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Veröffentlicht am 29.03.2019

Aufwühlende Familiengeschichte

Judas
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Willem Holleeder - diesen Namen kennt man in den Niederlanden gut. Der Schwerkriminelle, zeitweilig gar „König der Unterwelt“ Amsterdams, ist seit seiner Inhaftierung wegen der Entführung des Industriellen ...

Willem Holleeder - diesen Namen kennt man in den Niederlanden gut. Der Schwerkriminelle, zeitweilig gar „König der Unterwelt“ Amsterdams, ist seit seiner Inhaftierung wegen der Entführung des Industriellen Alfred Heineken hier eine Berühmtheit. Nun sagt seine jüngere Schwester Astrid als Belastungszeugin gegen ihn aus; sie beschuldigt ihn mehrerer Morde und Mordaufträge, unter anderem an seinem Schwager und Entführungs-Komplizen Cor van Hout. In ihrem Buch „Judas“ erzählt sie, wie sie und ihre Schwester Sonja dafür über einen langen Zeitraum Beweise in Form von Tonbandaufnahmen gesammelt haben, die sie mit gut verstecktem Mikrofon machten. Möglich war ihnen dies nur, weil Holleeder Astrid vertraute und mit ihr zahlreiche Probleme besprach. Sehr anschaulich beschreibt die Autorin, unter welchen Umständen sie und ihre älteren Geschwister Willem und Sonja in dem Amsterdamer Arbeiterviertel Jordaan aufwuchsen, wie die Verbindung zwischen ihnen funktionierte und welchen Lebensweg jeder einschlug. Sie macht deutlich, wie es dazu kam, dass Willem seine Familie für seine Taten instrumentalisieren konnte.
Doch obwohl ihr Bruder sich im Hochsicherheitsgefängnis befindet, weiß Astrid, dass sie seine Rache für ihren Verrat fürchten muss. Aus dem Zuchthaus heraus gelingt es ihm, Mordaufträge gegen seine Schwestern Sonja und Astrid zu erteilen. Um den Bedrohungen möglichst zu entgehen, musste sie ihr normales (Berufs-)Leben aufgeben und wohnt nun an wechselnden Orten, versteckt und stets in Abwehrbereitschaft. Sie kennt ihren Bruder genau und wendet sich in ihrem Nachwort an ihn: „Der einzige Grund, dass du noch lebst, ist, dass du uns das Leben nehmen willst.“

Veröffentlicht am 29.03.2019

Erschreckende Erkenntnisse

Erbsünde
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Wenn gläubige Christen der Meinung sind, im „Schoß der katholischen Kirche“ an einem Ort der Sicherheit und des Friedens zu verweilen, befinden sie sich in einem großen Irrtum. Ausgerechnet im Vatikan, ...

Wenn gläubige Christen der Meinung sind, im „Schoß der katholischen Kirche“ an einem Ort der Sicherheit und des Friedens zu verweilen, befinden sie sich in einem großen Irrtum. Ausgerechnet im Vatikan, dem Sitz des „Stellvertreters Gottes auf Erden“, konzentrieren sich düstere Geheimnisse: Machtstreben und Geldgier, Geldwäsche und Verbindungen zur Mafia, rätselhafte Tode und sogar Kindesmissbrauch.
Es handelt sich keineswegs um Verschwörungstheorien - der Journalist Gianluigi Nuzzi fordert bereits seit Jahren mehr Transparenz im Kirchenstaat und enthüllt in seinem Buch „Erbsünde“ neue Fakten, die er auch fundiert belegt. Dokumente, die ihm vertraulich zugespielt wurden, sind im Anhang einzusehen.
Unbequeme Fragen, die er stellt, gelten u. a. den Umständen zu dem rätselhaften Verschwinden des Mädchens Emanuela Orlandi im Vatikan in den achtziger Jahren. Ebenfalls ungeklärt ist bis heute die Frage, ob Papst Johannes Paul I tatsächlich ermordet wurde. Und warum ist Papst Benedikt XVI von seinem Amt zurückgetreten? Wieviele seiner Reformpläne konnte er durchsetzen, und welche Widerstände muss Franziskus bekämpfen, um sein „Erbe“ zu reformieren?
Nuzzi spart nicht mit Kritik am Vatikan und seinem Deckmantel der Verschwiegenheit. Er geht der Frage nach, aus welchen Gründen sich so wenig und so langsam im Vatikan ändert. Seine Vision ist düster: „Alle Reformmaßnahmen des Papstes werden unter einem dicht gewebten Netz aus Tod, Geld und Sex unweigerlich im Keim erstickt. Solange es nicht gelingt, sich von dem erpresserischen Sumpf der düsteren, ungeklärten Geschichten zu befreien, wird jeder Veränderungswille, unter welchem Papst auch immer, zum Scheitern verurteilt sein.“
Mein Fazit: „Erbsünde“ ist ein kritisches, akribisch recherchiertes Buch, das sich eingehend mit unbequemen Wahrheiten befasst.

Veröffentlicht am 03.03.2019

Protest in Tagebuchform

Biedermeiern
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„Biedermeiern“ : Ein hübsch aufgemachtes Büchlein mit gesellschaftspolitisch brisantem Inhalt erwartet den Leser: dekoriert mit einem typischen Tapetenmuster der Biedermeierzeit, ganz passend zum Titel, ...

„Biedermeiern“ : Ein hübsch aufgemachtes Büchlein mit gesellschaftspolitisch brisantem Inhalt erwartet den Leser: dekoriert mit einem typischen Tapetenmuster der Biedermeierzeit, ganz passend zum Titel, der sich (im historischen Kontext gesehen) auf den Rückzug des enttäuschten Bürgers aus dem politischen Geschehen ins Privatleben bezieht. Doch so vollständig abgeschottet ist er wiederum nicht; denn ein - wenn auch kleines - Guckloch bleibt als „Spion“ und Verbindung mit der Außenwelt bestehen…
Livia Klingl beschäftigt sich intensiv mit Themen der aktuellen österreichischen Politik seit der Wahl im Oktober 2017. In sozialen Medien wie „fezbuk“, Twitter & Co. reagiert sie auf die täglichen Ereignisse, bezieht Position, protestiert. Mit ihrem neuen Buch „Biedermeiern“ ist nun ein Teil dieser Kommentare in gebundener (Tagebuch-)Form erschienen, es umfasst etwa ein Jahr ihrer Beobachtungen. Wie man es von der „passionierten Realistin“, wie sie sich selbst bezeichnet, gewohnt ist, spart sie nicht an Sarkasmus, wenn sie Seitenhiebe in alle Richtungen austeilt. Recht ironisch lesen sich ihre Reaktionen auf Äußerungen des „Bubenkanzlers“ oder anderer Regierungsmitglieder. Ein zusätzliches Highlight bieten zahlreiche Karikaturen, die den Text begleiten und mit wenigen Ausnahmen von Klingl selbst angefertigt wurden.
Doch nicht nur Politiker nimmt sie kritisch unter die Lupe. Sie macht sich Gedanken über Kontroversen und Ereignisse, welche die Bürger spalten, beschreibt ihre alltäglichen Erfahrungen mit Menschen, denen sie begegnet und teilt ihre Erkenntnisse mit den „fezbuk“-Lesern - manchmal verständnisvoll, manchmal bitterböse, immer kritisch.
In täglichen Twitter-Kommentaren führt die Journalistin und Autorin, die im Jahr 2000 den Österreichischen Staatspreis für „publizistische Leistungen im Interesse der Geistigen Landesverteidigung“ erhalten hat, das „Biedermeiern“ unverdrossen weiter und ermuntert ihre Leser auf unterhaltsame und intelligente Art zum Mit- und Weiterdenken.

Veröffentlicht am 23.02.2019

Gärtnern im Wohlfühlmodus

Wühl dich glücklich
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„Ich gärtnere, also bin ich“ lautet Andrea Heistingers Gartenphilosophie, und so bringt sie auch das Thema Gartenwelt ihren Lesern nahe. Denn vor allem sollte der Garten dem Lebensgefühl seines Besitzers ...

„Ich gärtnere, also bin ich“ lautet Andrea Heistingers Gartenphilosophie, und so bringt sie auch das Thema Gartenwelt ihren Lesern nahe. Denn vor allem sollte der Garten dem Lebensgefühl seines Besitzers entsprechen und ihm als Rückzugsort Möglichkeiten zur Entfaltung seiner Kreativität bieten. Er soll in erster Linie als Oase für Ruhe, Entspannung und Abschalten sorgen, erst an zweiter Stelle steht der Ertrag. Dass beide Arten der Nutzung bestens vereinbar sind und gleichermaßen hervorragend funktionieren können, erklärt die Autorin in ihrem Buch.
Wunderschön gestaltet, mit fröhlichen und informativen Illustrationen versehen, macht es Lust darauf, sich sofort an die Arbeit zu begeben. Die zahlreichen Fotografien und Zeichnungen verdeutlichen und ergänzen Heistingers Erläuterungen.
Gut strukturiert bietet das Buch einen Überblick über verschiedene Themen, wobei der Fokus auf dem Nutzgarten liegt. Den Einstieg bieten Kapitel zu grundsätzlichen Fragen der Beetgestaltung und –Bepflanzung. Auf gut verständliche und doch humorvolle Weise erklärt die Autorin die effektive Bodenbearbeitung, naturbelassenes Düngen, richtiges Gießen und beschreibt gute und schlechte Pflanzennachbarschaften. Auch ein kurzes Kapitel über Nützlinge im Garten und ein Ausflug in die Welt der Stauden und Blumen erwarten uns. Zusätzliche „grüne“ Extratipps, speziell hervorgehoben auf farbigem Untergrund, geben weiterführende Anregungen und Informationen. Ein alphabethisches Register, ein Glossar der verwendeten gärtnerischen Fachbegriffe und eine Liste von Bezugsquellen runden das Buch ab.
Vor allem ermuntert die Autorin ihre Leser immer wieder, den Garten nicht nur als Speisekammer zu betrachten, sondern ihn mit allen Sinnen zu genießen. Gärtnern im Wohlfühlmodus!

Veröffentlicht am 18.12.2018

Ein weiblicher Clown?

Die dumme Augustine
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Augustine lebt mit Mann und drei Kindern in einem Zirkuswagen. Während ihr Ehemann, der dumme August, mit viel Freude seine Auftritte als Zirkusclown absolviert, kümmert sie sich um die Kinder und all ...


Augustine lebt mit Mann und drei Kindern in einem Zirkuswagen. Während ihr Ehemann, der dumme August, mit viel Freude seine Auftritte als Zirkusclown absolviert, kümmert sie sich um die Kinder und all die Arbeiten, die im Haushalt anfallen. Ihr sehnlichster Wunsch, auch einmal in der Manege auftreten zu können, scheint sich nicht zu erfüllen, bis dem August eines Tages Zahnweh zu schaffen macht …
Heute kaum noch vorstellbar ist die Meinung des dummen August „Ich bin der Mann, ich muss Geld verdienen - und du bist eine Frau, du gehörst ins Haus, an die Töpfe und zu den Kindern.“ Doch Preußlers Buch erschien im Jahr 1972, da war eine berufstätige Mutter noch nicht so selbstverständlich wie heute. Schön, wie der erfolgreiche Kinderbuchautor das Dilemma der dummen Augustine (die eigentlich ganz clever ist) zur Zufriedenheit aller auflöst und somit den kleinen Lesern eine Vorstellung davon gibt, wie gleichberechtigte Partnerschaft funktionieren kann.
Herbert Lentz hat Preußlers Text wunderschön illustriert. Großformatige Bilder in fröhlichen Farben geben Einblick in die Zirkuswelt und begeistern Jung und Alt.