Nele wildert im Mittleren Westen
Die beliebte Krimiautorin Nele Neuhaus begeht neue, ungewöhnliche Wege: unter ihrem Mädchennamen Nele Löwenberg hat sie das Buch "Sommer der Wahrheit" veröffentlicht, das im tiefsten Mittleren Westen, ...
Die beliebte Krimiautorin Nele Neuhaus begeht neue, ungewöhnliche Wege: unter ihrem Mädchennamen Nele Löwenberg hat sie das Buch "Sommer der Wahrheit" veröffentlicht, das im tiefsten Mittleren Westen, im ländlich-abgeschiedenen Nebraska spielt. Wir schreiben das Jahr 1994. Hier lebt die junge Sheridan Grant, unzufrieden mit ihrem Leben und mit ihren Perspektiven. Das Leben im winzigen Fairfield ist ihr zu öde, zu langweilig: von morgens bis abends muss sie schuften, die ungeliebten Adoptiveltern machen ihr das Leben schwer. Ihren Interessen und Begabungen - komponieren und singen kann sie nicht ausreichend nachkommen, da diese nicht ernst genommen bzw. als Teufelswerk verurteilt werden. Auch ihre Freunde sind zu Hause nicht gern gesehen. Zum Knall kommt es, als sie gemeinsam mit ihren Freunden an verbotener Stelle von der Polizei aufgespürt wird. Die heimische Strafe folgt auf dem Fuße. Doch Nele sucht sich ihren eigenen (Aus)Weg, ihre eigenen Nischen. Unbemerkt von den Eltern lebt sie ein gewagtes Leben vor deren Augen, bis die Sache eskaliert.
Ein wenig irritiert, dass nur das Ausgangsdatum genannt wird: da die Geschichte über etwa anderhalb Jahre spielt, hätte ich es als "handlicher" empfunden, wenn sie in mehrere Teile gesplittet wäre, die jeweils mit dem Ausgangsdatum überschrieben wären. Zur Entwicklung selbst hätte das m.E. auch gut gepasst. Zudem liegt für mich der Schwerpunkt viel zu sehr auf Sex und Begierden. Schließlich hat mich die Schwarz-Weiß-Malerei bezüglich der Charaktere gestört, eigentlich steht jede dargestellte Figur, so nebensächlich sie auch sein mag, auf einer Seite, ist (mit wenigen Ausnahmen) entweder gut oder böse.
Doch trotz dieser nicht gerade wenigen Kritikpunkte habe ich das Buch wie alle "Neles" bisher sehr genossen: Nele Neuhaus bleibt sich und ihrem atmosphärischen Schreibstil treu. Eindringlich und mitreißend ist auch dieses Buch, unversehens findet sich der Leser im ländlichen Nebraska wieder, sieht die Umgebung, in der Sheridan aufwächst, geradezu bildhaft vor Augen und ist unversehens ein Teil der Gemeinschaft von Fairfield. Auch Spannungselemente sind in genügender Anzahl vorhanden und, obwohl sich im Unterschied zu den Bodenstein-Kirchhoff-Krimis das Ende hier durchaus abzeichnet, was bei einem Entwicklungsroman ja auch nicht weiter verwerflich ist, gibt es bei der Auflösung genügend überraschende Details, die es dem Leser leicht machen, bis zum Ende am Ball zu bleiben. Nicht gerade was für die Fans harter Thriller, aber Liebhaber stimmungsvoller Spannungsromane kommen hier allemal auf ihre Kosten.