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Veröffentlicht am 04.05.2019

Lotterleben der Kardinäle …

Die nackten Masken
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Rom, 2. Dezember 1581, Papst Leo X. ist tot. Das Kardinalskollegium muss sich zur Neuwahl versammeln, lässt sich aber reichlich Zeit und findet lange keinen Nachfolger. Schließlich einigte man sich auf ...

Rom, 2. Dezember 1581, Papst Leo X. ist tot. Das Kardinalskollegium muss sich zur Neuwahl versammeln, lässt sich aber reichlich Zeit und findet lange keinen Nachfolger. Schließlich einigte man sich auf einen abwesenden flämischen Kardinal, den die Mehrheit überhaupt nicht kannte. Es ist Adrian von Utrecht, der sich dann Hadrian VI. nannte. Die Wahl kam beim Volk nicht gut an und auch die Kleriker mussten bald feststellen, dass sie unter dem neuen Papst und seinen Reformen ihr lasterhaftes Lotterleben nicht mehr so unverhohlen weiterführen konnten. Besonders Kardinal Cosimo Rolando della Torre mit seiner hübschen rothaarigen Palmira bekamen das zu spüren …

Luigi Malerba (geb. 1927 in der Provinz Parma, gest. 2008 in Rom) war ein italienischer Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor. Er schrieb zahlreiche Romane und Erzählungen, sowie Hör- und Fernsehspiele. Gemeinsam mit Umberto Eco und anderen gründete er die Schriftstellervereinigung „Gruppo 63“. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und weltweit veröffentlicht.

In „Die nackten Masken“ (Le maschere, 1994) erzählt uns der Autor phantasievoll ausgemalt über das Leben in Rom und im Vatikan in der Spätrenaissance, ohne jedoch vom geschichtlich überlieferten Hintergrund abzuweichen. Machtkämpfe, Verbrechen und Korruption waren an der Tagesordnung, Scheinheiligkeit und Aberglauben spielten eine nicht unbedeutende Rolle. Wir nehmen teil am bunten Leben der Stadt, erfahren viel über das sündhafte Treiben des Klerus, der selbst vor Mord nicht zurückschreckt, und erleben, wie die Bevölkerung mit der herrschenden Pest und Armut umgehen musste.

Der Schreibstil des Autors ist nicht ganz einfach, hat man sich aber erst mal daran gewöhnt, entdeckt man viel Witz, Ironie und Satire zwischen den Zeilen. Ein Vergleich mit den heutigen Zuständen dürfte dabei durchaus gewollt sein, denn manche Leute verstecken sich gerne hinter Masken, doch reißt man ihnen diese runter, bleibt nur die nackte Wahrheit übrig. Obwohl der Roman das sündige Leben, das Kurtisanentum und die Heuchelei der Kirchenoberen heftig anprangert, ist er in keiner Weise als religionsfeindlich zu bezeichnen.

Fazit: Ein intelligent geschriebener Renaissance-Krimi für den geschichtlich interessierten Leser.

Veröffentlicht am 02.05.2019

Harte Schale, weicher Kern …

Der Zopf meiner Großmutter
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In Deutschland ist es auch nicht besser als in Russland, stellt Großmutter nach ihrer durch einen Trick erschlichenen Aussiedlung fest. Jetzt leben sie umgeben von Juden im Wohnheim und sind auf deutsche ...

In Deutschland ist es auch nicht besser als in Russland, stellt Großmutter nach ihrer durch einen Trick erschlichenen Aussiedlung fest. Jetzt leben sie umgeben von Juden im Wohnheim und sind auf deutsche Almosen angewiesen. Auch die deutschen Ärzte sind unfähig, können sie doch keine der vielen Krankheiten feststellen, die Mäxchen, ihr sechsjähriger Enkel, ihrer Meinung nach hat. Er ist zurückgeblieben, ein schwacher Krüppel und debiler Idiot, den sie ständig von Keimen, Bakterien und anderen schädlichen Einflüssen fernhalten muss meint Großmutter, und dessen Magen nur von ihr selbst zubereitetes Püriertes verträgt. Für Max wird die Situation erst etwas besser, als sie die Klavierlehrerin Nina mit ihrer Tochter Vera kennen lernen. Großvater verliebt sich auf den ersten Blick in Nina und beginnt, als er ihr auf Großmutters Befehl beim Umzug helfen muss, ein Verhältnis mit ihr. Da Großmutter ihre einzige Aufgabe darin sieht, sich um ihren Enkel zu kümmern, merkt sie zunächst nicht, was um sie herum vorgeht …

Alina Bronsky (der Name ist ein Pseudonym) wurde 1978 in Jekaterinburg, dem damaligen Swerdlowsk in der UdSSR, geboren. Als sie 12 Jahre alt war, wanderte ihre Familie nach Deutschland aus. Sie arbeitete später als Werbetexterin und Redakteurin beim Darmstädter Echo, nachdem sei ein begonnenes Medizinstudium abgebrochen hatte. Alina Bronsky ist Mutter von vier Kindern. Der Vater ihrer ersten drei Kinder verunglückte 2012 tödlich in den Walliser Alpen. Heute lebt sie mit dem Theater- und Filmschauspieler Ulrich Noethen, von dem sie eine Tochter hat, in Berlin-Charlottenburg.

Ein Feuerwerk aus ätzendem Humor und tragisch-komischen Ereignissen hat die Autorin mit diesem Buch abgeliefert. Sie lässt Max, der im Laufe der Geschichte vom Sechsjährigen zum Teenager heranreift, selbst erzählen. Dabei wird klar, dass der Junge keineswegs geistig behindert ist und einen sehr klaren, wachen Verstand hat. Messerscharf erfasst er das Geschehen und erzählt altersgerecht, oftmals kritisch und anklagend, meist aber voller Verständnis und mit liebevollen Gefühlen für die Großeltern. Auch die Großmutter hat ein Herz, auch wenn sie gründlich versucht, es unter einer harten Schale zu verbergen.

Sehr wohltuend ist auch zu vermerken, dass nur wenige Protagonisten in die Geschichte eingebunden sind. Dadurch lässt sich das Buch zügig lesen und man verliert nie den Überblick: Großmutter, die den Eindruck einer bösartigen alten Frau erweckt, sich aber im Verborgenen äußerst hilfsbereit zeigt – Großvater, der zu Hause nur nickt oder den Kopf schüttelt, da er es längst aufgegeben hat, gegen seine Frau aufzumucken, außer Haus aber ganz andere Seiten zeigt – Max, an dem glücklicherweise die verächtlichen Worte der Großmutter abprallen und der trotzdem liebevoll von ihr spricht – Nina, die anfangs recht unsichere alleinlebende Frau mit Kind, die aber zu einer selbstsicheren Frau heranreift – und Vera, ihre Tochter, die sich vom bösen kleinen Mädchen zum netten Teenager wandelt.

Fazit: Eine außergewöhnliche Geschichte, die von absurder Situationskomik lebt, die aber dennoch berührt und nachdenklich macht und die ich gerne weiter empfehle!

Veröffentlicht am 07.04.2019

« Non, je ne regrette rien » …

Madame Piaf und das Lied der Liebe
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Paris 1944, die Stadt atmet auf. Die deutschen Besatzer sind vertrieben, das kulturelle Leben kann wieder stattfinden. Wie auch einige andere Künstler wird die 29-jährige Chanson-Sängerin Édith Piaf der ...

Paris 1944, die Stadt atmet auf. Die deutschen Besatzer sind vertrieben, das kulturelle Leben kann wieder stattfinden. Wie auch einige andere Künstler wird die 29-jährige Chanson-Sängerin Édith Piaf der Kollaboration beschuldigt, es droht ihr ein Auftrittsverbot. Während eines Engagements im wieder eröffneten Moulin Rouge trifft sie auf den damals 23jährigen Yves Montand. Sie erkennt sein hoffnungsvolles Talent und beginnt mit ihm zu arbeiten. Bald schon wird aus den beiden ein Liebespaar, sie gehen gemeinsam auf Tournee. Das glückliche Leben mit Yves inspiriert Édith zu ihrem Lied „La vie en rose“, das sie, neben „Non, je ne regrette rien“, weltberühmt machen sollte …

Michelle Marly ist das Pseudonym der deutschen Schriftstellerin Micaela Jary, der Tochter des Komponisten Michael Jary. Sie wurde 1956 in Hamburg geboren und schreibt seit 1993 unter verschiedenen Künstlernamen. Die Autorin ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt heute in München und Berlin.

In dem Roman „Madame Piaf und das Lied der Liebe“ beschreibt die Autorin einen Abschnitt im Leben der Édith Piaf, der wohl einer der glücklichsten und erfolgreichsten dieser Ausnahmesängerin gewesen sein dürfte. In Erinnerungen und Rückblicken erfährt der Leser einiges über ihre Kindheit und Jugendzeit und in einem kurzen Nachwort auch über ihr weiteres, eher tragisches Leben. Wie die fernere, äußerst erfolgreiche Karriere von Yves Montand verlief, ist ebenfalls nachzulesen, so dass man letztendlich ein umfassendes Bild beider Künstler erhält.

Die Autorin hat hier sehr gut und gewissenhaft recherchiert. Sie gibt dem Leser das Gefühl dabei zu sein, die Persönlichkeiten kennen zu lernen und Anteil an ihrem Leben zu nehmen. Man liebt und leidet mit Édith Piaf, dieser kleinen und willensstarken Frau, die sich über alle Konventionen hinwegsetzt, trinkt und feiert als gäbe es kein Morgen, und - wie in ihrem Lied „Non, je ne regrette rien“, nichts davon bedauert, nichts bereut. Man spürt förmlich ihre Liebe zu Yves Montand, die sie in ihrem Chanson das sie unsterblich gemacht hat, „La vie en rose“, zum Ausdruck bringt. Der flüssige Schreibstil, die ausführliche Darstellung der einzelnen Charaktere und die detaillierte Beschreibung der Gegebenheiten sind weitere Komponenten, die zum guten Gelingen dieses wunderbaren Buches beitragen.

Fazit: Ein ausgezeichneter Roman über eine außergewöhnliche Frau und Künstlerin, den ich gerne weiter empfehle.

Veröffentlicht am 18.03.2019

Schicksal ...

Bella Ciao
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Als Giulia Masca entdeckte, dass ihr Verlobter Pietro sie mit ihrer besten Freundin Anita hinterging, verließ sie fluchtartig ihr Heimatdorf Borgo die Dentro im Piemont, um in Genua das nächste Schiff ...

Als Giulia Masca entdeckte, dass ihr Verlobter Pietro sie mit ihrer besten Freundin Anita hinterging, verließ sie fluchtartig ihr Heimatdorf Borgo die Dentro im Piemont, um in Genua das nächste Schiff nach Amerika zu nehmen. Jetzt, 1946, 45 Jahre später, kehrt sie als wohlhabende Frau mit ihrem Sohn Michael zu einem kurzen Aufenthalt zurück. Sie möchte mit der Vergangenheit abrechnen, erfahren wie es Anita und Pietro erging. Giulia selbst hatte Glück. Als sie Anfang des 20. Jahrhunderts schwanger in New York ankam, lernte sie den älteren Krämer Libero Manfredi kennen, der sie heiratete und für ihr Kind wie ein leiblicher Vater war. Doch nun, zurück in der alten Heimat, zögert sie. Soll sie sich zu erkennen geben? Soll sie Anita und Pietro aufspüren? Soll sie alte Wunden aufreißen? …

Die Autorin Raffaella Romagnolo wurde 1971 in Casale Monferrato/Piemont geboren. Sie ist Lehrerin für Geschichte und Italienisch und schreibt seit 2007 auch Romane, für die sie bereits für den Premio Strega nominiert war. Heute lebt die sie in Rocca Grimalda im Piemont.

Der Roman „Bella Ciao“ (Original „Destino“) befasst sich sowohl mit dem Leben einiger Familien in Italien, als auch mit dem Schicksal italienischer Auswanderer in New York, und umfasst den Zeitraum von etwa 1900 bis 1946. Der Leser erhält einen tiefen Einblick in die Not in Italien während der beiden Weltkriege, erfährt über die Ausbeutung der Fabrikarbeiter und der Landpächter, liest über Naturkatastrophen, über Gemetzel an der Front und über den schier aussichtslosen Kampf der Partisanen gegen den aufkommenden Faschismus unter Mussolini. Es sind viele Tote und Verletzte zu beklagen. Auch die ausgewanderten Italiener in den USA hatten ihre Probleme, mussten sie doch gegen manche Vorurteile ankämpfen. Während Giulia durch das Dorf wandert und auf ihr eigenes, manchmal hartes, Leben zurückblickt erfährt man auch, wie es ihrer damals besten Freundin Anita, deren Familie und Giulias Verlobten Pietro nach ihrer Flucht ergangen ist.

Das Buch beeindruckt durch seine Sprachintensität, ist jedoch wegen der vielen Zeitsprünge, Rückblenden und Perspektivwechsel nicht ganz einfach zu lesen. Es erfordert schon ein gewisses Maß an Konzentration, um das Geschehen zu verfolgen und die Ereignisse richtig einzuordnen. Sehr viele Personen bevölkern die Geschichte, so dass die eingefügten Familien-Stammbäume und die Übersicht über weitere Personen zu Beginn jedes der drei Teile sehr hilfreich sind. Die Autorin zeichnet ein atmosphärisch dichtes Bild des Lebens der Menschen im Piemont zur damaligen Zeit und besitzt ein feines Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Die Charaktere sind sehr lebensecht und authentisch. Auf eindrückliche, höchst lesenswerte Weise wurden hier fiktive Familiendramen mit historischer, sehr gut recherchierter Zeitgeschichte verbunden.

Fazit: So muss gute Literatur sein, anspruchsvoll, ernsthaft und doch unterhaltend.

Veröffentlicht am 28.02.2019

Gibt es noch eine Zukunft? …

Mit zwanzig hat man kein Kleid für eine Beerdigung
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Alfredo ist tot, wirklich tot - heute ist die Beerdigung. Beatrice weiß mit ihren Gefühlen nichts anzufangen. Soll sie um ihren Freund trauern wenn sie nicht mal sicher ist, ob sie ihn wirklich geliebt ...

Alfredo ist tot, wirklich tot - heute ist die Beerdigung. Beatrice weiß mit ihren Gefühlen nichts anzufangen. Soll sie um ihren Freund trauern wenn sie nicht mal sicher ist, ob sie ihn wirklich geliebt hat? Aber eines weiß sie ganz sicher, sie will weg, weg aus diesem Haus, weg aus diesem Armenviertel, in dem sie zusammen aufgewachsen sind und wo man sie die Zwillinge nannte. Bea erinnert sich zurück an schöne und weniger schöne Stunden, an Tage und Nächte, die sie zusammen verbrachten und die nun der Vergangenheit angehören. Ob sie es schaffen wird, sich mit 20 Jahren irgendwo anders ein neues Leben aufzubauen? …

Valentina D’Urbano war gerade 26 Jahre alt, als sie sich bei einem italienischen Schreibwettbewerb bewarb, dessen erster Preis die Buchveröffentlichung war - sie gewann und der Verlag Longanesi veröffentlichte 2012 ihren Roman „Il rumore dei tuoi passi“. Valentina D‘Urbano wurde 1985 geboren, stammt aus Rom und wuchs in einem Viertel auf, das dem im Buch beschriebenen sehr ähnlich ist.

Die Autorin lässt Beatrice die Geschichte erzählen – vom heruntergekommenen Viertel La Fortezza am Rande der Stadt, vom besetzten Haus, in dem sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder lebt und von Alfredo und seinen Brüdern, die von ihrem betrunkenen Vater ständig verprügelt werden. Sie berichtet wie es ist, an einem Ort aufzuwachsen, wo man fürs Leben gezeichnet ist und wo sich nicht mal die Polizei hin traut, wo man sich aber trotz allem zu Hause fühlt. Sie schildert ihre Gefühle zu dem Jungen, der für sie erst wie ein Bruder war, den sie liebte, später begehrte und gleichzeitig auch hasste.

Sehr beeindruckend ist die Sprache und Ausdruckskraft dieses Erstlingswerkes der jungen Autorin. In Rückblenden, manchmal auch vorausschauend, erfährt der Leser Beas Geschichte, leidet mit ihr, ist bestürzt und entsetzt darüber, wie man so leben kann. Schonungslos und brutal schildert D’Urbano das Leben in diesem Elendsviertel. Man spürt hautnah die Tiefe der Gefühle der beiden Protagonisten Beatrice und Alfredo - Hass, Missgunst und Verzweiflung wechseln in rascher Folge mit Vertrauen, Freundschaft und Liebe. Wie das Verhältnis der beiden zueinander, die von Kindheit an nur die „Zwillinge“ genannt wurden, wirklich war, klärt sich erst ganz zum Schluss, was die Geschichte meiner Meinung nach perfekt abrundet. Auf weitere Romane dieser begabten Autorin darf man gespannt sein.

Fazit: Ein beeindruckendes Buch das mitreißt und begeistert, auch wenn man die Jugendzeit schon lange hinter sich gelassen hat.