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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.04.2019

Ein wunderschöner Roman über die erste Liebe

Der Sommer mit Pauline
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Nun ja, der deutsche Buchtitel trifft es eigentlich nicht. Denn die Geschichte spielt nicht im Sommer, sondern über etwa sechs Wochen im März und April. Und die Zusammenkünfte des Buchhelden Émile mit ...

Nun ja, der deutsche Buchtitel trifft es eigentlich nicht. Denn die Geschichte spielt nicht im Sommer, sondern über etwa sechs Wochen im März und April. Und die Zusammenkünfte des Buchhelden Émile mit seiner Freundin Pauline lassen sich auch an beiden Händen abzählen. Doch was macht das schon angesichts der Größe der Geschichte!
Der 15jährige Émile aus Frankreich beginnt, Tagebuch zu führen. Das für ihn Wichtigste, über das er schreibt, ist seine erste Begegnung mit Pauline von seiner Schule, in die er sich beim Tischtennisspielen sofort unsterblich verliebt. Das ist der Beginn einer anrührenden ersten Liebe zwischen zwei Teenagern mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund, die Émile bis nach Venedig führt, wohin ihn Pauline zu einem Geigenkonzert eingeladen hat. Seinem Tagebuch vertraut er aber auch seine Gedanken und Gefühle über seine ihm peinliche, etwas schräge, aber liebevolle Familie an, die ihn unglücklicherweise auch noch auf seinem Venedig-Trip begleitet, statt ihn alleine im Zug reisen zu lassen.
Der Autor fühlt sich gekonnt in die Haut eines Teenagers ein und erzählt frisch und witzig mit einigen philosophischen Einschlägen. Auch wenn der Protagonist 15 Jahre alt ist, wird der Roman eher Erwachsene als Jugendliche begeistern.
Ein wirklich unterhaltsames Buch.

Veröffentlicht am 31.03.2019

Toller Roman über eine indisch-muslimische Familie in den USA

Worauf wir hoffen
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Mit dieser Familiengeschichte ist der Autorin ein großartiger Debütroman gelungen.
Im Vordergrund steht eine muslimische indische Familie, die in der ersten Generation nach Kalifornien ausgewandert ist. ...

Mit dieser Familiengeschichte ist der Autorin ein großartiger Debütroman gelungen.
Im Vordergrund steht eine muslimische indische Familie, die in der ersten Generation nach Kalifornien ausgewandert ist. Die Eltern sind bemüht, ihren Glauben, ihre – für uns manchmal rückständig anmutenden - Traditionen und ihre Kultur im modernen Amerika weiterzuleben und ihre Werte an ihre Kinder weiterzugeben. Während die Töchter insoweit weitgehend Gehorsam üben, wird der jüngste Sohn zum Rebellen, der sich nirgends zugehörig fühlt und mit der Familie bricht.
Die Handlung springt vor und zurück in die Vergangenheit, ausgehend von der Hochzeit der ältesten Tochter. Wichtige Momente der Familiengeschichte werden aus Sicht der einzelnen Mitglieder erzählt, wenngleich nicht linear.
Während die Schilderungen betreffend Religion und Kultur für mich einfach nur interessant und sehr informativ sind (denn muslimische Rituale wie Hochzeitsfeiern, Empfang von Besuchern, sonntägliche Treffen in der Moschee u.ä. sind mir bisher weitgehend unbekannt gewesen), kann ich mich in die allgemein gültige Eltern-Kind-Problematik gut einfühlen. Vor allem der letzte Teil des Buches, aus der Perspektive des bis dahin eher patriarchalisch wirkenden Vaters, berührt sehr. Er sinniert darüber, was in seiner Familie falsch gelaufen ist und was er anders hätte machen können.
Einziger Kritikpunkt meinerseits ist, dass ein Glossar hilfreich gewesen wäre, das die doch recht zahlreichen muslimischen Begriffe erläutert.

Veröffentlicht am 17.03.2019

Eine kleine Liebesgeschichte

Kaschmirgefühl
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Ganz getreu dem Untertitel „Ein kleiner Roman über die Liebe“ lassen sich die 188 Seiten locker und schnell lesen. Das Konzept erinnert an Daniel Glattauers „Gut gegen Nordwind“. Anders als dort tauschen ...

Ganz getreu dem Untertitel „Ein kleiner Roman über die Liebe“ lassen sich die 188 Seiten locker und schnell lesen. Das Konzept erinnert an Daniel Glattauers „Gut gegen Nordwind“. Anders als dort tauschen sich die beiden Protagonisten aber nicht über Emails aus, sondern über mehrere Telefonanrufe von Gottlieb in derselben Nacht bei einer Telefonsexhotline, an deren anderem Ende Marie arbeitet, während sie vorgeblich an einem Pullover strickt (dazu passend das Buchcover). Gottlieb will allerdings gar nicht Maries Sexdienste in Anspruch nehmen, sondern bloß reden. Es ist herrlich, die Wortwechsel zu verfolgen. Die Protagonisten analysieren sich gegenseitig und tischen sich fantasievolle Lügengeschichten auf. Vielleicht kommt es ja am Ende zu einer persönlichen Begegnung? Auf jeden Fall bleibt es spannend bis zum überraschenden Schluss.

Veröffentlicht am 16.03.2019

Heimat und Familie

Was uns erinnern lässt
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Von der Autorin habe ich bisher zwei Bücher gelesen: „Die Liebhaber meiner Töchter“ sowie „Die große weite Welt der Mimi Balu“ – beides eher seichte Frauenromane, die ich gerne gelesen habe, ohne dass ...

Von der Autorin habe ich bisher zwei Bücher gelesen: „Die Liebhaber meiner Töchter“ sowie „Die große weite Welt der Mimi Balu“ – beides eher seichte Frauenromane, die ich gerne gelesen habe, ohne dass sie aber einen bleibenden Eindruck bei mir hinterließen. Ähnliches habe ich aufgrund der Buchbeschreibung von dem vorliegenden Roman erwartet, zumal das Buchcover auch eher unauffällig, um nicht zu sagen bieder gestaltet ist. Schnell jedoch hat mich die Geschichte überwältigt und sie verdient einfach nur eine Bestbewertung.
Mir, die ich fast im gleichen Jahr geboren bin wie die Autorin, im Gegensatz zu ihr aber aus Westdeutschland komme, ohne jeglichen persönlichen Bezug zur ehemaligen DDR und ihren Bewohnern zu haben, hat das Buch ein Stück deutsche Geschichte aufbereitet, die mir in diesen Details nahezu unbekannt war. Die Hauptprotagonisten, die Familie Dressel, betreibt seit Jahrzehnten ein Hotel und Forstwirtschaft am Rennsteig im Thüringer Wald. Nach dem Zweiten Weltkrieg und Gründung der DDR liegt es im Grenzgebiet zwischen Thüringen und Bayern und die Familie unterliegt als potentiell Republikflüchtigen scharfen Sicherheitsbeschränkungen und Repressalien, die im Jahr 1977 in ihre Zwangsumsiedlung mündet und die sie auf die vermeintliche Denunziation eines Freundes zurückführt. Das Ereignis ist für alle Familienmitglieder ein Jahrzehnte nachwirkendes Trauma, dem sie sich erst wieder im Jahr 2015 stellen, als Milla auf der Suche nach sog. Lost Places auf den Keller des Hotels stößt und die Familie dabei unterstützt, ihren Familienbesitz wiederzuerlangen und den Hintergrund der Deportation zu ergründen.
Sehr schön ist die Darstellung des unbedingten Familienzusammenhaltes und des Heimatgefühls der Dressels, die zu DDR-Zeiten praktisch abgeschnitten von der Welt in einer kleinen Oase leben. Den Mangel an alltäglichen Gegenständen des täglichen Bedarfs, ganz zu schweigen an Luxusgütern, spüren sie noch ärger als ihre Mitbürger. Wenn Anschaffungen wie ein Trabant Kombi oder eine Waschmaschine ohne Schleuder und Trommel beschrieben werden oder die Rede von Paketen aus dem Westen ist, dürfte sich so mancher sicher an das Leben in der DDR erinnern. Als Leserin fühle ich mich bildlich in ihre kleine Welt hineinversetzt und frage mich, ob nicht ein schlichtes Leben zu viel mehr Zufriedenheit führt.

Veröffentlicht am 10.03.2019

Auf den Spuren der Vergangenheit

Die verlorene Schwester
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Dieser Roman schlägt ein dunkles, den meisten wie mir bis dato sicherlich unbekanntes Kapitel schweizerischer Geschichte auf und führt uns in die Schweiz der 60er/70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Dort ...

Dieser Roman schlägt ein dunkles, den meisten wie mir bis dato sicherlich unbekanntes Kapitel schweizerischer Geschichte auf und führt uns in die Schweiz der 60er/70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Dort wurden wie schon seit dem Jahr 1800 noch immer Waisen- und Scheidungskinder oder negativ aufgefallene Kinder ihren Eltern weggenommen und auf Bauernhöfen o.ä. verdingt, wo sie ohne Lohn und Taschengeld für Zwangsarbeit eingesetzt wurden und oft Erniedrigungen, Gewalt und Vergewaltigungen ausgesetzt waren. Zwei von ihnen sind die Schwestern Marie und Lena, von denen eine schwanger wird und ihr Baby hergeben muss. Sie geben die Hoffnung nicht auf, einander und auch das Baby irgendwann wiederzusehen. In der Gegenwart im Jahr 2008 sucht Maries Tochter nach ihrer Mutter.
Der Roman zeichnet sich durch fundierte historische Kenntnisvermittlung aus. Die Autorin hat sehr gut recherchiert und lässt wahre Schicksale in die Geschichte einfließen. Die Darstellung der historischen Zusammenhänge erfolgt eingebettet in eine berührende Schwester- bzw. Mutter-Kind-Geschichte. Dass die Geschichte abwechselnd in zwei Zeitsträngen spielt, hält die Spannung gut aufrecht, zumal auch erst am Ende eine Antwort auf die Frage gegeben wird, ob Marie und Lena einander und Maries Tochter ihre Mutter finden werden.

Ein Buch, das ich unbedingt empfehlen kann.