Profilbild von Kapitel94

Kapitel94

Lesejury Profi
offline

Kapitel94 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Kapitel94 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.12.2019

Eine spannende Liebe auf nur 138 Seiten

Den Sommer kannst du auch nicht aufhalten
0

Pierre ist ein äußerst interessanter Mann. Ich glaube, man kann ihn nur lieben oder hassen. Ein Zwischending gibt es da nicht. Mit seinem unglaublich direkten, trockenen – fast schon schwarzen – Humor ...

Pierre ist ein äußerst interessanter Mann. Ich glaube, man kann ihn nur lieben oder hassen. Ein Zwischending gibt es da nicht. Mit seinem unglaublich direkten, trockenen – fast schon schwarzen – Humor dominiert er die Erzählung Verhulsts und verleiht der Geschichte mit seinem distanziert wirkenden Charakter einen besonderen Charme. Ich habe Pierre relativ schnell in mein Herz geschlossen. Mit seinem Spott und der scheinbaren Gleichgültigkeit, die er an den Tag legt, brachte er mich immer wieder zum Schmunzeln und ich war überrascht, dass ausgerechnet Pierre eine so emotionale Liebesgeschichte erzählen kann, bei der 138 Seiten keinesfalls ausreichen.

Sonny ist fünfzehn Jahre alt, geistig behindert, wohnt in einem Pflegeheim und Pierre ist der einzige, der ihn regelmäßig besucht. Warum? Sonny ist der Sohn von Pierres großer Liebe. Eine Liebe, die er über Jahre nicht vergessen konnte und deswegen will er Sonny ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk machen: Einen Tag vor seinem sechzehnten Geburtstag holt Pierre ihn aus dem Pflegeheim ab und fährt mit ihm in die Provence. Er will Sonny eine Geschichte erzählen, genau dort, wo vor vielen Jahren die Liebe begann. Jedoch weiß niemand aus dem Pflegeheim über Pierres Plan Bescheid und obwohl Sonny ein guter Zuhörer ist, kann er keine der Informationen aufnehmen. Dennoch hält Pierre an seiner Idee fest. Er muss es erzählen. Er muss seiner großen Liebe noch ein einziges Mal nahe kommen, wenn auch nur mit Worten…

Als ich das kleine Büchlein anfangs in den Händen hielt, war ich etwas skeptisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass auf lediglich 138 Seiten eine Geschichte erzählt wird, die mich fesseln kann. Nun, was soll ich sagen? Ich habe mich gewaltig geirrt. Den Sommer kannst du auch nicht aufhalten von Dimitri Verhulst ist eine durchgehende Erzählung, die nicht durch Kapitel oder lange Einschübe unterbrochen wird. Die Handlung fließt dahin, die Perspektive wechselt manchmal vom Erzähler zu Pierre und wieder zurück und mit jeder Seite hatte ich mehr und mehr das Gefühl, dass ich an Sonnys Stelle sitze und dem zynischen, verbitterten Kerl zuhöre. Verhulsts Geschichte zeichnet sich nicht durch spannende Plottwists oder rasante Szenen aus; sie ist vielmehr realistisch und echt. Pierres Liebe zu Sonnys Mutter könnte aus dem Leben jedes einzelnen von uns gegriffen sein, man erkennt sich in einigen Punkten wieder und vergleicht Pierres Geschichte mit seiner eigenen (verlorenen) Romanze. So schnell wie die Erzählung anfing, war sie auch vorbei und als ich die letzte Seite umschlug, hatte ich das Bedürfnis nachzufragen: Was ist dann passiert? Doch ich glaube, das werde ich mir wohl selbst ausmalen müssen…

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.11.2019

Eine Liebeshymne an die Freundschaft

Ein wenig Leben
0

Ein wenig Leben verfolgt die vier Freunde Jude, Willem, JB und Malcolm über dreißig Jahre und zeigt dabei immer wieder verschiedene Einblicke in ihre Leben. Das Buch verfügt nicht unbedingt über eine Haupthandlung, ...

Ein wenig Leben verfolgt die vier Freunde Jude, Willem, JB und Malcolm über dreißig Jahre und zeigt dabei immer wieder verschiedene Einblicke in ihre Leben. Das Buch verfügt nicht unbedingt über eine Haupthandlung, sondern besteht aus vielen verschiedenen Abschnitten und Sequenzen, springt dabei immer wieder in der Zeit zurück und auch, dass die Charaktere älter werden, fällt einem nicht direkt auf – man erfährt alles nach und nach, mit jeder weiteren Zeile, mit jeder Seite, die man umblättert.

Hauptcharakter des Romans ist Jude St. Francis, ein begabter Anwalt und klasse Klavierspieler, der eine traumatische Kindheit hinter sich hat. Nicht einmal mit seinen drei besten Freunden kann er über diese Erlebnisse sprechen und auch dem Leser erschließen sich diese erst ganz langsam. Neben Jude fokussiert die Geschichte auch nach und nach immer mehr auf Willem, einem Schauspieler und Judes längstem Freund. Gemeinsam bestreiten sie ihr Leben in New York, beenden das College, beginnen ihre Karrieren, leben sich auseinander, finden wieder zusammen und beweisen immer wieder aufs Neue, dass Freundschaft die einzig wahre Liebe fürs Leben ist.

Ich glaube, es ist sehr lange her, dass mich ein Buch so berührt hat, wie es Ein wenig Leben tat. Obwohl es mir am Anfang schwerfiel, in die Geschichte einzusteigen – ich musste mich daran gewöhnen, dass es keine durchgehende Haupthandlung gab und man somit von Anfang an von einigen Fakten „erschlagen“ wurde – habe ich mich doch mit jeder Seite etwas besser in die Leben von Jude, Willem, JB und Malcolm eingefunden. Vor allem Jude und Willems Geschichte habe ich direkt mit großer Neugier und Hingabe verfolgt, wurde regelrecht ein Fan von ihnen, und Ein wenig Leben zog mich schon bald so sehr in seinen Bann, dass ich den 900-Seiten-Klopper nicht mehr aus der Hand legen konnte. So spannend und herzergreifend der Roman auch ist, muss ich allerdings dazu sagen, dass viele Themen, die in Judes Geschichte verarbeitet werden, keine leichte Kost sind. Auch ich musste das Buch an einigen Stellen mehrmals aus der Hand legen, musste mich sammeln, das Gelesene auf mich wirken lassen und dann neuen Mut schöpfen, um Ein wenig Leben wieder aufzunehmen. Eine Triggerwarnung wäre hier vielleicht angebracht.

Der Roman ist nicht ohne Grund in aller Munde und auch ich werde sicherlich noch sehr lange über ihn reden. Ich möchte nicht zu viel verraten, möchte niemanden abschrecken oder einschüchtern, daher beende ich diesen Beitrag mit ein paar aufmunternden Worten: Jeder braucht einen Willem in seinem Leben. Mehr sage ich dazu nicht.

Veröffentlicht am 27.05.2019

In der Kürze liegt die Würze

Augenblicke
0

Obwohl ich bisher noch nicht so viele Kurzgeschichten auf meinem Blog rezensiert habe, bin ich doch ein großer Fan von ihnen. Vor allem während der Uni-Zeit sind sie die perfekte Lektüre für eine kleine ...

Obwohl ich bisher noch nicht so viele Kurzgeschichten auf meinem Blog rezensiert habe, bin ich doch ein großer Fan von ihnen. Vor allem während der Uni-Zeit sind sie die perfekte Lektüre für eine kleine Auszeit und daher habe ich mich auch gefreut, die Rezensionsanfrage von Stefan Schär erhalten zu haben. Was ich besonders interessant an Augenblicke fand, ist die Länge der Geschichten. Manche gehen über einen Satz nicht hinaus, andere füllen gerade mal zwei Seiten. Ich war neugierig, wie viel man denn tatsächlich in so kurzen Texten erzählen kann und ich muss sagen, ich wurde nicht enttäuscht…

Stefan Schär erzählt in seinem kleinen Büchlein ganz alltägliche Geschichten und legt den Fokus auf Ereignisse, denen man normalerweise nicht sehr viel Aufmerksamkeit schenkt. Es geht um einen Mann, der regelmäßig das Horoskop seiner vergangenen Liebe liest, es geht um jemanden, der schon immer einmal eine Geschichte schreiben wollte, um ungesagte Worte, kleine Gesten und ganz viel Gefühl. Die Kurzgeschichten in Augenblicke sind witzig, nachdenklich, romantisch, traurig und bleiben einem stets im Gedächtnis.

Stefan Schär hat es geschafft, eine gute Mischung aus Geschichten zusammenzustellen: Manche sind einfach nur ein netter Zeitvertreib, andere regen aber zum Nachdenken an, sie animieren den Leser dazu, das Buch für einen Moment aus der Hand zu legen und das Gelesene auf sich wirken zu lassen. Ich war überrascht davon, wie „gewöhnlich“ die einzelnen Stories doch sind – in jeder Geschichte habe ich mich ein kleines bisschen wiedergefunden – sie sind nicht actionreich oder zeichnen sich durch ungewöhnliche Charaktere aus, und trotzdem wollte ich bei fast jeder Geschichte wissen, wie sie weitergeht.

Augenblicke ist nicht unbedingt eine anspruchsvolle Lektüre, mit der man sich wochenlang beschäftigen muss, aber das soll es auch gar nicht sein. Die kleine Kurzgeschichtensammlung eignet sich wunderbar für zwischendurch. Egal ob man gerade auf den Bus wartet, sich noch zehn Minuten vor einem wichtigen Treffen vertreiben kann oder einfach mal wieder Lust auf eine kurze Geschichte hat: Augenblicke lässt sich unfassbar schnell lesen und anders als bei einem Roman, kann man das Buch jederzeit zur Seite legen und es zu einem anderen Zeitpunkt wieder aufnehmen.

Veröffentlicht am 11.03.2019

Zwischen Wahrheit und Lüge

Das Echo der Wahrheit
0

Hypnosen sind das Spezialgebiet von Dr. James Cobb. Er ist ein Profi darin, das Unterbewusstsein eines Menschen zu betreten und verloren geglaubte Erinnerungen wieder ans Tageslicht zu bringen. Als er ...

Hypnosen sind das Spezialgebiet von Dr. James Cobb. Er ist ein Profi darin, das Unterbewusstsein eines Menschen zu betreten und verloren geglaubte Erinnerungen wieder ans Tageslicht zu bringen. Als er sich jedoch dem Fall von Joshua Fleischer annimmt, ahnt er nicht, dass sich ein Lügennetz aus Illusionen und Fantasie vor ihm ausbreiten wird und sowohl er als auch der Leser müssen schnell erkennen, dass nichts so ist, wie es scheint.

1976 hatte Joshua Fleischer einen Abend mit seinem besten Freund Abraham und seiner Freundin Simone in einem Hotel in Paris verbracht. Da Abraham ebenfalls in die junge Französin verliebt war und die Beziehung zwischen Joshua und Simone scheinbar zerstören wollte, kam es zwischen beiden Männern zum Streit. Als Joshua am nächsten Morgen aufwachte, war Abraham verschwunden und Simone tot. Er hatte keinerlei Erinnerungen daran, was nach der Auseinandersetzung mit seinem Freund passiert war. Voller Angst und Panik verließ er das Hotel, packte seine Sachen und kehrte nach Amerika zurück. Jahrelang versuchte er, den Abend von 1976 zu vergessen, doch als er nun mit Mitte sechzig selbst auf dem Sterbebett liegt, will er endlich Licht ins Dunkel bringen: Hat er Simone vielleicht ermordet? Der einzige, der ihm nun noch helfen kann, ist Dr. James Cobb.

Zwei Hypnose-Sitzungen verbringen die Männer miteinander, dann erliegt Joshua seiner schweren Krankheit. James lässt die Geschichte um Simone und Abraham aber nicht los. Auf eigene Faust versucht er, das Geheimnis zu lüften. Er trifft sich mit mehreren Menschen aus Joshuas Vergangenheit, befragt sie zu den Geschehnissen in Paris und muss feststellen, dass der Millionär nicht der war, für den er sich ausgab. Doch auch die Erinnerungen von Fleischers Bekannten scheinen nur bruchstückhaft vorhanden zu sein und James fällt es zunehmend schwerer, Wahrheit und Lüge auseinanderzuhalten.

Erzählt wird die Geschichte aus Sicht von James Cobb. Als Leser erhält man dadurch einen direkten Einblick in seine Gedanken – anders als bei einem auktorialen (allwissenden) Erzähler, wird jeder Hinweis nur nach und nach aufgedeckt. Gemeinsam mit James begibt man sich auf die Spurensuche, man vertraut seiner Vorgehensweise und seinem Gespür für Menschen und ihre Geschichten, doch als James bemerkt, dass er sich in einem Lügennetz befindet und sich mit jeder weiteren Spur immer mehr darin verwickelt, beginnt man auch als Leser, an James Talent zu zweifeln. Kann man ihm trauen? Erzählt James die Wahrheit oder weist auch sein Bewusstsein Lücken auf? Ich habe gemerkt, wie ich beim Fortschreiten der Geschichte immer vorsichtiger wurde. Ich habe jeden Hinweis hinterfragt, habe versucht, mich selbst auf die Suche nach der Wahrheit zu machen, nur um festzustellen, dass auch ich es allein nicht durchschauen kann.
Das Echo der Wahrheit spielt mit dem Bewusstsein und Unterbewusstsein seiner Charaktere, bringt Normalität und Wahnsinn auf eine Ebene und spielt sie gegeneinander aus. Es ist regelrecht eine „Mindfuck“-Geschichte, die auch die Gedanken des Lesers erreicht und ihm zeigt, dass nicht alles stimmt, was auf dem Papier steht. Eine ganz große Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 27.02.2019

Witzig, ehrlich, sarkastisch und so viel mehr

Alles, was ich weiß über die Liebe
0

Dolly ist in ihren Zwanzigern und versucht, ihren Platz in der Welt zu finden. Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen kämpft sie sich durch den Alltag – sie bewältigt das College, zieht aus ihrem Elternhaus ...

Dolly ist in ihren Zwanzigern und versucht, ihren Platz in der Welt zu finden. Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen kämpft sie sich durch den Alltag – sie bewältigt das College, zieht aus ihrem Elternhaus aus, sucht die große Liebe und arbeitet sich mühselig in der Journalistenwelt nach oben – und muss sich immer wieder die Frage stellen, was wirklich wichtig ist im Leben. Warum findet Farly ihren Traummann, während Dollys Abenteuer nicht länger als ein paar Monate halten? Wieso ziehen ihre Freunde nach und nach aus dem gemeinsamen Haus aus, während sich Dolly verloren fühlt? Partys, Dates, Freunde, Jobs und das Leben sind auf dem Cover ihres Buches zwar durchgestrichen, doch um genau das soll es gehen: Dolly muss herausfinden, wer sie ist, was sie will und was ihr wirklich am Herzen liegt.

Schon zu Beginn der Memoiren war ich von Dollys Art total angetan. Sie ist direkt, witzig, sarkastisch und vor allem ehrlich. Sie scheut sich nicht davor, ein Blatt vor den Mund zu nehmen und schildert Erfahrungen stets aus ihrer Sicht. Dies kann an einigen Stellen egoistisch – teilweise sogar feministisch – rüberkommen, zum Beispiel wenn sie darüber spricht, welche Anforderungen an das Aussehen einer Frau gestellt werden (Make-Up, Kleid, Strumpfhose, High Heels) und dabei aber völlig außen vor lässt, dass auch Männer mit solchen Erwartungen an sich selbst zu kämpfen haben – doch großartig gestört hat mich dies nicht. Ich habe mich in vielen ihrer Erkenntnisse wiedergefunden, fühlte mich von ihr verstanden und konnte somit auch ihre Denkweise nachvollziehen.

Doch das eine große Thema, das sich von Beginn bis Ende durch das Buch zieht, ist natürlich – wie es der Titel schon verrät – die Liebe. Was bedeutet „Liebe“ eigentlich? Wo kann man sie finden? Und braucht man sie überhaupt zum Leben? Dies sind einige der Fragen, die sich Dolly in ihren Zwanzigern immer wieder stellen muss. Egal ob auf Partys, bei Tinder oder auf der Arbeit, Dolly versucht überall ihren Prince Charming zu finden, diese eine Person, der sie nahe sein kann, mit der sie über alles reden und ihre Gedanken anvertrauen kann. Doch vor allem zu Beginn ihrer Memoiren scheint sich die Autorin verzweifelt in die Männerwelt zu stürzen: Sie geht regelmäßig auf Partys, betrinkt sich, nimmt einen Kerl mit nach Hause, nur um ein paar Wochen später das ganze Szenario mit einem anderen Auserwählten zu wiederholen. Ihre Rauschzustände und nächtlichen Eskapaden laufen immer wieder aus dem Ruder, ihre Freunde wirken besorgt, der Leser nach einigen hundert Seiten genervt, doch Dolly nimmt sich dies nicht zu Herzen. Wenn Farly, AJ und India die große Liebe finden können, dann möchte Dolly das auch – und dabei bedenkt sie überhaupt nicht, dass vor allem eine Art der Liebe viel wichtiger und intensiver sein kann als die eines Mannes.

Ich habe Alles, was ich weiß über die Liebe gern gelesen. Ich habe laut gelacht, das Bedürfnis verspürt, Dolly einmal kräftig durchzuschütteln, habe mich in vielen, angesprochenen Punkten wiedererkannt und das Buch am Schluss zufrieden aus der Hand gelegt. Dolly schreibt nicht nur über ihr Leben und ihre Erfahrungen, sie teilt auch Rezepte mit ihren Lesern, fügt ein paar witzige SMS und E-Mails ein, sodass ihr Buch stets abwechslungsreich gestaltet ist. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ein Partygirl wie Dolly es schaffen kann, mir hilfreiche Tipps und Lektionen mit auf den Weg zu geben, doch dies werde ich noch einmal stark überdenken müssen…