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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.02.2019

Bewegend

Mehr als nur ein halbes Leben
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Sarah führt ein Leben auf der Überholspur mit Ehemann, 3 Kindern und einem 80-Stunden-Job. Doch nach einem Autounfall liegt sie kurz im Koma und zurück bleibt ein linksseitiger Neglect. Sie kann links ...

Sarah führt ein Leben auf der Überholspur mit Ehemann, 3 Kindern und einem 80-Stunden-Job. Doch nach einem Autounfall liegt sie kurz im Koma und zurück bleibt ein linksseitiger Neglect. Sie kann links nicht mehr erkennen. Nirgends. Sarah weiß, sie hat eine linke Hand, kann sie aber weder sehen noch finden, schon gar nicht benutzen. In einem Buch findet sie die linken Seiten nicht und auf ihrem Teller isst sie nur das, was auf der rechten Seite liegt. Personen im linken Teil eines Raumes kann sie hören, aber nicht sehen. Sogar einen 3 Meter hohen geschmückten Weihnachtsbaum übersieht Sarah, denn er steht in der linken Zimmerseite. Links existiert einfach nicht!
Mit viel Energie, Willen und Kampfgeist versucht Sarah mit der Hilfe und Unterstüzung ihres Mannes und ihrer Mutter ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Nach "Mein Leben ohne Gestern" hat Lisa Genova wieder ein bemerkenswertes Buch geschrieben. Der tägliche Kampf um die Bewerkstelligung ganz gewöhnlicher Tätigkeiten (Gang zur Toilette, sich selbst anziehen) oder Handgriffe (eine Cola aus dem Kühlschrank holen, Zeitung lesen) wird extrem realistisch beschrieben. Und genau wie Sarah nicht bemitleidet werden will, so kommt auch während des lesens weder Mitleid noch Fremdschämen auf. Eher Respekt und sehr viel Sympathie für eine echte Kämpferin mit eisernem Willen, die trotz einiger Rückschläge ihr Ziel nicht aus den Augen verliert.

Wenn ich schon von Alice angetan war, so hat mich Sarah richtig begeistert. Für mich eine eindeutige Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 13.02.2019

Sehr bewegend!!!

Das Haus am Himmelsrand
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Mal wieder ein Buch auf zwei Zeitebenen? Ein Familiengeheimnis, das spät gelüftet wird? Und dann ein klassisches Happy-End?  
In "Das Haus am Himmelsrand" wird in einem Roman das Thema Nationalsozialismus ...

Mal wieder ein Buch auf zwei Zeitebenen? Ein Familiengeheimnis, das spät gelüftet wird? Und dann ein klassisches Happy-End?  
In "Das Haus am Himmelsrand" wird in einem Roman das Thema Nationalsozialismus jedoch von einer ganz neuen Seite behandelt.
Auf dem Sterbebett ist "Sorg für Gerechtigkeit" das letzte, was Lizzys Großvater zu ihr sagt. Was hat er damit gemeint? 
Auf seine Anweisung hin hat sie auch ein paar Unterlagen aus einem alten Schreibtisch geholt. Was ist damals, in den 1930-1940er Jahren geschehen? Was hat es mit den Listen, den ihr unbekannten Namen und Überweisungen in die Schweiz auf sich?
Lizzy beginnt nachzuforschen und dringt inmmer tiefer in die Vergangenheit ihrer Familie ein.
Was sie dabei nach und nach herausfindet erschreckt sie zutiefst. Ist ihr geliebter Großvater womöglich gar nicht der, für den sie ihn immer gehalten hat?
Was ist aus dem jüdischen Geschäftspartner geworden? Warum haben sich der Großvater und sein Bruder auf Jahrzehnte entzweit? Keiner will über die Vergangenheit reden. War der Großvater tatsächlich ein Nazi?

Ich fand es unglaublich spannend zu lesen wie Lizzy bei ihren Nachforschungen immer mehr Hinweise findet, die darauf hindeuten, dass der Großvater eine dunkelbraune Vergangenheit haben könnte.
Hat er seinen ehemaligen Partner Samuel Bloch verraten? Hat er sich an ihm bereichert und in den Tod geschickt?
Hat er der Tochter und dem Enkel von Samuel ein kleines Haus in Frankreich vererbt um sein Gewissen zu erleichtern? Eine Art späte Wiedergutmachung? 
Hilfe erhält Lizzy nicht von ihrer Familie, denn Mutter und Bruder wollen, wie so viele noch heute, das Thema "Was hat meine Familie damals gemacht?" am liebsten totschweigen.
Ein früheres Kindermädchen der Familie und der Sohn eines alten, überzeugten Nazis, der sich der Aufklärung von Unrecht in diesen Zeiten verschrieben hat, geben die entscheidenden Hinweise....
Die Beschreibungen von Lizzys inneren Kämpfen waren unglaublich gut und beeindruckend realistisch dargestellt. Soll sie wirklich immer weitermachen? Sie hat irgendwann die ganze Familie gegen sich.
Aber der Gedanke an das Unrecht, das ihr geliebter Großvater begangen haben könnte, lässt sie nicht ruhen. Ihr Zwiespalt war fast mit Händen greifbar!

Ich kenne kein Buch in dem es darum geht, wie Nachkommen damit umgehen müssen, wenn sie erfahren, dass Eltern oder Großeltern im Nationalsozialismus zu den Tätern gehört haben (könnten).
Gibt es eine vererbbare Schuld? Wie geht man damit um? Können die Nachkommen der Opfer und die Nachkommen der Täter sich unbelastet gegenübertreten? Auch dies ist ein schwieriger Konflikt!
Mich hat die Geschichte sehr beeindruckt, denn noch immer wird in Deutschland vieles aus der braunen Vergangenheit verschwiegen und unter den Teppich gekehrt. Sei es aus Scham, sei es aus Angst.
Lizzy ist hier unglaublich mutig und stark. Ich weiß nicht, was ich an ihrer Stelle getan hätte!
Wo standen meine Großeltern? Nazis? Widerständler? Mitläufer? Ich habe keine Ahnung. Ich habe nie gefragt. Ich wünschte ich hätte. Was, wenn mir die Antworten nicht gefallen hätten? Jetzt ist es zu spät.

Veröffentlicht am 13.02.2019

Fesselnd!

Der Verrat
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Nane wird mit Mitte 40, nachdem sie eine 20jährige Haftstrafe verbüßt hatte, aus dem Gefängnis entlassen.
Nach und nach entfaltet sich die Geschichte rund um ein Verbrechen, welches so nie geplant war ...

Nane wird mit Mitte 40, nachdem sie eine 20jährige Haftstrafe verbüßt hatte, aus dem Gefängnis entlassen.
Nach und nach entfaltet sich die Geschichte rund um ein Verbrechen, welches so nie geplant war und das Leben von mehreren Menschen nachhaltig verändert hat.
Dazu gibt es immer wieder Rückblenden in das Leben und die Vergangenheit der unterschiedlichen Protagonisten, ohne jedoch verwirrend oder langatmig zu werden.
Im Gegenteil. Man lernt Nanes Hintergrund innerhalb ihrer Familie näher kennen, das problematische Verhältnis zu den Eltern, die Rivalität unter den Schwester, besonders zu Pia!
Die Konfliktsituationen "Eltern-Kinder" und auch "unter Geschwistern", trägt sich durch die gesamte Geschichte!
So steht auch die Familie rund um Thomas, dem Ehemann von Pia, im Fokus: Seine Schwester Margot mit Sohn Marius, sein Sohn Henning aus erster Ehe und dessen Tochter Sonja.
Sie müssen sich nach der Heirat von Thomas und Pia neu positionieren, innerhalb der Familie neu definieren.
Die unterschwelligen Animositäten treten jedoch erst richtig in den Vordergrund, als Nane auf Bewährung entlassen wird. Alte Konflikte brechen auf, es werden neue Allianzen gebildet!
Die Verflechtung der beiden Familien reicht weit zurück und wird sich auch niemals entwirren lassen.
Nane will, jetzt wieder in Freiheit, endlich genau wissen, was damals, vor 20 Jahren, wirklich geschah.
Hat sie tatsächlich diese große, sie unglaublich bedrückende Schuld auf sich geladen, wegen der ein Mensch uns Leben gekommen ist?
Warum kann sie sich an diesen letzten Anruf nicht mehr erinnern?
Wollte sie Thomas noch warnen oder hat sie ihn am Telefon nur beschimpft, wie er vor Gericht ausgesagt hat? Wer lügt, wer hat etwas zu verbergen?
Nane, der die Vergangenheit keine Ruhe lässt, stellt immer neue Fragen und dringt damit immer tiefer in die Vorkommnisse dieses einen tragischen Tages vor.
Nach und nach treten immer mehr Ungereimtheiten zutage und langsam wird klar, welch tragische Geschichte hinter dem "Mord" steckt!

Der Schreibstil von Ellen Sandberg ist phänomenal. Jeder einzelne Protagonist bekommt genügend Raum um eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, wird so wichtig für die Handlung.
Auch die Perspektivwechsel lassen einen immer tiefer in die Geschichte eintauchen, verleihen sie so der Handlung immer wieder neue Aspekte, neue Blickwinkel.
Ich persönlich fand besonders die Frauenfiguren und deren sehr unterschiedlichen Gedankengänge und Gefühle sehr bildhaft und authentisch beschrieben.
Auch hat sich von Kapitel zu Kapitel die Geschichte langsam immer deutlicher abgezeichnet - durch die verschiedenen Rückblenden bestens ergänzt!
Auch wenn sich irgendwann (nicht zu früh) abgezeichnet hatte was vor 20 Jahren geschehen war, konnte die Autorin recht spät trotzdem noch eine kleine überraschende Wendung einbauen.

"Der Verrat" ist ein sehr spannende Geschichte mit einem sehr realistischen Ende, welche ich sehr gern gelesen habe! 

Veröffentlicht am 13.02.2019

Erschütternd

Die verlorene Schwester
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Im Jahr 1968 stirbt der geliebte Vater der Schwestern Lena und Marie. Die Mutter versinkt in einer, zu der Zeit nicht erkannten Krankheit - "Schwere Depression". 

Das Jugendamt der Stadt Bern sieht die ...


Im Jahr 1968 stirbt der geliebte Vater der Schwestern Lena und Marie. Die Mutter versinkt in einer, zu der Zeit nicht erkannten Krankheit - "Schwere Depression". 

Das Jugendamt der Stadt Bern sieht die Gefahr einer Verwahrlosung der Kinder und bringt die zwei in ein Kinderheim, später in ein von Nonnen geleitetes Erziehungsheim.


Für die zuerst 13 und 11 Jahre alten Mädchen beginnt ein Martyrium sondergleichen.

Für die Gesellschaft sind sie wertlos, Abschaum, sie werden gehänselt, gedemütigt, geschlagen. Selbst von den Nonnen!

Und zu allem Unglück werden die Schwestern dann ohne Vorwarnung getrennt und als Verdingkinder in verschiedenen schweizer Familien untergebracht.

Zuerst sieht es für Marie noch gut aus, ihre Pflegefamilie ist tief gläubig und behandelt sie gut. Doch nach einer vermeintlichen Verfehlung wandelt sich das Bild und verkehrt sich komplett.

Lena ist in einer Art Vorhölle gelandet. Sie muss auf einem Bauernhof Schwerstarbeit leisten, von ihrer Pflegemutter wird sie regelmäßig brutal verprügelt, von deren Sohn mehrfach vergewaltigt.

Für beide scheint es dann aber nach langer Zeit des Elends ein klein wenig Hoffnung zu geben...


2008 entdeckt die junge Anna, dass sie adoptiert wurde. Anscheinend war ihre Mutter ein ehemaliges Verdingkind!

Mit der Hilfe einer engagierten Journalistin versucht sie ihre Mutter zu finden und erfährt nach und nach Einzelheiten aus einem dunklen Teil schweizer Geschichte!


Die Geschichte von Marie, Lena und Anna wird abwechselnd erzählt und nimmt einen fast sofort komplett gefangen.

Beim lesen über den Alltag der Verdingkinder musste ich mehrfach tief Luft holen. Wie konnte so etwas in Europa, Mitte des 20. Jahrhunderts überhaupt möglich sein?

Ich habe so sehr mit Marie und Lena gelitten, dass ich regelrecht dankbar war wenn ein Abschnitt über Annas Suche nach ihrer Mutter kam, und ich etwas durchatmen konnnte.

Aufgrund des Prologes war klar, Lena und Marie haben sich aus den Augen verloren und über 50 Jahre nicht gesehen. 

Ich war mir jedoch sicher, dieses Buch wird sie am Ende zusammenbringen. Auch wenn die Realität in der Regel wohl eine andere war...

Auch zeichnet sich schnell ab, Anna ist die Tochter einer der Schwestern. Nur von welcher?


Die Erzählweise ist sehr intensiv, die Beschreibungen unglaublich bildhaft und empathisch.

Die ganze Geschichte hat mich tief berührt!

Der Gedanke, dass heute in der Schweiz Tausende Verdingkinder mit einer ähnlichen traumatischen Vergangenheit leben (müssen) macht sprachlos und betroffen!

Ich bin sicher, dieses Buch und die Geschichte der Verdingkinder werden mich nicht so schnell loslassen.

Veröffentlicht am 30.04.2018

Eine literarische Reise nach Turin

Die Fäden des Glücks
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Carlotta ist die älteste von drei Töchtern der alleinerziehenden Mimi, Gewandmeisterin an der Oper in Turin.

Umgeben von schönen Stoffen aller Art ist es geradezu selbstverständlich für sie Schneiderin ...

Carlotta ist die älteste von drei Töchtern der alleinerziehenden Mimi, Gewandmeisterin an der Oper in Turin.

Umgeben von schönen Stoffen aller Art ist es geradezu selbstverständlich für sie Schneiderin zu werden. 

Carlotta ist etwas molliger als es das vermeintliche Schönheitsideal des 21. Jahrhunderts verlangt. Aber das ist ihr egal. Sie steht selbstbewusst zu ihren Rundungen.

In ihrem Laden Cenerentola (Aschenputtel), den sie mit ihren Schwestern gemeinsam betreibt, schneidert sie Kleider, die ihren Trägerinnen einen ganz besonderen Zauber verleihen.

Vielleicht weil sie kleine individuelle Botschaften, versteckt unter dem Futter, in ihre Werke einstickt....?


Mit 18 erbt Carlotta die Weberei ihres bis dahin unbekannten Vaters und trifft fast zur gleichen Zeit ihren Freund Daniele aus Kindertagen wieder. Fast vergessene Gefühle werden wach...

Danieles Vater Vincenzo möchte Carlotta die Weberei abkaufen und ein Museum daraus machen. Er plant dazu außerdem noch, das Familiengeschäft an Daniele zu übergeben, der die Zentrale nach Mailand verlegen wird.

Ist Daniele der richtige Mann für Carlotta? Will sie ihre Heimatstadt Turin wirklich verlassen und mit ihm nach Mailand gehen?

Was wird aus ihren Träumen die Welt zu bereisen?


Der Roman besticht durch seinen gefühlvollen, fast schon poetischen Schreibstil und die bildhaften und farbenprächtigen Beschreibungen der Stadt Turin. 

Man möchte durch die Strassen und Parks der Stadt streifen, in die Oper gehen, oder in einem der zahlreichen Cafés einen Bicerin trinken - die traditionelle Kaffeespezialität Turins.

Hervorzuheben ist unbedingt eine bemerkenswert detaillierte Recherche in der Welt der Stoffe und der Welt der Oper! Die Schilderungen waren faszinierend!

Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was den Erzählfluss noch lebendiger macht und einem gleichzeitig die Protagonisten noch näher bringt. 

Die selbstbewusste, liebenswerte Carlotta muss man sofort ins Herz schließen!

Angetan haben es mir aber auch Mimi, ihre eher unkonventionelle Mutter, und ihr langjähriger Verehrer Gino. Und natürlich Pasquale, der Butler des reichen Vincenzo Giordano.

In Vincenzo selber habe ich mich sogar (fast) sofort verliebt!


Gefallen hat mir auch der Epilog, beantwortet er noch offene Fragen (z.B.: "Was wird aus Pasquale" und "Wer ist die Dame im maigrünen Kleid"?)


Ich habe mich beim lesen nach Turin geträumt, denn die Autorin erzeugt mit ihren Worten eine zauberhafte, warmherzige Geschichte, die einen umhüllt wie ein zart gewebter Plaid.