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Veröffentlicht am 28.05.2019

Hervorragender historischer Roman über Katharina II.

Die Zarin und der Philosoph (Sankt-Petersburg-Roman 2)
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Russland, 1762: Nach einem Putsch und dem Tod des Zaren Peter III. lässt sich seine Witwe Katharina zur Zarin krönen und besteigt als Katharina II. den Thron. Die Deutsche auf dem Zarenthron will ihre ...

Russland, 1762: Nach einem Putsch und dem Tod des Zaren Peter III. lässt sich seine Witwe Katharina zur Zarin krönen und besteigt als Katharina II. den Thron. Die Deutsche auf dem Zarenthron will ihre Hauptstadt St. Petersburg zur politischen und kulturellen Blüte bringen und zeigen, dass Russland nicht rückständig und sie eine weltoffene Herrscherin ist, und fördert deshalb Kunst, Literatur und Philosophie in der Stadt. Preußenkönig Friedrich II. traut ihr nicht und entsendet den jungen Philosophen Stephan Mervier und seine Frau Johanna, eine Malerin, nach St. Petersburg. Mervier soll an Katharinas Hof und in der Stadt Fuß fassen und Friedrich über Katharinas Plänen auf dem Laufenden halten. Während Stephan am Hof und außerhalb in philosophischen Zirkeln diskutiert und seine Frau auf den Durchbruch als Malerin hofft, schwelt es im Riesenreich. Es regt sich Widerstand in allen Teilen der Bevölkerung, und Katharina ahnt nicht, dass selbst in ihrem engsten Umfeld ein Verräter lauert….

Schlichtweg großartig! Ein toller Historienschmöker, der keine Wünsche offenlässt, nahe an den geschichtlichen Fakten und doch leidenschaftlich und packend. Die Autorin verfügt nicht nur über fundiertes Wissen, sie verpackt dieses in eine fesselnde, zu Herzen gehende Geschichte mit viel Herzblut und sehr authentischen Figuren. Ihr Schreibstil ist gehoben und dennoch sehr eingängig, ihre Sprache anschaulich ohne kitschig zu sein, sie lässt die Stadt vor unserem inneren Auge entstehen, lässt Menschen und ihre Geschichte lebendig werden. Der Leser taucht ein in ein farbenprächtiges Panorama und gewinnt außerdem tiefste Einblicke in das Seelenleben der Protagonisten. Fast nebenher erlangt der Leser großes Wissen in Katharinas Politik, aber noch viel spannender sind die zwischenmenschlichen Beziehungen, die unverhofften und oft überraschenden Freundschaften und Allianzen, die sich bilden. Die Autorin versteht es meisterhaft, die verschiedenen Perspektiven und Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen, so dass es nicht eine Sekunde langweilig wird. Der Leser erhält so tiefe Einblicke in alle gesellschaftlichen Schichten, vom Leibeigenen und Aufrührer bis zum Hofstaat, und erfährt, was die Menschen motiviert und umtreibt, von ihren Ängsten und Zweifeln, ihrem Mut und ihrer Opferbereitschaft.

Das Buch wimmelt von interessanten Charakteren, auch wenn natürlich einige Nebenfiguren bleiben und die Autorin, wie sie selbst sagt, aufgrund der Fülle an Informationen über Katharina und der Menge an Personen in ihrem Umfeld naturgemäß eine Auswahl treffen musste. Dafür sind diejenigen, die im Buch vorkommen, umso vielschichtiger angelegt, jeder ist besonders in seiner Persönlichkeit und viele machen im Laufe der rund dreizehn Jahre, in denen das Geschehen stattfindet, eine starke Entwicklung durch. Dass die Handlung in einem Zeitrahmen von dreizehn Jahren spielt, macht die Geschichte kompakt und übersichtlich und sie lässt sich leichter verfolgen, ein Pro- und ein Epilog geben ihr zudem einen Rahmen und umschließen sie gleichsam aufs Trefflichste. Formal ist das Geschehen in drei Bücher unterteilt mit fortlaufenden Kapiteln. Sehr hilfreich sind Zeittafel und Personenregister am Anfang des Buches.

Als herausragender Charakter sticht natürlich Katharina hervor. Sie ist eine extrem starke, aber auch zwiespältige Persönlichkeit. Man muss sie für vieles bewundern, aber auch für einiges kritisieren. Die Autorin zeigt den Menschen hinter der Monarchin, eine Frau, die sich durchzusetzen weiß, die um Anerkennung und Liebe ringt, die hochintelligent ist, aber dennoch oft ein anderes Selbstbild hat als ihre Umgebung und ihr Volk von ihr haben. Sie lässt einerseits die Kultur in ihrer Stadt erblühen, fördert Künstler, Literaten und Philosophen, errichtet Bildungsstätten, setzt Reformen durch, herrscht aber andererseits als Autokratin und Despotin und schlägt Rebellionen blutig nieder, umgibt sich mit Jasagern und Schmeichlern und macht die Leibeigenschaft im Land stärker denn je. Aufs tiefste gedemütigt durch den Verrat in ihrem engsten Umfeld, lässt sie trotz der großen menschlichen Enttäuschung am Ende doch Gnade walten, überwältigt von einem großen Liebesbeweis.

Die für mich faszinierendste Figur neben Katharina war übrigens nicht der titelgebende Philosoph Mervier – er beeindruckte mich erst am Schluss -, sondern Katharinas Ziehkind Sonja sowie Merviers Frau Johanna. Erstere ist eine originelle Person, deren Geschichte sich wie ein roter Faden durch die Handlung zieht und die eigentlich immer präsent ist. Über sie würde ich liebend gern mehr lesen. Letztere macht meines Erachtens den deutlichsten Wandel durch. Johanna entwickelt sich von einer schüchternen, von Selbstzweifeln geplagten und anfangs depressiven schwachen Person zu einer erfolgreichen Künstlerin, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, schließlich zu ihrer Liebe steht und ihren Weg geht. Überhaupt beeindruckend, wie besonders die Frauen im Buch in einer für Frauen allgemein schwierigen Zeit sich behaupten und mit aller Kraft versuchen zu überleben.

Fazit: ein absolut lesenswerter Roman, der alles vereint, was einen historischen Roman ausmacht – besser geht einfach nicht. Dass die Autorin erfolgreich Bücher und besonders im historischen Kontext angesiedelte Romane schreiben kann, hat sie hinlänglich bewiesen, doch ihre St Petersburg-Romane setzen noch einen drauf und bestechen durch Detailgenauigkeit und Liebe zu Land, Leuten und Geschichte. Wer sie noch nicht kennt, wird spätestens jetzt ein Fan und darf sich hoffentlich auf noch viele weitere Bände freuen!

Veröffentlicht am 25.04.2019

Schöner Liebesroman vor spektakulärer Landschaft

Das Versprechen der Islandschwestern
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Bei Pia läuft es gerade nicht so rund. In ihrem Job beim Jugendamt ist sie frustriert, zudem hat sie Stress mit pubertierender Teenager-Tochter und Exmann. Als ihre Großmutter sie bittet, mit ihr nach ...

Bei Pia läuft es gerade nicht so rund. In ihrem Job beim Jugendamt ist sie frustriert, zudem hat sie Stress mit pubertierender Teenager-Tochter und Exmann. Als ihre Großmutter sie bittet, mit ihr nach Island zum 90. Geburtstag ihrer Schwester zu reisen, sagt Pia freudig zu, zumal sie gerne Näheres über das gestörte Verhältnis der Schwestern herausfinden will. Vor Ort in der wunderschönen Landschaft Islands fühlt sie sich gleich wohl, wozu sicherlich auch der interessante Nachbar Ragnar seinen Teil beiträgt...
Sehr schön geschriebener Liebesroman mit super sympathischen und sehr menschlichen Figuren vor der spektakulären Natur Islands. Sehr gut und flüssig zu lesen, dabei aber überhaupt nicht seicht, platt oder plump. Es geht um Gefühle, wie man sie selbst auch sehr gut kennt, um Selbstzweifel und den Versuchen erwachsen und vernünftig zu handeln, aber auch darum, sich einem Menschen nach bitteren Enttäuschungen wieder zu öffnen. Parallel dazu erzählt die Autorin die Geschichte der ungleichen Schwestern Margarete und Helga, die nach dem zweiten Weltkrieg aus dem zerstörten Deutschland nach Island reisen, um dort für ein Jahr als Landarbeiterinnen zu arbeiten. Dies tut sie einfühlsam und humorvoll und verknüpft dabei sehr geschickt zwei Zeitebenen. Dabei erfährt der geneigte Leser häppchenweise die Geschichte des Zerwürfnisses der beiden Schwestern in Island.
Mir haben viele Dinge sehr gut gefallen, zum Einen dass es um “normale" Menschen geht, die versuchen das Richtige zu tun, dabei aber eben auch mal über die Stränge schlagen, die nicht wie Filmstars aussehen und eben auch ihr Päckchen zu tragen haben. Zum Anderen dass die Autorin wohltuenderweise auf massenhaft Bettszenen verzichtet, sie lässt ihre Figuren - sowohl Ragnar und Pia als auch Helga und Margarete - sich langsam und behutsam aneinander annähern. Das ist nicht immer harmonisch, dabei aber zutiefst nachvollziehbar. Außerdem fand ich die Thematik der Islandschwestern spannend, über die Möglichkeit deutscher junger Leute, nach dem Weltkrieg in Island Arbeit zu finden, wie die Schwestern in Island Fuß fassen und wie sie sich in der Gegenwart miteinander und ihrer Vergangenbeit auseinandersetzen. Dabei ergötzte ich mich vor allem an der Figur von Pias Oma, sie ist einfach köstlich, stur und verschlossen, dabei humor- und temperamentvoll und durchaus lässiger als die viel jüngere Pia. Aber natürlich geht auch die Liebesgeschichte von Ragnar und Pia zu Herzen, und es ist sicher hilfreich, dass Ragnar der Typ Wikinger mit kleinen Schwächen ist, an dessen starker Schulter sich Frau gerne anlehnt.
Fazit: Schöner Roman über die Liebe mit authentischen Figuren und viel Lokalkolorit. Man merkt der Autorin ihre Liebe zu Land und Leuten deutlich an, sie beweist zudem großes Wissen darüber, ihr Stil ist leicht und flüssig, die Geschichte jedoch bei weitem nicht seicht, sondern durchaus hintersinnig. Bei mir rief sie jedenfalls sowohl helles Lachen als auch gerührtes Weinen bervor, was zeigt, wie sehr ich mit den Protagonisten mitlebte. Was will man mehr?

Veröffentlicht am 25.03.2019

Starke Charakterstudie, Familiengeschichte und Thriller in einem!

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
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Der Schriftsteller Manuel Ortigosa schreibt gerade an den letzten Zeilen seines neuen Buches, als ihm Polizeibeamten eine schreckliche Mitteilung machen: Sein Ehemann Alvaro ist in Galicien tödlich verunglückt. ...

Der Schriftsteller Manuel Ortigosa schreibt gerade an den letzten Zeilen seines neuen Buches, als ihm Polizeibeamten eine schreckliche Mitteilung machen: Sein Ehemann Alvaro ist in Galicien tödlich verunglückt. Manuel ist geschockt, denn Alvaro sollte eigentlich in Barcelona sein. Manuel reist ins ferne Galicien, um Alvaro zu identifizieren, und wird von Alvaros Anwalt zur Testamentseröffnung gebeten. Diese birgt mehrere Überraschungen: Anscheinend hat Alvaro entgegen Manuels Wissen Familie in Galicien, ist von adliger Herkunft und vererbt außerdem Manuel seine Besitztümer. Manuel glaubt nun, dass sein Leben mit Alvaro eine einzige Lüge war, und will am liebsten so schnell wie möglich ins heimische Madrid zurück. Da eröffnet ihm der seit kurzem pensionierte Kommissar Nogueira, dass er am Unfallhergang zweifelt und vielmehr überzeugt ist, dass es Mord war. Er überredet Manuel weitere Ermittlungen anzustellen, und damit öffnen sie die Büchse der Pandora. Manuel stochert im Wespennest und erfährt immer mehr über Alvaros Familie, ihre Geheimnisse und Abgründe und deckt nach und nach die wahren Hintergründe auf.

Das ist einfach großartig. Intelligent und subtil, dabei spannend und voller Emotionen, einfühlsam und mit herausragenden Charakteren. Thriller, Familiendrama, Geschichte einer großen Liebe – dies alles und noch viel mehr vereint dieser Roman. Die Autorin kommt dabei zunächst ohne die große blutige Action aus, subtil verwebt sie die Figuren miteinander, von deren Interaktion lebt die Geschichte. Nach und nach offenbaren sich dem Leser die einzelnen Persönlichkeiten und deren Leben in einer einzigartigen Landschaft. Auch in die für uns fremde Welt des Adels und dessen Standesdünkel, die Abgrenzung vom „Personal“ und die absolute Wahrung der familiären Status erhalten wir tiefe Einblicke. Dennoch steigt der Spannungsbogen zum Ende hin gewaltig, die Geschichte wird zum Thriller, und auch blutige Auseinandersetzungen dürfen da nicht fehlen. Mehr als eine Person machen dabei eine Persönlichkeitsentwicklung durch, die ebenfalls sehr fesselnd zu beobachten ist.

Manuel als Charakter ist herausragend, er ist stark und doch verletzlich, hochintelligent und doch ein Zweifler. Wie er nach Alvaros Todesnachricht eine Achterbahn der Gefühle erlebt, an seinem Leben mit Alvaro zweifelt, wütend ist und trauert und dann doch wieder sich aufrafft und nach und nach die Wahrheit herausfindet, neue Beziehungen mit Menschen aufbaut und wieder Freude empfindet, ist eine ganz besondere Entwicklung und wird von der Autorin wunderbar dargestellt. Er ist ganz klar die Hauptfigur, nur ganz wenige Szenen werden aus einer anderen Perspektive erzählt, von ihm erfährt der allwissende Leser am meisten. Mit ihm lebt man dadurch zunächst einmal am meisten mit, in Rückblenden wird zudem sein Leben mit Alvaro erzählt. Doch die Autorin versteht es auch meisterhaft, die anderen Figuren lebensnah und authentisch darzustellen, so ist kaum einer nur gut oder nur böse, und die Szenen aus anderen Perspektiven tragen wesentlich zum Fortgang der Geschichte bei. Nicht nur Manuel, auch Nogueira macht eine Entwicklung durch, er ist neben Manuel der Charakter, den ich am Faszinierendsten fand. Er ist polarisierend, man weiß nicht woran man bei ihm ist und oftmals ist er auch nicht gerade ein Sympathieträger (anders als Manuel) – dennoch ist es gerade Nogueiras Zwiespältigkeit, die einen fesselt. Und nicht zuletzt ist es Nogueiras Hartnäckigkeit und Gerechtigkeitssinn zu verdanken, dass Manuel am Ball bleibt und schließlich die Wahrheit ans Licht kommt.

Fazit: Sehr guter Roman mit starken Figuren, die einen nicht mehr loslassen. Die Autorin hat einen feinsinnigen Schreibstil und versteht es hervorragend Spannung und Emotionen zu erzeugen, ihre Beschreibung der Menschen und ihres Lebens sind faszinierend und anschaulich. Auch wenn man den Roman nicht als reinen Krimi oder Thriller lesen sollte, so ist er als solcher durchaus gut konstruiert und bietet eine logische und befriedigende Lösung, die dem Genre würdig ist. Mir haben indessen besonders die Darstellung der Charaktere und ihre Beziehungen zueinander gefallen, und ich fand es großartig, wie die Autorin die Motive der Figuren hergeleitet und ihre die Entwicklung dargestellt hat. Das ist wirklich absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 15.03.2019

Originell, skurril und very british - der erste Fall für den Vinyldetektiv!

Murder Swing
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Er ist ein Vinyl-Experte, Spezialist in Sachen Jazz, und sammelt seltene Platten, die er billig kauft und verkauft. Damit wird er nicht reich, kann sich aber einigermaßen über Wasser halten. Eine seiner ...

Er ist ein Vinyl-Experte, Spezialist in Sachen Jazz, und sammelt seltene Platten, die er billig kauft und verkauft. Damit wird er nicht reich, kann sich aber einigermaßen über Wasser halten. Eine seiner aus einer (Alkohol-)Laune heraus willkürlich verteilten Visitenkarten beschert ihm als „Vinyldetektiv“ unverhofft einen ersten Auftrag: Für einen geheimnisvollen Auftraggeber soll er eine seltene Jazzplatte finden. Zusammen mit der schönen und geheimnisvollen Nevada Warren, seiner Kontaktperson, fahndet er also in Plattenläden, auf Plattenbörsen und Flohmärkten nach dem guten Stück. Dabei häufen sich mysteriöse Todesfälle, die beiden werden verfolgt, und mehr als einmal kommt den beiden ein mehr als merkwürdiges Pärchen in die Quere, das sie „die arischen Zwillinge“ taufen. Diese erweisen sich als skrupellos und zu allem bereit. Der Vinyldetektiv kann schließlich nicht ahnen, dass er einem großen Geheimnis auf der Spur ist und dass ihn dieser Auftrag nach Japan und Los Angeles bringen und ihm alles an Spürsinn und Verstand abverlangen wird...

Originell, skurril, spannend, geistreich – einen Vinyldetektiv gab es meines Erachtens tatsächlich noch nie! Umso erstaunlicher, wie der Autor es schafft, diese beiden Themen zu verknüpfen und aus einem Platten sammelnden Freak einen echten Detektiv zu machen, und damit meine ich nicht nur die Suche nach der Platte, sondern die Suche nach den wahren Hintergründen. Der Vinyldetektiv ist Hauptfigur und Ermittler, aus seiner Perspektive wird die Geschichte in der ich-Form erzählt, auf ihn fokussiert sich alles und von seinem Innenleben erfährt man am meisten – und doch bleibt er interessanterweise die ganze Zeit über namenlos, er bekommt allenfalls Spitznamen. Er ist ein exzellenter Beobachter und sehr gut im schlussfolgern, der Leser weiß immer so viel wie er selbst und kann so wunderbar mit ermitteln. Und so karg die Informationen über ihn sind (er ist zumindest groß und schlaksig und liebt guten Kaffee und seine Katzen), so erfährt der Leser doch genug, um ihm durchs ganze Buch hinweg die Treue zu halten, mit zu fiebern und sich mit ihm zu identifizieren. Doch auch die anderen Charaktere sind durch die Bank weg wunderbar, allen voran Nevada und Tinkler, meine beiden Lieblingsfiguren neben dem Detektiv. Tinkler ist einfach ein herrlicher Nerd, liebenswert und bester Freund des Detektiv. Nevada ist schön und hochintelligent und verdient viel Geld – das ist beängstigend und macht sie nicht auf den ersten Blick sympathisch, aber sie verfügt außerdem über einen ironischen Humor, was sie mit dem Detektiv gemeinsam hat, ist offensichtlich ein großer Katzenfan wie er und ist neugierig und offen für Neues und sich nicht zu schade, sich auf für sie ungewohntes Terrain zu begeben, zum Beispiel Flohmärkte und Second-Hand Läden. Außerdem ist sie tough und mutig und rettet den Vinyldetektiv mehrfach aus bösen Klemmen, auch wenn sie besonders in Teil zwei etwas undurchsichtig ist. Mir gefielen aber auch die anderen Frauenfiguren wie Clean Head und Ree – ebenfalls interessante und starke Persönlichkeiten. Die Dialoge zwischen dem Detektiv und Tinkler und zwischen ihm und Nevada sind einfach köstlich und entlockten mir mehr als einmal ein herzhaftes Lachen, und sehr lustig sind auch Szenen mit Stinky, der mehr und mehr zum Running Gag wird.

Formal ist die Geschichte ganz nach Vinyl-Art in A-Seite und B-Seite unterteilt und diese wiederum in einzelne, mit passenden Überschriften versehene Kapitel. Die A-Seite umfasst den Teil des Auftrags von Nevada, der hier auch abgeschlossen wird, die B-Seite den Auftrag von Ree. Beide ergeben das „große Ganze“. Dabei ist es kein klassischer Krimi und die Bezeichnung „Thriller“ halte ich für gänzlich unpassend. Schade, dass man auf dem – übrigens sehr gelungenen – Cover nicht wie im englischen Original den Untertitel verwendet und eine Genre-Bezeichnung einfach weggelassen hat. Besonders in Teil A ist es eher ein Wohlfühl-Krimi, die Protagonisten befinden sich zum größten Teil auf der Suche nach der Platte. Hier wird auch viel gefachsimpelt, wer also keine Ahnung und kein Interesse an Musik hat, könnte sich hier eher langweilen. Aber auch hier geschehen schon mysteriöse Todesfälle, deren Zusammenhang zu seinem Fall der Detektiv aber erst später erkennt, und in Teil 2 nimmt die Krimihandlung dann deutlich mehr Fahrt auf und die Plattensuche gerät etwas in den Hintergrund.

Fazit: Herrlicher und origineller Vinyl-Krimi mit wunderbaren, skurrilen Figuren und viel Wissen über Platten und Jazzmusik. Auch Katzenfans kommen auf ihre Kosten. Wer das alles nicht mag, lässt besser die Finger davon, allen anderen sei das Buch wärmstens empfohlen. Wer den Humor Ben Aaronovitchs mochte, wird dieses Buch ebenfalls lieben, und Krimifans erwartet eine schlüssige, gut geschriebene und durchaus spannende Krimihandlung. Der Schluss kam mir etwas zu abrupt, ich werde aber dadurch versöhnlich gestimmt, dass es die Folgebände (in Großbritannien erscheint demnächst der vierte Band) bald auch auf deutsch gibt. Ich will unbedingt wissen, was für Aufträge der Vinyldetektiv weiterhin bekommt, wie es mit seinen amourösen Verstrickungen weitergeht und ob er vielleicht einmal seinen Namen verrät...

Veröffentlicht am 11.03.2019

Dritter Fall für Historiker Tomás Noronha - Dubiose Machenschaften im Vatikan

Vaticanum
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Der portugiesische Historiker Tomás Noronha arbeitet gerade in den Katakomben des Vatikan, um das Grab des „ersten Papstes“, das des Apostel Petrus, zu finden, als er in den Vatikan gerufen wird. Der Papst ...

Der portugiesische Historiker Tomás Noronha arbeitet gerade in den Katakomben des Vatikan, um das Grab des „ersten Papstes“, das des Apostel Petrus, zu finden, als er in den Vatikan gerufen wird. Der Papst selbst beauftragt ihn herauszufinden, wer in die Räumlichkeiten des mit den höchsten Sicherheitsvorkehrungen abgeriegelten Vatikans eingebrochen ist und wichtige Dokumente gestohlen hat. Da das übliche Zeichen der Islamisten am letzten Safe vermerkt ist, deutet alles auf eine islamische Terroristengruppe als Täter hin. Zusammen mit der Wirtschaftsprüferin Cathérine versucht Tomás Licht ins Dunkel zu bringen, als die beiden eine viel schrecklichere Nachricht ereilt: Der Papst ist entführt worden! Offenbar ebenfalls von Islamisten, die den Papst um Mitternacht desselben Tages enthaupten und das live im Internet übertragen wollen. Und plötzlich findet sich Tomás mitten in einem Fall wieder, der die ganze Welt in einen Religionskrieg stürzen könnte und der sich als verzwickter erweist als angenommen, zumal sich ein Verräter im engsten Umfeld des Papstes befindet...

Dritter Fall (in Deutschland) nach Das Einstein-Enigma und Der Schlüssel des Salomon für den Geschichtsprofessor und Code-Spezialist Tomás Noronha. Großartig, spannend, erschütternd, einfach ein echter Pageturner! Aber Vorsicht: Wer rasende Action, jede Menge Verfolgungsjagden und diverse Locations wie bei Dan Browns Büchern erwartet, wird hier enttäuscht sein. Die Geschichte findet ausschließlich im Vatikan beziehungsweise in der Vatikanstadt statt, und seine Spannung zieht der Roman meines Erachtens einmal aus der kompakten Handlung, denn die Hauptgeschichte zieht sich nur über einen einzigen Tag hin, sowie zweitens aus den erschütternden Verflechtungen des Vatikans in Mafia-Kreise sowie kriminelle Finanzgeschäfte. Es gibt ungemein viele und sehr detaillierte Informationen zu den Geschäften des Vatikan, die – und das ist das wahrhaft Erschreckende – auf der Wahrheit beruhen. Außerdem erfährt man einiges über Geschichte und Prophezeiungen. Dennoch gibt es durchaus rasante Aktionen, Noronha gerät in Lebensgefahr und muss mehr als einmal flüchten und auf verschlungenen Wegen in den Vatikan gelangen. Besonders auf den letzten etwa hundert Seiten nimmt die Handlung ziemlich Fahrt auf, bis die Spannung im fulminanten Finale kulminiert.

Formal ist das Buch in 101 Kapiteln unterteilt, die die Handlung chronologisch erzählen, plus einer Vor- und Nachgeschichte. Die Perspektive ist ausschließlich die von Noronha, der Leser weiß also das, was Noronha weiß. Alles ist sehr auf ihn als Hauptfigur fokussiert, was den Effekt hat, dass man als Leser so sehr mit ihm mitfiebert, dass man fast schon meint die Abenteuer selbst zu erleben. Noronha gelangt hauptsächlich über die Wirtschaftsprüferin Cathérine an seine Informationen, über lange Phasen hinweg sitzen sie im Archiv und sichten Unterlagen, oder Noronha tut dies alleine. Das mag für manche langweilig sein, ich fand es äußerst spannend, besonders wie Noronha Verbindungen herstellt, Codes knackt und aus allem seine Schlüsse zieht. Er ist wie Sherlock Holmes, wie er letztendlich durch Logik zur richtigen Lösung gelangt. Man sollte nicht den Fehler machen und hier Passagen zu überlesen, denn diese haben einen großen Anteil an der Lösungsfindung. Dadurch, dass das Ganze doch sehr auf ihn ausgerichtet ist, geraten die anderen Figuren fast ein wenig ins Abseits. Dennoch weist der Autor auch ihnen sehr charakteristische Eigenschaften zu, die sie menschlich und authentisch machen. Ich persönlich fand den italienischen Inspektor durchaus gelungen, Maria Flor hingegen eher blass. Sie taucht nach der Anfangssequenz bei der Ausgrabung erst einmal nicht mehr auf, erst ganz am Schluss wieder. Irgendwie fand ich es einigermaßen unglaubwürdig, dass man es den ganzen Tag während all der Ereignisse nicht schafft sich zu kontaktieren. Bei Maria ist es alberner Trotz, Tomás hat das Handy aus und denkt phasenweise überhaupt nicht an seine Verlobte. Insgesamt treten die wenigen Frauenfiguren sowieso eher als Fragenstellerinnen und Zuarbeiterinnen für Tomás in Aktion, denn auch die hochintelligente Catherine ist besonders nützlich als Archivöffnerin und Dokumentensichterin und ansonsten hauptsächlich verführerische Versuchung.

Fazit: Sehr spannender, mit detaillierten Insider-Informationen nicht geizender Roman, der von der ersten Zeile an fesselt, mit einer herausragenden Hauptfigur, mit der man sofort mitlebt. Für alle, die mehr wollen als reißerische Action, und Wert legen auf Fakten und einen Ermittler, der mit wissenschaftlicher Akribie arbeitet und mit Empirie zu seinen Ergebnissen kommt. Und für alle Noronha-Fans sowieso ein Muss! In Deutschland ist dies erst der dritte Teil, insgesamt gibt es aber schon neun Bände, die im portugiesischen Original in einer anderen Reihenfolge erschienen sind. Wer sich dafür interessiert, mehr Infos finden sich bei buechertreff.de oder auf der Seite des Verlags luzar publishing, der 2016 extra für die Veröffentlichung der Dos Santos-Bücher gegründet wurde.