Profilbild von hasirasi2

hasirasi2

Lesejury Star
offline

hasirasi2 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit hasirasi2 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.03.2019

Der Mörder mit dem Cowboy-Hut

Die Alpen sehen und sterben
1

Maria Konstanze Schlager – genannt Mitzi – macht in Kufstein Urlaub, als sie eines Nachts auf einer Brücke einen Mord beobachtet. Sie sieht den Täter, kann sich bei der Polizei aber nicht an sein Gesicht, ...

Maria Konstanze Schlager – genannt Mitzi – macht in Kufstein Urlaub, als sie eines Nachts auf einer Brücke einen Mord beobachtet. Sie sieht den Täter, kann sich bei der Polizei aber nicht an sein Gesicht, sondern nur an seinen Cowboyhut erinnern. Die Beamtin glaubt ihr nicht recht, zumal Mitzi ihre Beobachtung immer weiter ausschmückt: „Jetzt erzählen sie mir alles noch einmal. Halten sie sich am Geländer und an der Wahrheit fest.“ (S. 28)
Am nächsten Tag spricht sie ein Mann in einem Buchcafé an. Erst hinterher wird ihr klar, dass es wieder der Mörder war. Gegenüber der ermittelnden Inspektorin Agnes Kirschmüller deutet sie diese Begegnung zwar an, aber die versteht sie nicht. Für Agnes ist Mitzi eine unsichere junge Frau, die sich gern in Tagträume und Geschichten flüchtet. Agnes ist noch kein Jahr im Dienst und das ist ihr erster Mordfall, den ihr dann auch gleich das Tiroler LKA abnimmt. Trotzdem hält sie den Kontakt zu Mitzi ...

„Die Alpen sehen und sterben“ von Isabella Archan ist kein typischer kein „Whodunit“-Krimi, da man den Täter von Beginn an kennt. Eine weitere Besonderheit ist, dass sich der deutlich ältere Mörder und Mitzi zueinander hingezogen fühlen und eine ungesunde Symbiose bilden. Denn obwohl Mitzi Angst vor ihm hat, sucht sie immer wieder seine Nähe: „Ich hab soviel Angst, dass ich schon über die Stufe hinaus bin, bei der ich sie noch empfinden kann.“ (S. 167) Sie durchlebt ein Wechselbad der Gefühle, ist gleichzeitig ängstlich und fasziniert, fühlt sich abgestoßen und angezogen. „Ich erwarte jedes Mal ein Monster, begegne aber einem Menschen.“ (S. 192) Und auch er verfolgt sie, spricht sie immer wieder an – wohlwissend, dass er sich damit in Gefahr bringt.

Der Krimi ist sehr intelligent und extrem spannend. Nicht immer ist klar, wer gerade der Jäger ist und wer der Gejagte. Die Story wird abwechselnd aus der Sicht des Mörders, der Tatzeugin und der ermittelnden Beamten erzählt.
„ER“ ist ein sehr wandlungsfähiger Mann in den besten Jahren, den man sieht und gleich wieder vergisst. Aber er ist eben auch nur ein Mensch und hofft, noch bis zum nächsten runden Geburtstag durchzuhalten, bevor er sich zur Ruhe setzt. Ausgerechnet Mitzi, die sonst so ungeübt im Umgang mit anderen Menschen und im Knüpfen von Beziehungen ist, bringt diesen Plan und seine Tarnung gewaltig ins Wanken.
Neben Inspektorin Agnes ermittelt auch der vorübergehend dienstuntaugliche Kriminalhauptkommissar Heinz Baldur. Er leidet an einer dissoziativen Identitätsstörung und „lebt“ mit Luis zusammen, dem Geist des Autofahrers, der vor vielen Jahren Heinz’ Vater bei einem Unfall getötet hat. „Manchmal meine ich, dass ich weniger existiere als er.“ (S. 232) Zu Heinz aktiver Zeit gab es zwei ähnliche, bisher ungelöste Mordfälle in Frankfurt, später hat er weitere recherchiert und vermutet einen Auftragskiller dahinter. Seine Kollegen glaub(t)en ihm allerdings nicht.

Mein Fazit: Ein Mord, eine naive Zeugin, ein skurriler Mörder, der ihre Nähe sucht, eine junge Polizistin und ein KHK a.D. mit einer dissoziativen Identitätsstörung - das sind die Zutaten zum ungewöhnlichsten Krimi, den ich je gelesen habe! 5 Sterne und meine unbedingte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 11.03.2019

Bestechung im Amt?!

Sau am Brett
0

Berthold Fellinger, seines Zeichens Lebensmittelkontrolleur, will beim Kirchenwirt Ferdl Löffelmacher nach der Kontrolle nur kurz sein Feierabendbier trinken und fordert bei der Gelegenheit gleich mal ...

Berthold Fellinger, seines Zeichens Lebensmittelkontrolleur, will beim Kirchenwirt Ferdl Löffelmacher nach der Kontrolle nur kurz sein Feierabendbier trinken und fordert bei der Gelegenheit gleich mal seine Spielschulden vom letzten Schafkopfen ein. Da wird ein Gast während des Essens erst rot, dann grün im Gesicht und dann fällt sein Kopf auf den Teller. Tot. Vergiftet, wie Ärztin Franziska Höllmüllerin, Fellingers Jugendliebe, kurz darauf feststellt. Das Unheil nimmt seinen Lauf, als ein Gast sagt: „Der Herr Fellinger hat Geld vom Herrn Löffelmacher angenommen.“ (S. 33) Jetzt geht’s erst richtig los. Die KTU wird angefordert und die Restaurantküche auf links gedreht. Hat Fellinger etwa ein Auge zugedrückt oder wirklich was übersehen? Ihm droht die Suspendierung. Das kann er natürlich nicht auf sich sitzen lassen und stellt auf eigene Faust Ermittlungen an.

Wie schon in „Eiskalter Hund“ zieht auch dieser Fall weite Kreise. Der Tote stammte aus Hamburg und war nicht der harmlose Geschäftsmann, für den er sich ausgab. Doch auch dem Ferdl Löffelmacher und dessen Familie traut Fellinger nicht mehr, als man ihm mehr über die ungewöhnlichen Unfälle und Selbstmorde erzählt, die sich da ereignet haben. Der Ferdl selber meint ja, er sei nach dem Tod seines Bruders vor 20 Jahren verhext worden.

Auch Fellingers Privatleben ist in Aufruhr. Die neue Bedienung des Kirchenwirts bringt sein Blut in Wallung, seine Jugendliebe Franziska lässt sich endlich von ihm zum Abendessen einladen und seinen Eltern hat ein windiger Tourismusmanager eingeredet, dass sie unbedingt eine Ferienwohnung einbauen sollen. Die Gäste hätte er schon zur Hand. Es brennt also an allen Ecken und Enden. Fellinger weiß manchmal nicht, wo er anfangen soll, und wird das Gefühl nicht los, dass er irgendwas übersieht. Dazu kommt noch, dass in so einem kleinen Ort jeder sofort alles weiß: „Die Jahre meines Exils in dieser Ortschaft haben mich gelehrt, dass Geheimnisse hier die fragile Konsistenz von Seifenblasen haben. Sie platzen schneller, als einem lieb ist.“ (S. 42)

Beim ersten Fall war ich ja noch unsicher, wie ich den Fellinger finde, aber inzwischen mag ich ihn sehr. Er ist zwar ein etwas verschrobener Einzelgänger und steckt seine Nase gern in Dinge, die ihn nichts angehen, aber wenn er sich einmal an einer Sache festgebissen hat, gibt er nicht auf. Außerdem hat mit gefallen, wie er sich dieses Mal um seine Angebeteten und seine Eltern gekümmert hat, auch wenn er dabei manchmal etwas stoffelig ist.

Die Ermittlungen gestalten sich sehr rasant und verzwickt, da es immer mehr Verdächtige gibt und Fellinger mehrfach in Lebensgefahr gerät. Er traut dabei weder seinem Vorgesetzten noch dem Kommissar aus Passau und ist der Polizei immer eine Nasenlänge voraus.

Mein Fazit: Eine tolle Fortsetzung, die Lust auf weitere Bände macht. Sehr spannend, mit einem eigenwilligen Humor, schönen bayrischen (Schimpf)Wörtern und viel Lokalkolorit.

Veröffentlicht am 28.02.2019

Der schöne Schein

Großes Sommertheater
0

Familienoberhaupt Joseph lädt seine Familie für ein Wochenende an die Ostsee ein. Sie sollen sich endlich alle aussöhnen. Doch wo so viele Menschen und Generationen aufeinandertreffen, ist Krach quasi ...

Familienoberhaupt Joseph lädt seine Familie für ein Wochenende an die Ostsee ein. Sie sollen sich endlich alle aussöhnen. Doch wo so viele Menschen und Generationen aufeinandertreffen, ist Krach quasi vorprogrammiert. Zumal sie alle vom jüngsten Familienmitglied auf Trab gehalten werden. Rocco ist erst 4 aber: „...ein unerzogenes, verwöhntes und vor allem unberechenbares Ekel.“ (S. 22). Auch an diesem Wochenende beweist er, dass er seinem Ruf gerecht wird.

Dass Frank Goldammer Krimis schreiben kann, hat er schon bewiesen. Aber kann er auch einen Familienroman? Ja, er kann. Zwar ist „Großes Sommertheater“ ganz anders als erwartet, aber sehr unterhaltsam. Und so ganz kann er es dann doch nicht lassen – das Buch endet mit einem filmreichen Showdown inklusive großem Knall.

Dabei fängt alles so idyllisch an. Sommer an der Ostsee: „Es ist zu heiß, zu laut, zu eng, zu teuer, zu sandig, aber genau das ist es! Man möchte da sein. Man möchte immer wieder kommen. Man möchte gar nicht mehr weg.“ (S. 9)
Die Familie trudelt nach und nach in Josephs Villa ein. Ach was heißt Villa – Schloss trifft es eher. Hat er etwas das ganze zu erwartende Erbe dafür verprasst?!
Der erste Akt kann beginnen, die einzelnen Personen werden vorgestellt. Da wäre z.B. Erwin, der aalglatte korrupte Politiker, dem seine Bestechlichkeit gerade zum Verhängnis wird. Seine Tochter Regina ist die ständig überforderte Mutter des kleinen Teufels Rocco. Womit Erwins Habbruder Harald sein Geld verdient, weiß keiner so genau, aber es scheint nicht auf legalem Weg zu passieren. Noch schlimmer ist nur Uwe, Hartz-IV-Empfänger: „Lieber setzt er seine Ausdauer und seinen Ehrgeiz dafür ein, keine Ausdauer und keinen Ehrgeiz haben zu müssen.“ (S. 90) Die anderen sind geschockt - der abgewrackte Typ hat eine echte Traumfrau dabei. Und dann ist da noch Agnes, Josephs Pflegerin, die sich wie die Hausherrin aufspielt. Welche Rolle wurde ihr zugedacht? „Etwas liegt in der Luft. Jeder spürt, dass dieses Wochenende ganz anders werden würde als gedacht.“ (S. 66)
Insgesamt kommen mehr als 30 Personen vor, aber man behält den Überblick. Sehr gut gefallen hat mir, dass sie alle ihre Eigenarten haben und direkt aus dem Leben gegriffen sind. Auch die eine oder andere Situation habe ich so ähnlich schon bei diversen Familienfesten erlebt. Aber Frank Goldammer lässt uns auch hinter die Masken seiner Protagonisten schauen. Denn kaum einer ist, was er zu sein scheint.

In Rückblicken erfährt man zudem Josephs Vergangenheit. Seine Geschichte ist auch die Geschichte Deutschlands. 1923 geboren, erlebt er den 2. WK, die Teilung und die Wiedervereinigung. Und fast immer schwimmt er oben auf. Diese Kapitel erinnerten mich an die Max-Heller-Reihe, ich hätte mich nicht gewundert, wenn Heller hier einen Gastauftritt gehabt hätte. Stattdessen hat sich der Autor selbst ins Buch geschrieben, etwas versteckt, aber man erkennt ihn – na, neugierig geworden?!

Ohne zu viel zu verraten: So ganz ohne Krimi geht es dann doch nicht. Mit einem Augenzwinkern lässt er alle in die große Katastrophe schliddern. Wenn ich das Buch einordnen müsst, würde ich es wohl als dramatische Komödie bezeichnen – sehr lustig und vor allem zum Ende hin immer spannender.

Veröffentlicht am 25.02.2019

Endstation Hoffnung

Was uns erinnern lässt
0

73 Jahre hat Familie Dressel im Hotel Waldeshöh im Dressels Forst gewohnt. Das kleine Hotel mitten im Wald in der Nähe des Rennsteiges beherbergte zuerst gutbetuchte Kurgäste und bot im 2. WK Frankfurter ...

73 Jahre hat Familie Dressel im Hotel Waldeshöh im Dressels Forst gewohnt. Das kleine Hotel mitten im Wald in der Nähe des Rennsteiges beherbergte zuerst gutbetuchte Kurgäste und bot im 2. WK Frankfurter Schülern einen sicheren Unterschlupf. Nach 1945 durften nur noch die Dressels dort wohnen. Das Haus lag jetzt in einer militärischen Sperrzone. Aber jede Woche putzten die Frauen der Familie die Gästezimmer in der Hoffnung, dass bald wieder Wanderer oder FDGB-Urlauber zu ihnen kommen. 32 Jahre lang. Bis 1977.

Als Milla 2017 auf dem Gebiet der ehemaligen innerdeutschen Grenze auf der Suche nach einem Lost Place (verlassenen Ort) eine unter Schutt begrabene Falltür entdeckt, kann sie nicht widerstehen und öffnet diese. Sie ist überrascht, als sie einen komplett eingerichteten Keller entdeckt und den Hinweis, dass er früher zum Hotel Waldeshöh gehörte. Sie findet u.a. Schulhefte von Andreas und Christine Dressel, die letzten sind auf 1977 datiert. Was ist damals passiert? Milla ist von dieser Frage und dem verwunschen wirkenden Ort so fasziniert, dass sie Christine ausfindig macht und von ihrem Fund erzählt. Aber Christine will den Ort nicht sehen: „Ich kann dort nicht mehr hin. Es ist noch in meinem Kopf, so wie es davor war. Und das will ich nicht ändern.“ (S. 85)

Abwechselnd erzählt Kati Naumann die Geschichte der Dressels von 1945 bis 1977 und Millas Bestreben, ihnen nachträglich zu Gerechtigkeit zu verhelfen. Denn diese versuchen seit der Wende erfolglos, Dressels Forst zurückzubekommen. Obwohl Milla und Christine sehr verschieden sind – immerhin trennt sie eine ganze Generation und eine unterschiedliche Vergangenheit – verstehen sie sich gut.
Milla fühlt sich verloren, seit der Vater ihres Sohnes sie verließ. Damals fing sie an, Lost Places zu suchen. An ihnen fühlt sie, dass sie nicht die Einzige ist, die verlassen wurde. Außerdem sie trennt sie sich seither regelmäßig von Dingen, die sie nicht mehr braucht – auch von unliebsamen Erinnerungen.
Christine hingegen hat ein ganzes Zimmer voller Unterlagen der Familie, die bis 1904 zurückreichen. Ein Zimmer voller Andenken. „Ich glaub, ich könnte mit all diesen Erinnerungen nicht leben.“ „Und ich vermutlich nicht ohne sie.“ (S. 227)
Durch das gemeinsame Aufarbeiten der Familiengeschichte ändert sich ihre jeweilige Sicht auf das Leben und bringt ein lang gehütetes Geheimnis ans Licht.

Da ich selber in der DDR aufgewachsen bin, war ich sehr neugierig auf das Buch. Mir war bis jetzt nicht wirklich bewusst, dass die innerdeutsche Grenze am Rennsteig verlief und jahrzehntelang ein recht großer Teil militärisches Sperrgebiet war.

Von Beginn an entwickelt das Buch einen unglaublichen Sog. Kati Naumann schreibt sehr komplex und verwendet eine dichte Erzählsprache.
Ich war fasziniert von der Familiengeschichte, wie die Dressels all die Jahre allein da oben im Wald ausharren und hoffen, obwohl sie immer größeren Repressalien ausgesetzt werden. Am Anfang dürfen sie noch Besuch von Freunden bekommen, bald brauchen sie selbst einen Passierschein, um das Gelände zu betreten oder zu verlassen. Ihnen wird das Telefon abgestellt, der Krankenwagen darf nicht mehr zu ihnen hochfahren, die Post müssen sie sich 8 km entfernt im nächsten Ort abholen. Sie stehen unter der dauernden Beobachtung der Grenzsoldaten. Auf ihren jahrzehntealten Wegen werden Stolperdrähte gespannt, damit sie nur den Hauptweg benutzen. Sie hören nachts immer wieder Schüsse, hochgehende Mienen, Schreie – und wissen nie, ob es ein Reh erwischt hat oder einen Republikflüchtling. „Du kannst Niemanden halten, der nicht bleiben will. Nicht mit Liebe und auch nicht mit Stacheldraht und Tretminen.“ (S. 343)
Ich glaube nicht, dass ich das ausgehalten hätte.
Aber sie lieben ihren Wald. Dressels Forst ist ihre Heimat, ihre Wurzel. Sie leben sehr naturverbunden, halten zusammen und hoffen, dass sie das Waldeshöh wieder als Hotel betreiben können. Um diese Hoffnung und den Zusammenhalt habe ich sie beneidet.

Das Buch ist sehr emotional und aufwühlend. Ich hatte beim Lesen immer wieder Beklemmungsgefühle und musste es kurz aus der Hand legen, über das Gelesene nachdenken. Ich weiß nicht, ob ich so hätte leben können oder wollen. Allein im Wald, und doch gefangen, nur an einer Stelle ein Schlagbaum als Tor zum Rest der Republik.
Ihre Devise hieß: Nur nicht auffallen. Und trotzdem kam immer wieder die Angst hoch, dass man ihnen diese Heimat doch noch wegnimmt.
Ich habe mich beim Lesen an vieles erinnert, was ich zum Teil ganz hinten im Gedächtnis vergraben hatte – wie man sich verhalten musste, was man wem sagen durfte und was nicht, welche Kleidung in der Schule verboten war und welche ausdrücklich erwünscht. Nur die Westpäckchen kenne ich leider nicht aus eigener Erfahrung.

Sehr gefallen hat mir Kati Naumanns poetische Sprache. Einer meiner Lieblingssätze ist: „Sie schob ihre Füße unter das Laub, als wären es Wurzeln, und blieb für einige Zeit unbeweglich, wie einer der Bäume.“ (S. 13)

„Was uns erinnern lässt“ ist eines der Bücher, das noch lange in mir nachhallen wird. Eine sehr emotionale und poetische Geschichte über ein wichtiges Stück verdrängte DDR-Geschichte. #gegendasvergessen

Veröffentlicht am 22.02.2019

Einmal Ehebrecher, immer Ehebrecher

Das Heinrich-Problem
1

„Alberta, in den letzten 10 Jahren war unsere Beziehung, unser … Bündnis, wie ein Paar alter Pantoffeln. Bequem meinetwegen, aber ausgetreten und abgenutzt.“ (S. 10) Berti fällt aus allen Wolken, als ihr ...

„Alberta, in den letzten 10 Jahren war unsere Beziehung, unser … Bündnis, wie ein Paar alter Pantoffeln. Bequem meinetwegen, aber ausgetreten und abgenutzt.“ (S. 10) Berti fällt aus allen Wolken, als ihr Mann Heinrich ihr mit diesen Worten das Ende ihrer Ehe mitteilt.
Berti ist Coach für Lebens- und Beziehungsfragen und hat schon einigen Frauen (und Männern) geholfen, ihrem Leben eine Wendung oder neuen Sinn zu geben. Aber dass sie selbst auch mal vor diesem Problem stehen würde, hätte sie nie gedacht. Berti vermutet natürlich, dass Heinrich längst eine neue, jüngere, Frau gefunden hat. Er ist nicht der Typ, der allein lebt. Dazu lässt er sich viel zu gern umsorgen und bekochen.
Kurz darauf lernt Berti sie auch schon kennen – die Neue. Und stellt fest, dass sie nicht die Einzige ist, die Heinrich all die Jahre betrogen hat. Ganz im Gegenteil. Seine Sekretärin Martha könnte Geschichten erzählen ... „Wieviel Wahrheit können sie denn vertragen?“ (S.77) Aber will Berti wirklich alles wissen? Ist sie schon bereit dafür? Ja! Sie beginnt sich Verbündete im Kampf gegen Heinrich zu suchen und einen totsicheren Plan auszuarbeiten. Nein, sie will ihn nicht umbringen, nur mit seinen eigenen Waffen schlagen und an seiner empfindlichsten Stelle treffen ... „Es ist immer gut, seinen Gegner zu kennen.“ (S. 22)

Heinrich ist ein Mann, den man so richtig schön hassen kann. Ein Mann in den besten Jahren, Anwalt, mit allen Wassern gewaschen, der seine Frau jetzt über den Tisch ziehen will und sich für sehr schlau hält. 20 Jahre lang drehte sich alles nur um ihn. Berti hielt ihm den Rücken frei und die Wohnung sauber, das Essen stand stets pünktlich auf dem Tisch. Um Geldangelegenheiten hat sie sich nie kümmern müssen. Leider wollte er leider keine Kinder mehr – Juliane, seine Tochter aus erster Ehe, war störend genug in ihrer Zweisamkeit, fand Heinrich.
Und Berti war zufrieden. Ihre Coaching-Tätigkeit war mehr ein Art bezahltes Hobby, die Einnahmen deckten gerade mal die Miete für die Praxis. Nach Heinrichs Eröffnung kommt das böse Erwachen. Erst glaubt sie an einen blöden Scherz, dann daran, dass er es sich noch mal überlegt – und kurzzeitig sieht es auch wirklich so aus. Aber nicht mit ihr! Berti wächst über sich hinaus und hält sich endlich mal an die Ratschläge, die sie sonst ihren Kund(in)en gibt: „Wenn sie nichts tun, haben sie bereits verloren.“ (S. 142)

Ich habe mich selten so über die Rache einer betrogenen Ehefrau an ihrem Mann amüsiert, wie bei diesem Buch. Alexandra Holenstein schreibt sehr erfrischend, rasant, und mit einer ordentlichen Portion Situationskomik.
Alle Protagonisten (über die ich hier nicht zu viel verraten möchte) sind sehr treffend ausgearbeitet. Meine Lieblingsnebendarstellerin ist dabei Bertis Dauerkundin Rosa. Am meisten gewundert habe ich mich über Heinrichs Tochter Juliane, die sehr lange gebraucht hat, um hinter dessen Fassade zu schauen. Dafür hätte ich sie mehrfach gern mal ordentlich durchgeschüttelt.
„Das Heinrich-Problem“ ist von Beginn an tolles Kopfkino und ich kann es mir sehr gut verfilmt vorstellen.