Wenn Götter sich langweilen, müssen Menschen es ausbaden
Hippolyta, genannt Pippa, ist ein Findelkind, dessen Körbchen einst neben einer Quelle gefunden wurde. Sie besaß nichts, bis auf eine goldene Münze mit einem geflügelten Pferd darauf. Als sie aufwächst, ...
Hippolyta, genannt Pippa, ist ein Findelkind, dessen Körbchen einst neben einer Quelle gefunden wurde. Sie besaß nichts, bis auf eine goldene Münze mit einem geflügelten Pferd darauf. Als sie aufwächst, stellt sich ihre besondere Gabe im Umgang mit Tieren im Allgemeinen und Pferden im Besonderen heraus. Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt in einem prächtigen Stall in Athen. Als der jähzornige Stallmeister sie vom Hof jagt, schläft sie erschöpft unter einem Rosenbusch ein und erwacht in den Stallungen der Götter!
Um sich die Zeit zu vertreiben veranstalten die Götter alle 100 Jahre ein Rennen mit ihren geflügelten Rossen. Es wird gewettet und Ränke geschmiedet. Jeder Gott sucht sich einen Reiter und ein Tier aus und natürlich versuchen sie alles, um ihren Schützling zum Sieg zu verhelfen. Wer gewinnt, wird als Halbgott unsterblich und darf für immer im Olymp bleiben. Pippa erhält ein geflügeltes Pony namens Zephyr, das ihr schon so bald so sehr ans Herz wächst, dass sie alles unternimmt, um das Rennen zu gewinnen.
Anfangs war ich etwas besorgt, daß eine Geschichte, die sich ja eigentlich nur um ein Pferderennen dreht, bei zwei Familienmitgliedern nicht gut ankäme, aber die Sorge war unberechtigt, denn es ist nicht einfach ein geflügeltes Pferderennen. Im Rahmen der Geschichte lernt man nicht nur alle Götter des Olymps und ihre Reiter und ihre geflügelten Pferde kennen, man erhält auch wunderbar Einblick in das antike Familienleben, die Unterschiede zwischen Arm und Reich, die Schicksalsgöttinnen, Halbgötter, wie man zu solchen wird, wie die Sternbilder an den Himmel gelangten (nach griechischer Mythologie) und einfach in das antike griechische Weltbild. Kallie George versteht es geschickt diese Elemente miteinander zu verbinden.
Meine Älteste liebt Sagen und Götter, aber sie mag nicht unbedingt Peter Kaempfe und schon gar keine Geschichten mit Pferden. Wir 4 haben dieses Hörbuch gemeinsam im Auto auf der Rückfahrt von der Leipziger Buchmesse gehört, leider war die Strecke dann doch nicht lang genug und es war klar, Eltern und Kinder wollten nun unbedingt wissen wie es weiter geht. Anfangs murrte meine Älteste noch, daß sie sich eine junge weibliche Sprecherin für Pippa vorgestellt hätte und ich gab ihr insgeheim recht. Aber wieso erwarten wir bei Geschichten mit Pferden und Mädchen immer junge weibliche Stimmen? Peter Kaempfe ist in Deutschland DIE Stimme für Helden- und Göttersagen. Für die donnernden Götter und mächtigen Stallmeister hat er definitiv die nötige polternde Power. Mein Mann meinte: der Sprecher ist aber toll, der ist ja richtig wandlungsfähig und unglaublich ausdrucksstark. Da musste ich ihm recht geben, denn auch die Moiren und die weiblichen Rollen spricht er wirklich überzeugend. Wir waren alle vier absolut überzeugt von der Wahl des Sprechers. Der Sprecher hat aber noch einen weiteren Vorteil: Jungs mögen Göttersagen, aber Pferde und eine weibliche Hauptperson? Durch die tiefe männliche Stimme, schafft Peter Kaempfe es auch Jungen zu fesseln und zu vergessen, daß es eigentlich eine Geschichte aus Mädchensicht ist. Aber so ganz stimmt es ja nicht. Die zwei Mädchen unter den Rennreitern sind die absolute Minderheit und so spielen eigentlich mehr Jungs als Mädchen mit. Beide Lager haben so ihre Vorurteile einander gegenüber, wie eben auch heute noch bei der Zielgruppe ab 10 Jahren.
Die Namen der Götter, ihrer Reiter und ihrer geflügelten Pferde sind nicht ganz so einfach, aber das macht nichts, die stehen im Booklet und können daher beim Hören immer wieder nachgeschlagen werden. Das war extrem hilfreich, denn Gott und Reiter passen irgendwie zusammen, aber wer gehörte noch mal zu wem? So gibt es dank des Booklets kein Vertun. Dort steht übrigens auch die Geschichte des ersten geflügelten Pferdes Pegasus zusammen gefasst.
Den Eindruck einer griechischen Sage verstärkt Kallie George, die auch in ihrer Heimat Vancouver Kanada kreatives Schrieben lehrt, indem sie wie in griechischen Tragödien die Geschichte mit einem Prolog in Form einer Wette unter Göttern beginnt. Der Kreis schließt sich dann, wie eine Rahmenhandlung im Epilog. Auch wenn ich es derzeit ziemlich nervig finde, daß fast jeder Krimi mit einem Prolog beginnt, finde ich es hier absolut passend und angebracht. Ich empfinde es wirklich als tollen dramaturgischen Kunstgriff der Autorin, der mit dafür sorgt, daß diese Geschichte viel mehr ist, als „nur ein Pferderennen“ und Jungen und Mädchen gleichermaßen fesseln kann, Mütter und Väter inklusive. Anders als in der griechischen Tragödie fällt dieser Epilog für die Zielgruppe ab 10 Jahren absolut zufriedenstellend aus! Sowohl unsere Sagenfan-Tochter als auch die Pferdefan-Tochter waren gebannt.
Da die Götter nicht immer nett sind, ist die Altersempfehlung ab 10 Jahren absolut angemessen, es ist ja auch eine wirklich komplexe Handlung. Absolut überzeugend und empfehlenswert.