Kalifornien, 1969. Evie Boyd ist vierzehn und sehnt sich danach, „gesehen“ zu werden – aber weder ihre frisch geschiedenen Eltern, noch ihre einzige Freundin beachten sie. Dann, an einem endlosen Sommertag, begegnet sie einer Gruppe von Mädchen. Junge Frauen, die nicht von dieser Welt scheinen. Ihr lautes, freies Lachen. Das Haar lang und ungekämmt, die ausgefransten Kleider.
Evie gerät in den Bann der älteren Suzanne und folgt ihr auf die Ranch tief in den Hügeln gelegen, fernab von ihrer eigenen Welt, in den Kreis von Russell – ein Typ wie Charles Manson.
Weihrauch und Gitarrenklänge. Gerüchte von Sex und wilden Partys, einzelne die von zu Hause ausgerissen sind.
Evie gibt sich der Vision grenzenloser Liebe hin und merkt nicht, wie der Moment naht, der ihr Leben für immer zerstören könnte.
Evie ist im zarten Alter von vierzehn Jahren, als sie den Mädchen von Russells Ranch in einem Park begegnet. Sie sind anders als alle anderen. Erregen die Aufmerksamkeit der Parkbesucher und erzielen damit genau das, was sich Evie, ein noch naives Mädchen, das sich mit den typischen Fragen und Problemen ihres Alters konfrontiert sieht, mehr als alles andere wünscht: gesehen und beachtet zu werden.
„Ich wollte diese Welt ohne Ende.“ (S. 122)
Sie ist unglücklich. Ihre Eltern haben sich getrennt und sind dementsprechend mit sich und ihrem Leben beschäftigt. Der Auszug ihres Vaters hat in ihr ein Gefühl des ‚verlassen werden‘ hervorgerufen und ihre Mutter stürzt sich jede Woche in eine neue Beziehung. Es mangelt an elterlicher Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit. Evie verfällt, auf ihrer Suche nach Geborgenheit, in unerwiderte Schwärmereien und entfernt sich dabei gleichzeitig von ihrer besten Freundin.
Sie sucht sich selbst und begegnet dabei Suzanne und den anderen Mädchen auf der Ranch.
Es dauert nicht lange und Evie wird von der dortigen Lebensweise umhüllt, wie von einem warmen Mantel. Suzanne zieht sie in ihren Bann. Russell und seine Vorstellung von einer Liebe, die aus jedem Winkel des Lebens strömt, sowie dem Bild einer großen Familie, ist genau das, was sich Evie in dieser Lebensphase wünscht.
Erzählt wird der Moment der ersten Begegnung durch einen atmosphärisch dichten Erzählstil, der mich ab dem ersten gelesenen Satz nicht mehr loslassen wollte. Alleine die beschriebene Szene im Park ist mit einer derartigen Spannung aufgeladen, die auf mich zugleich bedrohlich, als auch fesselnd eingewirkt hat.
Ebenso, wie Evie von den Mädchen in ihren Bann gezogen wird, konnte Emma Cline mich mit ihrem Buch verführen. Es wollte mich nicht mehr loslassen und bis zur letzten Seite war es für mich spannend Evies Schicksal zu verfolgen.
Im Verlauf der Handlung werden zwei Ebenen miteinander vermischt.
Die Gegenwart erzählt von Evie, als eine gezeichnete Frau im mittleren Alter, die mit den Erlebnissen ihrer Vergangenheit keineswegs abgeschlossen hat. Stattdessen wird sie von von ihren Erinnerungen noch immer verfolgt. Sie will vergessen, doch gleichzeitig existiert in ihr auch ein Gefühl des ‚Vermissen‘. Eine Sehnsucht, nach dem Jahr 1969. Eine Sehsucht nach der Vergangenheit. Evie Boyd ist gealtert, sie hat kein Geld. Das Erbe ihrer Großmutter ist längst aufgebraucht und in diesem Zustand ist sie in dem Ferienhaus ihres alten Freundes untergekommen.
In der Nacht wird sie von einem Geräusch geweckt. Angst überkommt sie, sowie die Erinnerung an eine längst vergangene Nacht. Es gibt parallele Rückblenden, die sich mit der Gegenwart vermischen. Hierdurch entsteht ein Spannungsaufbau, der überaus gelungen ist.
Was ist in dieser Nacht passiert? Das bleibt dem Leser teilweise verborgen, man kann es nur erahnen, doch diese Frage begleitet einen durch den gesamten Roman.
Mir hat es gefallen, wie Evie immer wieder in die Erinnerungen ihrer Vergangenheit abdriftet. Man bekommt beim Lesen ein Gespür dafür, warum sich die Vierzehnjährige auf der Ranch geborgen fühlt und bekommt gleichzeitig mit, wie sie verblendet die Realität ausblendet, bis zum späteren Erwachen…
Außerdem hat mir der klare Blick der Autorin auf die Handlung gefallen. Ihr glasklarer Erzählstil, der mich so manches Mal an einen giftigen Pfeil erinnert hat und mich dementsprechend schmerzhaft erwischen konnte. Es ist wirklich toll, wie einige Abschnitte ausklingen und wie man teilweise auch zwischen den Zeilen lesen muss. Zudem lebt das Buch von seinen klaren Bildern, die beim Lesen entstehen.
„Die Welt mästet sie mit der Verheißung von Liebe. Wie dringend sie sie brauchen, und wie wenig die meisten von ihnen je bekommen werden. Die klebrig süßen Popsongs […]. Dann werden ihnen die Träume mit brutaler Kraft weggenommen; die Hand, die an den Knöpfen der Jeans zerrt, dass niemand hinsieht, wenn der Mann im Bus seine Freundin anbrüllt.“ (S.151)
An manchen Stellen wirkt der Schreibstil vielleicht sogar überladen, verkitscht und zu gewollt. Mir allerdings hat der Stil von Emma Cline dennoch sehr gut gefallen.
„Lasuren von buntem Licht, mein Gesicht ins Gespenstische spielend und erblassend, während ich mich durch den künstlichen Tag klickte.“ (S. 69)
Zwischenzeitlich hat der Roman aber auch seine Längen. Insbesondere auf den ersten Seiten ist dies der Fall. Es sind ungefähr vierzig Seiten, die Evies familiäre Verhältnisse betreffen. Ihre Sehnsucht nach elterlicher Liebe und die familiären Verhältnisse sind zeitweise ermüdend.
Dennoch haben mich die drauffolgenden und auch die ersten Seiten gepackt und mich gleichzeitig fasziniert, mit welchem klaren Blick hier die Gefühle einer Vierzehnjägiren beschrieben werden. Sätze, wie „Die einzigen Teenager im Städtchen schienen sich auf grausig provinzielle Arten selbst umzubringen.“ (S. 14) erzeugen beim Lesen Gänsehautmomente.
Evie Boyd ist von ihrer Vergangenheit gezeichnet. Man spürt in jedem Augenblick ihre gleichzeitige Überlegenheit, dass sie mehr über das Leben weiß, als alle anderen und ebenso will sie dieses Wissen am liebsten abschütteln.
Zusammenfassend sei gesagt, dass dieses Buch die Meinungen verständlich spaltet. Mir hat es gut gefallen und es konnte mich auch durch seine eindringliche Art begeistern. „The Girls“ hat mich in seinen Bann gezogen und bis zur letzten Seite nicht loslassen wollen.
Es sei aber auch gesagt, dass es hier im Wesentlichen um die Geschichte und die Psyche eines vierzehnjährigen Mädchens geht, sowie um ihr späteres Ich und den Umgang mit der Vergangenheit. Einen vertieften Einblick in ein Hippie-Kommune, in den Verstand von Russell und seine Absichten darf man jedoch nicht erwarten. Hier liegt keineswegs der Kern der Betrachtung und für mich war dies auch keine Notwendigkeit. Stattdessen geht es um ein Mädchen, welches sichtbar werden möchte und dabei in einen Strudel gerät, den sie nicht hat kommen sehen.