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Veröffentlicht am 11.05.2019

Auf der Schwelle zum Erwachsenwerden

Brennendes Geheimnis
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Stefan Zweig erzählt in dieser Novelle psychologisch interessant über das Seelenleben eines 12jährigen Jungen, der die verwirrende Zeit zwischen Kindheit und Jugend erlebt. Wie immer ist Zweigs Sprache ...

Stefan Zweig erzählt in dieser Novelle psychologisch interessant über das Seelenleben eines 12jährigen Jungen, der die verwirrende Zeit zwischen Kindheit und Jugend erlebt. Wie immer ist Zweigs Sprache eine Freude zu lesen, sehr ausgefeilt und bildhaft.

Aufhänger ist hier eine Begegnung in der Sommerfrische - ein gelangweilter Baron sucht nach einem kleinen Liebesabenteuer, entdeckt eine für ihn attraktive Frau und beschließt, mit ihrem 12jährigen Sohn Freundschaft zu schließen, um so an die Mutter heranzukommen. Bis hierhin erleben wir das Geschehen aus der Perspektive des Barons. Als er des etwas einsamen Jungen annimmt und dieser voller Dankbarkeit und Zuneigung für den Baron ist, wechselt die Perspektive und wird begleiten den Sohn durch verwirrende und traurige Tage.

Entsetzt muß er feststellen, daß weder seine Mutter, noch der neue väterliche Freund an ihm interessiert sind, sondern alles tun, um ihn auszuschließen, seiner Gegenwart zu flüchten. Er war Mittel zum Zweck und wird nicht mehr gebraucht, die Mutter war ohnehin bereits recht kühl zu ihm. Die Schmerzen, die der Junge angesichts dieser Enttäuschung empfindet, sind lebendig dargestellt, ebenso, wie die Zuneigung für den Baron in Haß umschlägt. Interessant zu lesen ist, wie der Junge wohl ahnt, daß die Erwachsenen hier auf einer Ebene aneinander interessiert sind, die er nicht verstehen, nicht einmal benennen kann. Gefühle der Lust existieren für ihn noch nicht einmal in der Theorie, trotzdem ist er nicht mehr Kind genug, um das Geschehen in gänzlicher Unschuld zu sehen. Zweig stellt diesen Zwiespalt, dieses ansatzweise erwachsende Bewußtsein gekonnt dar.

Die seelischen Qualen und Entwicklungen des Jungen, seinen Blick auf die Erwachsenenwelt verfolgt man als Leser gebannt und dies vor der gut geschilderten Kulisse des alten großbürgerlichen Österreichs.

Veröffentlicht am 30.04.2019

2300 Jahre Rechtsgeschichte spannend erzählt

Prozesse, die unsere Welt bewegten
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Curt Riess nimmt uns in diesem Buch auf eine Reise durch mehr als zweitausend Jahre Rechtsgeschichte, berichtet über berühmte Prozesse und ihre Hintergründe. Der Großteil der Prozesse stammt aus dem 20. ...

Curt Riess nimmt uns in diesem Buch auf eine Reise durch mehr als zweitausend Jahre Rechtsgeschichte, berichtet über berühmte Prozesse und ihre Hintergründe. Der Großteil der Prozesse stammt aus dem 20. Jahrhundert, davor beginnen wir bei Sokrates (399 v. Chr) und werden literarische Zeugen solch unterschiedlicher Fälle wie dem von Jesus, Jeanne d'Arc, Maria Stuart oder Jud Süß. Es gibt gerade in den früheren hier berichteten Fälle viele, in denen die Justiz als williges Werkzeug genommen wurde, um politische Anliegen durchzusetzen und/oder sich unliebsamer Gegner zu entledigen. Dann gibt es Fälle wie den von Oscar Wilde, wo die damals herrschende Moral einen Menschen zerstörte, reine Kriminalfälle (Dr. Crippen, Henri Landru), politische Vergehen (Mata Hari, Hitlerputsch), die Schauprozesse der abscheulichen Nazi- und Stalindiktaturen, und jene berühmten Prozesse der Nachkriegszeit, die der Welt die unbeschreiblichen Naziverbrechen vor Augen führten (Nürnberg, Eichmannprozeß). Es ist also eine gelungene Mischung aus den verschiedensten Fällen und Angeklagten und so werden die unterschiedlichen Aspekte von Rechtswesen und Geschichte anschaulich dargestellt.

Curt Riess tut dies in einem erfreulichen Schreibstil. Er setzt den jeweiligen Fall in Kontext, beschreibt neben den jeweiligen Angeklagten auch, falls relevant, Richter oder Anwälte genauer, verleiht diesen Prozessen eine persönlichere Note. Er schafft es hervorragend, komplexe Informationen auf recht knappem Raum (zwischen 19 und 40 Seiten pro Prozeß) gut verständlich darzustellen. Seine Erzählweise ist farbig, man sieht die Szenerie gut vor sich und wer denkt, daß die Juristerei ein trockenes Fach ist, der wird hier eindeutig eines Besseren belehrt. Ab und an werden Auszüge aus Befragungen, Urteilsbegründungen, Plädoyers oder Worten der Angeklagten zitiert, meistens aber fungiert Riess gewissermaßen als unser Prozeßbeoachter. Er bettet die Prozesse in ihre Vorgeschichte ein, gibt auch ab und an einen kurzen Abriß über Folgeereignisse. So schafft er ein umfassendes, in vielen Facetten informatives Werk, dass sich zudem noch sehr unterhaltsam lesen läßt.

Veröffentlicht am 10.04.2019

Vielfältiger erster Überblick

Geschichte der deutschen Literatur
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Manfred Mais Buch über deutsche Literatur richtet sich vorwiegend an Jugendliche, ist aber auch für Erwachsene informativ und gut zu lesen. Mai nimmt uns auf eine zweitausendjährige Reise durch die deutsche ...

Manfred Mais Buch über deutsche Literatur richtet sich vorwiegend an Jugendliche, ist aber auch für Erwachsene informativ und gut zu lesen. Mai nimmt uns auf eine zweitausendjährige Reise durch die deutsche Geschichte und Literatur. Jedes Kapitel beginnt mit einem geschichtlichen Überblick, der auch sehr hilfreich ist, um die Literaturströmungen der jeweiligen Zeit zu verstehen. Natürlich ist dieser Überblick denkbar knapp, eine halbe bis eine Seite jeweils. Das ist aber in diesem Zusammenhang völlig ausreichend und es gelingt dem Autor ausgezeichnet, die wesentlichen Punkte in dieser geschichtlichen Zusammenfassung immer gut zu erwähnen und zu betonen.

Dem geschichtlichen folgt der literarische Überblick. Zu Beginn der deutschen Literaturgeschichte fällt dieser naturgegeben noch mager aus, da schlichtweg noch nicht so viel Literatur vorhanden war. Einzelne relevante Autoren der jeweiligen Epoche werden vorgestellt, eine gezeichnete Kopfskizze illustriert sie recht gut. Zitate aus den Werken reichern die Informationen an und bieten gleich einen Einblick in den Schreibstil. Einige der mittelalterlichen Texte werden teilweise oder ganz auch in modernes Deutsch "übersetzt". Die Textstellen sind gut gewählt, teils ein wenig erklärt, an anderen Stellen wären einige erklärende Woche hilfreich gewesen. Manche der Textstellen waren mir für einen solchen Überblick zu lang, aber im Allgemeinen ist die Gewichtung gut.

Um so mehr wir uns der heutigen Zeit nähern (das Buch erschien 2004 und behandelt auch die literarische Entwicklung bis dahin), um so detaillierter werden die Informationen, um so zahlreicher die Autoren. Sehr unerfreulich fand ich es, daß Walter Kempowski, der als Chronist des 20. Jahrhunderts Günter Grass mindestens ebenbürtig ist und zudem die deutschsprachige Literatur um seinen ganz eigenen, sprachlich interessanten, Stil bereicherte, mit keiner Silbe erwähnt wurde. Das ist mehr als ärgerlich.

Es ist gut gelungen, Autoren, Geschichte und Zeitgeschehen zu verbinden, Motive und Strömungen zu erklären. Gerade angesichts der Kürze des Buches ist es erfreulich, wie gut wichtige Themen vermittelt und auch manch nicht so bekannte Information eingebunden wurde. Der Schreibstil ist gut lesbar und schnörkellos, so eben auch für Jugendliche zugänglich. Ein sehr empfehlenswerter Überblick.

Veröffentlicht am 17.03.2019

Komplex und spannend bis zur letzten Seite

Die Witwe
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„Die Witwe“ hatte mich mit der Erzählweise sofort am Haken und ich war bis zum Ende sehr angetan. Die Geschichte wird auf verschiedenen Zeitebenen und aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, nach und nach ...

„Die Witwe“ hatte mich mit der Erzählweise sofort am Haken und ich war bis zum Ende sehr angetan. Die Geschichte wird auf verschiedenen Zeitebenen und aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, nach und nach erkennt man, daß nicht alles so ist, wie es scheint.

Da haben wir nun also die Witwe, der Mann bei einem Verkehrsunfall verstorben, und da er in Verdacht stand, ein kleines Kind entführt zu haben, geifert die Presse vor der Türe der Witwe. Aus diesem Anfang entwickelt sich dann eine unglaublich komplexe Geschichte. Wir erfahren von der skrupellosen Reporterin Kate, die sich geschickt Einlaß bei der Witwe, Jean, verschafft und durch Vorheucheln von Mitgefühl ein Exklusivinterview ergattern möchte. Dies ist einer der Themenfäden, die sich durch das Buch ziehen: Journalisten, die das Elend anderer als willkommenen Baustein für ihre Karriere sehen; Medien, die sich begeistert auf Leid stürzen und nur daran denken, was für eine „tolle Story“ dieses Leid doch ist. Aber auch Menschen, die durchaus Gefallen daran finden, durch ihr Leid berühmt zu werden und beim Medienzirkus mitmachen.

Die erste Zeitebene, 2010, beschäftigt sich vorwiegend mit Jean und Kate. Jeans Kapitel werden als einzige aus der Ich-Perspektive geschrieben und geben uns nach und nach mehr Informationen über sie, ihren Ehemann Glen, das ihm vorgeworfene Verbrechen und auch über die Ehe der beiden, ihr ganzes Leben. Schicht für Schicht werden die Hüllen des ersten Eindrucks weggepellt, ständig ändert sich die Situation. Auch Jean bleibt, obwohl sie uns als Einzige direkten Einblick in ihre Gedanken gewährt, geheimnisvoll. Das ist ausgesprochen spannend und gut gemacht. Bis zum Ende war ich nicht sicher, was nun eigentlich stimmt und was nicht.

Die zweite Zeitebene beginnt 2006 mit dem Verschwinden der zweijährigen Bella und der Ermittlung. Hier wird viel aus der Sicht des Ermittlers geschrieben, aber auch andere Personen, wie Bellas Mutter, werden behandelt. Jedes Kapitel beginnt mit einer Zeitangabe und der Person, aus dessen Sicht es geschrieben ist. So ist es trotz der Zeit- und Personensprünge alles übersichtlich. Die Geschichte aus so vielen Perspektiven zu erzählen und dadurch immer wieder neue Gesichtspunkte einzubringen, neue Informationen aufzudecken, ist meisterhaft gemacht! Ein Kompliment an die Autorin, die eine solch komplexe Aufgabe so geschickt und spannend umgesetzt hat.

Nach und nach begleiten wir die Ermittlungen, immer im Wechsel mit der ersten Zeitebene, bis wir diese, also 2010, erreicht haben. Die Verdachtsmomente um Bellas Entführer werden bemerkenswert gut gemischt und es gibt viele mögliche Lösungen. Es liest sich fast durchweg spannend und ich konnte es immer kaum abwarten, welche neuen Informationen sich durch den nächsten Perspektivwechsel ergeben würden. Selten habe ich einen Krimi so gebannt gelesen!

Veröffentlicht am 23.02.2019

Träume zerbröckeln

Cold Spring Harbor
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Richard Yates' Bücher zeichnen sich stets durch sorgfältige unaufgeregte Charakterstudien aus. Es gibt keine dramatischen Geschehnisse, eigentlich findet nur das ganz normale Leben statt, und trotzdem ...

Richard Yates' Bücher zeichnen sich stets durch sorgfältige unaufgeregte Charakterstudien aus. Es gibt keine dramatischen Geschehnisse, eigentlich findet nur das ganz normale Leben statt, und trotzdem ist es stets spannend zu lesen, weil Yates einen so hervorragende Blick für Menschen hatte.

Wie fast immer bei Yates geht es auch in Cold Spring Harbor um unerfüllte Träume, um alltägliches Scheitern, um dysfunktionale Beziehungen aller Art. Wir begleiten hier zwei Familien, die Shepards und die Drakes, beide auf ihre Weise tragisch. Einige Blicke in die wohlhabende alte Familie Talmage deuten an, daß auch hier vieles nicht zum Besten steht.

Das Leben aller hier entwickelt sich anders, als sie gehofft haben. Charles Shepard kann aufgrund einer Augenerkrankung und einer depressiv-alkoholischen Ehefrau seine Armeekarriere nicht fortsetzen und ergibt sich friedlich seine Schicksal. Die kurz aufflackernden Ambitionen seines Sohnes Evan werden immer wieder verschoben. Er und seine Frau Rachel heiraten, weil es irgendwie gerade so paßt und weil sie hoffen, daß die Sicherheit der Ehe das etwas verkrampfte Liebesleben in harmonischere Bahnen lenkt. Rachels Mutter Gloria träumt von einem sozialen Status, den sie nie erreichen wird und merkt nicht, daß ihre Wirkung auf andere wesentlich unangenehmer ist, als sie es sich träumen lassen könnte.

All diese Menschen werden nun also zusammengewürfelt, oft enger, als sie es gewünscht hätten. Sie versuchen, sich zu arrangieren und für den Großteil des Buches begleiten wir sie einen Sommer lang und sehen, wie fragil die Beziehungen zwischen ihnen sind, wie unzufrieden letztlich alle mit ihrem Los sind. Nach und nach zerbröckeln Träume, Pläne, Hoffnungen und eben jene Beziehungen. Manche verharren ergeben, andere brechen zu etwas Neuem auf. Das Ende ist vage, aber man hat eine gute Ahnung, wie es weitergehen wird. Ich hätte die Shepards und Drakes gerne noch ein ganzes Stück länger begleitet. Der unaufgeregte, lakonische Schreibstil zusammen mit den entlarvenden Dialogen und Gedanken der Charaktere machen die kurze Geschichte zu einem wahren Leservergnügen. Ohne große Beschreibungen erweckt Yates die Personen zum Leben, stellt sie deutlich dar. Das Beziehungsgeflecht zwischen ihnen ist vielfältig und kompliziert. Es hat Spaß gemacht, sich auf diese Reise in das dysfunktionale Familienleben zu begeben.