Ausbaufähige aber solide Fantasy, die auf die Fortsetzungen hoffen lässt!
Als ich den Klapptext dieser Neuerscheinung las, war ich sofort an "Zorn und Morgenröte" von Renée Ahdieh erinnert, in dem ebenfalls eine zornige junge Protagonistin dazu gezwungen wird, die Frau eines ...
Als ich den Klapptext dieser Neuerscheinung las, war ich sofort an "Zorn und Morgenröte" von Renée Ahdieh erinnert, in dem ebenfalls eine zornige junge Protagonistin dazu gezwungen wird, die Frau eines Tyrannen zu werden und diese Position mit Blut zu bezahlen. Da ich diese Geschichte wirklich sehr mochte und mit "Die letzte Königin - Das schlafende Feuer" eine ganze Reihe neu startet, die sich einer orientalischen Welt voller Intrigen, Verrat, Magie und Liebe widmet, musste ich diese Geschichte natürlich lesen. Sie konnte mich auch definitiv mitreißen - an einem einzigen Nachmittag wurde sie von mir verschlungen - aber leider muss ich im Nachhinein sagen, dass mir das "gewisse Etwas" fehlte und noch viel Potential brach liegt.
"Ich behalte meinen Hass für mich, nähre ihn und verwandle ihn in etwas, das größer, fürchterlicher und gefährlicher ist. Ich werde abwarten. Ich werde mich in einer dunklen Ecke zusammenkauern bis die Zeit reif ist. Und dann werde ich über Rajah Tarek herfallen."
Das Cover ist mit der auffällig kräftigen Rot/Magenta-Färbung definitiv keines, das man leicht übersehen könnte. Der Hintergrund ist durch die Falten sehr dynamisch und lenkt gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf die Hand und den Titel. Durch den dunklen Vignetten-Effekt an den Rändern bekommt das Bild eine dunkle, geheimnisvolle Note während die goldenen Lichtpunkte der Gestaltung einen magischen Touch verleihen. Mit dem verzierten Sari im Hintergrund, der mit goldener Henna bemalten Hand und dem leuchtenden Glasfläschchen sind außerdem viele Bezugspunkte zur Handlung hergestellt. Auch der Titel passt gut zum Inhalt. Alles in allem also eine sehr zufriedenstellende Gestaltung die der LYX Verlag hier bei einem seiner ersten Ausflüge ins Fantasy-Genre hinlegt.
Erster Satz: "Schneebedeckte Berge ragen in den aschgrauen Himmel, ihre kantigen Gipfel sind perlmuttfarben wie Wolfszähne."
Mit diesen Worten starten wir in die Geschichte der jungen Kalinda, die in einer bunten Welt aus Reichtum, Ungerechtigkeit, Intrigen, Geheimnissen, Brutalität und Vertrauen, herausfinden muss, dass sie ihr ganzes Leben mit einer Lüge gelebt hat. Als mal wieder ein "Gönner" in das Kloster ihrer Schwesternschaft kommt um mit einer "Forderung" ein Mädchen als Ehefrau, Dienerin oder Kurtisane in sein Haus mitzunehmen, ist sich Kalinda sicher, dass für sie keine Gefahr besteht. Mit ihrer schlaksigen Gestalt, ihrem unscheinbaren Gesicht, ihren bescheidenen Kampffähigkeiten und ihrem chronischen Fieber stellt sie keine gute Partie dar. Anders schätzt sie schon die Gefahr für ihre begabte und wunderschöne beste Freundin Jaya ein. Doch dann kommt alles ganz anders, denn der "Gönner" ist niemand geringeres als Rajah Tarek, der Herrscher des Reiches, der auf der Suche nach einer hundertsten Frau durch die Lande streift. Und als er verkündet, dass er seine Wahl getroffen hat, fällt sie nicht auf eine der hübschen, begabten Mädchen sondern ausgerechnet auf die unscheinbare Kalinda. Und schneller als sie es sich versieht, befindet sie sich mitten im menschenüberfüllten, chaotischen Palast der Türkise, der ihr im Kontrast zu ihrem beschaulichen Kloster wie ein Teil einer anderen Welt vorkommt. Es warten auf sie Rangkämpfe zwischen den Ranis und den Kurtisanen, kleine Grausamkeiten, die Willkür des Rajahs aber auch neue Freundschaften und die große Liebe. Und mitten in all dem Durcheinander, in dem sie sich nun behaupten muss, kommt sie hinter ein wohlgehütetes Geheimnis, das ihre ganze Welt aus der Bahn wirft...
„Furcht schwebt über uns wie eine Gewitterwolke. Eine von uns wird heute von diesem Ort weggeholt. Vielleicht sogar mehr als eine. Und niemand weiß, wer.“
Emily R. King nimmt uns mit in das Tarachandische Reich, das Kleidung, Kultur und Klima zufolge wohl im asiatischen/orientalischen Raum liegt. Wunderbar schillernd, bunt und vielseitig in Szene gesetzt wird das durch ihren lockeren, schlichten Stil. Mit heißen Wüsten, hohen Bergen, bunten Saris, prächtigen Turbanen, riesigen Elefanten, Kamelen, Henna-Kunstwerken, unmöglicher Liebe, absurder Polygamie und einem Hauch von mystischer Magie fährt die Geschichte alle Geschütze des 1001-Nacht-Flairs auf, der auch den kritischsten Leser bezaubert. Auch die exotische Religion und Kultur, die sich die Autorin hier ausgedacht hat, konnte mich überzeugen. Der fiktionale Parijana-Glaube mit den verschiedenen Gottheiten für die Elemente und verschiedenen Sagen und Riten erscheint komplexer als man es sonst aus Fantasy-Romanen gewöhnt ist. Das Verständnis hätte jedoch durch ein Glossar zu den Göttern erleichtert werden können. Ebenfalls hilfreich gewesen wären eine Karte des Tarachandischen Reiches oder die wichtigsten Namen und Ränge der Ranis.
Das Leid der Bevölkerung und der Zustand des Landes, das unter Tareks Herrschaft eingeht, werden nur am Rand angeschnitten genau wie das Schicksal der anderen Ranis und die Vergangenheit unserer Protagonistin. Das Setting bietet also genau wie die Handlung und die Protagonistin noch viel Stoff für die geplanten Fortsetzungen, die im Spätjahr erscheinen werden.
"Rajah Tarek mag ein Monster sein, aber ich werde um meinen Platz als seine Ehefrau kämpfen. Und wenn die Götter es wollen, werde ich gewinnen. (…) Der Rajah nimmt zwar für sich in Anspruch, gottgleich zu sein, aber ich fürchte seine Macht nicht annähernd so wie die der Götter"
Mit ständig wechselnden Situationen, neuen Erfahrungen, Erkenntnisse, Fragen und Verschwörungen bringt die Autorin immer wieder neuen Schwung in die Geschichte, die ansonsten eher vor sich hindümpelt und sorgt dafür, dass man das Buch bald nicht mehr aus der Hand legen kann. Die Hauptwendung konnte ich leider von Anfang an vorhersehen und wurde von der "großen Peripetie" nicht unbedingt überrascht. Leider versumpfen auch viele gute Ideen und Ansätze, die die Autorin bringt, sehr bald wieder und gehen nur halb behandelt wieder unter. So nimmt das lange in den Vordergrund gestellte, heikle Turnier der Königinnen einen im Gesamtkontext eher geringen Stellenwert ein und wird recht unspektakulär zur Seite geschafft. Auch gute Entwicklungen wie die neue Schwesternschaft, Auflehnung und Rebellion kochen immer nur ganz kurz hoch und ebben dann wieder ab bevor man als Leser besonders viel davon mitbekommt. Genauso ist es mit Kalindas Erforschung ihrer magischen Kräfte, der rasend schnellen Entwicklung der Liebesgeschichte oder dem plötzlichen Auftauchen der Rebellen - alles bleibt sehr vage angekratzt und schöpft lange nicht das vorhandene Potential aus. Wir haben hier also ein klarer Fall von "zu viel gewollt und dann zu wenig daraus gemacht" vorliegen.
"Nicht alle Frauen haben mein Temperament, Hauptmann." "Nicht allen Frauen steht es so gut, Kalinda." Mein Herz pocht und plötzlich spüre ich seinen Ellbogen, der sich an meinem reibt. "Sag nichts, was Ihr bereuen würdet." Er neigt den Kopf in den Nacken. "Das habe ich bereits." "Warum sagt Ihr es dann?", frage ich verärgert wegen seines Schlingerkurses. Deven beugt sich vor und legt seien Stirn gegen meine. "Weil Ihr wunderschön seid."
Ein weiterer Punkt, mit dem ich meine Probleme hatte ist die Protagonistin. Man könnte sie definitiv als starken Charakter bezeichnen, das Adjektiv "penetrant" ist jedoch auch nicht unbedingt weit gefehlt. Kalinda handelt nicht immer nachvollziehbar und ging mir mit ihrer impulsiven, sprunghaften, temperamentvollen Art manchmal ein bisschen auf die Nerven. Natürlich habe ich trotzdem mit ihr mit gefiebert und ihr nur das Beste gewünscht doch wie sie planlos, unbeholfen und manchmal geradezu blind durch ihre Geschichte stolpert und andere Menschen aus Versehen ins Verderben reißt oder sich nicht um ihre Gefühle kümmert, musste ich doch das ein oder andere Mal die Stirn runzeln. Dazu kommt, dass es leider nur wenig andere Protagonisten gibt, die auch leider nur mit äußerst wenig Tiefgang und Weitsicht präsentiert werden. Deven wird einfach zum stereotypen Ritter und Beschützer, Jaya zur besten Freundin, Lakia zur Rivalin und Rajah Tarek zum durchschaubaren Bösewicht. Dabei wäre bei allen mehr drin gewesen. Gerade Rajah Tarek hätte so viel Potential zum ambivalenten Antagonisten gehabt aber leider wird das sehr schnell vergeben. Einzig Natesa ist ein wenig mehrdimensional gezeichnet und wurde deshalb auch zu meiner Lieblingsperson.
"Danke." Sein warmes Lächeln raubt mir den Atem. (…) Während ich ihm nachblicke, balle ich meine Hände zu Fäusten und öffne sie wieder. Ich versuche, eine Erklärung für seine Stimmungsschwankungen zu finden. Würde ich Devens Herz zeichnen, wäre es ein Labyrinth voller Geheimnisse."
Das Ende besteht dann aus einer Ansammlung aus einzelnen, kleinen Höhepunkten, die jedoch alle recht unspektakulär einen Abschluss finden und die Zielgerade steuert eindeutig auf eine Fortsetzung zu. Diese werde ich auch unbedingt lesen, denn was hier noch nicht ganz im Lot war, kann dort ja noch werden!
"Lass uns von hier fortgehen, Kali." Seine geflüsterten Worte erfüllen die verborgensten Winkel meiner Seele mit Freude. Dies ist es, was ich mir immer gewünscht habe: dass Deven meine Hand nimmt und mich in das Labyrinth seines Herzens führt. Das könnte er sein, unser Traum vom Frieden und einer Familie, aber diese Hoffnung ist so kostbar, so strahlend hell, dass sie einen blenden könnte. Ich will es. Ich brauche es. Ich kann es nicht."
Fazit:
Emily R. Kings Auftakt nimmt mit in eine schillernde, orientalische Welt und bezaubert mit einem Hauch von mystischer Magie und dem unverwechselbaren 1001-Nacht-Flair. Leider ist die Wendung recht vorhersehbar, die Protagonistin recht anstrengend und viele gute Ideen und Ansätze bleiben vage angekratzt und lassen viel Potential zurück.
Ausbaufähige aber solide Fantasy, die auf die Fortsetzungen hoffen lässt!