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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.02.2020

Düster, atmosphärisch - und besser als der Vorgänger

1794
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Es ist eine düstere Welt, dieses Stockholm des ausgehenden 18. Jahrhunderts, ein Kosmos voller Hunger und Grausamkeit, Hunger und Erbarmungslosigkeit, eine Welt, in der die Adligen, Reichen und Mächtigen ...

Es ist eine düstere Welt, dieses Stockholm des ausgehenden 18. Jahrhunderts, ein Kosmos voller Hunger und Grausamkeit, Hunger und Erbarmungslosigkeit, eine Welt, in der die Adligen, Reichen und Mächtigen feiern und sich skrupellos ihren Ausschweifungen hingeben, während die Armen, Kranken und Ausgestoßenen um ihr Überleben kämpfen. In den Kulissen dieser Stadt der Gegensätze entwirft der Autor Niklas Natt och Dag zwei Krimi- bzw.Thriller-Szenarien, die blutrünstig, finster und gruselig, streckenweise leider aber auch langatmig, zäh und bisweilen zusammenhanglos erzählt sind.

Die Mordermittlungen 1793 verliehen Cardell so etwas wie neuen Lebensmut – das Hochgefühl ist allerdings nicht von langer Dauer. Überhaupt ist alles, was im Jahr zuvor wenigstens ein bisschen Hoffnung auf den letztlichen Sieg des Guten machten, 1794 verflogen. Doch der Reihe nach, denn bevor sich die Geschichte Cardell und einem neuen Mordfall zuwendet, führt sie die Leser*innen zunächst in ein Spital. Von dort berichtet der anfänglich namenlose Ich-Erzähler, der das Glück hat, dort untergebracht zu sein und nicht in dem entsetzlichen ‚Irrenhaus‘ gegenüber, wie er dorthin gelangte, von seinem Leben als ungeliebter zweiter Sohn eines Gutsherrn, einer Reise in die schwedische Kronkolonie in der Karibik, er erzählt von Sklavenschiffen und einem dämonischen Plantagenbesitzer – und von seiner großen Liebe, von der ihn auch der Standesunterschied nicht abzubringen vermag. Das junge Glück ist von äußerst kurzer Dauer, sein jähes Ende ruft erneut das bekannte – oder doch nicht so bekannte? – Ermittler-Duo Cardell/Winge auf den Plan.

Wie schon "1793" ist auch der Folgeband in vier Teilen erzählt, die in altbekannter Manier auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben, letzten Endes aber zusammengeführt werden. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich durch die Lektüre von "1793" bereits darauf vorbereitet war, doch dieses Mal erschien mir der Erzählfluss trotz der Handlungs- und Perspektivensprünge flüssiger und runder als im Vorgängerroman. Auch konnte mich diese Geschichte bedeutend mehr fesseln als die davor, auch wenn (oder vielleicht gerade, weil?) ein Hauch von "Django Unchained" und "The Sixth Sense" hindurchwehen.

Veröffentlicht am 02.09.2019

Gute Zutaten, aber nicht ganz so gute Zubereitung

Das Schweigen der Angst
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Die fünfzehnjährige Megan ist zum landesweiten Phänomen avanciert: Es heißt, das junge Mädchen besitze wundersame Heilkräfte, die selbst Todkranken helfen können. Megan selbst ist nicht in der Lage, ihre ...

Die fünfzehnjährige Megan ist zum landesweiten Phänomen avanciert: Es heißt, das junge Mädchen besitze wundersame Heilkräfte, die selbst Todkranken helfen können. Megan selbst ist nicht in der Lage, ihre außerordentlichen Fähigkeiten zu erklären, sie liegt seit einem Unfall im Koma … Unter ihren ‚Patienten‘ befindet sich auch die schwerkranke Jane Hewitt. Nach nur einem Besuch an Megans Bett kann sie plötzlich wieder alleine gehen, ihr Krebs scheint verschwunden zu sein. Doch am nächsten Morgen ist Jane tot und ihr Mann Ian macht Megan und die sie umgebenden, ja, sie gnadenlos vermarktenden Menschen verantwortlich. Und so bittet er die Psychologin Dr. Alexandra Ripley, spezialisiert auf die Aufklärung – oder vielmehr Entlarvung – vermeintlich übersinnlicher Phänomene. In Megans nordwalisischer Heimat will Alex Ripley den faszinierenden Geschehnissen auf den Grund gehen. Sie stellt rasch fest, dass Ian nicht der Erste ist, der Megans ‚Heilungen‘ misstraut, und dass doch mehr Menschen in das Spektakel involviert sind, als es anfänglich scheint. Und die sind zu allem bereit …

Ein Mädchen im Koma, wundersame Geistheilungen, unerwartete Todesfälle, eine kleine nordwalisische Insel im Winter und eine starke weibliche Hauptfigur – aus meiner Sicht sind das schon mal ziemlich gute Zutaten für einen soliden, spannenden Thriller. Doch leider, leider ist es mit guten Zutaten allein nicht getan, es kommt auch auf die Zubereitung an, und die ist für meinen Geschmack in diesem Fall nicht hundertprozentig gelungen. Handlungszeit und -ort sind wirklich gut gewählt, die Story an sich interessant, die Figuren nahezu allesamt ordentlich gezeichnet. Und doch wollte der Funke nicht so recht überspringen. Das lag hauptsächlich an der sprachlichen Ausgestaltung des Romans, und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen habe ich selten einen so Dialog-lastigen Thriller gelesen wie diesen. Jesses, wird da viel miteinander gesprochen! Natürlich gibt es auch erzählerische Passagen, doch dann reiht sich Dialog an Dialog an Dialog. Und irgendwie wird gefühlt zehnmal ein und dasselbe Thema durchgekaut. Zum anderen sind die Dialoge (teilweise auch die Erzählpassagen) streckenweise so hölzern geraten, dass es nur wenig Spaß machte, den Figuren ‚zuzuhören‘. Deshalb von mir leider nur eine eingeschränkte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 02.09.2019

Für mich leider kein Top-Thriller, aber ein wirklich bemerkenswertes Ende

Am Ende das Böse
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Die Literaturstudentin Malin ist mehr als erleichtert: Nachdem ihr geliebter Hund entlaufen war und alles Suchen erfolglos blieb, steht plötzlich ein attraktiver Mann vor ihrer Tür – mitsamt Hund. Der ...

Die Literaturstudentin Malin ist mehr als erleichtert: Nachdem ihr geliebter Hund entlaufen war und alles Suchen erfolglos blieb, steht plötzlich ein attraktiver Mann vor ihrer Tür – mitsamt Hund. Der attraktive Finder entpuppt sich als der bekannte Schriftsteller Adrian Bartósz; Malin und Adrian beginnen, sich zu treffen, miteinander auszugehen, sich ineinander zu verlieben. Nach kurzer Zeit heiraten sie. Doch was Malin zunächst für Adrians Liebe und Fürsorge hält, erweist sich zunehmend als Kontrollzwang und krankhafte Eifersucht, die immer häufiger in Gewalt ausartet. Als Malins Martyrium seinen Höhepunkt erreicht, gelingt es ihr, sich aus dieser Ehe zu befreien und – auch literarisch – eigene Wege zu gehen. Neun Jahre später ist Malin ihrerseits eine gefeierte Autorin, lebt mit ihrem neuen Mann und den beiden gemeinsamen Kindern in Paris und schickt sich an, unter großem öffentlichem Interesse aus ihrem neuen, autobiografisch gefärbten Roman ‚Ehe‘ vorzulesen. Im Publikum sitzt: Adrian. Und er hat mit Malin noch eine Rechnung offen …

„Am Ende das Böse“ wird laut Cover vom Verlag als ‚Top-Thriller‘ angepriesen – eine Einschätzung, die ich leider, leider nicht teilen kann. Es ist der Autorin durchaus hoch anzurechnen, dass sie sich des Themas ‚häusliche Gewalt‘ annimmt. Und vermutlich wäre es ein Top-Thriller geworden, wenn sie sich darauf beschränkt hätte. Doch neben der ehelichen Gewalt geht es irgendwie auch um die obligatorische schwierige Kindheit nebst liebloser Mutter, um eine fragwürdige (Adoptiv-)Geschwisterliebe, um (gewünschte?) sexuelle Gewalt, um künstlerisches Selbstverständnis und literarische Selbstbehauptung, um Befreiung und Emanzipation … es passiert einerseits ziemlich viel in dem Roman und dann andererseits auch wieder nicht. Und so blieben die Figuren für mich zu blass, die Story vermochte nicht so recht zu verfangen, selbst Adrians zunehmende Gewalttätigkeit konnte mich nicht wirklich berühren. Schade!
Was indes einen echten Applaus verdient, ist das Ende. Überraschend und für mich in letzter Konsequenz unvorhersehbar, hat es mir unwillkürlich ein erstauntes, ungläubiges Auflachen entlockt. Das ist wirklich gelungen!

Veröffentlicht am 17.02.2019

Eine außergewöhnliche Story - und ein interessantes Leseerlebnis

Mein Jahr der Ruhe und Entspannung
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Mit dieser Rezension habe ich mich äußerst schwergetan – und das paradoxerweise, weil ich dieses Buch so interessant fand. „Interessant“, das war, was ich unmittelbar nach Abschluss der Lektüre dachte. ...

Mit dieser Rezension habe ich mich äußerst schwergetan – und das paradoxerweise, weil ich dieses Buch so interessant fand. „Interessant“, das war, was ich unmittelbar nach Abschluss der Lektüre dachte. Nur ist „interessant“ leider ähnlich aussagekräftig wie „nett“ … ich versuche mal eine Annäherung.

New York, einige Monate vor 9/11. Die namenlose Ich-Erzählerin hat alles: Sie ist jung, schön, finanziell unabhängig, hat einen Hochschulabschluss und arbeitet in einer hippen Galerie. Vor allem aber hat sie eines: die Nase von allem gestrichen voll. Und so beschließt sie, ein Jahr lang durchzuschlafen, um dann phönixgleich wiederaufzuerstehen und, endlich einmal richtig ausgeruht, neu zu beginnen …

Ausnahmslos alle Figuren in diesem Roman sind in irgendeiner Weise beschädigt: Die ausgebrannte Protagonistin, ihre versoffene, mittlerweile verstorbene Mutter, der desinteressierte, ebenfalls verstorbene Vater, die fragwürdige Therapeutin, von der sie ihre Schlafmittel erhält, der egomane On-Off-Freund, die nach sozialer Anerkennung gierende Freundin – zerbeulte Seelen allesamt. Als Leserin blieben sie mir alle fremd, doch es bereitete mir ein gewisses wohliges, Schaudern, ein fast voyeuristisches Vergnügen, sie von außen zu beobachten. Ich kam mir während der Lektüre vor wie die unbedarfte Landpomeranze, eine altjüngferliche Cousine etwa, die unversehens Zeit mit der abgefeimten und abgef***ten Jeunesse Dorée Manhattans verbringt, deren Eskapaden sie mit offenem Mund bestaunt, ohne selbst wirklich teilzuhaben.

Das Buch ist nicht so blutrünstig und krass wie die Romane Bret Easton Ellis‘, nicht so frivol wie Sex and the City und nicht so elegant wie Gossip Girl – und doch hat es von allem irgendwie etwas. Und diese Mischung ist schlichtweg: interessant.

Veröffentlicht am 12.01.2021

Ein eher schwaches Werk von Nicci French, dennoch mit spannenden Aspekten

Eine bittere Wahrheit
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Ich bin ein großer Fan des Autoren-Ehepaars Nicci Gerrard und Sean French, das unter dem Pseudonym „Nicci French“ seit nunmehr 20 Jahren ebenso spannende wie abwechslungsreiche Romane schreibt. Ihr neuestes ...

Ich bin ein großer Fan des Autoren-Ehepaars Nicci Gerrard und Sean French, das unter dem Pseudonym „Nicci French“ seit nunmehr 20 Jahren ebenso spannende wie abwechslungsreiche Romane schreibt. Ihr neuestes Werk, „Eine bittere Wahrheit“, bietet einerseits eine interessante, weil sperrige und auf erfrischende Weise nicht allzu sympathische Hauptfigur, einen gemessen am Inhalt außergewöhnlichen Handlungsort (zumindest im ersten Teil) und viele offene Fragen, die erst ganz am Ende restlos beantwortet werden. Andererseits weist es leider die eine oder andere Länge auf, auch die Schlüssigkeit wird arg strapaziert.

Und darum geht es:
Tabitha Hardy sitzt im Knast: Sie soll ihren Nachbarn ermordet haben. Noch befindet sie sich „nur“ in Untersuchungshaft, doch ihre Anwältin macht ihr wenig Hoffnung: Zu erdrückend scheinen die Indizien, die gegen sie sprechen. Nicht nur, dass der Leichnam in ihrem Gartenschuppen gefunden wurde, zu dem außer ihr zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt niemand Zugang hatte, sie kannte den Toten auch aus ihrer Vergangenheit. Stuart Rees war einst ihr Mathelehrer – und hat ihr, als sie gerade fünfzehn war, mehrfach sexuelle Gewalt angetan. Überdies ist Tabitha äußerst labil, leidet an Depressionen und nimmt Medikamente, die ihr Bewusstsein trüben. Die Dorfbewohnerinnen sind sich jedenfalls einig: Diese wortkarge, mürrische Eigenbrötlerin ist eine Mörderin. Und Tabithas Pflichtverteidigerin scheint das ähnlich zu sehen, rät sie ihrer Mandantin doch, auf schuldig zu plädieren und die Strafe damit wenigstens abzumildern.
Tabitha selbst kann sich an die Tat, ja, an den ganzen Tag kaum erinnern. Doch trotz ihrer Erinnerungslücken ist sie sich sicher: Sie war es nicht. Kurzerhand beschließt sie, ihre Anwältin zu feuern und sich selbst zu verteidigen. Ohne juristische Vorkenntnisse. Nahezu ohne Hilfe. Und aus dem Gefängnis heraus … Schon bald stellt Tabitha fest, dass Stuart Rees keineswegs jene allseits beliebte Stütze der Gesellschaft war, zu der man ihn nach seinem gewaltsamen Tod verklärt. Tatsächlich gibt es so einige, denen der Ermordete das Leben schwergemacht hat. Doch wer von ihnen hatte ein echtes Mordmotiv – und die Gelegenheit?

„Eine bittere Wahrheit“ (aus dem Englischen von Birgit Moosmüller) hinterlässt bei mir etwas gemischte Gefühle.
Ich mochte die Protagonistin Tabitha trotz oder gerade aufgrund ihrer mangelnden Anpassungsfähigkeit, ihrer Schroffheit und Sperrigkeit ausgesprochen gern. Diese Frau will nicht gefallen, sie legt es nicht darauf an, gemocht zu werden, ihr liegt nichts an Friede, Freude, Eierkuchen. Doch sie ist mutig – um nicht zu sagen, waghalsig –, sie steht für sich ein, steht zu ihren Schwächen, sie ist impulsiv – und genau das macht sie in meinen Augen zu einer sehr besonderen Romanfigur, die mich überdies stellenweise an eine andere Protagonistin des Nicci-French-Universums erinnert: an Frieda Klein, die Hauptfigur der „Blauer Montag“-Reihe. Auch das Frauengefängnis als Research-Base, von der aus Tabitha vollkommen ahnungslos ihre Verteidigung plant, ist als Handlungsort sehr originell und verleiht dem Handlungsgerüst „Junge Frau sucht den wahren Mörder“ einen interessanten Twist, der durch die Handlungsfortführung im Gerichtssaal keineswegs geschmälert wird. Gleiches gilt für die wachsende Zahl der Verdächtigen, die Tabitha im Laufe der Recherche zutage fördert: Agatha-Christie-artig präsentiert sich ein ganzes Tableau an potenziellen Täter
innen, die gleichzeitig ein offenbar wasserdichtes Alibi haben – mit gerunzelter Stirn folgt man jeder einzelnen Figur und fragt sich, wer zum Kuckuck es denn jetzt wirklich war. (Oder war’s doch die Angeklagte?)

Was indes zu wünschen übrig lässt, ist – leider! – die Plausibilität. Dass gegen Tabitha überhaupt Anklage erhoben wurde, dürfte jedem Staatsanwalt und jeder Staatsanwältin ein herzliches Lachen entlocken. Die „Beweislage“ basiert ausschließlich auf einer Handvoll Indizien und fragwürdigen Zeugenaussagen und ist so dürftig, dass selbst der Laie kopfschüttelnd abwinkt. Überhaupt agieren nahezu alle in Tabithas Fall involvierten Profis – die Pflichtverteidigerin, der Staatsanwalt und seine Kollegin, der leitende Ermittlungsbeamte – die meiste Zeit derart dilettantisch oder schlichtweg doof, dass es unglaubwürdig wird. Auch wenn einige der Verhaltensweisen dramaturgisch erforderlich sind: Stellenweise wurde nach meinem persönlichen Geschmack die Plausibilität zu sehr auf dem Altar der Dramaturgie geopfert.

Und doch kann ich die Lektüre – bei einer reduzierten Erwartungshaltung – durchaus empfehlen, da die positiven Aspekte aus meiner Sicht überwiegen.

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