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Veröffentlicht am 24.03.2019

Glaubwürdiges Portrait von Deutschland 1972

Rheinblick
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Rheinblick von Brigitte Glaser ist ein Portrait der gesellschaftlichen und politischen Zustands in Deutschland 1972. Es war eine Zeit, in der Politische Gräben auch in die Gesellschaft drang. Es war Willy ...

Rheinblick von Brigitte Glaser ist ein Portrait der gesellschaftlichen und politischen Zustands in Deutschland 1972. Es war eine Zeit, in der Politische Gräben auch in die Gesellschaft drang. Es war Willy Brandt gerade als Bundeskanzler wiedergewählt wurde.
Die Jugendbewegung sorgt dafür, das Konflikte aufbrechen und schockiert das Establishment.
Viele Namen werden genannt, um den Zeitgeist zu zeigen: Rudi Dutschke, Strauß, Helmut Schmidt, Wolfgang Overath, Heinrich Böll, Bud Spencer
Die Musik dieser Zeit begleitet den Roman: Rolling Stones, Eagles, Ravi Shankar, Simon & Garfunkel, The Kinks, Family mit Roger Chapman und viele andere.
Das ist schon sehr gut gemacht.

Die sich manchmal dahinschleppende Handlung ist in Bonn angesiedelt.
Hier hat die Wirtin Hilde Kessel ihre Gaststätte Rheinblick.
Willy Brandt wegen Stimmproblemen ist Patient der jungen Logopädin Sonja Engel. Keine einfache Aufgabe. Aber Sonja ist eine starke, junge Frau, die sich auch noch um ihre jüngere Schwester kümmern muss. Sie ist eine gute Hauptfigur!
Sehr im Mittelpunkt steht auch Max, Student und Taxifahrer. Er steht für die junge Generation, vielleicht etwas leichtsinnig.
Dann gibt es auch noch Lotti Legrand, eine Journalistin, die manchmal ein wenig ungeschickt recherchiert und doch der Lösung eines Falls auf der Spur ist.

Der Roman besitzt also gut gestaltetes Personal, die neben ernsten Szenen auch viel Witz zulassen.
Obwohl die Handlung mitunter etwas zäh ist, gibt es doch viele gute Passagen und das Lesen von Rheinblick hat sich gelohnt.

Veröffentlicht am 23.03.2019

Debüt einer talentierten Autorin

Die Angehörigen
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Katharine Dions Debütroman wirft einen Blick in das Leben eines Witwers nach dem Tod seiner Frau.
Nach 49 Jahren Ehe starb Maida überraschend und lässt ihren Mann Gene in Trauer zurück.
Es ist auch ein ...

Katharine Dions Debütroman wirft einen Blick in das Leben eines Witwers nach dem Tod seiner Frau.
Nach 49 Jahren Ehe starb Maida überraschend und lässt ihren Mann Gene in Trauer zurück.
Es ist auch ein Buch über die Beziehung zwischen Vater und erwachsener Tochter.
Beide stellen nach Maidas Tod ihr Leben in Frage. War Maida wirklich glücklich und zufrieden mit der Ehe und ihrem Leben?
Das Buch thematisiert, wie weit man selbst seine Nächsten vielleicht nicht ganz kennt. So ganz kann ich aber nicht verstehen, was diese Unsicherheit in diesem Fall eigentlich in dem starken Maße auslöste.
Die Tochter, Dary, konnte mich als Figur nicht so ganz überzeugen, da sie so distanziert bleibt.

Anfangs ist der Roman langweilig und es dauert eine Weile bis ich ganz in dem Buch drin war. Dann hatte es mich aber doch ganz überzeugt.

Gut fand ich die Gespräche von Gene mit seinem alten Kumpel Ed oder die Szenen mit Adele, die für kurze Zeit Gene den Haushalt führte.
Schließlich das Finale, das Gene alleine in einer abgelegenen, schneeumwehten Hütte am Fisher Lake verbringt. In Anna Karenina lesend reflektiert Vergangenheit und Gegenwart.

Das Buch ist unspektakulär und mit leichter Melancholie und leisem Humor. Sprachlich ist es gut gemacht. In der ruhigen Erzählweise erinnert der Roman mich streckenweise an die Bücher von Kent Haruf. Es bleibt das Gefühl, dass Katharine Dion eine talentierte Schriftstellerin ist und das noch einiges von ihr folgen kann.

Veröffentlicht am 23.03.2019

Bericht eines Dogchild

Deathland Dogs
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In einer dystopischen Welt gibt es keine Freundschaft zwischen einer nur noch kleinen Gruppe Menschen und den wilden Hunden. Es ist ein Überlebenskampf.
Jeet ist ein Hundskind, das heißt, er ist als kleines ...

In einer dystopischen Welt gibt es keine Freundschaft zwischen einer nur noch kleinen Gruppe Menschen und den wilden Hunden. Es ist ein Überlebenskampf.
Jeet ist ein Hundskind, das heißt, er ist als kleines Kind von den Hunden entführt worden und bei ihnen aufgewachsen, bis er bei einem Kampf unfreiwillig wieder zurück in den Kreis der Menschen kommt und wieder humanisiert wird. Ein langer Prozess.

Es ist ein düsterer Roman, sehr atmosphärisch geschrieben. Als Erzählmethode dient ein aufgeschriebener Bericht über die Ereignisse von Jeet .

Kevin Brooks Worldbuilding ist ausführlich und beeindruckend, da er nicht nur eine MadMax-Welt kopiert sondern selbst etwas entwickelt. Dazu gehört auch eine veränderte Gesellschaft. Als ehemaliges Hundskind ist Jeet in einer Außenseiterrolle, einer der zwischen den Gruppen steht. Seine Sympathie für die wilden Hunde hat er nicht vergessen, gleichzeitig ist er ein Überlebenstyp. Er fühlt sich als beides, Hund und Mensch und doch wird eine Entscheidung von ihm verlangt. Dieser Konflikt begleitet ihn durch die ganze Handlung.
Auffällig das Mid-Tempo in dem die Handlung verläuft, es gibt actionreiche Szenen, aber immer überlegt geschildert und die meiste Zeit verbringt Jeet und mit ihm der Leser in einer abwartenden Position während die Situation immer mehr eskaliert.

Kevin Brooks ist ein Veteran des Jugendbuchgenres, und dieser Roman profitiert von der Erfahrung, wirkt dennoch frisch.

Veröffentlicht am 19.03.2019

Nur die Sätze zählen

Früher begann der Tag mit einer Schußwunde
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In „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“ sind eine Reihe von Texten in Kurzprosa enthalten und anscheinend ist es Wolf Wondratscheks erstes Buch.
Sein zweites Buch „Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin ...

In „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“ sind eine Reihe von Texten in Kurzprosa enthalten und anscheinend ist es Wolf Wondratscheks erstes Buch.
Sein zweites Buch „Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin einen Bauernjungen, der unbedingt Knecht werden will“ ist außerdem als Beiwerk in diesem Buch integriert.

Kurzprosa, aber keine Kurzgeschichten im eigentlichen Sinnen.Nur die Sätze zählen.

Heutzutage kann man das Buch gelassen lesen, aber 1969 muss es für manche ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Wondratschek schreibt radikal und arrangiert sich nicht mit den Gepflogenheiten des Literaturbetriebs. Seine Bissigkeit muss man mögen, um die Texte genießen zu können. Manchmal übertreibt er es.
An Ironie fehlt es den Texten nicht. Das spiegelt sich schon in den Titeln, z.B. Verschönerung eines Prosastückes von Robert Walser.

Nach Beendigung des Buches bin ich vergrätzt, denn wo sind die Wondratscheks unserer Zeit?

Veröffentlicht am 16.03.2019

Leben nach dem Anschlag

Der Fetzen
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Dieses Buch berichtet von den Ereignissen vor, während und nach dem Attentat bei Charlie Hebdo, erzählt von einem Überlebenden. Philippe Lancon war Kolumnist bei Charlie Hebdo, dem Satire-Magazin. Er musste ...

Dieses Buch berichtet von den Ereignissen vor, während und nach dem Attentat bei Charlie Hebdo, erzählt von einem Überlebenden. Philippe Lancon war Kolumnist bei Charlie Hebdo, dem Satire-Magazin. Er musste mit ansehen, wie seine Kollegen getötet wurden, er selbst wurde auch schwer verletzt. 12 Menschen wurden getötet.

Man liest selten von solchen Ereignisse auf unmittelbare, detaillierte Art, dazu von einem Zeugen und Betroffenen, der wirklich schreiben kann. So wird der Bericht tatsächlich zu einem autobiografischen Roman.

Lange Passagen handeln von den Gesundheitsprozess. Die Gesichtsverletzungen waren schwer, lange Krankenhausaufenthalte und Operationen erforderlich.
Hilfreich waren kulturellen Themen, Musik und Literatur, wie Kafka, Proust, Thomas Manns Zauberberg und Bach sowie Jazz.

Mich hat die Haltung von Philippe Lancon beeindruckt und die Genauigkeit der Details seiner Schilderungen. Ein starkes Buch!