Platzhalter für Profilbild

Batyr

Lesejury Profi
offline

Batyr ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Batyr über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.04.2019

Mühsam zusammengestoppelt

Große Freiheit
0

Wer gar keine Vorstellung von der Hamburger Milieu hat, bekommt einen ersten Eindruck - tiefere Einsichten: Fehlanzeige!
Rocko Schamoni betrachtet Wolli Köhler ganz offenkundig als seinen Freund und wollte ...

Wer gar keine Vorstellung von der Hamburger Milieu hat, bekommt einen ersten Eindruck - tiefere Einsichten: Fehlanzeige!
Rocko Schamoni betrachtet Wolli Köhler ganz offenkundig als seinen Freund und wollte ihm ein literarisches Denkmal setzen. Doch das Profil dieser St. Pauli-Größe bleibt seltsam blass. Über weite Strecken hangelt sich der Autor mühsam von Episode zu Episode, reiht Gewaltausbrüche, Sexpraktiken und geniale Geschäftsideen im Rotlichtmilieu aneinander. Besondere Charakterzüge des Helden Wolli werden behauptet, sein Interesse an Literatur, sein kritisches politisches Bewusstsein, aber irgendwelche Konsequenzen für seine Lebensgestaltung werden nicht deutlich. Allein sein Aufstiegswille innerhalb der Halbwelt, allein seine Abneigung gegenüber einem bürgerlichen Dasein, angefüllt mit regelmäßiger Arbeit, treiben ihn, auf St. Pauli sein Glück zu versuchen, nachdem er seine Herkunft aus der DDR und die unterschiedlichsten Stationen seiner Wanderungen durch die Welt hinter sich gelassen hat. Gewiss, große Namen aus der Szene werden genannt, dem Leser vertraut, der wie ich in den 60ern auf St. Pauli großgeworden ist - Bartels, Fascher, Koschider - aber einen Hauch des Inkommensurablen verspürt man nur bei den Szenen mit Cartacala, einer Figur, die wirklich von Tragik umweht ist. Ansonsten: Fehlanzeige. Politische Ereignisse in der Hansestadt, Katastrophen, einschneidende Erfahrungen der Hauptfigur - alles wird nacheinander, nebeneinander abgespult - das ganze Buch ist allenfalls als eine Stoffsammlung anzusehen, von einer packenden, fesselnden, faszinierenden literarischen Gestaltung kann keine Rede sein!
Mein Urteil: 2 Sterne

Veröffentlicht am 12.03.2019

Ja, was denn nun?

Wir, die wir jung sind
0

Ja, was denn nun? Einerseits stellt der Roman eine verschlungene Familiengeschichte dar, angesiedelt in der indischen Oberschicht der Gegenwart. Dann wiederum kommt der Text als schwülstige Schmonzette ...

Ja, was denn nun? Einerseits stellt der Roman eine verschlungene Familiengeschichte dar, angesiedelt in der indischen Oberschicht der Gegenwart. Dann wiederum kommt der Text als schwülstige Schmonzette à la Bollywood daher. Letztlich geriert sich dieses Debüt als anspruchsvolle Shakespeare-Adaptation. Alle drei Lesarten funktionieren, aber es knirscht ganz gewaltig. Wer Zuviel will, erreicht weniger als möglich wäre!
Dem westlichen Leser die gänzlich fremde Welt des indischen Subkontinents näherbringen zu wollen, ist ebenso notwendig wie ehrenhaft. Zu viele Klischees beherrschen die Köpfe. Fatal, wenn gerade diese Klischees bestätigt und weiter verfestigt werden.
Der angestrebte Mix aus Tradition und Moderne hätte der Autorin die Chance eröffnet, ein differenziertes Bild der Heimat Ihrer Familie zu zeichnen. Stattdessen bekommt der Leser nur Schablonen statt Charaktere präsentiert. Da sind die weitverzweigten Familienbeziehungen, wo jeder auf irgendeine Weise mit irgendeinem x-beliebigen anderen verwandt ist - oder doch beinahe. Die wirtschaftlichen und politischen Dimensionen der Handlung beschränken sich auf eine plakative Darstellung von Korruption, Rücksichtslosigkeit, gedankenlosem Konsum. Der atemberaubende Aufstieg einer aufstrebenden Industrienation, die die westliche Welt lehrt, was Moderne ist, hätte ein subtileres Portrait verdient.

Veröffentlicht am 26.01.2019

Enttäuschend

Doggerland. Fehltritt (Ein Doggerland-Krimi 1)
0


Zu der Unzahl bestehender Krimischauplätze rund um den Globus gesellt sich nun also noch eine fiktive Location, zwischen England und Skandinavien in der Nordsee gelegen: Doggerland. Es wird sich zeigen, ...


Zu der Unzahl bestehender Krimischauplätze rund um den Globus gesellt sich nun also noch eine fiktive Location, zwischen England und Skandinavien in der Nordsee gelegen: Doggerland. Es wird sich zeigen, welchen erzählerischen Mehrwert diese Erweiterung der literarischen Landkarte bietet. Zunächst einmal befriedigt die Autorin ihr Bedürfnis, an diesem erfundenen Gemeinwesen allerlei soziologische, politische und wirtschaftliche Entwicklungen durchzudeklinieren.
Hinsichtlich der Charaktere ist der Leser gespalten: die Mehrzahl der handelnden Personen bleibt weitgehend schemenhaft. Unsympathische Figuren sind sehr unsympathisch, der Rest ist indifferent. Allein die Hauptfigur Karen verfügt über ein etwas ausdifferenzierteres Profil, das bereits in der Eingangspassage des Romans deutlich wird: Sie ist nicht so alt, dass sie, gänzlich jenseits von gut und böse, als asexuelles Wesen durchgehen würde. Andererseits nicht mehr so jung, dass ihr der Leser ihr unüberlegtes Verhalten nachsehen könnte: die unter erheblichem Alkoholeinfluss verbrachte Nacht mit einem Kollegen, der ihr nicht einmal sympathisch ist.
Dass den eingeschobenen Rückblenden auf das Leben einer Hippie-Kommune im Sinne eines stringenten Handlungsaufbaus eine besondere Relevanz zukommt, wird dem Leser schnell klar. Allerdings wird im Verlauf des Romans auch eine Vielzahl blinder Motive eingeflochten, die nicht weiterführen.
Am ärgerlichsten ist allerdings der schlampige Sprachgestus, der vermutlich dem Übersetzer anzukreiden ist: ein klappernder Satzbau, wenn nach einem Einschub vor dem Satzende nur noch ein Wort kommt, wenn der gleiche Pleonasmus der ‚weiblichen Polizistin‘ gleich mehrfach auftaucht, wenn vollkommen falsche Wörter verwendet werden, etwa, wenn ein Korken aufgedreht wird.
Die Auflösung ähnelt von der Konstruktion her einem typischen Plot eines Schauerromans aus dem 19. Jahrhundert. Wie ein des ex machine taucht eine weitere Person aus dem Nichts auf, auf der plötzlich die gesamte Entwicklung der Handlung ruht.
Quintessenz: eine rundherum ärgerliche Lektüre, pure Zeitverschwendung.Eine mühsam zusammengestoppelte Handlung, eine Sprachfassung gänzlich unter Niveau, vollkommen uninteressante, weil stereotype Charakterzeichnung. Warum ein fiktiver Schauplatz, Doggerland, bemüht werden muss, um über 500 Seiten diesen Roman in Gang zu halten, bleibt absolut unerfindlich.

Veröffentlicht am 27.11.2018

Die 20er - wieder einmal

Das Palais Reichenbach
2

Nach dem enormen Erfolg der Verfilmung von Volker Kutschers „Der nasse Fisch“ fürs Fernsehen haben die 20er Jahre jetzt natürlich Konjunktur. Nur dass die Autorin ihr Augenmerk auf die Schicht des nach ...

Nach dem enormen Erfolg der Verfilmung von Volker Kutschers „Der nasse Fisch“ fürs Fernsehen haben die 20er Jahre jetzt natürlich Konjunktur. Nur dass die Autorin ihr Augenmerk auf die Schicht des nach dem verlorenen Weltkrieg entmachteten Adels legt. Aber ein Roman mit dem mehr als begrenzten Umfang von 300 Seiten hat einfach nicht die Chance, diese Vielzahl von angerissenen Themen adäquat abzuhandeln. Die materielle Gefährdung durch die drohende Enteignung, das Hochkommen radikaler politischer Kräfte, die blühende Kulturszene, die restriktive Sexualmoral - das ist schlicht zu viel für so einen kurzen Text. Was ich der Verfasserin hingegen hoch anrechne, ist ihr Verzicht auf ein happy ending. Dass die Tochter nicht ihrer Liebe folgt, dass der Chef des Hauses am Freitod des ältesten Sohnes zerbricht, dass es für den jüngeren Sohn nicht die Möglichkeit gibt, irgendwo im Geheimen ein freies Leben zu führen - das beweist, dass der Ehrgeiz der Autorin über das Schreiben eines Groschenromans hinausgeht. Natürlich sehr ironisch, dass der arme verkannte Schriftsteller sich am Ende zum Erfolgsautor mausert. Anerkennenswert, dass J. Winter ihre Geschichte nicht im luftleeren Raum ansiedelt, sondern durch vielerlei Realien tatsächlich ihre Kenntnisse über diese Epoche unter Beweis stellt

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Charaktere
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 16.09.2018

Finsteres Manchester

Dreckiger Schnee
0

Am Ende des Romans sieht sich der Leser wieder an den Anfang zurückversetzt: Aidan Waits, der taffe Polizist, ist degradiert, kaltgestellt, aber um viele Erfahrungen reicher.
Waits steckt eine Menge weg. ...

Am Ende des Romans sieht sich der Leser wieder an den Anfang zurückversetzt: Aidan Waits, der taffe Polizist, ist degradiert, kaltgestellt, aber um viele Erfahrungen reicher.
Waits steckt eine Menge weg. Ein wildes Kaleidoskop von Brutalität und Verschlagenheit zieht den Detective hinein in einen Strudel von Ereignissen, dem der Leser kaum zu folgen vermag: Rivalisierende Drogengangs, ein ‚cold case’, ein Geschwader attraktiver Mädchen, die aber kaum zu unterscheiden sind. Am Ende sind die Gangster weitgehend eliminiert, die absoluten Baddies tauchen ein wenig zu unvermittelt im Geschehen auf, und Waits zwischen Baum und Borke kann nicht einmal Genugtuung empfinden. Der Leser ist enttäuscht, weil der Autor seine erzählerischen Ambitionen nicht durchhalten kann.