichtet und ohne Erinnerung. Allerdings wird sie von einem vermeintlichen "Freund" bedroht und begibt sich auf die Flucht durch Berlin - auf der Suche nach ihrer Erinnerung.


Paul Kalkbrenner und Sera Muth ermitteln hier in einem sehr spannenden Fall, der auf den ersten Blick überhaupt nichts mit Max, Ellie und der jungen Frau vom Alexanderplatz zu tun hat.
Martin Krist startet den Thriller rasant. Der Leser braucht keine Eingewöhnungszeit, sondern ist sofort mitten in den Geschehnissen.
Die Kapitel sind kurz und auf die unterschiedlichen Handlungsstränge fokussiert.
Obwohl von Beginn an klar ist, dass die Erzählstränge schließlich ein großes Ganzes ergeben müssen, steckt der Weg voller Spannung, Entwicklungen und schaurigen Hintergründen. Denn im Märchenwald gibt es nicht nur Ritter und gute Riesen.

Martin Krist hat mit "Märchenwald" gezeigt, dass er sein Handwerk versteht. Er hat aus einem interessanten Fall, temporeicher Erzählweise, sympathischen Ermittlern und einem rasanten Finale einen absolut spannenden Thriller vorgelegt.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Vom Jäger zum Gejagten

Im Totengarten
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Die Psychologin Alice Quentin, die die Polizei in Ermittlungen unterstützt, findet beim Laufen eine Frauenleiche, die brutal zugerichtet wurde. Der Mörder hat Kreuze in ihre Haut geritzt und die junge ...

Die Psychologin Alice Quentin, die die Polizei in Ermittlungen unterstützt, findet beim Laufen eine Frauenleiche, die brutal zugerichtet wurde. Der Mörder hat Kreuze in ihre Haut geritzt und die junge Frau am Crossbone Yard, dem Friedhof, auf dem Prostituierte namenlos begraben sind, abgelegt. Alles erinnert an den Fall Ray Benson, der junge Frauen gemeinsam mit seiner Frau ermordet hat. Der ist jedoch im Gefängnis verstorben und Marie Benson befindet sich noch immer in Haft und ist nahezu verblindet. Obwohl Alice die Arbeit mit Mördern nicht gewohnt ist, unterstützt sie die Polizei.
Doch auch privat hat sie viel zu tun, da ihr Bruder Will drogenabhängig und obdachlos ist, ihre Mutter nichts Schlechtes an sich heranlässt und Alice noch immer die den väterlichen Schläge aus ihrer Kindheit zu verarbeiten hat. Die Liaison mit dem Chirugen Sean beendet sie kurzerhand, weil sie keine feste Beziehung möchte.

Fesselnd berichtet Kate Rhodes im Prolog von Alices Kindheit, die von Schlägen und dem Alkoholismus des Vaters geprägt ist. Die sich daraus entwickelten Charakterzüge werden dem Leser durch Alices Gedanken und Flashbacks immer wieder vor Augen geführt.
Die Polizei kommt mit ihren Ermittlungen nur langsam voran und als Alice über eine zweite Frauenleiche stolpert, nimmt der Fall persönliche Züge an, da der Mörder Alice in sein Visier genommen hat.

Die Handlungen sind nachvollziehbar geschildert, durch neue Entwicklungen baut sich der Spannungsbogen konstant auf, es kommen während des Lesens immer neue Ansätze und Gedanken seitens des Lesers ins Spiel. Und obwohl die Auflösung kein unbekanntes Schema ist und für mich nicht vollkommen überraschend war, war der Weg dorthin spannend.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Nicht jeder der sucht, findet

Druckstaueffekt
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Eine junge Frau verlässt ihre sichere Beziehung zu dem Mann, den sie liebt. Die beiden hatten tolle Jahre zusammen und stehen ihre Depression gemeinsam durch. Trotzdem hat sie das Gefühl, dass ihr etwas ...

Eine junge Frau verlässt ihre sichere Beziehung zu dem Mann, den sie liebt. Die beiden hatten tolle Jahre zusammen und stehen ihre Depression gemeinsam durch. Trotzdem hat sie das Gefühl, dass ihr etwas fehlt, sie nicht hat, was sie braucht. Daher verlässt sie den Mann, den sie liebt, um sich und ihre Wünsche zu finden, geht von Club zu Club und vögelt sich mit verschiedenen Männern durch die Nächte. Obwohl sie bei jedem Mann etwas findet, das ihr gefällt, fehlt ihr ebenso noch immer das, was sie sucht.
Die Geschichte wird von der Protagonistin in der Ich-Erzählweise berichtet. Dabei wendet sie sich an das "Du", den Mann, den sie liebt. Diesem erzählt sie von ihren Erfahrungen, ihren Gefühlen und den Beziehungen und Sexerlebnissen, die sie mit den diversen Männern eingeht und erlebt. Dabei bleibt das "Du" stets eine vage Option für die Zukunft, die Ich-Erzählerin hält sich offen, ob sie, nachdem sie gesucht hat, was sie möchte und sich ausgetobt hat, zu ihm zurückkehrt. Schließlich muss sie einen Strich ziehen und sich entscheiden - für oder gegen die Liebe zu dem Mann, den sie einst so geliebt hat.

Die Szenen werden realistisch beschrieben. Der Schreibstil ist nüchtern, unromantisch und berührt trotzdem auf ganz bezaubernde Weise, weil die Geschichte, die erzählt wird, ehrlich und aufrichtig klingt. Die junge Frau nimmt den Leser mit durch das tägliche und nächtliche Berlin, zu ihren Männerbekanntschaften und in ihr Inneres - wobei die kursiv gedruckten Einschübe, die die Protagonistin selbst verfasst, ihr verworrenes, unsicheres und unstrukturiertes Inneres offenbart.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Das Auerhaus, ein Ort der Freundschaft und des Lebens

Auerhaus
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Bov Bjerg, Schriftsteller, Kabarettist und Begründer einiger Lesebühnen, berichtet in seinem zweiten Roman „Auerhaus“ über Freundschaft, Jugendlichkeit und die damit verbundene Widersetzung der dörflichen ...

Bov Bjerg, Schriftsteller, Kabarettist und Begründer einiger Lesebühnen, berichtet in seinem zweiten Roman „Auerhaus“ über Freundschaft, Jugendlichkeit und die damit verbundene Widersetzung der dörflichen Enge.

Der Ich-Erzähler Höppner erzählt von dem Jahr, das er und seine Freunde im Auerhaus verbringen. Dazu gehören Frieder, Höppners kleptomanische Freundin Vera, die es mit der monogamen Liebe nicht so ernst nimmt, und die strebsame und reiche Tochter Cäcilia. Später nehmen sie die Brandstifterin Pauline, die Frieder in der Psychiatrie kennenlernt, und den kiffenden, schwulen Harry auf, der sich neben der Lehre zum Elektriker am Stuttgarter Bahnhofsstrich zusätzliches Geld verdient.

Der Grund für den Einzug in das Auerhaus ist Frieders Suizidversuch, über den er sagt: „Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied.“ Sein Therapeut rät ihm einen Auszug von Zuhause und da er nicht allein wohnen soll, ziehen seine Freunde mit ihm in das Bauernhaus seines Großvaters. Dort wollen sie zusammen den Moment leben, das „richtige Leben“. Für sie hat es große Priorität achtzehn zu werden, denn „nicht achtzehn zu werden, war scheiße. Wenn man nicht achtzehn wurde, war alles umsonst.“

Während die Sechs ihre gemeinsame Zeit im Auerhaus verbringen, in dem sie füreinander sorgen, sich im sogenannten ‚Einkaufen‘ unterrichten, damit sie der Dorfpolizist nicht erwischt, und über das Leben reden, fühlen sich die anderen Oberstufenschüler auf dem Gymnasium heimisch: „Hätte man sie vor einer Klausur gefragt: ‚Wozu lebst du eigentlich?‘, hätten sie geantwortet: ‚Das kommt nicht dran, das müssen wir nicht wissen.‘“ Während die anderen Oberstufenschüler sich also darauf vorbereiten, in die (beruflichen) Fußstapfen ihrer Eltern zu treten, hat die Schüler-WG andere, beziehungsweise noch keine konkreten Pläne: Höppner heftet die Einladungen zur Musterung lieber in seinem Ordner ab, statt ihnen nachzugehen, weil er bei der Bundeswehr kein „Spezial-Schwachmat“ werden, sondern lieber nach Berlin gehen möchte.

Bov Bjerg lässt den Ich-Erzähler die eigenen Regeln, die im Auerhaus herrschen, und die Ansichten über die Außenwelt, vertreten durch die Lehrer, Mitschüler, Eltern, Bundeswehr und den Dorfpolizisten, darstellen. Die Beobachtungen über die Welt, die die Freunde formulieren sind immer pointiert, teils nüchtern: „Die klügsten und freundlichsten Frauen hatten die dümmsten Arschlöcher zum Mann“, teils zynisch: „Ich sucht doch dauernd nach dem Sinn. Hier, Suchscheinwerfer. Könnt ihr überall suchen damit“, teils scharfsinnig: „Ein Gehirn mit Depressionen, das war wie ein Fahrrad mit einem kaputten Tretlager. Man konnte strampeln, wie man wollte, aber man kam doch nicht vom Fleck.“

Der Roman lässt den Leser durch den jugendlich-lockeren und zugleich ernsthaften, oft zynischen, Ton der Protagonisten zu einem Teil des Auerhauses werden und bringt so die jugendliche Mentalität in der westdeutschen Provinz der 80er Jahre zum Ausdruck.