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Veröffentlicht am 25.02.2019

Lügen

Lügenmeer
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Nach vielen Jahren kehrt Magnus in sein norddeutsches Heimatstädtchen Schwanbeck zurück. Er ist nicht freiwillig gegangen, genau vor 19 Jahren ist endete eine Geburtstagsparty im Desaster. Die Clique hat ...

Nach vielen Jahren kehrt Magnus in sein norddeutsches Heimatstädtchen Schwanbeck zurück. Er ist nicht freiwillig gegangen, genau vor 19 Jahren ist endete eine Geburtstagsparty im Desaster. Die Clique hat gefeiert, getrunken und man ist zum Schluss ins nächtliche Freibad eingedrungen. Dort stürzt Milla vom Sprungturm und starb. Besonders die Anschuldigungen von Enno wiegen schwer, auch wenn Magnus letztendlich freigesprochen wurde, seine Verurteilung stand längst fest. Seine Eltern wenden sich ab, sein Ausbildungsbetrieb kündigt ihm, ihm bleibt nichts als seine Heimat zu verlassen.
Nun also ist er wieder da und immer noch schlägt ihm die Abneigung entgegen, aber nun will Magnus sich wehren, er will wissen, was damals wirklich geschah und bringt damit eine Kette von Ereignissen ins Rollen. Die Atmosphäre ist sehr schön eingefangen, über dem malerischen sonnigen Schwanbek liegt eine düstere unheilschwangere Stimmung, gleich von Anfang an weiß ich, hier werden dramatische Ereignisse ans Licht kommen.
Der Roman ist toll aufgebaut, er springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit und dadurch lerne ich die Protagonisten in ihrer Entwicklung sehr genau kennen. Ganz besonders interessant ist dabei Svenia, Millas Freundin und damit auch unzertrennlich mit Magnus. Aber grade sie hat Enno geheiratet, der mit seinen Anschuldigungen Magnus stigmatisierte. Fast alle von damals sind noch im Ort geblieben und auf den ersten Blick scheint das Leben seinen normalen Gang zu gehen, Annik arbeitet in der Buchhandlung ihrer Tante, die ihm damals das Leben so schwer machte und sie scheint die Einzige zu sein, die zu ihm hält. Alle anderen, seine Eltern eingeschlossen, wollen nicht an die Vergangenheit erinnert werden, im Gegenteil, Magnus‘ Auftauchen ist ihnen ein Dorn im Auge.
Wie die Autorin die feine Risse in der Fassade ihrer Figuren sichtbar macht und sie allmählich immer deutlicher zu Tage treten, wie sie Handlungen plötzlich in ganz neuem Licht erscheinen lässt und dass alles nur mit einigen wenigen Sätzen, ist ganz große Klasse. Damit wird das Buch zum echten Pageturner und man kann es wirklich nur schwer aus der Hand legen. Es ist fesselnd geschrieben und besonders die dichte und psychologische tiefe Zeichnung der Figuren haben mich fasziniert. Ich kann mir von allen ein Bild machen, sie sind richtig lebensecht.
„Lügenmeer“ kommt anfangs leise daher, aber das Buch lässt den Leser nicht mehr los.

Veröffentlicht am 21.02.2019

Empfehlenswerter Krimi

Gieriger Zorn
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Nach „Stumme Wut“ ermittelt DCI Matilda Clarke nun in ihrem zweiten Fall. Ein aufmerksamer Bewohner hat einen Mord gemeldet. Im Wagen saß ein Paar, er wurde brutal misshandelt und erschossen, die Frau ...

Nach „Stumme Wut“ ermittelt DCI Matilda Clarke nun in ihrem zweiten Fall. Ein aufmerksamer Bewohner hat einen Mord gemeldet. Im Wagen saß ein Paar, er wurde brutal misshandelt und erschossen, die Frau hat ihre Vergewaltigung und einen Bauchschuss nur knapp überlebt. Pikant wird die Situation als sich herausstellt, dass beide verheiratet waren, aber nicht miteinander. Der Fall ist rätselhaft, es gibt keine verwertbaren Spuren und Clarke steht unter besonderem Druck.
Die Presse hat einen alten Fall wieder aufgegriffen, der sich jährt. Ein Achtjähriger wurde entführt, die Geldübergabe ging schief, der Entführer hat sie nie wieder gemeldet und von dem Jungen fehlt seither jede Spur. Dieses Versagen wurde DCI Clarke angelastet, die damals durch den Tod ihres Mannes schon an ihre psychischen Grenzen kam. All das wühlt die Presse in diffamierender Weise wieder auf. Außerdem soll aus Budgetgründen das Morddezernat aufgelöst werden, wenn Clarke nicht rasche Erfolge liefern kann. Keine guten Voraussetzungen für Ermittlungen.
Der Kriminalfall ist äußerst raffiniert ausgedacht und hielt mich von Anfang an gefangen. Schnelle Szenen- und Perspektivwechsel geben das Tempo vor, aber Michael Wood gibt nie die Fäden aus der Hand. Jede Szene, jeder Dreh ist logisch und ergeben zum Ende hin ein schlüssiges Ganzes. Aber das ist so gut gemacht, dass ich bis zu den letzten Kapiteln den Plot nicht auflösen konnte. Die Spannung, schon von Beginn an sehr hoch, steigerte sich im Lauf des Geschehens weiter. Das ist wirklich ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.
Die Polizeiarbeit war sehr realistisch beschrieben und sehr gut fand ich auch die Charakterisierung des Teams. Für seine Figuren hat sich der Autor Zeit genommen, sie wirken absolut echt. Ich hatte zu jeder Zeit eine ganz genaue Vorstellung Personen und Umgebung, es spulte sich in meinem Kopf ein richtiger Film beim Lesen ab.
Die Hauptfigur, Matilda Clare, ist kein einfacher Mensch, sie wirkt spröde, kämpft mit ihren Dämonen und hat erst seit kurzem ihr Alkoholproblem in den Griff bekommen. Trotzdem ist sie eine sympathische Person, die nicht aufgibt und auch ihr Team hinter sich weiß.
Schon das erste Buch von Michael Wood hat mir gefallen, „Gieriger Zorn“ hat alle meine Erwartungen erfüllt und ich warte ungeduldig auf weitere Übersetzungen.

Veröffentlicht am 04.02.2019

Abschluss der Holt Trilogie

Abendrot
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Holt, eine Kleinstadt in Colorado in den fünfziger Jahren, das ist der Mittelpunkt in Kent Harufs Trilogie. Eine Stadt, unbedeutend und ein wenig langweilig, mit Schicksalen, wie sie wohl so ähnlich überall ...

Holt, eine Kleinstadt in Colorado in den fünfziger Jahren, das ist der Mittelpunkt in Kent Harufs Trilogie. Eine Stadt, unbedeutend und ein wenig langweilig, mit Schicksalen, wie sie wohl so ähnlich überall in den USA spielen können. Zwei alternde Rancher, im Lauf der Jahre fast symbiotische geworden, haben einen Sinn in ihrem Leben gefunden, als sie vor einiger Zeit ein schwangeres junges Mädchen aufgenommen haben. Ohne viele Worte haben sie ihr und ihrem Kind ein Heim gegeben und nun entlassen sie es in die Welt, in ein College, aber sie hat Wurzeln geschlagen und ein Zuhause gefunden.
Luther und Betty lieben ihre Kinder, aber ihre Fähigkeiten sind eingeschränkt. Sie leben am Rand der Gesellschaft in einem Trailer und von einem Sozialhilfescheck zum nächsten, aber sie kämpfen um ihre Würde.
Ein 11jähriger lebt allein bei seinem Großvater und hat unbemerkt von den Nachbarn die Sorge um den alten Mann und den Haushalt übernommen. Unbeschwertes Kindsein darf er nicht erleben.
Das sind nur einige Figuren, die Holt über seine 3 Bücher begleitet. Er macht nicht viele Worte um sie, aber seine Beschreibungen sind prägnant, lassen sie beim Lesen lebendig werden. Wie überhaupt seine Sprache klar ist, man könnte sie für simpel halten, wäre das nicht die Kunst der großen Schriftsteller. Eine Atmosphäre zu schaffen, die sich einprägt, gelingt ihm mit wenigen Sätzen. Oft entscheiden nur Kleinigkeiten über das Geschick seiner Figuren, aber immer lässt er ein Stück Hoffnung durchschimmern, dass sich die Veränderung vielleicht doch zum Guten wendet. Das klingt melancholisch, aber in seinen Geschichten steckt Lebensweisheit und eine große Liebe zu den Menschen, die er portraitiert. Damit hat mich Haruf mitgenommen und begeistert.

Veröffentlicht am 01.02.2019

Drama auf Rosenbrunn

Schund und Sühne
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Als Nachrückerin eines Literaturstipendiums trifft Kat auf Schloss Rosenbrunn ein. Zwar hat sie eine riesige Veröffentlichungsliste, aber als Literatur hätte sie ihr Werk nicht bezeichnet. Schließlich ...

Als Nachrückerin eines Literaturstipendiums trifft Kat auf Schloss Rosenbrunn ein. Zwar hat sie eine riesige Veröffentlichungsliste, aber als Literatur hätte sie ihr Werk nicht bezeichnet. Schließlich schreibt sie sogenannte „Groschenhefte“ aus der Welt des Hochadels.
Nun steht sie also in der Halle mit Fürstin Follie und deren unverheirateter, etwas unkonventioneller Schwester Gratzie und lässt sich in die Feinheiten des Lebens der „Geborenen“ einweisen. Die Familie wird vervollständigt vom Patriarchen, dem poltrig-harmlosen Fredi und den Kinder Seph und Valu. Seph hat nur ein Ziel, eine tolle Heirat, aber trotz 30 gefangener Brautsträuße hat sich noch nichts ergeben. Und nun hat ihr Favorit aus dem englischen Hochadel auch noch so eine dahergelaufene Hollywood Schauspielerin gewählt. Sie ist verzweifelt. Bei Valu sieht es ähnlich aus, Kat merkt auf den ersten Blick, dass er dem eigenen Geschlecht zugeneigt ist, aber er den dynastischen Zwängen unterliegt.

Ja – soweit ist das genau das Thema der Fürstenromane, aber die Autorin gibt sich damit nicht zufrieden. Mit ganz viel Wortwitz, einem treffenden, auch mal sarkastischem Humor nimmt sie die Klischees auseinander. Ich habe mich selten so gut amüsiert und musste mehrfach hellauf lachen. Vorurteile auf beiden Seiten werden aufs Korn genommen und es gab viele wunderbare Szenen.
Zum Beispiel, wenn Gratzie ein älteres Abendkleid für den Ball mit der Heißklebepistole und Strasssteinen aufhübscht , oder dem millionenschweren Diadem der Fürstin ein kleines Rehgeweih auf einem Haarreif entgegensetzt. Während beim Heftroman die Realität meist außen vor bleibt, darf hier die sonst so zartbesaitete Seph bei der Jagd waidmännisch das Rotwild aufbrechen und statt dem keuschen Kuss im Groschenroman wird es hier auch mal expliziter. Auch das Happy End verzichtet auf den üblichen Weg in den Sonnenuntergang, es endet eher bittersüß.

Ich habe den unterhaltsamen Roman als eine liebevolle Hommage an dieses Genre gelesen, ironisch überspitzt und persifliert. Die Autorin hat ein tolles Erzähltempo und setzt Wortwitz und Gags gekonnt in Szene. Auch der Titel „Schund und Sühne passt genial. Mir hat der Roman ausgesprochen viel Spaß gemacht.

  • Einzelne Kategorien
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  • Idee
  • Geschichte
  • Figuren
Veröffentlicht am 21.01.2019

Tage der Abrechnung

Die Farben des Feuers
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Am Tag der Beisetzung des Bankiers Marcel Péricourt, stürzt oder springt der Enkel aus dem Fenster und bleibt schwerverletzt auf dem Katafalk liegen. Madeleine Pericourt verliert sich in ihrer maßlosen ...

Am Tag der Beisetzung des Bankiers Marcel Péricourt, stürzt oder springt der Enkel aus dem Fenster und bleibt schwerverletzt auf dem Katafalk liegen. Madeleine Pericourt verliert sich in ihrer maßlosen Trauer und in ihrer Sorge um den nach dem Sturz gelähmten Sohn Paul. So steht sie zwar formell an der Spitze des Bankhauses, aber der Prokurist der Bank Gustave Joubert lenkt die Geschäfte. Umgeben ist Madeleine vom raffgierigen Onkel Charles und vom Hauslehrer André Delcourt, der auch ihr Liebhaber ist. Erst spät, zu spät begreift Madeleine, dass keiner ihrer Vertrauten ihr Wohlwollen im Auge haben. Joubert will Rache für die Kränkung, dass er mit einem Almosen im Testament des alten Péricourt abgespeist wurde.
Doch als Madeleine alles verloren hat, erwacht in ihr die Kraft ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Die politischen Wirren, die Wirtschaftskrise und die Vorboten des Zweiten Weltkriegs spielen ihr in die Hände und sie beginnt die Schuldscheine für den Verrat einzufordern.
Pierre Lemaitre findet einen leichten, oft sogar ironischen Ton um seine Figuren zu portraitieren. Der Roman entwickelt fast die Dynamik einer Kriminalgeschichte, wenn Madeleine Zug für Zug ihren Rachefeldzug umsetzt. Die farbige Darstellung der Gesellschaftsschichten und deren Umwälzungen im Vorkriegsfrankreich ist prägnant und gelungen. Der Roman entwickelt einen Sog, dem ich mich als Leserin nicht entziehen konnte. Besonders gelungen fand ich die Frauen der Geschichte, nicht nur Madeleine, sondern auch Kindermädchen Léonce und Pflegerin Vladi sind großartig portraitiert und stehen für ihre jeweilige Gesellschaftsschicht. Es ist ein groß angelegter Sitten- und Gesellschaftsroman, in den Lemaitre Madeleines Abrechnung einbettet. Dabei gefiel mir ganz besonders die Raffinesse der einzelnen Handlungsstränge, die auch mit Kritik an der damaligen Gesellschaft nicht spart. Ob nun es die Arroganz des Großbürgertums oder die Eitelkeit der Politiker oder die Geltungssucht der Presse ist. Madeleine hat viel verloren, aber ihre Freiheit hat sie sich zurück erobert.
Ein wunderbarer Roman, dessen brillante Sprache mich nachhaltig beeindruckt hat.