ein Buch, das erst zögernd den wahren Wert freigibt
Ein zögerndes BlauIn den letzten Wochen ist mir aufgefallen, dass ich in letzter Zeit sehr gerne Bücher lese, bei denen es zwar auch um die Geschichte geht, die transportiert werden soll, jedoch muss in dieser Geschichte ...
In den letzten Wochen ist mir aufgefallen, dass ich in letzter Zeit sehr gerne Bücher lese, bei denen es zwar auch um die Geschichte geht, die transportiert werden soll, jedoch muss in dieser Geschichte nicht passieren, sondern geht es vielmehr um den Erzählstil und wie die Geschichte erzählt wird. „Ein zögerndes Blau“ von Claudia Sammer ist ein sehr gutes Beispiel hierfür.
Leon wird in den Kriegswirren bei der Flucht von seiner Mutter getrennt. Doch damit ist er nicht allein, und er kämpft mit vielen andren kleinen Kindern im Wald ums nackte überleben. Ein kleines Mädchen, das er Teres nennt, folgt ihm auf Schritt und Tritt. Und so werden beide von einer Familie aufgenommen, und groß gezogen. Leon und Teres – durch die Jahre aneinander geknüpft – gründen eine Familie, bekommen Nachwuchs und bauen sich eine Existenz auf. Doch Leon fragt sich, ob dies wirklich alles war? Beide machen sich Gedanken über ihre Identität, wie das Leben ohne den Verlust der Mutter verlaufen wäre. Leon lässt die Frage nach dem „was, wenn?“ nicht in Ruhe, und begibt sich auf die Suche, und findet tatsächlich noch seinen Bruder.
„Ein zögerndes Blau“ ist ein sehr emotionales Buch. Wie erlebt ein Kind die Trennung seiner Mutter? Wie entwickeln sich Menschen weiter ohne die Prägung der eigenen Familie? Wie kann sich ein Leben ändern durch eine Entscheidung oder einen Zufall? Wie hätte es anders ausgesehen?
Diesen Fragen geht Claudia Sammer nach. Und doch kann man sie nicht abschließend beantworten, da jeder Fall doch so anders ist. Während Leon sich zwar ebenso seine Gedanken macht wie Teres, wirkt Leon stärker, und geht dennoch selbstsicherer mit der Situation um. Teres hingegen wirkt unsicher und wird doch durch die Situation schneller aus der Bahn geworfen. Leon ist für sie der Anker, den sie in ihrem Leben benötigt, und Teres bleibt lebenslang emotional verunsichert.
Der Schreibstil von Claudia Sammer ist erzählerisch sehr gut. Die Umgebung und die Protagonisten werden mit Leben eingehaucht. Die Geschichte hängt durchaus nach mit der Frage „was, wenn?“.
Da dieses Buch keine Zeitangaben verwendet, ist nicht ganz klar, in welchem Zeitfenster dieses Buch spielt. Die Geschichte könnte während des ersten, doch auch während des zweiten Weltkrieges begonnen haben. Durch diese fehlenden Zeitangaben fällt es zu Beginn des Buches etwas schwer, die Protagonisten mit den dazugehörigen Zeitfenstern einzuordnen. Erst zögernd finden die einzelnen Puzzleteile zueinander. Ein Buch, was sich lohnt, ein zweites Mal zu lesen.