Dieses Buch entdeckte ich auf der Verlagsseite des Atlantik Verlages. Das Cover sprach mich an, die Kurzbeschreibung lockte mich mit einem verheißungsvollen Fall in London, wie hätte ich da "Nein" sagen können? Eben. Kurz um, ich konnte nicht wieder stehen und bereute es auf jeden Fall nicht.
Als Sherlock Holmes-Fan, kam ich in diesem Buch voll und ganz auf meine Kosten. Das London um 1882 wurde hervorragend dargestellt und der Fall selbst entpuppte sich als echte Wuntertüte, der für die ein oder andere Überraschung gut war. Und auch wenn ihr auf Grund des Settings und des mysteriösen Falls einen zweiten Sherlock erwartet, so rate ich euch gleich vorab, den berühmten Detektiv nicht mit unserem Hauptcharakter Sidney Grice zu vergleichen oder zu hoffen das er eben so handelt. Wer dies kann, wird den kleinen Witz, welchen sich der Autor mit den Figuren von Watson oder Arthur Conan Doyle machte, verstehen und kann dabei ordentlich grinsen.
Ohne lange aufgehalten zu werden, erfahren wir sofort, was, wo passiert war und bekommen zwar blutige Einzelheiten zu lesen, die aber weit ab von jedem Splatterroman fielen. Mit der Auflösung tat ich mich allerdings etwas schwer, da die vielen Verstrickungen und die damit verbundenen Charaktere erst nach einer erneuten Lesung sich richtig zusammen fügen wollten.
Die 71. Kapitel hören sich erstmal viel an, lasen sich aber durchweg sehr gut. Es machte Spaß in jedes Kapitel zukommen, da diese auch mal Tage ausließen und man sehr übersichtlich darüber informiert wurde, was bis dahin geschah. Danach erlebte man die Geschichte meist eins zu eins mit den Charakteren.
Spannung, unterhaltende Szenen und ein tolles Charakterdesign, sorgten dafür das mir nie langweilig wurde oder ich auch nur daran dachte das Buch weg zu legen.
Hier heißt es für mich "Lady´s First", denn obwohl der eigentliche Hauptcharakter Sidney Grice ist, erleben wir seine Geschichte aus der Sicht von March Middleton, welche nach dem Tod ihrer Familie zu ihrem Patenonkel kommt. Und hier merkte man auch schon den Unterschied, denn die liebe March wuchs im ländlichen Gebiet auf und lernte es freundlich zu anderen zu sein. Das diese ihr in der Metropole London nicht gerade dienlich ist, muss sie schweren Herzens bald erfahren. Ansonsten ist March ein guter Mix, da sie sehr clever wirkt, aber eben auch ein klein wenig naiv ist. Man fühlt sich mit ihr wohl und begleitet sie gerne durch die Geschichte.
Wer das Buch nicht zum Ende liest, wird Sidney Grice für einen unsympathischen, geldsüchtigen und eingebildeten Kerl halten, der für seinen Ruf sogar über Leichen gehen würde. Tatsächlich war er auch mir nicht sonderlich sympathisch und zwischendurch hasste ich ihn wirklich, aber das Bild lichtete sich und ich empfand ihn zumindest als äußerst klug. Tatsächlich war ein großer Teil der Spannung ihm zu verdanken, da man nie wusste was er gerade plante oder was er als nächstes tun würde. Zudem ergaben er und March ein unverkennbares Duo ab, das wirklich nix gemein hatte, aber sich irgendwie trotzdem sehr gut ergänzten.
Die Personen rund um den Fall waren authentisch und legten mich teilweise genauso rein, wie die liebe March. Da wir es größtenteils mit Personen der ärmeren Schicht zutun hatten, war es gerade zu traurig zu sehen was Leute alles tun würden um ein paar Geldstücke zu bekommen. Hier wurde ebenfalls nicht an heftigen Momenten gespart, die einem manchmal fassungslos weiter lesen ließen.
Die Darstellung der Londoner Polizei war wieder einmal sehr erquickend, da diese wohl in keinem mir bekannten Buch gut weg kommt, so auch in diesen nicht. Unterbesetzt, stets mit dem Knüppel zur Hand und der Umgang mit dem teils rabiaten Häftlingen, konnten die Polizisten einfach nicht gut da stehen lassen. Zumal sie nicht gerade aufopferungsvoll ihrem Beruf nach gingen.
Ich mochte den Mix der Figuren, da er die Geschichte lebendig machte und sie sehr gut in diese Zeit passte. Die Armut zu erlesen tat mir reichlich weh und ließ mein Mitleidskonto durchweg in die oberen Bereiche steigen. Ob es damals wirklich so schlimm war? Ich hoffe nicht.
Die Gestaltung des Covers sagte mir sehr zu. Das leuchtende, aber nicht grelle Rot gab dem Buch ordentlich Farbe, schluckte aber nicht die weiße Schrift, die schwarzen Details und die gelben Highlights, sondern sorgte dafür das gerade diese mehr in den Vordergrund gerieten.
Für mich war es ein gelungener Einstieg in diese Reihe. Die Lösung des Falls erschloss sich mir zwar erst durch ein erneutes Lesen der letzten Seiten, war dann aber schlüssig und voller unheimlicher Details. Diese Reihe werde ich weiter verfolgen, da ich in ihr eine Menge Potenzial sehe.