Profilbild von MarionHH

MarionHH

Lesejury Profi
offline

MarionHH ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit MarionHH über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.03.2019

Starke Charakterstudie, Familiengeschichte und Thriller in einem!

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
0

Der Schriftsteller Manuel Ortigosa schreibt gerade an den letzten Zeilen seines neuen Buches, als ihm Polizeibeamten eine schreckliche Mitteilung machen: Sein Ehemann Alvaro ist in Galicien tödlich verunglückt. ...

Der Schriftsteller Manuel Ortigosa schreibt gerade an den letzten Zeilen seines neuen Buches, als ihm Polizeibeamten eine schreckliche Mitteilung machen: Sein Ehemann Alvaro ist in Galicien tödlich verunglückt. Manuel ist geschockt, denn Alvaro sollte eigentlich in Barcelona sein. Manuel reist ins ferne Galicien, um Alvaro zu identifizieren, und wird von Alvaros Anwalt zur Testamentseröffnung gebeten. Diese birgt mehrere Überraschungen: Anscheinend hat Alvaro entgegen Manuels Wissen Familie in Galicien, ist von adliger Herkunft und vererbt außerdem Manuel seine Besitztümer. Manuel glaubt nun, dass sein Leben mit Alvaro eine einzige Lüge war, und will am liebsten so schnell wie möglich ins heimische Madrid zurück. Da eröffnet ihm der seit kurzem pensionierte Kommissar Nogueira, dass er am Unfallhergang zweifelt und vielmehr überzeugt ist, dass es Mord war. Er überredet Manuel weitere Ermittlungen anzustellen, und damit öffnen sie die Büchse der Pandora. Manuel stochert im Wespennest und erfährt immer mehr über Alvaros Familie, ihre Geheimnisse und Abgründe und deckt nach und nach die wahren Hintergründe auf.

Das ist einfach großartig. Intelligent und subtil, dabei spannend und voller Emotionen, einfühlsam und mit herausragenden Charakteren. Thriller, Familiendrama, Geschichte einer großen Liebe – dies alles und noch viel mehr vereint dieser Roman. Die Autorin kommt dabei zunächst ohne die große blutige Action aus, subtil verwebt sie die Figuren miteinander, von deren Interaktion lebt die Geschichte. Nach und nach offenbaren sich dem Leser die einzelnen Persönlichkeiten und deren Leben in einer einzigartigen Landschaft. Auch in die für uns fremde Welt des Adels und dessen Standesdünkel, die Abgrenzung vom „Personal“ und die absolute Wahrung der familiären Status erhalten wir tiefe Einblicke. Dennoch steigt der Spannungsbogen zum Ende hin gewaltig, die Geschichte wird zum Thriller, und auch blutige Auseinandersetzungen dürfen da nicht fehlen. Mehr als eine Person machen dabei eine Persönlichkeitsentwicklung durch, die ebenfalls sehr fesselnd zu beobachten ist.

Manuel als Charakter ist herausragend, er ist stark und doch verletzlich, hochintelligent und doch ein Zweifler. Wie er nach Alvaros Todesnachricht eine Achterbahn der Gefühle erlebt, an seinem Leben mit Alvaro zweifelt, wütend ist und trauert und dann doch wieder sich aufrafft und nach und nach die Wahrheit herausfindet, neue Beziehungen mit Menschen aufbaut und wieder Freude empfindet, ist eine ganz besondere Entwicklung und wird von der Autorin wunderbar dargestellt. Er ist ganz klar die Hauptfigur, nur ganz wenige Szenen werden aus einer anderen Perspektive erzählt, von ihm erfährt der allwissende Leser am meisten. Mit ihm lebt man dadurch zunächst einmal am meisten mit, in Rückblenden wird zudem sein Leben mit Alvaro erzählt. Doch die Autorin versteht es auch meisterhaft, die anderen Figuren lebensnah und authentisch darzustellen, so ist kaum einer nur gut oder nur böse, und die Szenen aus anderen Perspektiven tragen wesentlich zum Fortgang der Geschichte bei. Nicht nur Manuel, auch Nogueira macht eine Entwicklung durch, er ist neben Manuel der Charakter, den ich am Faszinierendsten fand. Er ist polarisierend, man weiß nicht woran man bei ihm ist und oftmals ist er auch nicht gerade ein Sympathieträger (anders als Manuel) – dennoch ist es gerade Nogueiras Zwiespältigkeit, die einen fesselt. Und nicht zuletzt ist es Nogueiras Hartnäckigkeit und Gerechtigkeitssinn zu verdanken, dass Manuel am Ball bleibt und schließlich die Wahrheit ans Licht kommt.

Fazit: Sehr guter Roman mit starken Figuren, die einen nicht mehr loslassen. Die Autorin hat einen feinsinnigen Schreibstil und versteht es hervorragend Spannung und Emotionen zu erzeugen, ihre Beschreibung der Menschen und ihres Lebens sind faszinierend und anschaulich. Auch wenn man den Roman nicht als reinen Krimi oder Thriller lesen sollte, so ist er als solcher durchaus gut konstruiert und bietet eine logische und befriedigende Lösung, die dem Genre würdig ist. Mir haben indessen besonders die Darstellung der Charaktere und ihre Beziehungen zueinander gefallen, und ich fand es großartig, wie die Autorin die Motive der Figuren hergeleitet und ihre die Entwicklung dargestellt hat. Das ist wirklich absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 15.03.2019

Originell, skurril und very british - der erste Fall für den Vinyldetektiv!

Murder Swing
0

Er ist ein Vinyl-Experte, Spezialist in Sachen Jazz, und sammelt seltene Platten, die er billig kauft und verkauft. Damit wird er nicht reich, kann sich aber einigermaßen über Wasser halten. Eine seiner ...

Er ist ein Vinyl-Experte, Spezialist in Sachen Jazz, und sammelt seltene Platten, die er billig kauft und verkauft. Damit wird er nicht reich, kann sich aber einigermaßen über Wasser halten. Eine seiner aus einer (Alkohol-)Laune heraus willkürlich verteilten Visitenkarten beschert ihm als „Vinyldetektiv“ unverhofft einen ersten Auftrag: Für einen geheimnisvollen Auftraggeber soll er eine seltene Jazzplatte finden. Zusammen mit der schönen und geheimnisvollen Nevada Warren, seiner Kontaktperson, fahndet er also in Plattenläden, auf Plattenbörsen und Flohmärkten nach dem guten Stück. Dabei häufen sich mysteriöse Todesfälle, die beiden werden verfolgt, und mehr als einmal kommt den beiden ein mehr als merkwürdiges Pärchen in die Quere, das sie „die arischen Zwillinge“ taufen. Diese erweisen sich als skrupellos und zu allem bereit. Der Vinyldetektiv kann schließlich nicht ahnen, dass er einem großen Geheimnis auf der Spur ist und dass ihn dieser Auftrag nach Japan und Los Angeles bringen und ihm alles an Spürsinn und Verstand abverlangen wird...

Originell, skurril, spannend, geistreich – einen Vinyldetektiv gab es meines Erachtens tatsächlich noch nie! Umso erstaunlicher, wie der Autor es schafft, diese beiden Themen zu verknüpfen und aus einem Platten sammelnden Freak einen echten Detektiv zu machen, und damit meine ich nicht nur die Suche nach der Platte, sondern die Suche nach den wahren Hintergründen. Der Vinyldetektiv ist Hauptfigur und Ermittler, aus seiner Perspektive wird die Geschichte in der ich-Form erzählt, auf ihn fokussiert sich alles und von seinem Innenleben erfährt man am meisten – und doch bleibt er interessanterweise die ganze Zeit über namenlos, er bekommt allenfalls Spitznamen. Er ist ein exzellenter Beobachter und sehr gut im schlussfolgern, der Leser weiß immer so viel wie er selbst und kann so wunderbar mit ermitteln. Und so karg die Informationen über ihn sind (er ist zumindest groß und schlaksig und liebt guten Kaffee und seine Katzen), so erfährt der Leser doch genug, um ihm durchs ganze Buch hinweg die Treue zu halten, mit zu fiebern und sich mit ihm zu identifizieren. Doch auch die anderen Charaktere sind durch die Bank weg wunderbar, allen voran Nevada und Tinkler, meine beiden Lieblingsfiguren neben dem Detektiv. Tinkler ist einfach ein herrlicher Nerd, liebenswert und bester Freund des Detektiv. Nevada ist schön und hochintelligent und verdient viel Geld – das ist beängstigend und macht sie nicht auf den ersten Blick sympathisch, aber sie verfügt außerdem über einen ironischen Humor, was sie mit dem Detektiv gemeinsam hat, ist offensichtlich ein großer Katzenfan wie er und ist neugierig und offen für Neues und sich nicht zu schade, sich auf für sie ungewohntes Terrain zu begeben, zum Beispiel Flohmärkte und Second-Hand Läden. Außerdem ist sie tough und mutig und rettet den Vinyldetektiv mehrfach aus bösen Klemmen, auch wenn sie besonders in Teil zwei etwas undurchsichtig ist. Mir gefielen aber auch die anderen Frauenfiguren wie Clean Head und Ree – ebenfalls interessante und starke Persönlichkeiten. Die Dialoge zwischen dem Detektiv und Tinkler und zwischen ihm und Nevada sind einfach köstlich und entlockten mir mehr als einmal ein herzhaftes Lachen, und sehr lustig sind auch Szenen mit Stinky, der mehr und mehr zum Running Gag wird.

Formal ist die Geschichte ganz nach Vinyl-Art in A-Seite und B-Seite unterteilt und diese wiederum in einzelne, mit passenden Überschriften versehene Kapitel. Die A-Seite umfasst den Teil des Auftrags von Nevada, der hier auch abgeschlossen wird, die B-Seite den Auftrag von Ree. Beide ergeben das „große Ganze“. Dabei ist es kein klassischer Krimi und die Bezeichnung „Thriller“ halte ich für gänzlich unpassend. Schade, dass man auf dem – übrigens sehr gelungenen – Cover nicht wie im englischen Original den Untertitel verwendet und eine Genre-Bezeichnung einfach weggelassen hat. Besonders in Teil A ist es eher ein Wohlfühl-Krimi, die Protagonisten befinden sich zum größten Teil auf der Suche nach der Platte. Hier wird auch viel gefachsimpelt, wer also keine Ahnung und kein Interesse an Musik hat, könnte sich hier eher langweilen. Aber auch hier geschehen schon mysteriöse Todesfälle, deren Zusammenhang zu seinem Fall der Detektiv aber erst später erkennt, und in Teil 2 nimmt die Krimihandlung dann deutlich mehr Fahrt auf und die Plattensuche gerät etwas in den Hintergrund.

Fazit: Herrlicher und origineller Vinyl-Krimi mit wunderbaren, skurrilen Figuren und viel Wissen über Platten und Jazzmusik. Auch Katzenfans kommen auf ihre Kosten. Wer das alles nicht mag, lässt besser die Finger davon, allen anderen sei das Buch wärmstens empfohlen. Wer den Humor Ben Aaronovitchs mochte, wird dieses Buch ebenfalls lieben, und Krimifans erwartet eine schlüssige, gut geschriebene und durchaus spannende Krimihandlung. Der Schluss kam mir etwas zu abrupt, ich werde aber dadurch versöhnlich gestimmt, dass es die Folgebände (in Großbritannien erscheint demnächst der vierte Band) bald auch auf deutsch gibt. Ich will unbedingt wissen, was für Aufträge der Vinyldetektiv weiterhin bekommt, wie es mit seinen amourösen Verstrickungen weitergeht und ob er vielleicht einmal seinen Namen verrät...

Veröffentlicht am 11.03.2019

Dritter Fall für Historiker Tomás Noronha - Dubiose Machenschaften im Vatikan

Vaticanum
0

Der portugiesische Historiker Tomás Noronha arbeitet gerade in den Katakomben des Vatikan, um das Grab des „ersten Papstes“, das des Apostel Petrus, zu finden, als er in den Vatikan gerufen wird. Der Papst ...

Der portugiesische Historiker Tomás Noronha arbeitet gerade in den Katakomben des Vatikan, um das Grab des „ersten Papstes“, das des Apostel Petrus, zu finden, als er in den Vatikan gerufen wird. Der Papst selbst beauftragt ihn herauszufinden, wer in die Räumlichkeiten des mit den höchsten Sicherheitsvorkehrungen abgeriegelten Vatikans eingebrochen ist und wichtige Dokumente gestohlen hat. Da das übliche Zeichen der Islamisten am letzten Safe vermerkt ist, deutet alles auf eine islamische Terroristengruppe als Täter hin. Zusammen mit der Wirtschaftsprüferin Cathérine versucht Tomás Licht ins Dunkel zu bringen, als die beiden eine viel schrecklichere Nachricht ereilt: Der Papst ist entführt worden! Offenbar ebenfalls von Islamisten, die den Papst um Mitternacht desselben Tages enthaupten und das live im Internet übertragen wollen. Und plötzlich findet sich Tomás mitten in einem Fall wieder, der die ganze Welt in einen Religionskrieg stürzen könnte und der sich als verzwickter erweist als angenommen, zumal sich ein Verräter im engsten Umfeld des Papstes befindet...

Dritter Fall (in Deutschland) nach Das Einstein-Enigma und Der Schlüssel des Salomon für den Geschichtsprofessor und Code-Spezialist Tomás Noronha. Großartig, spannend, erschütternd, einfach ein echter Pageturner! Aber Vorsicht: Wer rasende Action, jede Menge Verfolgungsjagden und diverse Locations wie bei Dan Browns Büchern erwartet, wird hier enttäuscht sein. Die Geschichte findet ausschließlich im Vatikan beziehungsweise in der Vatikanstadt statt, und seine Spannung zieht der Roman meines Erachtens einmal aus der kompakten Handlung, denn die Hauptgeschichte zieht sich nur über einen einzigen Tag hin, sowie zweitens aus den erschütternden Verflechtungen des Vatikans in Mafia-Kreise sowie kriminelle Finanzgeschäfte. Es gibt ungemein viele und sehr detaillierte Informationen zu den Geschäften des Vatikan, die – und das ist das wahrhaft Erschreckende – auf der Wahrheit beruhen. Außerdem erfährt man einiges über Geschichte und Prophezeiungen. Dennoch gibt es durchaus rasante Aktionen, Noronha gerät in Lebensgefahr und muss mehr als einmal flüchten und auf verschlungenen Wegen in den Vatikan gelangen. Besonders auf den letzten etwa hundert Seiten nimmt die Handlung ziemlich Fahrt auf, bis die Spannung im fulminanten Finale kulminiert.

Formal ist das Buch in 101 Kapiteln unterteilt, die die Handlung chronologisch erzählen, plus einer Vor- und Nachgeschichte. Die Perspektive ist ausschließlich die von Noronha, der Leser weiß also das, was Noronha weiß. Alles ist sehr auf ihn als Hauptfigur fokussiert, was den Effekt hat, dass man als Leser so sehr mit ihm mitfiebert, dass man fast schon meint die Abenteuer selbst zu erleben. Noronha gelangt hauptsächlich über die Wirtschaftsprüferin Cathérine an seine Informationen, über lange Phasen hinweg sitzen sie im Archiv und sichten Unterlagen, oder Noronha tut dies alleine. Das mag für manche langweilig sein, ich fand es äußerst spannend, besonders wie Noronha Verbindungen herstellt, Codes knackt und aus allem seine Schlüsse zieht. Er ist wie Sherlock Holmes, wie er letztendlich durch Logik zur richtigen Lösung gelangt. Man sollte nicht den Fehler machen und hier Passagen zu überlesen, denn diese haben einen großen Anteil an der Lösungsfindung. Dadurch, dass das Ganze doch sehr auf ihn ausgerichtet ist, geraten die anderen Figuren fast ein wenig ins Abseits. Dennoch weist der Autor auch ihnen sehr charakteristische Eigenschaften zu, die sie menschlich und authentisch machen. Ich persönlich fand den italienischen Inspektor durchaus gelungen, Maria Flor hingegen eher blass. Sie taucht nach der Anfangssequenz bei der Ausgrabung erst einmal nicht mehr auf, erst ganz am Schluss wieder. Irgendwie fand ich es einigermaßen unglaubwürdig, dass man es den ganzen Tag während all der Ereignisse nicht schafft sich zu kontaktieren. Bei Maria ist es alberner Trotz, Tomás hat das Handy aus und denkt phasenweise überhaupt nicht an seine Verlobte. Insgesamt treten die wenigen Frauenfiguren sowieso eher als Fragenstellerinnen und Zuarbeiterinnen für Tomás in Aktion, denn auch die hochintelligente Catherine ist besonders nützlich als Archivöffnerin und Dokumentensichterin und ansonsten hauptsächlich verführerische Versuchung.

Fazit: Sehr spannender, mit detaillierten Insider-Informationen nicht geizender Roman, der von der ersten Zeile an fesselt, mit einer herausragenden Hauptfigur, mit der man sofort mitlebt. Für alle, die mehr wollen als reißerische Action, und Wert legen auf Fakten und einen Ermittler, der mit wissenschaftlicher Akribie arbeitet und mit Empirie zu seinen Ergebnissen kommt. Und für alle Noronha-Fans sowieso ein Muss! In Deutschland ist dies erst der dritte Teil, insgesamt gibt es aber schon neun Bände, die im portugiesischen Original in einer anderen Reihenfolge erschienen sind. Wer sich dafür interessiert, mehr Infos finden sich bei buechertreff.de oder auf der Seite des Verlags luzar publishing, der 2016 extra für die Veröffentlichung der Dos Santos-Bücher gegründet wurde.

Veröffentlicht am 31.12.2018

Tolles Krimidebüt mit originellem Setting und super sympathischer Ermittlerin!

Doggerland. Fehltritt (Ein Doggerland-Krimi 1)
0

Nach schwerem Schicksalsschlag kehrt die Polizistin Karen Eiken Hornby aus London in ihre Heimat Doggerland zurück, um dort als Kriminalassistentin zu arbeiten. Sie lebt zurückgezogen und erträgt stoisch ...

Nach schwerem Schicksalsschlag kehrt die Polizistin Karen Eiken Hornby aus London in ihre Heimat Doggerland zurück, um dort als Kriminalassistentin zu arbeiten. Sie lebt zurückgezogen und erträgt stoisch die sexistischen Sprüche und Diskriminierungen ihres Chefs und ihrer Kollegen. Ab und an gönnt sie sich alkoholische Exzesse und One-Night-Stands. Den absoluten Tiefpunkt erreicht sie am Morgen nach dem Volksfest Oistra, als sie in einem Stundenhotel neben ihrem Chef aufwacht. Leider kann sie ihren Rausch kaum ausschlafen: Später am selben Tag wird sie zu einem brutalen Tatort gerufen. Eine Frau in Karens Wohnviertel wurde tot aufgefunden. Und diese Woche Frau ist ausgerechnet die Ex ihres Chefs. Karen bekommt die Leitung der Ermittlungen übertragen und ist fortan nicht nur in einen undurchsichtigen Fall verstrickt, der weit in die Vergangenheit zu reichen scheint, sondern auch ängstlich bemüht ihre eigene Involviertheit vor ihren Kollegen und Vorgesetzten zu verbergen...

Sehr solider, spannender und fesselnder Krimi, der durch seine starke Hauptfigur und dem originellen Lokalkolorit glänzt. Der Schreibstil ist sehr eingängig und gut zu lesen und fesselt von der ersten Zeile an. Man lebt sofort mit Karen mit, sie ist durch und durch eine sympathische und zutiefst menschliche Hauptfigur mit all ihren Schwächen. Durch ihren Schicksalsschlag ist sie traumatisiert und hat eine Mauer um sich errichtet, hinter der sie sich verschanzt und keine tieferen Gefühle mehr zulässt. Sie ist eine gute Polizistin, doch hat sie keinen Ehrgeiz mehr und weder Lust noch Kraft, gegen die sexistischen Äußerungen ihrer Kollegen zu kämpfen. Bis sie diese Chance erhält die Leitung zu übernehmen, da ihr Chef aufgrund der persönlichen Betroffenheit freigestellt wird. Auch wenn sie große Zweifel plagen und sie sich manchmal nach ihrem gewohnten Trott zurücksehnt, wächst sie doch über sich hinaus und emanzipiert sich nicht nur gegenüber den Kollegen, sondern reift auch selber, ihre Mauern werden nach und nach dünner und schließlich eingerissen. Auch dadurch, weil sie sich Menschen gegenüber öffnet, bei denen man es spontan überhaupt nicht für möglich gehalten hätte und was einen sehr berührt.

Der Fall als solcher ist vertrackt und verlangt Karen einiges ab, zumal sie sehr bemüht ist ihre Verstrickung wegen der Affäre mit ihrem Chef zu verbergen. Das macht sie sehr geschickt und clever und muss trotzdem jede Minute fürchten, dass es publik wird. Außerdem muss sie sich als Leiterin erst einmal gegenüber ihren Kollegen durchsetzen. Die Perspektive ist weitgehend die Karens, daher erfährt man von ihrem Innenleben am meisten. Je mehr sie sich den Mitmenschen öffnet, desto mehr erfährt auch der Leser, was sie quält. Kurze Perspektivwechsel machen die Sache interessant, dienen aber oft nur zu näheren Beschreibung. Bei alle Emotionalität und privaten Krisen bleibt der Fall doch immer im Vordergrund und wird dabei immer undurchsichtiger. Karens Theorie, dass die Wurzel allen Übels in einer Kommune aus dem Jahr 1970 liegt, wird von ihren Kollegen ignoriert, von den Einschüben im Text jedoch untermauert. In kürzeren Kapiteln wird aus dieser Kommune gerade immer nur soviel preis gegeben, wie es zum Ermittlungsstand passt, so dass auch dies den Spannungsbogen langsam aber sicher zum fulminanten Finale voran treibt.

Besonders interessant und skurril fand ich das Setting. Das ist echt mal originell. Doggerland, eine fiktive Insellandschaft, ist eine Mischung aus England und Skandinavien, wobei skandinavische Einflüsse meines Erachtens überwiegen. Die Menschen sind zumeist in der Fischerei tätig, trinken und feiern gern, haben kalte Winter, Fährverbindungen in alle Richtungen und bleiben doch am liebsten auf ihrem Eiland und beklagen wie alle den Niedergang ihrer Kultur. Man kennt sich untereinander und Fremde will man nicht haben. Wobei fremd jeder ist, der nicht auf Doggerland geboren ist. Über diesen zumeist recht skurrilen Menschenschlag hätte ich sehr gerne mehr erfahren. Die Szenen, in denen Karen, die zum Glück weiß, wie man diese eigenwilligen Leute zu nehmen hat und dies auch für ihre Ermittlungen sehr klug nutzt, fand ich mit am besten und sie zeugten zumeist von einer großen Portion Humor. Durch das Jahrzehnte alte Wissen der einheimischen Bevölkerung bekommt Karen, die heimgekehrte Tochter, die besten Hinweise. Auch wenn man irgendwann eine vage Ahnung hat, was passiert sein könnte, überschlagen sich die Ereignisse zum Ende hin doch mehr und mehr und man kann einfach nicht mehr aufhören zu lesen. Die Lösung ist denn auch gut herausgearbeitet und befriedigend und auch der emotionale Aspekt kommt nicht zu kurz.

Fazit: Großartiges Krimidebüt einer Autorin, die man sich unbedingt merken sollte. Für Fans des (Skandinavien-)Krimis ein Muss, aber auch für Einsteiger ins Genre sehr gut geeignet. Mit Karen Eiken Hornby ist der Autorin eine sehr authentische Ermittlerfigur gelungen, die super sympathisch ist und die das Potential hat um sich weiter zu entwickeln und uns noch mit vielen weiteren Fällen zu erfreuen. Auch ihre Mitstreiter und die Menschen von Doggerland sind charakterlich gut herausgearbeitet und machen Lust mehr über sie zu erfahren. Ich jedenfalls freue mich schon auf den nächsten Band!

Veröffentlicht am 30.11.2018

Spannender und kompakter historischer Roman aus der Bremer Stadtgeschichte

Gredje von Essen
0

Bremen, 16. Jahrhundert: Die bis dahin bei ihrer Großmutter, einer Kräuterfrau und Hebamme, in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsene Wübke kommt als 6jährige als Dienstmädchen zur reichen Kaufmannswitwe ...

Bremen, 16. Jahrhundert: Die bis dahin bei ihrer Großmutter, einer Kräuterfrau und Hebamme, in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsene Wübke kommt als 6jährige als Dienstmädchen zur reichen Kaufmannswitwe Gredje von Essen. Deren Regiment ist streng aber gerecht, und vor allem anderen lehrt sie Wübke lesen und schreiben, eine eher seltene Fähigkeit in jener Zeit. Die Witwe macht sich mit ihrer Art nicht überall Freunde und weist außerdem die Avancen ihres neuen Nachbarn ab, was dieser nicht verwinden kann. Die nächstbeste Gelegenheit nutzend, denunziert er sie beim Rat als Hexe, und Gredje wird, samt Wübke, ins Verlies geworfen und einer peinlichen Befragung unterzogen. Mehr tot als lebendig kann sie durch eine List befreit werden und auch Wübke entkommt dem Verlies. Können die Frauen ihre Dämonen besiegen und ein neues Leben anfangen?

Atmosphärisch dichter, komplexer Roman über die im Ursprung wahre Geschichte der „Hexe“ Gredie von Essen, aus der Sicht ihres Dienstmädchen Wübke erzählt. Das relativ dünne Buch kommt als sehr gut gebundenes Paperback mit wunderbar gestaltetem Umschlag daher. Die Geschichte ist kompakt erzählt und zeugt von ungeheurem detailliertem historischen Wissen der Autorin, die die mitunter verwirrenden politischen Verhältnisse und Ränke jedoch in eine kompakte, gut zu lesende Sprache packt. Die Geschichte ist spannend, fesselt von der ersten Zeile an und ist gerade durch ihre Kompaktheit nicht eine Sekunde langweilig. Direkt, kompromisslos und ohne Effekthascherei führt uns die Autorin in eine Welt im Umbruch, voller Aberglaube und Gottesfurcht. Mit klarer Sprache beschreibt sie sehr authentisch Lebensumstände der Menschen, politische und religiöse Geschehnisse, aber auch große Gefühle wie Freundschaft, Liebe und Verrat.

Formal teilt sich der Roman in zwei Teile – die Zeit in Bremen bis 1565 und die Zeit bis 1580. Dabei springt die Erzählung oft zwischen den Jahren vor und zurück, hilfreicherweise sind die einzelnen Kapitel mit Orts- und Zeitangaben versehen. Aus der Sicht Wübkes in der Ich-Form erzählt, gibt die Geschichte tiefe Einblicke in das Seelenleben vor allem in die Gefühlswelt des Dienstmädchens. Sie ist die eigentliche Hauptfigur der Handlung, ihr Charakter macht die größte Wandlung durch. Durch ihre schrecklichen Erlebnisse wird sie erwachsen und entwickelt sich von der reinen Befehlsempfängerin in eine Frau, die mit gewitztem Verstand ihr Vermögen zu vermehren versteht. Dennoch ist und bleibt sie empathisch und emotional, ihre Familie geht ihr über alles und ihre Gefühlswelt ist alles andere als abgestumpft. Wübkes Charakter ist am ausgefeiltesten, mit ihr lebte ich von Anfang an intensiv mit. Doch auch die anderen Figuren sind gut gezeichnet und vielschichtig. Am interessantesten und sympathischsten findet man ja zumeist diejenigen, die nicht einseitig schwarz und weiß dargestellt werden, die sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften haben, das macht sie menschlich, sie haben Persönlichkeit und sind authentisch, wie zum Beispiel in diesem Fall vor allem Hinrich Lütz und natürlich Gredje von Essen. Über diese will man als geneigter Leser am liebsten viel mehr erfahren, als es der Fall ist, und deswegen sowie aufgrund des recht offenen Endes werde ich sicherlich nach weiteren Büchern der Autorin Ausschau halten.

Fazit: sehr guter historischer Roman, der förmlich nach einer Fortsetzung ruft! Der Autorin ist ein überzeugendes Debüt gelungen, die spannende Darstellung einer sehr speziellen Begebenheit aus der Bremer Geschichte. Wer als Leser ein gewisses Interesse an detailliert und fundiert dargestellten historischen Ereignissen besitzt, wird sicherlich tief in dieses Buch eintauchen und sehr viel neues Wissen daraus gewinnen. Für Einsteiger in das Genre eher nicht geeignet, ist das Buch für geschichtsbegeisterte ein wahrer Lesegenuss sowie für alle, die starke Frauenfiguren lieben.