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Veröffentlicht am 17.04.2019

Intelligent, mitreißend, berührend und erschreckend - definitiv kein Kinderbuch!

Das weiße Herz
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Trotz dass ich von Lukas Hainers Auftaktband "Das dunkle Herz" aufgrund von riesiger Potentialverschwendung nicht wirklich begeistert war, stand es für mich außer Frage, dass ich wissen musste, wie diese ...

Trotz dass ich von Lukas Hainers Auftaktband "Das dunkle Herz" aufgrund von riesiger Potentialverschwendung nicht wirklich begeistert war, stand es für mich außer Frage, dass ich wissen musste, wie diese Geschichte gelöst wird. Und seit ich "Das weiße Herz" begonnen habe, klopfe ich mir selbst für diese Entscheidung auf die Schulter. Denn dieser Finalband zerrt alles, was Band 1 verpasst und ignoriert hat, ans Licht und komplettiert die Geschichte zu einem mehrdimensionalen, komplexen Epos. Ich bin absolut begeistert!!!


"Ihr könnt es nicht besiegen..."


Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover, welches in Anlehnung an Band 1 gestaltet ist und eine Art Negativ dazu ergibt. Wo der Hintergrund zuvor ein verwaschenes Weiß-Grau war, bildet jetzt ein düsteres, unruhiges Blau mit schwarzen Einsprengseln den Kontrast zu dem weißen, dynamischen Fleck im Zentrum des Bildes und den ebenfalls weißen Bäumen und Vögeln. Auch die Farben von Titel und sonstiger Schrift sind gerade vertauscht - so stellen nun der Autorenname, das Verlagszeichen und das Lesebändchen den Bezugspunkt zum blassen Bronzeton der Leselaschen dar. Zusammen mit den verwaschenen Cover-Motiven, die die Innenseiten der Buchdeckel zieren und den schwarzen Flecken, die den Hintergrund für die jeweilige Kapitelüberschrift bilden, ergibt sich so ein geheimnisvolles und stimmiges Gesamtbild.


Erster Satz: "Spasti! Hey, Spasti!"


Wir steigen nach einem kurzen Vorwort des Autors, der mit einer kurzen Zusammenfassung der vorangegangenen Handlung auf hilfreiche Art und Weise die Geschehnisse des erstens Teils rekapituliert, mit einem Prolog über Peter in die Geschichte ein. Dies hilft für ein späteres Verständnis der Geschehnisse und ermöglicht uns einen ersten tieferen Einblick in die Lebenswelt des in Band 1 eher stiefmütterlich behandelten Protagonisten. Auch wenn wir ohne große Umschweife direkt an den vorangegangenen Teil anknüpfen und von Annas und Nicks Rückkehr in die Realität lesen, fand ich den Wiedereinstieg in die Geschichte zunächst sehr schwierig. Die Abenteuer der Wüstenwelt haben mich leicht vergessen lassen, dass die beiden erst 14 Jahre alt und somit noch Kinder sind, doch zurück in der realen Welt von Berlin wurde mir diese Tatsache wieder deutlich ins Bewusstsein gerufen und ich habe mich ein wenig daran gestört, dass sie sich eher wie Erwachsene verhalten. Einige Zusammenhänge und Handlungen erschienen mir deshalb ein wenig fragwürdig. Nick reist allein mit einer fremden, traumatisierten Frau in ein fremdes Land, kurz nachdem er nur knapp die schlimmste Zeit seines Lebens hinter sich gelassen hat? Und als die beiden dann Elifs Hilferuf aus der Türkei erreicht, fliegen sie mit den Kreditkarten ihrer Eltern nach Istanbul? Dort mieten sie sich in ein Hostel ein, fahren mit dem Bus durch die Stadt und keiner fragt misstrauisch nach ihrem Alter? Die Selbstverständlichkeit, mit der die beiden immer wieder von Zuhause abhauen, durch die ganze Welt reisen und sie scheinbar weder mit Behörden noch mit ihren Eltern Probleme bekommen, ist für mich ein Punkt gewesen, der die Glaubwürdigkeit der Geschichte ein wenig untergräbt.


"Du bist das Kind, das neu entdeckt und mit jeder seiner Entdeckungen selbst die Wirklichkeit schafft. (…) Du bist Mutter und Vater, du führst und wirst geführt in allem, was du tust. (…) Du selbst bist der Krieger, der zwischen dir und der Dunkelheit steht. (…) Du bist der Liebende, dem Licht so nah wie dem Verderben, und der Schwindler, Tänzer zwischen den Schatten. (…) Sei stolz, denn mit allem, was du bist, stehst du gegen das dunkle Herz."


Das ist jedoch mein einziger Kritikpunkt an der Handlungskonzeption, denn das Geheimnis um die andere Welt und das dunkle Herz schafft es hier endlich, aus der Ecke herauszukommen in die es in Band 1 gedrängt wurde und eine zentrale Rolle einzunehmen. Während die Handlung sich im ersten Teil auf den Überlebenskampf und die Machtstrukturen innerhalb der Gruppe beschränkte und dadurch trotz des spannenden Settings recht eindimensional blieb, wird hier ein komplexer, mehrdimensionaler Spannungsbogen durch den rasanten Wechsel verschiedener Schauorte, innerer und äußerer Konflikte und spezieller Erzählperspektiven aufgebaut. So bekommen wir hier neben der personalen Erzählung über Anna und Nick auch kurze Einblicke in die Erlebniswelt des Dunklen Herzens, werden durch eingeschobene Passagen aus der Sicht der Stimmen im Abgrund zum Nachdenken angeregt und dürfen auch kurz in die Gedankenwelt von Peter und Maik eintauchen. Die spannenden Variationen gehen mit ständig wechselnden Settings einher. Ankara, Berlin, Dublin, Barcelona, Prag und zwischendurch immer wieder die geheimnisvolle Wüstenwelt mit ihrem gleißenden Sonnenstrahlen, den verschütteten Gebäuden im heißen Sand, den tiefen Abgründen und dunklen Geheimnissen. Wo Band 1 noch vage blieb und sich in oberflächlichem Ankratzen von Fragen verlor, schöpft diese Fortsetzung das magische, düstere Potential der fremden Welt voll aus und überraschte mich damit auf voller Linie.


"Das ist kein Spiel von Licht und Schatten. Das dunkle Herz und wir sind eins. (…) Vielleicht nur Stimmen, die etwas von der Zeit behalten haben, die ihren Körpern geraubt wurde. Vielleicht unsterbliche Seelen, die hier, wo die Schöpfung endet, weder in den Himmel noch in die Hölle gelangen können."


Durch die ständige Vermischung der Konfliktlinien aus Realität und Vorstellung, Wachzustand und Traum, Stillstand und Bewegung, "hier" und "drüben", Tod und Leben, Gut und Böse wird der Leser durchgehend auf Trab gehalten und muss sein Bild der jeweiligen Welt ständig anpassen und verändern. Dadurch werden Szenen, in denen sich die Welten treffen zwar sehr anstrengend zu lesen, da sich die Überlappungen der Wirklichkeiten und Dimensionen schwer vorstellen lassen - wunderbare Beschreibungen, Vergleiche und Gedankenkonstrukte erleichtern hier aber die Imagination. Dass Lukas Hainer hier zum Beispiel auf Stephen Hawkings Theorien zurückgreift und immer wieder verschiedene, greifbare Beispiele anbietet, half mir sehr, einen Überblick zu bewahren und mich nicht zwischen den Welten zu verlieren. Auch abseits dieser Beschreibungen versteht es Lukas Hainer meisterlich, uns seine Geschichte durch atmosphärische Stimmungsbilder erlebbar zu machen. Sein Schreibstil ist plastisch, authentisch und an einigen Stellen fast ein wenig poetisch. Dabei werden unschöne Details -Waffen, Blut, Schmerzen, Kotze, Opfer - keineswegs ausgespart, weshalb diese Geschichte trotz der im Schnitt sehr jungen Protagonisten kein Kinderbuch ist!!! Szenen wie eine Eskalation in einem Drogenhaus, blutrünstige Schlägereien zwischen linken Hausbesetzern und rechten Schlägern, Horror-Alpträume oder kaltblütige Morde an unschuldigen Menschen machen diese Geschichte düsterer als für die Altersgruppe ab 14 Jahren üblich während für jüngere Leser auch der relativ komplizierte Weltenaufbau eine Schwierigkeit darstellen könnte.


"Denk an Eric", flüsterte das Gift ihrem eingetrübten Bewusstsein zu, "du hast es verdient, zu sterben, nachdem, was du getan hast.
Denk an Ben: Warum solltest du leben und er nicht?
Denk an Kyle: das wimmernde Häuflein Mensch, das du verabscheut hast und das für dich gestorben ist.
Denk an das dunkle Herz und lass alle Hoffnung fahren.
Denk an das dunkle Herz und stirb."


Auch in Sachen Protagonisten ist diese Fortsetzung eine immense Steigerung zum ersten Versuch. Nach der schieren Masse an Protagonisten in Band 1, die alle kurz angerissen werden aber keinerlei Tiefe besitzen, findet hier eine deutliche Reduktion auf wenige statt, in die wir dann aber einen tieferen Einblick bekommen. Zwar kommen Kyle, Poppin, Lev, Enzo, Jelena, Arthur, Chloé, Kalil, Connor, Ruth und die kleineren Kinder noch am Rande vor, jedoch haben nur Álvaro, Sinan, Maik, Elif und Eric wirklich im weitesten Sinn etwas mit der Handlung zu tun. Für die Innensicht in Gefühle und Gedanken sorgt wieder die personalen Erzählperspektive, die sich deutlich Anna in den Fokus nimmt, aber ab und zu auch zu anderen Protagonisten wechselt. In Band 1 konnte ich leider nur eine recht lose Verbindung zu Anna und Nick aufbauen doch zusammen mit der Handlung werden hier auch die Protagonisten mehrdimensionaler und ich konnte mich immer besser mit den beiden identifizieren. Ihre feste Überzeugung, die Welt vor dem dunklen Herzen zu beschützen, ihr Glaube an das Gute im Menschen, ihre Willensstärke, ihr Durchhaltevermögen und ihr Vertrauen in sich selbst haben mich sehr berührt, sodass ich großzügig darüber hinwegsehen konnte, dass es in der Tat ein wenig unrealistisch ist, dass die beiden Minderjährigen um die Welt fliegen, überall problemlos Englisch sprechen und ihr Leben aufs Spiel setzen. Auch die angedichtete Liebesgeschichte zwischen Anna und Nick empfand ich als ziemlich unnötig. Natürlich wächst das Vertrauen und es entsteht bei all den traumatischen Erfahrungen, die sie gemeinsam machen, eine tiefe Verbindung, aber warum immer romantische Liebe entstehen muss, weiß ich nicht.


"Forschung zum Klimawandel war gut, solange sie nicht Aktienkursen und Arbeitsplätzen im Weg stand. Mit christlichen Werten schmückte man sich gerne, bis die Flüchtlinge im eigenen Land ankamen, und der Tierschutz war so lange gut, bis er zu höheren Preisen im Supermarkt führte"


Was mich darüber hinaus noch sehr beeindruckt hat, ist dass der Autor es geschafft hat, seinem Mystery-Abenteuer noch eine sozialkritische, hochaktuelle Dimension zu geben. Er streut Anspielungen auf aktuelle Konfliktherde wie die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien, die wachsende Diktatur in der Türkei oder die Spannungen zwischen Links und Rechts gekonnt in die Handlung ein und lässt auch aktuelle Debatten um Flüchtlinge, den Klimawandel oder soziale Ungerechtigkeiten mit einfließen. Unsere Welt kommt hier mal wieder nicht besonders gut weg und der Mensch ist sich wieder einmal selbst der größte Feind. Habgier, Machtstreben, Unterdrückung, Gewalt, Hass, Angst, Ignoranz und Gleichgültigkeit bieten einen gelungenen Nährboden für das dunkle Herz und so wird am Ende klar, dass der effektivste Weg um das Böse zu bekämpfen, der Kampf gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt ist, welchem sich die Protagonisten am Ende widmen wollen. So wird der Geschichte noch eine anrührende Message hinten angestellt, die mich ebenfalls sehr beeindruckt hat.


"Sie wollte nicht mehr mit Waffen kämpfen und auch nicht mehr um ihr Leben rennen (…). Als Racheengel, Feuer mit Feuer bekämpfend und eine Spur des Todes hinterlassend. Sie litt so sehr darunter, dass sie Peter nicht mehr Zuversicht hatte geben können, weil es in dieser Welt keine für ihn gegeben hatte. Sie wollte das nicht hinnehme. Und auch nicht, dass Not zu Fremdenhass statt Solidarität und Gewalttaten zu Spaltung statt Zusammenhalt führten. Es war möglich, etwas dagegen zu tun."



Der Showdown gegen Ende ist ein wenig chaotisch und ein einziges Durcheinander der zwei Welten aber durch schnelle Sprünge, die Enthüllung bedeutungsschwerer Geheimnissen, die Verantwortung, die Welt zu retten und wundervolle Beschreibungen definitiv ein würdiger Abschluss. Mit einem herzergreifenden, tragischen Epilog wird die Geschichte dann beendet und ich kann nur anerkennend nicken angesichts der Richtung, in die sich die Geschichte weiterentwickelt und mehr Tiefe dazugewonnen hat. Das hätte ich niemals erwartet!

Zum Schluss noch ein (etwas aus dem Zusammenhang gerissenes) Zitat, das ich auf mehrdeutige Art und Weise schön finde:

"Das Kind entscheidet über das Wesen der Welt. Immer das Kind."





Fazit:



Dieser Finalband zerrt alles, was Band 1 verpasst und ignoriert hat, ans Licht und komplettiert die Geschichte zu einem mehrdimensionalen, komplexen Epos, welcher mit einem rasanten Wechsel verschiedener Schauorte, innerer und äußerer Konflikte und spezieller Erzählperspektiven, atmosphärischen Stimmungsbilder und einer sozialkritischen, hochaktuellen Dimension beeindruckt. Intelligent, mitreißend, berührend und erschreckend - definitiv kein Kinderbuch!

Veröffentlicht am 16.03.2019

Komplex, atmosphärisch, bewegend, düster und doch voller funkelnder Schönheit - so muss Fantasy sein!

Das kalte Reich des Silbers
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Nachdem ich lange um "Das dunkle Herz des Waldes" der Fantasy-Newcomerin Naomi Novik vor etwa zwei Jahren herumgeschlichen bin, nur um es dann nie zu lesen, musste ich bei ihrem zweiten Fantasy-Epos im ...

Nachdem ich lange um "Das dunkle Herz des Waldes" der Fantasy-Newcomerin Naomi Novik vor etwa zwei Jahren herumgeschlichen bin, nur um es dann nie zu lesen, musste ich bei ihrem zweiten Fantasy-Epos im cbj-Verlag natürlich zuschlagen und mir selbst ein Bild ihres Stils verschaffen, der die Fantasy-Welt verzückte. Schon nach wenigen Seiten konnte ich jede der begeisterten Rezensionen nachvollziehen und mich der Geschichte, die an eine Mischung aus "Das Reich der sieben Höfe" von Sarah J. Maas und "Wintersong" von S. Jae Jones erinnert ohne eine davon wirklich nachzuerzählen, gespannt hingeben. Und so bezauberte mich Noami Novik mit einem fantastischen Porträt dreier starker Frauen in einer Welt voller Intrigen, winterlicher Kälte und dämonischem Feuer.


Schon die wunderschöne Gestaltung hat mich von Anfang an in ihren Bann gezogen. Auch wenn es einige Dinge gibt, die mich ein wenig stören, konnten diese nicht den schillernden Gesamteindruck trüben. Mit dem mattweißen Hintergrund, den silbernen Bäumen, dem glänzenden Eis und den kleinen Vögeln werden wir in eine kalte aber doch funkelnd schöne Winterwelt entführt, von der sich das Mädchen mit den langen braunen Haaren und dem grünen Kleid wunderbar abhebt. Auch wenn sie super ins Bild passt, stört sie mich in zweierlei Hinsichten. Erstens mag ich aus Prinzip keine echten Gesichter auf Buchcovers da sie oft nicht mit meiner Vorstellung des Protagonisten korrespondieren. Und zweitens geht es hier um drei beinahe gleichwertige Protagonistinnen während durch das Cover und auch durch den Klapptext fälschlicherweise suggeriert wird, Mirjems Schicksal sei das einzige, um was es hier ginge. Da mir das deutsche Cover hier aber ausnahmsweise mal besser gefällt als das Original will ich hier aber mal nicht kleinlich sein. Denn die Gestaltung schafft es nicht nur schön auszusehen und die kalte, funkelnde, düstere Stimmung der Geschichte zu vermitteln, auch wichtige Aspekte wie der Kontrast von Silber und Gold sind hier durch den goldenen Titel und die goldene, glänzende Ranke verarbeitet. Unter dem Umschlag erwartet uns ein schlichtes Grau, doch schlägt man das Buch auf, sind die Innenseiten in glänzendem Gold gehalten.


Erster Satz: "Die wahre Geschichte ist nicht halb so hübsch wie die, die man euch erzählt hat."


Damit beginnt Noami Novik ihre Geschichte um Schulden, Handel, Intrigen, Leid, Dunkelheit und Winter aber auch um Freundschaft, Familie, Ehrlichkeit, harte Arbeit und goldener Lohn. Und sie behält Recht - hübsch ist diese Geschichte wahrlich nicht. Sie handelt nicht von Prinzessinnen, Aufstieg, Schönheit, wahre Liebe und dem großen Glück sondern erzählt das eng verflochtene Schicksal dreier starker, junger Frauen, die auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt sind und dabei in ein verrücktes Abenteuer geraten.


"Dreimal, sterbliches Mädchen", antwortete er in einem Rhythmus der beinahe wie ein Lied klang. "Dreimal sollst du für mich Silber in Gold verwandeln, oder du wirst selbst zu Eis werden." (…)
"Und dann?"
Er lachte hoch und wild und sagte höhnisch: "Und dann, wenn es dir gelingt, werde ich dich zu meiner Königin machen."
- Mirjem -


Zuerst lernen wie Mirjem kenne, die Tochter eines jüdischen, gutherzigen Pfandleihers, die ihren knurrenden Magen und das eingefallene Gesicht ihrer Mutter nicht mehr ertragen kann und beginnt, unnachgiebig Schulden zurückzufordern. Bald heißt es, sie könne Silber zu Gold machen, woran der kalte Herr des Waldes, der König der Staryk sehr interessiert ist. Er stellt ihr drei unmögliche Aufgaben und so scheint es für ihr Leben nur noch zwei Optionen zu geben - entweder sie wird von ihm in Eis verwandelt oder sie lebt bis an ihr Lebensende als seine Königin in seinem Winterreich und verwandelt Silber in Gold, wodurch seine Macht erstarkt und der Winter erbarmungslos über ihre Heimat kommen würde...


"Was Ihr in meine Hände legt, ist mehr als alles, was ich besitze", sagte ich, weil es wehtat, sie diese Dinge sagen zu hören, die nicht wahr waren, als wäre ich nur aus Herzensgüte gekommen, um ihr zu helfen und nicht, weil ich an Silber kommen und weil ich in Sicherheit sein wollte.
"Dann hast du nicht genug, und ich habe mehr, als ich brauche", sagte sie. "Still jetzt, meine Liebe. (…) Es gibt Männer, die im Inneren Wölfe sind, und sie wollen andere Menschen fressen, um sich die Bäuche vollzuschlagen. Und so ein Mann hat dein ganzen Leben lang mit dir unter einem Dach gelebt. Aber da seid ihr nun, du und deine Brüder, und du bist nicht verschlungen worden und in keinem von euch lebt ein Wolf. Ihr habt einander zu essen gegeben und ihr habt den Wolf ferngehalten. Das ist alles, was wir auf der Welt füreinander tun können: den Wolf fernhalten."
- Wanda -


Der zweite Handlungsstrang dreht sich um Wanda, die Tochter eines vereinsamten Bauers, welcher seit dem Tod ihrer Mutter jedes Geld versäuft, sie und ihre zwei Brüder Sergej und Stepon verprügelt und plant, sie möglichst gewinnbringend an den ersten Heiratsinteressenten zu verschachern. Als sie bei Mirjem angestellt wird um ihr beim Eintreiben der Schulden behilflich zu sein, sie die Magie der Zahlen und Buchstaben erlernt, eigenes Geld verdient und zum ersten Mal mit Respekt behandelt wird, keimt in ihr der Traum nach einem freien, selbst bestimmten Leben auf und sie ahnt, dass sie so viel mehr sein kann und viel mehr wert ist, als die Arbeit ihrer Hände und die gesunden Kinder, die sie gebären kann...

Als drittes lernen wir die junge Irina kennen, die als Tochter des Herzogs von Wisnja den höchsten Stand der drei Mädchen hat, jedoch keineswegs besser dasteht als die zwei anderen. Als unscheinbare, blasse Tochter seiner ersten Frau ist sie für ihren intriganten Vater nicht mehr wert als eine Magd und die Optionen für eine gewinnbringende Heirat stehen sehr schlecht. Das ändert sich jedoch schlagartig, als ein dürres, jüdisches Mädchen namens Mirjem vor ihrer Tür auftaucht und ihr für ein Vermögen ein Schmuckensemble aus eiskaltem Silber verkauft, das nicht ganz von dieser Welt zu sein scheint. Denn sobald Irina den Ring, die Kette und die Krone trägt, umschmeichelt sie die kalte Kraft des Silbers und lässt sie wie eine aufregende Schönheit wirken. Damit rechnet sich ihr Vater eine reale Chance auf die Heirat mit dem jungen, unverheirateten Zaren aus, der wenige Tage später zu Besuch kommen soll. Doch dieser verbirgt ein feuriges Geheimnis und um zu überleben muss Irina einen tödlichen Handel mit ihm eingehen...


"Was sehen die anderen?", fragte er. Ich nahm ihm das Bild aus der Hand und sah mich zum ersten Mal mit meiner Krone. (…) Es war ein gewöhnliches Gesicht ohne Schönheit, aber es war ganz sicher meines und nicht das Gesicht von jemand anderem. "Mich", antwortete ich und reichte ihm das Blatt zurück."
- Irinia -


Keine von den Dreien ist eine Schönheit, doch alle kämpfen sie mit Hingabe für das, was sie lieben und lassen sich in der kalten, männerdominierten Welt nicht unterkriegen. Die interessante Art und Weise, wie die Schicksale miteinander verwoben sind, wie die Autorin immer wieder Orte und Symbole einfügt, die die Protagonisten auf subtile Art und Weise verbinden nur um an Ende alle Stränge spektakulär zusammenfließen zu lassen, hat mich sehr beeindruckt. Sehr gerne habe ich verfolgt, wie die Drei das tun, was sie für richtig halten, dabei unglaubliche Risiken eingehen, gegen dunkle Mächte kämpfen und daran wachsen. Wer dabei auf herzzerreißende Lovestories wartet, der wird enttäuscht werden, denn erst am Ende lassen sich leise Andeutungen finden, die jedoch sehr offen und distanziert bleiben. Doch diese Geschichte hat keine brennende Leidenschaft und knisternde Romantik nötig, um Leserherzen zu gewinnen. Dieser Roman lebt vielmehr vom krassen Wechselspiel zwischen kühler, berechnender Logik und mythischer, düsterer Fantasy und verblüfft immer wieder mit Wendungen, Intrigen und Gedankenspielen, die weitaus komplexer sind, als man das von Fantasy-Romanen erwarten würde. Wer die wirklichen Strippenzieher, was deren Motive und wie ihre Verhältnisse in dieser Geschichte sind, wird erst sehr spät aufgedeckt, sodass es trotz einiger kurzer Wiederholungen im letzten Drittel bis zum Ende spannend bleibt. Spoiler Alert Das Ende an sich tritt dann relativ abrupt auf den Plan und bleibt außerdem recht offen. Damit habe ich grundsätzlich kein Problem aber dass alle der vermeintlichen Monster am Ende jedoch entlastet werden und sogar die Opferrolle annehmen ist dann doch etwas unglaubwürdig und so gerät die sorgsam aufgebaute Ambivalenz von Mirnatius und dem Staryk König am Ende aus dem Gleichgewicht. Spoiler Ende


"Ein silberfarbenes Glitzern war in der Ferne zwischen den Bäumen aufgetaucht; die Straße der Staryk blitzte auf. Die Pferde liefen noch schneller, aber die Straße der Staryk blieb den ganzen Heimweg über bei uns und glänzte zwischen den Bäumen. Ich konnte sie an meiner Seite spüren: ein Hauch von kälterem Wind, der versuchte, sich an mich zu pressen und durch meine Haut zu schneiden. Aber ich kümmerte mich nicht darum. Die Kälte in mir war größer als die Kälte da draußen."
- Mirjem -


Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass die oft wechselnden Perspektiven nicht gekennzeichnet wurden. Anstatt dass wie in etlichen anderen Romanen durch ein Name, ein Zeichen oder eine Formatierungsänderung deutlich gemacht wird, wer im folgenden Paragraph die Ich-Erzählung übernimmt, werden wir hier einfach in eine Perspektive hineingeworfen und müssen uns in den ersten Sätzen durch den Kontext erschließen, aus wessen Sicht wir die Handlung gerade erleben. Das ist zuerst sehr seltsam, anstrengend und kann auch zu Missverständnissen führen, da wir gegen Ende neben Mirjem, Wanda und Irina auch die Perspektiven von Wandas Bruder Stepon, dem Zaren Mirnatius oder Irinas Kinderfrau Magreta einnehmen. Was hingegen wieder sehr für die Autorin spricht ist, dass hier jede Person als Ich-Erzähler eine ganz individuelle Erzählerstimme bekommt, die durch besondere Formulierung, Wortwahl und atmosphärische Färbung zustande kommt. Wer das hinbekommt, spielt erzähltechnisch definitiv auf höchstem Niveau. An dieser Stelle also ein großes Kompliment an die Übersetzerin Marianne Schmidt für die tolle Leistung! Nichtsdestotrotz hätte es mir das Lesen sehr viel einfacher gestaltet, wenn ein Perspektivenwechsel durch Namen gekennzeichnet gewesen wäre.


"Sie streichelte mir über den Kopf und sagte zärtlich: "Irinuschka, meine Tapfere. Trauere nicht so. Der Winter ist vorüber."
"Ja", sagte ich, und meine Kehle schmerzte. "Aber er ist vorüber, weil ich dem Feuer Nahrung gegeben habe, Magra, und es verlangt nach mehr Holz."
- Irina -



Auch abseits der Erzähltechnik spielt Naomi Noviks Stil in einer Top-Liga. Bildgewaltig und voller Details (576 Seiten!!) entführt sie in ein winterliches Fantasy-Setting, das zwischen Urban-Fantasy und High-Fantasie schwankt und viele spannende neue Ideen präsentiert. Anstatt über altbekannte Wesen wie Vampire, Werwölfe, Fae, Elfen, Zwerge oder Hexen zu schreiben lässt sie einen Feuerdämonen auf ein ganz neues Volk treffen: die Staryk - strahlende, kalte Eiswesen, die ihre ewige Winterwelt der Dunkelheit abgerungen haben und sonnenwarmes Gold sammeln um gegen diese bestehen zu können. Mit der Aufgabe, Silber in Gold zu verwandeln und weiteren Parallelen erinnert ein Teil der Handlung an eine neue Version des Märchens "Rumpelstilzchen“ von den Brüdern Grimm. Bei genauerem Hinsehen tauchen jedoch mehr Elemente aus slawischen Märchen auf. Das winterliche Königreich Lithvas erinnert sehr an das Russland vergangener Tage, wo Zaren herrschen, Juden verfolgt werden und Erzählungen über die Baba Jaga kursieren - wir befinden uns also definitiv in einer eher östlich orientierten Mythologie. Zwischen Problemen und Grausamkeiten von dieser Welt mischen sich scheinbar mühelos magische Phänomene und Naomi Novik schafft es mit manchmal etwas sperrigen aber immer magischen Worten, eine spannende neue Welt zum Leben zu erwecken.


"Er stieß ein raues, wildes Lachen aus. "Was hast du denn noch nicht von mir bekommen? Meine Hand und meine Krone und meine Würde, und du verlangst, dass ich dir noch mehr gebe? Nein. Du solltest zufrieden sein mit dem, was du bereits von mir erhalten hast, im Gegenzug für deine Gabe. Sterbliches Mädchen, sei gewarnt", fügte er mit einem kalten Zischen hinzu. Seine Augen waren jetzt so zusammengekniffen, dass sie nur noch blaue Schatten waren wie ein tiefer Spalt in einem gefrorenen Fluss - eine Warnung, nicht hindurchzufallen und im Wasser darunter zu ertrinken."
- Mirjem -


Da ist eine Tochter, die innerlich hart und kalt wie Eis wird, damit ihre Familie überleben kann. Da ist eine Mutter, die ihr Kind für ein bisschen Macht dem Verderben ausliefert. Da sind Väter, die ihre Kinder bis zur Besinnungslosigkeit schlagen oder versuchen ihre Töchter möglichst gewinnbringend zu verheiraten. Da sind Familien, die von Hunger und Verzweiflung zu Gräueltaten getrieben werden, als deren Getreide in der Kälte verfault und deren Vieh erfriert. Und zwischen dem weltlichen Leid sind da geheimnisvolle, schneeweiße Straßen, die sich plötzlich zwischen schneebedeckten Bäumen auftun und wieder verschwinden. Bäume, die die Seele gestorbener Menschen aufnehmen. Schlichte Röcke, die sich in Ballkleider verwandeln. Silber, das Menschen in seinen Bann zieht und Gold, das den Frühling fern hält. Da ist eine winterliche Welt mit einem gläsernen Berg und Hütten, die auf der Grenze der Existenzen errichtet sind. Und wie das kalte Silber in den Schatzkammern der Staryk durch Mirjem zu warmem Gold wird, werden hier Worte durch Naomi Novik zu einem tiefgründigen, bewegenden, dunklen Erlebnis, das man nicht mehr so schnell vergisst.


Fazit:


Das fantastische Porträt dreier starker Frauen in einer Welt voller Intrigen, winterlicher Kälte und dämonischem Feuer. Komplex, atmosphärisch, bewegend, düster und doch voller funkelnder Schönheit - so muss Fantasy sein!

Veröffentlicht am 16.03.2019

Komplex, atmosphärisch, bewegend, düster und doch voller funkelnder Schönheit - so muss Fantasy sein!

Das kalte Reich des Silbers
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Nachdem ich lange um "Das dunkle Herz des Waldes" der Fantasy-Newcomerin Naomi Novik vor etwa zwei Jahren herumgeschlichen bin, nur um es dann nie zu lesen, musste ich bei ihrem zweiten Fantasy-Epos im ...

Nachdem ich lange um "Das dunkle Herz des Waldes" der Fantasy-Newcomerin Naomi Novik vor etwa zwei Jahren herumgeschlichen bin, nur um es dann nie zu lesen, musste ich bei ihrem zweiten Fantasy-Epos im cbj-Verlag natürlich zuschlagen und mir selbst ein Bild ihres Stils verschaffen, der die Fantasy-Welt verzückte. Schon nach wenigen Seiten konnte ich jede der begeisterten Rezensionen nachvollziehen und mich der Geschichte, die an eine Mischung aus "Das Reich der sieben Höfe" von Sarah J. Maas und "Wintersong" von S. Jae Jones erinnert ohne eine davon wirklich nachzuerzählen, gespannt hingeben. Und so bezauberte mich Noami Novik mit einem fantastischen Porträt dreier starker Frauen in einer Welt voller Intrigen, winterlicher Kälte und dämonischem Feuer.


Schon die wunderschöne Gestaltung hat mich von Anfang an in ihren Bann gezogen. Auch wenn es einige Dinge gibt, die mich ein wenig stören, konnten diese nicht den schillernden Gesamteindruck trüben. Mit dem mattweißen Hintergrund, den silbernen Bäumen, dem glänzenden Eis und den kleinen Vögeln werden wir in eine kalte aber doch funkelnd schöne Winterwelt entführt, von der sich das Mädchen mit den langen braunen Haaren und dem grünen Kleid wunderbar abhebt. Auch wenn sie super ins Bild passt, stört sie mich in zweierlei Hinsichten. Erstens mag ich aus Prinzip keine echten Gesichter auf Buchcovers da sie oft nicht mit meiner Vorstellung des Protagonisten korrespondieren. Und zweitens geht es hier um drei beinahe gleichwertige Protagonistinnen während durch das Cover und auch durch den Klapptext fälschlicherweise suggeriert wird, Mirjems Schicksal sei das einzige, um was es hier ginge. Da mir das deutsche Cover hier aber ausnahmsweise mal besser gefällt als das Original will ich hier aber mal nicht kleinlich sein. Denn die Gestaltung schafft es nicht nur schön auszusehen und die kalte, funkelnde, düstere Stimmung der Geschichte zu vermitteln, auch wichtige Aspekte wie der Kontrast von Silber und Gold sind hier durch den goldenen Titel und die goldene, glänzende Ranke verarbeitet. Unter dem Umschlag erwartet uns ein schlichtes Grau, doch schlägt man das Buch auf, sind die Innenseiten in glänzendem Gold gehalten.


Erster Satz: "Die wahre Geschichte ist nicht halb so hübsch wie die, die man euch erzählt hat."


Damit beginnt Noami Novik ihre Geschichte um Schulden, Handel, Intrigen, Leid, Dunkelheit und Winter aber auch um Freundschaft, Familie, Ehrlichkeit, harte Arbeit und goldener Lohn. Und sie behält Recht - hübsch ist diese Geschichte wahrlich nicht. Sie handelt nicht von Prinzessinnen, Aufstieg, Schönheit, wahre Liebe und dem großen Glück sondern erzählt das eng verflochtene Schicksal dreier starker, junger Frauen, die auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt sind und dabei in ein verrücktes Abenteuer geraten.


"Dreimal, sterbliches Mädchen", antwortete er in einem Rhythmus der beinahe wie ein Lied klang. "Dreimal sollst du für mich Silber in Gold verwandeln, oder du wirst selbst zu Eis werden." (…)
"Und dann?"
Er lachte hoch und wild und sagte höhnisch: "Und dann, wenn es dir gelingt, werde ich dich zu meiner Königin machen."
- Mirjem -


Zuerst lernen wie Mirjem kenne, die Tochter eines jüdischen, gutherzigen Pfandleihers, die ihren knurrenden Magen und das eingefallene Gesicht ihrer Mutter nicht mehr ertragen kann und beginnt, unnachgiebig Schulden zurückzufordern. Bald heißt es, sie könne Silber zu Gold machen, woran der kalte Herr des Waldes, der König der Staryk sehr interessiert ist. Er stellt ihr drei unmögliche Aufgaben und so scheint es für ihr Leben nur noch zwei Optionen zu geben - entweder sie wird von ihm in Eis verwandelt oder sie lebt bis an ihr Lebensende als seine Königin in seinem Winterreich und verwandelt Silber in Gold, wodurch seine Macht erstarkt und der Winter erbarmungslos über ihre Heimat kommen würde...


"Was Ihr in meine Hände legt, ist mehr als alles, was ich besitze", sagte ich, weil es wehtat, sie diese Dinge sagen zu hören, die nicht wahr waren, als wäre ich nur aus Herzensgüte gekommen, um ihr zu helfen und nicht, weil ich an Silber kommen und weil ich in Sicherheit sein wollte.
"Dann hast du nicht genug, und ich habe mehr, als ich brauche", sagte sie. "Still jetzt, meine Liebe. (…) Es gibt Männer, die im Inneren Wölfe sind, und sie wollen andere Menschen fressen, um sich die Bäuche vollzuschlagen. Und so ein Mann hat dein ganzen Leben lang mit dir unter einem Dach gelebt. Aber da seid ihr nun, du und deine Brüder, und du bist nicht verschlungen worden und in keinem von euch lebt ein Wolf. Ihr habt einander zu essen gegeben und ihr habt den Wolf ferngehalten. Das ist alles, was wir auf der Welt füreinander tun können: den Wolf fernhalten."
- Wanda -


Der zweite Handlungsstrang dreht sich um Wanda, die Tochter eines vereinsamten Bauers, welcher seit dem Tod ihrer Mutter jedes Geld versäuft, sie und ihre zwei Brüder Sergej und Stepon verprügelt und plant, sie möglichst gewinnbringend an den ersten Heiratsinteressenten zu verschachern. Als sie bei Mirjem angestellt wird um ihr beim Eintreiben der Schulden behilflich zu sein, sie die Magie der Zahlen und Buchstaben erlernt, eigenes Geld verdient und zum ersten Mal mit Respekt behandelt wird, keimt in ihr der Traum nach einem freien, selbst bestimmten Leben auf und sie ahnt, dass sie so viel mehr sein kann und viel mehr wert ist, als die Arbeit ihrer Hände und die gesunden Kinder, die sie gebären kann...

Als drittes lernen wir die junge Irina kennen, die als Tochter des Herzogs von Wisnja den höchsten Stand der drei Mädchen hat, jedoch keineswegs besser dasteht als die zwei anderen. Als unscheinbare, blasse Tochter seiner ersten Frau ist sie für ihren intriganten Vater nicht mehr wert als eine Magd und die Optionen für eine gewinnbringende Heirat stehen sehr schlecht. Das ändert sich jedoch schlagartig, als ein dürres, jüdisches Mädchen namens Mirjem vor ihrer Tür auftaucht und ihr für ein Vermögen ein Schmuckensemble aus eiskaltem Silber verkauft, das nicht ganz von dieser Welt zu sein scheint. Denn sobald Irina den Ring, die Kette und die Krone trägt, umschmeichelt sie die kalte Kraft des Silbers und lässt sie wie eine aufregende Schönheit wirken. Damit rechnet sich ihr Vater eine reale Chance auf die Heirat mit dem jungen, unverheirateten Zaren aus, der wenige Tage später zu Besuch kommen soll. Doch dieser verbirgt ein feuriges Geheimnis und um zu überleben muss Irina einen tödlichen Handel mit ihm eingehen...


"Was sehen die anderen?", fragte er. Ich nahm ihm das Bild aus der Hand und sah mich zum ersten Mal mit meiner Krone. (…) Es war ein gewöhnliches Gesicht ohne Schönheit, aber es war ganz sicher meines und nicht das Gesicht von jemand anderem. "Mich", antwortete ich und reichte ihm das Blatt zurück."
- Irinia -


Keine von den Dreien ist eine Schönheit, doch alle kämpfen sie mit Hingabe für das, was sie lieben und lassen sich in der kalten, männerdominierten Welt nicht unterkriegen. Die interessante Art und Weise, wie die Schicksale miteinander verwoben sind, wie die Autorin immer wieder Orte und Symbole einfügt, die die Protagonisten auf subtile Art und Weise verbinden nur um an Ende alle Stränge spektakulär zusammenfließen zu lassen, hat mich sehr beeindruckt. Sehr gerne habe ich verfolgt, wie die Drei das tun, was sie für richtig halten, dabei unglaubliche Risiken eingehen, gegen dunkle Mächte kämpfen und daran wachsen. Wer dabei auf herzzerreißende Lovestories wartet, der wird enttäuscht werden, denn erst am Ende lassen sich leise Andeutungen finden, die jedoch sehr offen und distanziert bleiben. Doch diese Geschichte hat keine brennende Leidenschaft und knisternde Romantik nötig, um Leserherzen zu gewinnen. Dieser Roman lebt vielmehr vom krassen Wechselspiel zwischen kühler, berechnender Logik und mythischer, düsterer Fantasy und verblüfft immer wieder mit Wendungen, Intrigen und Gedankenspielen, die weitaus komplexer sind, als man das von Fantasy-Romanen erwarten würde. Wer die wirklichen Strippenzieher, was deren Motive und wie ihre Verhältnisse in dieser Geschichte sind, wird erst sehr spät aufgedeckt, sodass es trotz einiger kurzer Wiederholungen im letzten Drittel bis zum Ende spannend bleibt. Spoiler Alert Das Ende an sich tritt dann relativ abrupt auf den Plan und bleibt außerdem recht offen. Damit habe ich grundsätzlich kein Problem aber dass alle der vermeintlichen Monster am Ende jedoch entlastet werden und sogar die Opferrolle annehmen ist dann doch etwas unglaubwürdig und so gerät die sorgsam aufgebaute Ambivalenz von Mirnatius und dem Staryk König am Ende aus dem Gleichgewicht. Spoiler Ende


"Ein silberfarbenes Glitzern war in der Ferne zwischen den Bäumen aufgetaucht; die Straße der Staryk blitzte auf. Die Pferde liefen noch schneller, aber die Straße der Staryk blieb den ganzen Heimweg über bei uns und glänzte zwischen den Bäumen. Ich konnte sie an meiner Seite spüren: ein Hauch von kälterem Wind, der versuchte, sich an mich zu pressen und durch meine Haut zu schneiden. Aber ich kümmerte mich nicht darum. Die Kälte in mir war größer als die Kälte da draußen."
- Mirjem -


Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass die oft wechselnden Perspektiven nicht gekennzeichnet wurden. Anstatt dass wie in etlichen anderen Romanen durch ein Name, ein Zeichen oder eine Formatierungsänderung deutlich gemacht wird, wer im folgenden Paragraph die Ich-Erzählung übernimmt, werden wir hier einfach in eine Perspektive hineingeworfen und müssen uns in den ersten Sätzen durch den Kontext erschließen, aus wessen Sicht wir die Handlung gerade erleben. Das ist zuerst sehr seltsam, anstrengend und kann auch zu Missverständnissen führen, da wir gegen Ende neben Mirjem, Wanda und Irina auch die Perspektiven von Wandas Bruder Stepon, dem Zaren Mirnatius oder Irinas Kinderfrau Magreta einnehmen. Was hingegen wieder sehr für die Autorin spricht ist, dass hier jede Person als Ich-Erzähler eine ganz individuelle Erzählerstimme bekommt, die durch besondere Formulierung, Wortwahl und atmosphärische Färbung zustande kommt. Wer das hinbekommt, spielt erzähltechnisch definitiv auf höchstem Niveau. An dieser Stelle also ein großes Kompliment an die Übersetzerin Marianne Schmidt für die tolle Leistung! Nichtsdestotrotz hätte es mir das Lesen sehr viel einfacher gestaltet, wenn ein Perspektivenwechsel durch Namen gekennzeichnet gewesen wäre.


"Sie streichelte mir über den Kopf und sagte zärtlich: "Irinuschka, meine Tapfere. Trauere nicht so. Der Winter ist vorüber."
"Ja", sagte ich, und meine Kehle schmerzte. "Aber er ist vorüber, weil ich dem Feuer Nahrung gegeben habe, Magra, und es verlangt nach mehr Holz."
- Irina -



Auch abseits der Erzähltechnik spielt Naomi Noviks Stil in einer Top-Liga. Bildgewaltig und voller Details (576 Seiten!!) entführt sie in ein winterliches Fantasy-Setting, das zwischen Urban-Fantasy und High-Fantasie schwankt und viele spannende neue Ideen präsentiert. Anstatt über altbekannte Wesen wie Vampire, Werwölfe, Fae, Elfen, Zwerge oder Hexen zu schreiben lässt sie einen Feuerdämonen auf ein ganz neues Volk treffen: die Staryk - strahlende, kalte Eiswesen, die ihre ewige Winterwelt der Dunkelheit abgerungen haben und sonnenwarmes Gold sammeln um gegen diese bestehen zu können. Mit der Aufgabe, Silber in Gold zu verwandeln und weiteren Parallelen erinnert ein Teil der Handlung an eine neue Version des Märchens "Rumpelstilzchen“ von den Brüdern Grimm. Bei genauerem Hinsehen tauchen jedoch mehr Elemente aus slawischen Märchen auf. Das winterliche Königreich Lithvas erinnert sehr an das Russland vergangener Tage, wo Zaren herrschen, Juden verfolgt werden und Erzählungen über die Baba Jaga kursieren - wir befinden uns also definitiv in einer eher östlich orientierten Mythologie. Zwischen Problemen und Grausamkeiten von dieser Welt mischen sich scheinbar mühelos magische Phänomene und Naomi Novik schafft es mit manchmal etwas sperrigen aber immer magischen Worten, eine spannende neue Welt zum Leben zu erwecken.


"Er stieß ein raues, wildes Lachen aus. "Was hast du denn noch nicht von mir bekommen? Meine Hand und meine Krone und meine Würde, und du verlangst, dass ich dir noch mehr gebe? Nein. Du solltest zufrieden sein mit dem, was du bereits von mir erhalten hast, im Gegenzug für deine Gabe. Sterbliches Mädchen, sei gewarnt", fügte er mit einem kalten Zischen hinzu. Seine Augen waren jetzt so zusammengekniffen, dass sie nur noch blaue Schatten waren wie ein tiefer Spalt in einem gefrorenen Fluss - eine Warnung, nicht hindurchzufallen und im Wasser darunter zu ertrinken."
- Mirjem -


Da ist eine Tochter, die innerlich hart und kalt wie Eis wird, damit ihre Familie überleben kann. Da ist eine Mutter, die ihr Kind für ein bisschen Macht dem Verderben ausliefert. Da sind Väter, die ihre Kinder bis zur Besinnungslosigkeit schlagen oder versuchen ihre Töchter möglichst gewinnbringend zu verheiraten. Da sind Familien, die von Hunger und Verzweiflung zu Gräueltaten getrieben werden, als deren Getreide in der Kälte verfault und deren Vieh erfriert. Und zwischen dem weltlichen Leid sind da geheimnisvolle, schneeweiße Straßen, die sich plötzlich zwischen schneebedeckten Bäumen auftun und wieder verschwinden. Bäume, die die Seele gestorbener Menschen aufnehmen. Schlichte Röcke, die sich in Ballkleider verwandeln. Silber, das Menschen in seinen Bann zieht und Gold, das den Frühling fern hält. Da ist eine winterliche Welt mit einem gläsernen Berg und Hütten, die auf der Grenze der Existenzen errichtet sind. Und wie das kalte Silber in den Schatzkammern der Staryk durch Mirjem zu warmem Gold wird, werden hier Worte durch Naomi Novik zu einem tiefgründigen, bewegenden, dunklen Erlebnis, das man nicht mehr so schnell vergisst.


Fazit:


Das fantastische Porträt dreier starker Frauen in einer Welt voller Intrigen, winterlicher Kälte und dämonischem Feuer. Komplex, atmosphärisch, bewegend, düster und doch voller funkelnder Schönheit - so muss Fantasy sein!

Veröffentlicht am 02.02.2019

Eine absurde aber berührende Dramödie: Tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell!

Die tausend Teile meines Herzens
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Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt zu ...

Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt zu setzen, zu meinen absoluten Lieblingsautoren gehört. Von ihr habe ich bis jetzt fast alles gelesen und geliebt, natürlich war es keine Frage, dass ich ihr auch ihren neusten auch unbedingt lesen wollte. Doch anders als ich erwartet habe, wartete hier keine leidenschaftliche Liebesgeschichte auf mich, sondern viel mehr eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!


Auch das Cover ist wieder im typischen "Colleen Hoover meets dtv Verlag Style" gehalten. Das bedeutet weißer Hintergrund, dezentes Motiv, Titel in Lila unter dem großen Namen der Autorin. Ich denke, dass splitternde Herz passt ganz gut und auch so hat das Cover definitiv Wiedererkennungswert und passt zu ihren anderen Publikationen aber dennoch finde ich es viel weniger eindringlich und nicht so aussagekräftig wie das Original (siehe rechts). Auch in der Kategorie "Titel" verliert die deutsche Ausgabe leider um Längen. Während das Original kurz, knapp und eindringlich gleichzeitig einen häufig auftauchenden Wortwitz aufgreift und den Namen der Protagonistin enthält und somit auf mehreren Ebenen zu verstehen ist, scheint der deutsche wahllos, platt und lange nicht so passend. Hier hätte es sich definitiv gelohnt, am Originaltitel festzuhalten!


Sehr gut gefallen hat mir an der Gestaltung jedoch, dass immer wieder die in der Handlung vorkommenden Bilder, die Sagan für Merit zeichnet auch wirklich abgebildet sind. Ich finde es eine riesige Bereicherung, das Kunstwerk gleich selbst sehen zu können, sowie das bei "Love and Confess" auch der Fall war. Die sieben Bilder, die eigentlich Brandon Adams gezeichnet hat, sind allesamt wunderschön und total gestört - und passen damit wunderbar in diese Geschichte, die sich von diesen beiden extremen Adjektiven auch gut beschreiben lässt.

Erster Satz: "Ich besitze eine beeindruckende Sammlung von Pokalen, die ich alle nicht gewonnen habe.“


Merit Voss liebt alles, was seltsam ist: ihre Angewohnheit, fremde Pokale zu sammeln, dem zweieinhalbmetergroßen Jesus in ihrem Wohnzimmer neue Kostüme anzuziehen und … den Typen mit den seltsamen Tattoos, den sie in einem Antiquitätenladen trifft und der sie gleich bei der ersten Begegnung küsst. Doch obwohl ihre Familie das seltsamste an ihrem Leben ist, kann sie die absolut nicht leiden. Denn neben ihrem kleinen Halbbruder Moby, ihrer Zwillingsschwester Honor (die gerne Beziehungen mit todkranken Jungs anfängt) ihrem großen Bruder Utah (der einen geordneten Tagesablauf über alles stellt und jeden Tag die Leuchttafel vor ihrem Haus mit einer neuen Weisheit bestückt) und ihrem Vater, dem Gebrauchtwagenhändler Barnaby wohnen noch ein bisexueller Stiefonkel (der gerne einen Kilt trägt) ihre Mutter Victoria (die sich seit einem Unfall und der Trennung von Barnaby im Keller versteckt) und Barnabys neue Frau Victoria 2 bei ihr Zuhause. Kein Wunder, dass Merit diese schräge, streitsüchtige und wackelige Ansammlung an Menschen nicht besonders leiden kann, die mit ihr zusammen in der umgebauten Kirche einer mikroskopisch kleinen Gemeinde in Texas lebt. Doch als dann auch noch Sagan, also der Typ, in den sie sich im Antiquariat mit einem Blick verliebt hat in ein Zimmer des "Voss Dollar" einzieht und der Freund ihrer Zwillingsschwester Honor zu sein scheint, reicht es ihr - sie kann die ewige Gleichgültigkeit und das Schweigen nicht mehr ertragen und offenbart alle Geheimnisse, die sie die letzten Jahre gehütet hat. Das Ergebnis ist viel Schmerz, Chaos, Wut … aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang.


"An die Bewohner des Voss Dollars, dieser Brief ist an euch alle gerichtet. (...) Ich schreibe diesen Brief, weil ich eine Riesenwut in mir habe, die dringend rausmuss. (…) Ich bin wütend, weil ihr alle Geheimnisse voreinander habt und keiner den Mund aufmacht. Aber jetzt reicht es mir. Ich weigere mich, eure Geheimnisse auch nur noch eine Sekunde länger für mich zu behalten. (…) Okay. Womit fange ich an? …"


Colleen Hoover nimmt uns sofort mit in das Leben von Merit, schildert uns recht ausführlich ihren Alltag, ihre Probleme und lässt uns so am verkorksten Familienleben im Voss Dollar teilhaben. Es ist jedoch von Anfang an klar, dass die "Queen of Hearts" es hier ein wenig anders angeht und weniger auf überquellende Liebe sondern mehr auf das verrückte Leben eines Teenagers und dessen Irrungen und Wirrungen setzt. Besonders die Dynamik an Beziehungen innerhalb der Familie wird besonders hervorgehoben - die mit Sagan ist da nur eine Facette von vielen und steht nicht im Vordergrund. Stattdessen geht es hier vielmehr um den richtige Blickwinkel, dunkle Geheimnisse, Streiten Versöhnung und Verzeihen und anstatt von Liebe stehen eher Gefühle wie Wut, Einsamkeit, Zerrissenheit, Eifersucht und auch bleierne Gleichgültigkeit im Vordergrund. Auch wenn hier viele schwere Themen wie Depression, Suizid und sexuelle Orientierung verpackt werden, ist diese Geschichte keineswegs herunterziehend. Mit einer ordentlichen Portion Humor aber vor allem mit total bunten, absurden und witzigen Ideen wird der Geschichte das Erdrückende genommen und den ein oder anderen freien Lacher heraufgefordert, auch wenn eine unterschwellige Traurigkeit spürbar ist und dem Roman die tänzelnde, spielerische Leichtigkeit seiner Vorgängerromane fehlt. Etwas schade fand ich auch, dass neben dem Titel auch viele Witze eher schlecht übersetzt worden sind und so zum Beispiel "Käsus Christus" (im Original "Cheeses Christ") oder Sagans Grusel-Gutenachtgeschichte "Die Perspektive des Königs" nicht die Wirkung entfalten können, die das Original vielleicht hätte vermitteln können.


"Dad: Bitte bring den Jesus wieder in seinen Normalzustand und verbrenn diesen blöden Käsehut, sobald du heute von der Schule nach Hause kommst." Ich weiß, dass er das nett meint und bloß versucht, witzig zu sein. Aber ich kann nicht über seine Witze lachen, wenn er noch nicht mal merkt, dass ich seit Wochen nicht mehr in der Schule war. Es ist, als hätte ich gar keine Eltern mehr. Meine Mutter lebt in einem Keller und mein Vater in seiner eigenen Welt. In dieser Familie interessiert sich keiner füreinander."


Tiefschürfend, brutal ehrlich und unkonventionell lässt sie hier ihre Protagonisten aufeinander los und schafft es, zwischen all dem Chaos, Schmerz und dem Durcheinander der Gefühle eine klare Aussage durchschimmern zu lassen: die Wichtigkeit von gegenseitiger Verständigung und die Notwendigkeit, die Dinge auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wie gewohnt spielt die Autorin dabei nur so mit Worten. Nicht nur die vielen immer wiederkehrenden Sprüche, die die Charaktere als Insider austauschen. Nein, sie findet in jeder Situation genau die richtigen Formulierungen, um nur so mit unseren Emotionen zu spielen und kennt dabei kein Tabu, wenn es darum geht, uns Leser zu quälen. Dieses Buch hat mich weinen lassen, lachen, mitfühlen, mich dazu gebracht zu schmunzeln, die Nase rümpfen und ein paar Mal auch dazu, es kurz wegzulegen. Doch vor allem hat es mich berührt und einfach mitgerissen!!! Colleen Hoover besitzt einfach das Talent aus wenigen Worten die größten Gefühle heraus zu locken und so eigentlich aus dem Nichts ein riesiges Gefühlschaos und Drama zu erschaffen.


"Ich finde es komplett daneben, wenn Leute einem erzählen wollen, dass man nicht wütend oder traurig sein darf, weil es anderen auf der Welt gibt, denen es viel schlechter geht. Das ist Bullshit. Deine Gefühle müssen ernst genommen werden, Merit. Sie sind berechtigt. Gefühle sind immer einzigartig."


Ganz anders geht sie diesmal auch an ihre Protagonisten ran. Anders als die meisten Protagonistinnen des Genres ist Merit keineswegs eine Hauptperson, die man einfach so ins Herz schließt - zumindest nicht am Anfang. Sie ist schwierig, launisch, frech, direkt und strapaziert die Nerven ihrer Familie und die der Leser mit ihrer Spontanität und ihrer Angewohnheit bei ein bisschen Schwierigkeiten immer in den "Giftmodus" zu schalten. Was hinter ihren Verhaltensmustern steckt wird immer wieder in kleinen Portionen enthüllt. Bis wir sie dann besser verstehen können, sie mit ihrer Verletzlichkeit ins Herz schließen und gebannt ihren wundervollen und schmerzhaften Prozess der Heilung verfolgen können, dauert es eine ganze Weile.


"Schau ihn dir an. Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du dich nicht in ihn verliebt hast?" Ich seufze. Zu sagen, dass ich mich verliebt hätte, wäre noch untertrieben. Richtiger ist, dass ich ihm verfallen bin. Mit Haut und Haaren. Ohnmächtig ausgeliefert."


Sagan ist als Love Interest keineswegs der zweite Hauptcharakter sondern eigentlich mehr einer der wichtigen Nebenprotagonisten, der Merit in ihrer Entwicklung zur Seite steht und sie unterstützt. Mit seiner sanften, kreativen und einfühlsamen Art ist er leicht zu mögen - andere Personen wie zum Beispiel Merits verrückter Stiefonkel Luck, ihre ätzend-perfekte Stiefschwester Honor oder der große Bruder Utah, mit dem sie noch ein dunkles Geheimnis verbindet, sind jedoch viel spanender, als er. Das macht jedoch absolut nichts - denn diese Geschichte hat viel mehr in sich als dass es eine Liebesgeschichte brauchen würde, die mehr ist als süße Beigabe.

Am Ende - das viel knapper, offener und klarer strukturiert ist, als andere Bücher des Genres, die gerne zu übertriebenen Happy Ends neigen, in denen alle heiraten, Kinder bekommen und unwiderruflich bis an ihr Lebensende glücklich sind - bleibt das erfrischende Gefühl, ein Buch gelesen zu haben, das wunderbar anders ist und aufzeigt, was die Autorin bislang vor uns versteckt hat. Das Gefühl, auf jede Menge ungenutztes Potential des Genres gestoßen zu sein, das in Zukunft vielleicht öfter die überquellende Leidenschaft zurückschraubt und Platz für ein paar subtilere Töne lässt.

"Wir sitzen eine ganze Weile so da, ohne uns loszulassen, und ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass Offenheit und ein liebevoller Umgang in der Familie Voss so viele Jahre lang verpönt waren, obwohl beides ziemlich viel für sich hat. Kann es sein, dass wir alle darauf gewartet haben, dass di anderen den ersten Schritt tun, und deshalb keiner je den Anfang gemacht hat? Vielleicht ist das ja in vielen Familien so, in denen es nicht ganz rundläuft. Das wahre Problem sind nicht die Konflikte, sondern dass keiner den Mut hat, den ersten Schritt zu tun und offen darüber zu sprechen."



Fazit:


Eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell - Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!

Veröffentlicht am 02.02.2019

Eine absurde aber berührende Dramödie: Tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell!

Die tausend Teile meines Herzens
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Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt ...

Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt zu setzen, zu meinen absoluten Lieblingsautoren gehört. Von ihr habe ich bis jetzt fast alles gelesen und geliebt, natürlich war es keine Frage, dass ich ihr auch ihren neusten auch unbedingt lesen wollte. Doch anders als ich erwartet habe, wartete hier keine leidenschaftliche Liebesgeschichte auf mich, sondern viel mehr eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!


Auch das Cover ist wieder im typischen "Colleen Hoover meets dtv Verlag Style" gehalten. Das bedeutet weißer Hintergrund, dezentes Motiv, Titel in Lila unter dem großen Namen der Autorin. Ich denke, dass splitternde Herz passt ganz gut und auch so hat das Cover definitiv Wiedererkennungswert und passt zu ihren anderen Publikationen aber dennoch finde ich es viel weniger eindringlich und nicht so aussagekräftig wie das Original (siehe rechts). Auch in der Kategorie "Titel" verliert die deutsche Ausgabe leider um Längen. Während das Original kurz, knapp und eindringlich gleichzeitig einen häufig auftauchenden Wortwitz aufgreift und den Namen der Protagonistin enthält und somit auf mehreren Ebenen zu verstehen ist, scheint der deutsche wahllos, platt und lange nicht so passend. Hier hätte es sich definitiv gelohnt, am Originaltitel festzuhalten!


Sehr gut gefallen hat mir an der Gestaltung jedoch, dass immer wieder die in der Handlung vorkommenden Bilder, die Sagan für Merit zeichnet auch wirklich abgebildet sind. Ich finde es eine riesige Bereicherung, das Kunstwerk gleich selbst sehen zu können, sowie das bei "Love and Confess" auch der Fall war. Die sieben Bilder, die eigentlich Brandon Adams gezeichnet hat, sind allesamt wunderschön und total gestört - und passen damit wunderbar in diese Geschichte, die sich von diesen beiden extremen Adjektiven auch gut beschreiben lässt.

Erster Satz: "Ich besitze eine beeindruckende Sammlung von Pokalen, die ich alle nicht gewonnen habe.“


Merit Voss liebt alles, was seltsam ist: ihre Angewohnheit, fremde Pokale zu sammeln, dem zweieinhalbmetergroßen Jesus in ihrem Wohnzimmer neue Kostüme anzuziehen und … den Typen mit den seltsamen Tattoos, den sie in einem Antiquitätenladen trifft und der sie gleich bei der ersten Begegnung küsst. Doch obwohl ihre Familie das seltsamste an ihrem Leben ist, kann sie die absolut nicht leiden. Denn neben ihrem kleinen Halbbruder Moby, ihrer Zwillingsschwester Honor (die gerne Beziehungen mit todkranken Jungs anfängt) ihrem großen Bruder Utah (der einen geordneten Tagesablauf über alles stellt und jeden Tag die Leuchttafel vor ihrem Haus mit einer neuen Weisheit bestückt) und ihrem Vater, dem Gebrauchtwagenhändler Barnaby wohnen noch ein bisexueller Stiefonkel (der gerne einen Kilt trägt) ihre Mutter Victoria (die sich seit einem Unfall und der Trennung von Barnaby im Keller versteckt) und Barnabys neue Frau Victoria 2 bei ihr Zuhause. Kein Wunder, dass Merit diese schräge, streitsüchtige und wackelige Ansammlung an Menschen nicht besonders leiden kann, die mit ihr zusammen in der umgebauten Kirche einer mikroskopisch kleinen Gemeinde in Texas lebt. Doch als dann auch noch Sagan, also der Typ, in den sie sich im Antiquariat mit einem Blick verliebt hat in ein Zimmer des "Voss Dollar" einzieht und der Freund ihrer Zwillingsschwester Honor zu sein scheint, reicht es ihr - sie kann die ewige Gleichgültigkeit und das Schweigen nicht mehr ertragen und offenbart alle Geheimnisse, die sie die letzten Jahre gehütet hat. Das Ergebnis ist viel Schmerz, Chaos, Wut … aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang.


"An die Bewohner des Voss Dollars, dieser Brief ist an euch alle gerichtet. (...) Ich schreibe diesen Brief, weil ich eine Riesenwut in mir habe, die dringend rausmuss. (…) Ich bin wütend, weil ihr alle Geheimnisse voreinander habt und keiner den Mund aufmacht. Aber jetzt reicht es mir. Ich weigere mich, eure Geheimnisse auch nur noch eine Sekunde länger für mich zu behalten. (…) Okay. Womit fange ich an? …"


Colleen Hoover nimmt uns sofort mit in das Leben von Merit, schildert uns recht ausführlich ihren Alltag, ihre Probleme und lässt uns so am verkorksten Familienleben im Voss Dollar teilhaben. Es ist jedoch von Anfang an klar, dass die "Queen of Hearts" es hier ein wenig anders angeht und weniger auf überquellende Liebe sondern mehr auf das verrückte Leben eines Teenagers und dessen Irrungen und Wirrungen setzt. Besonders die Dynamik an Beziehungen innerhalb der Familie wird besonders hervorgehoben - die mit Sagan ist da nur eine Facette von vielen und steht nicht im Vordergrund. Stattdessen geht es hier vielmehr um den richtige Blickwinkel, dunkle Geheimnisse, Streiten Versöhnung und Verzeihen und anstatt von Liebe stehen eher Gefühle wie Wut, Einsamkeit, Zerrissenheit, Eifersucht und auch bleierne Gleichgültigkeit im Vordergrund. Auch wenn hier viele schwere Themen wie Depression, Suizid und sexuelle Orientierung verpackt werden, ist diese Geschichte keineswegs herunterziehend. Mit einer ordentlichen Portion Humor aber vor allem mit total bunten, absurden und witzigen Ideen wird der Geschichte das Erdrückende genommen und den ein oder anderen freien Lacher heraufgefordert, auch wenn eine unterschwellige Traurigkeit spürbar ist und dem Roman die tänzelnde, spielerische Leichtigkeit seiner Vorgängerromane fehlt. Etwas schade fand ich auch, dass neben dem Titel auch viele Witze eher schlecht übersetzt worden sind und so zum Beispiel "Käsus Christus" (im Original "Cheeses Christ") oder Sagans Grusel-Gutenachtgeschichte "Die Perspektive des Königs" nicht die Wirkung entfalten können, die das Original vielleicht hätte vermitteln können.


"Dad: Bitte bring den Jesus wieder in seinen Normalzustand und verbrenn diesen blöden Käsehut, sobald du heute von der Schule nach Hause kommst." Ich weiß, dass er das nett meint und bloß versucht, witzig zu sein. Aber ich kann nicht über seine Witze lachen, wenn er noch nicht mal merkt, dass ich seit Wochen nicht mehr in der Schule war. Es ist, als hätte ich gar keine Eltern mehr. Meine Mutter lebt in einem Keller und mein Vater in seiner eigenen Welt. In dieser Familie interessiert sich keiner füreinander."


Tiefschürfend, brutal ehrlich und unkonventionell lässt sie hier ihre Protagonisten aufeinander los und schafft es, zwischen all dem Chaos, Schmerz und dem Durcheinander der Gefühle eine klare Aussage durchschimmern zu lassen: die Wichtigkeit von gegenseitiger Verständigung und die Notwendigkeit, die Dinge auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wie gewohnt spielt die Autorin dabei nur so mit Worten. Nicht nur die vielen immer wiederkehrenden Sprüche, die die Charaktere als Insider austauschen. Nein, sie findet in jeder Situation genau die richtigen Formulierungen, um nur so mit unseren Emotionen zu spielen und kennt dabei kein Tabu, wenn es darum geht, uns Leser zu quälen. Dieses Buch hat mich weinen lassen, lachen, mitfühlen, mich dazu gebracht zu schmunzeln, die Nase rümpfen und ein paar Mal auch dazu, es kurz wegzulegen. Doch vor allem hat es mich berührt und einfach mitgerissen!!! Colleen Hoover besitzt einfach das Talent aus wenigen Worten die größten Gefühle heraus zu locken und so eigentlich aus dem Nichts ein riesiges Gefühlschaos und Drama zu erschaffen.


"Ich finde es komplett daneben, wenn Leute einem erzählen wollen, dass man nicht wütend oder traurig sein darf, weil es anderen auf der Welt gibt, denen es viel schlechter geht. Das ist Bullshit. Deine Gefühle müssen ernst genommen werden, Merit. Sie sind berechtigt. Gefühle sind immer einzigartig."


Ganz anders geht sie diesmal auch an ihre Protagonisten ran. Anders als die meisten Protagonistinnen des Genres ist Merit keineswegs eine Hauptperson, die man einfach so ins Herz schließt - zumindest nicht am Anfang. Sie ist schwierig, launisch, frech, direkt und strapaziert die Nerven ihrer Familie und die der Leser mit ihrer Spontanität und ihrer Angewohnheit bei ein bisschen Schwierigkeiten immer in den "Giftmodus" zu schalten. Was hinter ihren Verhaltensmustern steckt wird immer wieder in kleinen Portionen enthüllt. Bis wir sie dann besser verstehen können, sie mit ihrer Verletzlichkeit ins Herz schließen und gebannt ihren wundervollen und schmerzhaften Prozess der Heilung verfolgen können, dauert es eine ganze Weile.


"Schau ihn dir an. Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du dich nicht in ihn verliebt hast?" Ich seufze. Zu sagen, dass ich mich verliebt hätte, wäre noch untertrieben. Richtiger ist, dass ich ihm verfallen bin. Mit Haut und Haaren. Ohnmächtig ausgeliefert."


Sagan ist als Love Interest keineswegs der zweite Hauptcharakter sondern eigentlich mehr einer der wichtigen Nebenprotagonisten, der Merit in ihrer Entwicklung zur Seite steht und sie unterstützt. Mit seiner sanften, kreativen und einfühlsamen Art ist er leicht zu mögen - andere Personen wie zum Beispiel Merits verrückter Stiefonkel Luck, ihre ätzend-perfekte Stiefschwester Honor oder der große Bruder Utah, mit dem sie noch ein dunkles Geheimnis verbindet, sind jedoch viel spanender, als er. Das macht jedoch absolut nichts - denn diese Geschichte hat viel mehr in sich als dass es eine Liebesgeschichte brauchen würde, die mehr ist als süße Beigabe.

Am Ende - das viel knapper, offener und klarer strukturiert ist, als andere Bücher des Genres, die gerne zu übertriebenen Happy Ends neigen, in denen alle heiraten, Kinder bekommen und unwiderruflich bis an ihr Lebensende glücklich sind - bleibt das erfrischende Gefühl, ein Buch gelesen zu haben, das wunderbar anders ist und aufzeigt, was die Autorin bislang vor uns versteckt hat. Das Gefühl, auf jede Menge ungenutztes Potential des Genres gestoßen zu sein, das in Zukunft vielleicht öfter die überquellende Leidenschaft zurückschraubt und Platz für ein paar subtilere Töne lässt.

"Wir sitzen eine ganze Weile so da, ohne uns loszulassen, und ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass Offenheit und ein liebevoller Umgang in der Familie Voss so viele Jahre lang verpönt waren, obwohl beides ziemlich viel für sich hat. Kann es sein, dass wir alle darauf gewartet haben, dass di anderen den ersten Schritt tun, und deshalb keiner je den Anfang gemacht hat? Vielleicht ist das ja in vielen Familien so, in denen es nicht ganz rundläuft. Das wahre Problem sind nicht die Konflikte, sondern dass keiner den Mut hat, den ersten Schritt zu tun und offen darüber zu sprechen."



Fazit:


Eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell - Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!