Ein modernes Heldenepos
Makarionissi oder Die Insel der Seligen
Ein modernes Heldenepos mit griechischem Einschlag hat Vea Kaiser verfasst, das aus meiner Sicht locker mit den "alten" mithalten kann. Die Autorin ist eine moderne junge Frau und hat folglich zeithistorische ...
Ein modernes Heldenepos mit griechischem Einschlag hat Vea Kaiser verfasst, das aus meiner Sicht locker mit den "alten" mithalten kann. Die Autorin ist eine moderne junge Frau und hat folglich zeithistorische Themen aufgenommen, die beiden hier in neun Gesängen besungenen Helden haben sich somit eher modernen Herausforderungen - solchen den 20. und 21. Jahrhunderts zu stellen, nicht den klassischen, mit denen es einst Homers Ilias zu tun bekam. Und es geht um Helden mit Macken - mit Schwächen und Fehlern, aber gerade das macht sie so glaubhaft und so verehrungswürdig.
Es ist eine Familiensaga mit allem drum und dran, die Vea Kaiser hier vorlegt, eine mit einem Helden und einer Heldin, einem liebenswerten Lebenskünstler der besonderen Art und einer ganz speziellen Furie: Lefti und Eleni, so heißen die beiden, Cousin und Cousine sind sie, die gegen Ende des 2. Weltkriegs das Licht der Welt erblicken und für kurze Zeit auch Mann und Frau, aber nur, weil ihre Großmutter das so wollte. Nach ihrer Hochzeit verschlägt es sie nach Hildesheim und da trennen sich ihre Wege schon recht bald. Für Lefti geht es nach St. Pölten in Österreich, Furie Eleni landet erst nach einer langen, mehrjährigen Tour durch verschiedene Länder auf der griechischen Insel Varissi. Die Familiengeschichte dieses so ungleichen - zeitweiligen - Paares wird hier ganz wunderbar aufgerollt und so lernt der Leser eine Reihe weiterer faszinierender Charaktere, meist aus der näheren und weiteren Verwandtschaft unserer beiden Helden kennen.
Köstlich, absolut köstlich und leckerer als die delikatesten Makkaroni (mit denen der Titel aber nichts zu tun hat) ist dieses wunderbar kluge, unterhaltsame, empathische, originelle witzige und absolut authentische Buch über diese zwei Menschen aus dem fiktiven nordgriechischen Örtchen Varitsi, ihren Wünschen, Hoffnungen, Zwängen, Ideen, Lösungen - und das Altern.
Vea Kaiser schreibt nicht wie die alten Griechen, sondern wie eine junge, quicklebendige Österreicherin und so gerät ihr Heldenepos nicht pompös und nahezu beängstigend bombastisch, sondern vielmehr warmherzig, witzig, spritzig und sehr stimulierend. Ich habe eine solche Autorin in der deutschsprachigen Literatur bislang noch nicht erlebt, für mich steht sie eher in der Tradition von John Irving, was Originalität, Stil. Leichtigkeit und eine ganz besondere, sehr angewandte Art von Weisheit anbelangt.
Viel kluges Wissen, aber noch mehr Herz ist in dieses wunderbare Buch, das ich jedem empfehle, der noch zwei Hände zum Halten bzw. zwei Ohren zum Hören (es liegt auch als Hörbuch vor) hat - man erschließt sich definitiv neue Welten! Es ist unglaublich, dass ein so junger Mensch wie Vea Kaiser so anrührend über das Alter und das Älterwerden schreiben, Verständnis für unterschiedliche Generationen entwickeln kann. Dies ist aus meiner Sicht ein ganz besonderes, inhaltlich gesehen durchaus globales Kleinod der deutschsprachigen Literatur, das man hegen und pflegen und mit Literaturpreisen nur so bombardieren sollte!