Ich war mir als großer Nicholas-Sparks-Fan nicht sicher, ob "Wenn du mich siehst" etwas für mich sein würde, als ich das Wort "Thriller" auf seinem Rücken fand. "Eine berührende Liebesgeschichte mit rasanten Thrillerelementen", so beschrieb eine Pressestimme das Buch. Für Ersteres liebe ich Sparks, da mir noch kein anderer Autor und keine andere Autorin über den Weg gelaufen ist, die oder der authentischer, leichtfüßiger und trotzdem bedeutungsschwer und tiefgründig über die Geschichte zweier Menschen schreiben könnte. Ich war mir jedoch bei weitem nicht sicher, ob sich die Dynamik von Thrillern mit seiner Art des Erzählens vereinen lassen würde, obwohl Bedrohungen in seinen Büchern schon oft eine Rolle gespielt haben. 569 Seiten später konnte ich nicht mehr richtig dran glauben, dass ich diesen Zweifel jemals hatte.
Behutsam und gleichzeitig mit allen Informationen, die man über die Protagonisten benötigt, führt Sparks gewohnt präzise und atmosphärisch dicht hin auf die sich entfaltende Geschichte. Ich habe auch nach den vielen Büchern, die ich von ihm gelesen habe, immer noch nicht ganz entschlüsselt, wie er dabei vorgeht. Nichtsdestotrotz verliere ich mich jedes Mal schon auf den ersten Zeiten in dem, was er beschreibt. Mit Maria und Colin werden zwei junge Menschen vorgestellt, die unterschiedlicher nicht sein könnten; deren Geschichten nicht unterschiedlicher sein könnten. Er, der eher einzelgängerisch durchs Leben geht und wohl härter als viele andere für seine Zukunft kämpfen müsste; sie, die in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen ist und der das Leben gut mitgespielt hat. Langsam aber sicher bewegen sich ihre Handlungen aufeinander zu. Handlungen, die beide zusammenschweißen und gleichzeitig bedrohen - an dieser Stelle sei nicht mehr verraten. :)
Das "Thrillerhafte" entfaltet sich langsam – was, ohne ein großer Thrillerleser zu sein – für mich eindeutig mit der Definition dieses Genres übereinstimmt. Lange Zeit liest man über Unstimmigkeiten oder merkwürdige Begebenheiten hinweg, weil einem gar nicht in den Sinn kommt, dass sie merkwürdig sein könnten: erst ist da nichts, irgendwann ergeben beschriebene Situationen und Begebenheiten allerdings einen Sinn, dann stellt sich eine gewisse Dynamik ein. Gleichzeitig sind da sehr ruhige Momente, in denen es Sparks schafft, das Pendel wieder in Richtung einer Liebesgeschichte ausschlagen zu lassen – und genau dieses Hin und Her und manchmal parallel Passierende ist es, das „Wenn du mich siehst für mich ausmacht“; auch wenn es sich gar nicht so richtig von seinen zuvor verfassten Büchern unterscheidet. Da ist dieselbe Wärme in seinem Schreibstil, dasselbe behutsame Entfalten einer Liebesgeschichte, die auf ihre Weise besonders ist.
Auch in diesem Buch finden sich immer wieder kleine "Erzähllücken", die der Leser selbst schließen muss; Aspekte, die nicht beschrieben werden, die aber für den Verlauf der Geschichte wichtig sind und sich mit ein wenig Nachdenken erschließen - gerade dieses Nicholas Sparks so eigene Mittel empfinde ich in Bezug auf die Dynamik von "Wenn du mich siehst" als besonders passend. Als Leser wird man hierbei förmlich ans Buch gefesselt - ich habe mich mehrmals dabei erwischt, viel länger als geplant gelesen zu haben. Ein eindeutig gutes Zeichen für ein Buch, um zu einem Lieblingsbuch zu werden!
Was mir in vielen anderen Büchern oftmals verloren geht, ist die "Einflechtung" des Ortes, an dem die Handlung eines Buches angesiedelt ist. Es mögen viele Klischees darüber bestehen, wie es in einem Land zugeht; Klischees, die für viele Leser dann ein "Geschmäckle" haben. Nicholas Sparks hingegen schafft es, Dinerbesuche zu etwas werden zu lassen, das völlig zum einzelgängerischen Colin passt, Maria betreibt Stehpaddeln, um einen Ausgleich zu ihrem stressigen Berufsleben zu haben. Boxen, Tanzhallen, Touristenbars am Pier - das alles ist in "Wenn du mich siehst" nicht nur um des Habens willen in die Handlung eingeflochten: es gehört dazu, es muss so sein – und es ist genau richtig so, wie es beschrieben ist. Der Spielort ist keine Kulisse. Überhaupt „fließt“ die Geschichte auf die Art und Weise, die einen als Leser zu einem Teil des Ganzen werden lässt.
Ein weiteres schlagendes Argument für das Buch sind darüber hinaus definitiv unerwartete Wendungen; tragische, aber auch schöne. Nicholas Sparks machte sich solche schon in früheren seiner Bücher zu eigen, nichtsdestotrotz werden sie mir aufgrund der Verblüffung und des gebannten Weiterlesens, das sie bei mir ausgelöst haben, gerade bei diesem Buch noch lange in Erinnerung bleiben. Sie verdeutlichten eine Erkenntnis, die einer der Protagonisten als eine Art lebenslanges Mantra für sich beschreiben würde - und dieses werde auch ich ab sofort in meinem Herzen tragen: man hat immer eine Wahl; man kann sein Leben immer verändern. Immer.
Thriller und Nicholas Sparks, diese Paarung ist seit "Wenn du mich siehst" für mich absolut stimmig. Ein großartiges Buch – einmal mehr. Nicholas Sparks ist und bleibt der Meister der Liebesgeschichten! So sehr ich es auch versucht habe, etwas zu finden: die Contra-Seite auf meiner Liste bleibt leer. Ein fesselndes und gleichzeitig berührendes Buch, das ich jedem empfehlen kann, der Nicholas Sparks (noch nicht) kennt - das bleibt.