Heldin wider Erwarten
Catherine Morland ist jung und ziemlich durchschnittlich. Sie ist als älteste Tochter eines kinderreichen Landpfarrers aufgewachsen, der weder reich noch arm ist. In ihrer Gegend gibt es weder Landadel ...
Catherine Morland ist jung und ziemlich durchschnittlich. Sie ist als älteste Tochter eines kinderreichen Landpfarrers aufgewachsen, der weder reich noch arm ist. In ihrer Gegend gibt es weder Landadel noch sonstige Familien, mit denen sich ein gesellschaftlicher Umgang anbieten würde. Obwohl sie mittlerweile im gesellschaftsfähigen Alter ist, würde ihr Leben unbedeutend weiterlaufen, hätte sie nicht Mrs. Allen, die gutmütige und oberflächliche Gattin des größten Landbesitzers ihrer Heimatgemeinde, ausersehen, sie nach Bath zu begleiten. Catherine, die als Wildfang aufwuchs, ist mit den Gebräuchen der besseren Gesellschaft nicht sonderlich vertraut und leicht zu beeindrucken. Das zeigt sich auch in ihrer Vorliebe für die 1794 so modernen und beliebten Schauerromane. In jeder freien Minute verschlingt sie Udolpho, statt sich mit schicklichen oder lehrreichen Betrachtungen oder Lyrik zu beschäftigen. In Bath kennt ihre Gönnerin anscheinend niemanden und so ist Catherine hocherfreut, als der ebenfalls durchschnittlich ausschauende, aber sehr wohlerzogene Mr. Henry Tilney sie zum Tanz auffordert. Fortan romantisiert sie von ihm, doch er scheint Bath verlassen zu haben. Dafür trifft Mrs. Allen eine liebe Schulfreundin wieder, deren älteste Tochter Isabella, unverzüglich die junge Pfarrerstochter zu ihrer Busenfreundin ernennt. Wohl ahnt sie schon, daß deren Bruder und der ihrige enge Studienfreunde sind.
Dieser Gesellschaftsroman nimmt wie kaum ein anderer von Jane Austens Werken, die Gesellschaft, die Rolle junger Mädchen und den damaligen literarischen Geschmack aufs Korn. Diese Heldin hat eine überschäumende Fantasie und leider ist sie allzu leicht zu beeindruckend. Sie traut ihren Mitmenschen fast nur das Beste zu, auch wenn ihr Verhalten eigentlich das Gegenteil erkennen lässt. In ihrer Unbekümmertheit und Neugierde, war vor über zwanzig Jahren, dies mein Lieblingsroman, einer meiner Lieblingsautorinnen. Doch inzwischen, hat sich mein Geschmack etwas gewandelt. Jane Austens spitze Feder, die sich selbst den Erwartungen an die Rolle von Frauen in ihrer Zeit widersetzte, vermag mich noch immer zu amüsieren. Das große Unrecht, daß der armen Catherine jedoch widerfährt, die anscheinend kaum einer um ihrer selbst willen schätzt (ja, sie hat weder den Esprit von Emma, noch den scharfen Verstand von Eliza Bennett oder das milde Gemüt und treffsichere Urteilsvermögen einer Anne Elliot) stimmt mich etwas traurig. Auch wenn Mr. Henry Tilney und seine Schwester Eleanor sich über diese Schmähung empört zeigen, da sie nicht in Catherine Verhalten oder Wesen begründet sind, sondern einfach auf falschen Erwartungen fußen. Natürlich wandelt sich letztendlich alles zum Guten und die Heldin vertraut den wahren, statt den allzu überschwänglichen und doch wankelmütigen Freunden. Catherine hat ein gutes Herz, aber noch nicht wirklich gelernt, diesem recht zu vertrauen. Das macht sie aber irgendwie umso liebenswürdiger.
Fritzi Haberlandt, die selbst ebenfalls keine klassische Schönheit, aber alles andere als Durchschnitt ist, lässt mit ihrer ironisch, freundlichen Lesung Catherine vor dem geistigen Auge des Zuhörers erwachsen. Etwas spröde, sehr naiv, aber stets bemüht und freundlich, führt Fritzi Haberlandt beschwingt durch das gesellschaftliche Bath und seine Sitten und Gebräuche, um dann in das schaurig schöne und doch eigentlich ziemlich durchschnittliche Northanger Abbey zu entführen. Sie kitzelt mit ihrer Stimme aus diesem Klassiker Catherines Jugendlichkeit und Jane Austens Schmunzeleien über verbreitete Ansichten und Verhaltensweisen ihrer Zeit und ihres Standes hervor und verknüpft sie zu einem vergnüglich-geistreichen Hörerlebnis. Auch wenn es eine eigentlich konventionelle Aschenputtelgeschichte auf den ersten Blick zu sein scheint, macht es die Sprachgewandtheit von Jane Austen und der humorvoll, frische Schwung von Fritzi Haberlandt zu einer zeitlosen und doch kritischen Romanze mit Niveau.
Der Roman wurde sehr feinfühlig gekürzt und auch wenn dieses Hörbuch nur halb so lang dauert, wie die übrigen in ungekürzter Form: Northanger Abbey ist auch als Buch deutlich kürzer als ihre übrigen Werke... Der Geist und der Feinsinn, sowie die sprachliche Eleganz blieben erhalten, auch wenn mich gerade zu Beginn die Übersetzung bisweilen ein wenig die Stirn runzeln ließ. Einige Begrifflichkeiten wirkten auf mich angestaubter als die über 200 Jahre alte Vorlage. Schade, denn im Übrigen lässt diese Umsetzung nichts zu wünschen übrig. Aber, es ist die einzige Übersetzung des Werkes, die ich kenne, da ich die Buchvorlage mehrmals im Original gelesen habe. Dennoch ist es ein äußerst empfehlenswertes Hörbuch und auch zum Einstieg in die Welt des Landadels von Jane Austen geeignet.