Ein Einblick in das Leben einer Frau, die ihrer Zeit voraus ist
Historische Romane verführen leicht dazu, sich in die Vergangenheit zu wünschen und den rauen Alltag von damals zu verklären. Nicht so ganz einfach ist es, sich von der heutigen rationalen Welt in das ...
Historische Romane verführen leicht dazu, sich in die Vergangenheit zu wünschen und den rauen Alltag von damals zu verklären. Nicht so ganz einfach ist es, sich von der heutigen rationalen Welt in das Denken des späten Mittelalters einzufühlen. Johanna von Wild ist es recht gut gelungen, Gefühle und Empfinden sechs Jahrhunderte mit zurückzunehmen. Es fällt nicht schwer, sich mit Helena zu identifizieren, einer Tochter des Tagelöhners Wigbert im kurpfälzischen Neckargemünd. Aufgewachsen in einer Kate, die Mutter nach zahlreichen Geburten bei der Geburt des jüngsten Kindes verstorben, mit zwölf vom Vater wegen Spielschulden an den Winzer Cuntz Wengerter verkauft, flieht sie in ein Kloster, als er sie wiederholt zu vergewaltigen sucht. Verletzt aufgefunden, wird sie im Zisterzienser-Kloster Lobenfeld gesund gepflegt und in die Gemeinschaft aufgenommen. Neben der Beschäftigung mit den Kräuterpflanzen im Klostergarten arbeitet sie im Skriptorium als Illustratorin, wird im Lesen und Schreiben unterwiesen. Auf der Suche nach heilenden Kräutern im Wald begegnet sie dem Medizinstudenten Toman Ostheim. Auf dem Rückweg von einer Krankenbehandlung im Waisenhaus zu Dilsberg gerät sie in den über die Ufer getretenen Neckar, wird von ihm gerettet und zum Haus seines Vaters, des Kaufmanns Caspar Ostheim, gebracht. Beim Besuch des Kurfürsten Ludwig in der kleinen Stadt rettet Helena das Leben seiner zehnjährigen Tochter Mechthild vor dem Überrollen durch die Kutsche. Vier Jahre zuvor hatte sie Helena in Neckargemünd ein Püppchen zugeworfen, da es ihr ähnlichsah. Mechthild erinnert sich daran und Helena wird zur Festtafel geladen. Helena wird Spielgefährtin der Fürstentochter. Mehrfach kreuzen sich die Wege Helenas und ihres Vergewaltigers, der ihre Familie erpresst und ausnutzt. Als sie beim Festessen das Leben des Kurfürsten rettet, kann sie erreichen, dass Wengerter den Hof nicht mehr beliefern darf. Ihr Bruder erhält einen eigenen Hof und Vieh, den Status eines Freibauern. Mechthilds Hochzeit führt sie nach Stuttgart, dem Tod des Kurfürsten Ludwig führt zum Bruderzwist der Wittelsbacher Linien. Als Helena ihren Bruder besucht, wird sie erneut von Cuntz Wengerter überfallen und vergewaltigt. Mit Mühe entkommen sie und ihr Bruder Siegfried dem Niederbrennen des Hofs. Nach dem Tod ihres Mannes heiratet Mechthild den Habsburger Erzherzog und in der Folge entzweien sich Mechthild und Helena. Auf einer Pilgerreise nach Italien kann Helena ihre Heilkünste anwenden. Erneut begegnet sie Toman Ostheim. Drei Jahre nach der Entzweiung kommt es zur Wiederaussöhnung zwischen Mechthild und Helena. Die Sprache Johanna von Wilds ist sehr blumig, sodass Leser sich liebend gerne auf die Zeitreise in die Vergangenheit einlassen und in die Kunstfigur Helena einzufühlen vermögen. Der Autorin gelingt es meisterlich, dem Leser die verschlungenen Herrschaftsverhältnisse im Südwesten Deutschlands, wie auch die verwobenen Familienstrukturen mit ihren auffälligen Namensgleichheiten, geduldig zu vermitteln.