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Veröffentlicht am 04.05.2019

Was wir Menschen alles von den Bienen lernen können...

Der Honigbus
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Meredith May hat mit ihrem Buch „Der Honigbus“ ein Memoir geschrieben – dieser Ausdruck war mir unbekannt: lt. „Autorenwelt“ ist es „eine non-fiktionale Geschichte. (…) ...fokussiert auf einen besonderen ...

Meredith May hat mit ihrem Buch „Der Honigbus“ ein Memoir geschrieben – dieser Ausdruck war mir unbekannt: lt. „Autorenwelt“ ist es „eine non-fiktionale Geschichte. (…) ...fokussiert auf einen besonderen Abschnitt aus dem Leben der Autorin...“ Als Beispiel für Memoirs wird häufig Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ genannt. Tja, da habe ich wieder etwas gelernt, Lesen bildet doch!
1975: Meredith ist 5 Jahre alt, als sich ihre Eltern trennen, ihre Mutter fliegt mit Meredith und ihrem jüngeren Bruder Matthew von der amerikanischen Ostküste nach Kalifornien zu ihren Eltern (Großeltern der Kinder). Meredith stellt hinterher fest: „Irgendwo zehntausend Meter über der Mitte Amerikas hatte sie es aufgegeben, eine Mutter zu sein.“ (S.32) Auch die Großmutter ist leider keine Hilfe für die kleinen Kinder, da sie ausschließlich ihre (wohl schwerst depressive) Tochter im Blick hat. Nur der (Stief-)Großvater bietet Halt und menschliche Wärme, der eher schweigsame Mann zeigt seine Zuwendung über seine Bienen, von denen er zehntausende am Big Sur in Stöcken hält... Durch den Großvater lernt Meredith (und auch wir Leser!) die Welt der Bienen kennen und erkennt Parallelen zu ihrem eigenen – meist einsamen – Leben. „Wenn sie sich verlassen fühlt, zeigen sie ihr, wie man zusammenhält und für einander sorgt. Wenn sie über ihre Mutter verzweifelt, bewundert sie die Bienen dafür, ihre Königin einfach austauschen zu können.“ (vorderer Klappentext)
Folgerichtig sind die Kapitel neben dem Datum (so dass wir gut Merediths Leben verfolgen können) mit kleinen Untertiteln versehen, z.B. „Eine Bienenlektion in Selbsterhaltung“ oder „Eine Bienenlektion in Loyalität“ oder auch „Eine Bienenlektion in Entscheidungsfindung“ usw.
Der Schreibstil ist sehr angenehm und klar und nimmt uns Leser sofort mit: wir leiden, freuen, ärgern und ängstigen uns mit Meredith.
Wir verlassen Meredith 1987, als sie wegzieht, um ein College zu besuchen, diesem Tag hat sie entgegengefiebert... Sie erkennt: „Grandpa und seine Bienen hatten mich durch eine führungslose Kindheit geleitet, mich beschützt und mich gelehrt, ein guter Mensch zu sein.“ (S. 294/295)
In einem Epilog (2015, „Eine Bienenlektion über Hinterlassenschaft“) berichtet die Autorin über ihren weiteren Lebensweg, den Tod des geliebten Großvaters und von ihrem Versprechen, sich seiner Bienen anzunehmen, so dass sie jetzt selbst Imkerin in der 5. Generation ist.
Was für ein wundervolles Buch: trotz aller Traurigkeit und Mitgefühl für Meredith habe ich dieses Buch als sehr hoffnungsvoll und aufbauend empfunden, ich fühlte mich – genau wie Meredith – durch die „Bienenlektionen“ auch getröstet. Dieses Buch hat gute Chancen, zu meinen Lese-Highlights 2019 zu gehören und deshalb von mir selbstverständlich eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 19.04.2019

Ich und die Schönaus...

Bürgerin aller Zeiten
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Ich habe lange über den ersten Satz dieser Rezension nachgedacht: wie kann ich ein Buch beschreiben, dass mich förmlich zwischen seine Seiten aufgesogen hat, mich derart in seinen Bann gezogen hat, dass ...

Ich habe lange über den ersten Satz dieser Rezension nachgedacht: wie kann ich ein Buch beschreiben, dass mich förmlich zwischen seine Seiten aufgesogen hat, mich derart in seinen Bann gezogen hat, dass ich fast das Gefühl hatte, ich würde bei den Schönaus auf dem Sofa sitzen?
Nein, leider ist mir kein passender Satz für dieses lesenswerte Buch eingefallen...
Heike Wolf erzählt mit Anteilen ihrer eigenen Familiengeschichte das fiktive Leben der Leipziger Familie Schönau, beginnend 1913, als die 4-jährige Lotte stolz dem Kaiser zuwinkt. Es sind glückliche Zeiten für Luise und Wilhelm, Lottes Eltern, ihre 2-jährigen Schwester Dorchen und Heinrich, der gerade in diesen Tagen geboren wird. Wilhelm arbeitet gemeinsam mit seinem jüdischen Partner erfolgreich in einer Rechtsanwaltskanzlei. Außerdem gehört Mathilde, das Dienstmädchen, zur Familie: sie ist erfrischend, selten um eine Antwort verlegen und steht Familie Schönau auch in dunklen Zeiten mit Rat und Tat zur Seite.
Die Autorin beschreibt das Familienleben so lebendig, dass das Kopfkino immer surrte (wie gesagt: ich bin kurzfristig bei den Schönaus eingezogen...). Aber es ist ja nicht nur die Geschichte der Schönaus – wir nehmen auch teil an den Gedanken der Eltern beim Kriegsausbruch 1914, sorgen uns um Wilhelm während des Frankreich-Feldzuges, hungern und frieren mit Luise und den Kindern im Winter 1917: „Luise betrachtete ihre älteste Tochter, die in den letzten Wochen so sehr an Gewicht verloren hatte, dass ihre Augen in dem kleinen Gesicht riesig aussahen; die Hunger litt und fror, und sich doch noch mit ihrer wenigen Kraft für den Hund einsetzte. Fast kamen ihr die Tränen.“ (S.102) „Dorchen weinte fast, als sie vor ihrem Teller mit der Steckrübensuppe saß. Die Erbsen und die paar Krümel Ei, die es für jeden gab, hatten alle gierig verzehrt, aber die geringe Menge war kaum der Rede wert.“ (S. 105). Gerade diese Passage hat mich sehr angerührt und betroffen gemacht: hatte ich doch bisher gar nicht richtig realisiert, wie schlecht die Versorgungslage der Menschen in diesem „Hungerwinter 1917“ gewesen ist... Wie schrecklich muss es für eine Mutter sein, ihre kleinen Kinder hungern und frieren zu sehen – und nichts dagegen machen zu können?
Heike Wolf hat es perfekt verstanden, Familien-, deutsche und Weltgeschichte geschickt miteinander zu verknüpfen, so dass viele Ereignisse bis 1933 (Ende des 1.Bandes) für mich die „nackten“ Zahlen und Fakten der Geschichtsbücher ein menschliches Antlitz (oder – WIR kennen ja den Geschichtsverlauf: eine Fratze!) erhielten. Zumindest abschnittsweise wäre dieses Buch eine gute Ergänzung für den Geschichtsunterricht!
Zwischendurch lenkt die Autorin unsere Aufmerksamkeit auf das Jahr 1989, am 9.November wird Charlotte 80 Jahre alt und die Geburtstagsvorbereitungen laufen langsam an...
Der Schreibstil ist aus- und eindrucksvoll, frisch und nuanciert, der Spannungsbogen stets hoch, so dass ich dieses Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Ich finde den Titel auch ausgesprochen gut gewählt: Charlotte hat in ihrem Leben (stellvertretend für alle Menschen dieser Jahrgänge) die verschiedensten Staatsformen und zwei Weltkriege erlebt, sie ist tatsächlich eine „Bürgerin aller Zeiten“. Das Cover empfinde ich ebenfalls als sehr passend, vermutlich eines der Familienbilder der Autorin.
Muss ich bei dieser begeisterten Rezension noch extra eine Leseempfehlung aussprechen? Jeder, der an gut recherchierten historischen Familiengeschichten interessiert ist, sollte die Schönaus von der Kaiserzeit bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begleiten (Band 1)
Spätestens Ende der nächsten Woche werde ich vermutlich wieder bei den Schönaus einziehen, denn zu meinem großen Glück gibt es noch einen 2. Band dieser hervorragenden Familiengeschichte – ich freue mich schon sehr darauf!

Veröffentlicht am 29.03.2019

Mechthild von der Pfalz, eine „taffe“ Frau des 15.Jahrhunderts

Die Erleuchtung der Welt
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Ich lese zwar sehr gern historische Romane, jedoch so weit zurück in das 15.Jahrhundert habe ich mich bisher eher selten „verirrt“, aber für dieses Abenteuer wurde ich „fürstlich“ belohnt. Johanna von ...

Ich lese zwar sehr gern historische Romane, jedoch so weit zurück in das 15.Jahrhundert habe ich mich bisher eher selten „verirrt“, aber für dieses Abenteuer wurde ich „fürstlich“ belohnt. Johanna von Wild hat mit „Die Erleuchtung der Welt“ einen Roman geschrieben, der mich von der ersten bis zur letzten Seite in Spannung versetzt hat.
Wir erleben die Zeit 1425 – 1482 aus der Sicht von Helena, einer fiktiven Frau, deren Leben aber eng mit dem von Mechthild von der Pfalz verbunden ist. Mechthild (so nenne ich sie jetzt mal ganz despektierlich) war eine kurpfälzische Prinzessin und durch ihre Ehen Gräfin von Württemberg und Erzherzogin von Österreich – aber mir vor diesem Buch überhaupt nicht bekannt. Lt. Wikipedia war sie „eine der herausragenden Persönlichkeiten des deutschen Spätmittelalters und eng mit der Bildungsbewegung des Frühhumanismus nördlich der Alpen verbunden, ohne jemals selbst an vorderster Front in Erscheinung getreten zu sein.“ Ja, daran nehmen wir in diesem Roman teil: sie regt ihren 2. Mann (Erzherzog Albrecht VI von Österreich) an, im damaligen österreichischen Freiburg im Breisgau eine Hochschule zu gründen, ihren Sohn Eberhard überredet sie zu einer Universität in Tübingen.
Aber die „trockenen“ Daten von Wikipedia werden von der Autorin in ihrer Geschichte um Helena und Mechthild mit „prallen“ Leben gefüllt, so dass ich als Leserin den Eindruck hatte, mich selbst bei Hof zu befinden. Wir lernen Mechthild und ihre Befindlichkeiten (alles, was die menschliche Natur so zu bieten hat) „persönlich“ kennen, können uns mit ihr freuen, leiden, überlegen, abwägen – manchmal einverständlich, manchmal kritisch.
Aber auch Helena führt ein eigenständiges Leben: hier erfahren wir deutlich, was Armut und „niederer Stand“ in der damaligen Zeit bedeutete, denn nur durch einen glücklichen Zufall kreuzen sich die Wege von Helena und Mechthild… und Helena wird Hofdame und Vertraute von Mechthild. Beide verbindet auch die Liebe zu Wissenschaft, Literatur, Musik und Kunst. Dank Helena erfahren wir einiges über den Gebrauch von Heilkräutern: es war faszinierend zu lesen, wie einige Krankheiten durch die richtige Benutzung der Arzneipflanzen geheilt werden konnten. Und quasi nebenbei entdecken wir, welche Revolution die Entdeckung des Buchdrucks darstellte, mussten doch Bücher jetzt nicht mehr mit der Hand abgeschrieben werden.
Wir erkennen die Verflechtungen von Staat und Kirche, sehen die damalige (untergeordnete) Stellung der Frauen quer durch alle Stände und Gesellschaftsgruppen, lesen über die Gerichtsbarkeiten, kurz: wir nehmen teil am Leben im 15. Jahrhundert in Süddeutschland / Österreich.
Die Autorin hat sehr richtig erkannt, dass sich „unsereiner“ nicht so gut mit den familiären Verflechtungen der Wittelsbacher, Württemberger und Habsburger auskennt, so dass ein Personenverzeichnis am Anfang und Stammbäume am Ende eine gelungene und wichtige Ergänzung darstellen.
Mir hat das Buch so gut gefallen, dass ich es schon während des Lesens gekauft und verschenkt habe (etwas, was ich sonst nie mache!) und habe eben – während des Schreibens dieser Rezension eine Rückmeldung per SMS von der Freundin bekommen. „Außerdem habe ich das wunderschöne Buch genossen. Hat mir toll gefallen. Wieder so taffe Frauen, ohne die es die heutige Gleichberechtigung nicht gäbe.“ Tja, eigentlich hätte das als Rezension doch vollkommen gereicht…
Deshalb schließe ich mich den Worten meiner Freundin an und spreche eine klare Leseempfehlung aus!

Veröffentlicht am 13.01.2019

"Nichts als Srup für den Geist" (S. 78, E-book)

Die Frauen vom Savignyplatz
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„Ich möchte einen Laden für Sirupbücher. Für Bücher, die nicht literarisch sind, nicht gut oder kritisch. Ich möchte Bücher verkaufen, die einfach glücklich machen. Eine gute Zeit schenken, einem das Gefühl ...

„Ich möchte einen Laden für Sirupbücher. Für Bücher, die nicht literarisch sind, nicht gut oder kritisch. Ich möchte Bücher verkaufen, die einfach glücklich machen. Eine gute Zeit schenken, einem das Gefühl geben, dass die Welt nicht ganz verloren ist. Bücher, die Kraft geben und Mut schenken – Sirupbücher eben.“ (S. 121/122, E-book)
Von so einem Laden träumt Vicky 1925 in Berlin. Dabei ist ihr eigenes Leben wirklich schon schwer genug: vier kleine Kinder, sie ist erneut schwanger, ein untreuer Ehemann, der die Scheidung möchte, abhängig von ihrem despotischen Vater, der ihr und ihrer Familie eine zwei-Zimmer-Wohnung vermietet... und das alles in einer Zeit, in der Frauen die Erlaubnis vom Ehemann (alternativ: vom Vater oder einem älteren Bruder) benötigten, um ein Konto zu eröffnen – geschweige denn einen eigenen Laden?! Aber sie ist der Meinung: „Warum soll ich als Frau lesen, wie ein Herr Döblin sich die Ehe mit einem gewalttätigen Ehemann vorstellt?“ (S. 79, E-book)
Tatkräftig arbeitet Vicky daran, sich ihren Traum vom „Sirupladen“ (sie will ihn aber so nicht nennen, weil sie dann Angst hätte, „dass dann ständig Leute vor der Tür stehen, die eine Saftbar erwarten.“) (S. 131, E-book)
Dies war mein erstes Buch von Joan Weng (und es wird garantiert nicht mein letztes sein!), ich bin großartig in die Geschichte gekommen. Etwas in Anlehnung an Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ habe ich mich im Laufe der Geschichte immer wieder gefragt: „Kleine Frau – was nun?“, aber dies Buch strahlt weit mehr Optimismus aus... Die Autorin hat ihre Geschichte in die „Goldenen Zwanziger“ in Berlin gelegt (an manchen Stellen schimmert der Glamour auch tatsächlich etwas durch), aber sie beschreibt eher das Leben der Menschen, die außerhalb der illustren Gesellschaft stehen, die mit Wohnungsnot, Vorurteilen, chauvinistischen Ansichten und Armut zu kämpfen haben – und dies ist ihr wunderbar und einfühlsam gelungen! Ich fühlte mich förmlich in Vickys Leben einbezogen, am liebsten hätte ich ihr sofort angeboten, auch mal auf ihre Kinder aufzupassen... Auch haben mir die Hinweise auf Döblin, Tucholsky (und andere männliche Autoren) im Vergleich zu Courths-Mahler sehr gut gefallen und mich teilweise zum Schmunzeln gebracht... Spritzige Dialoge und amüsante Vergleiche runden den Lesegenuss perfekt ab. Vickys Schwierigkeiten mit dem Gedankengut des aufkommenden Nationalsozialismus passten und entsprachen dem damaligen Zeitgeist.
In einem Anhang erklärt die Autorin, dass sie sich um „historische Korrektheit“ bemüht habe und führt genau aus, wo sie ihrer Phantasie freien Lauf gelassen habe.
Im Nachhinein habe ich vorhin gerade gelesen, dass die Autorin zur Zeit aktuell über das Thema Frauenbild in der Literatur der Weimarer Republik promoviert – ja, die Beschäftigung mit diesem Thema ist deutlich zu merken – aber bravourös in einem Roman umgesetzt!
Kurz gesagt: „Die Frauen vom Savignyplatz“ ist ein Buch, was mich wirklich begeistert hat, es ist bedeutend mehr als nur „Sirup für den Geist“, denn in einem Punkt möchte ich das Eingangszitat von Vicky verändern: „Sirupbücher“ können (und müssen) auch gut sein! Und dieses Kriterium wurde hier voll und ganz erfüllt! Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung…

Veröffentlicht am 01.01.2019

London im Bombenhagel – und doch geht 1941 das Leben weiter...

Liebe Mrs. Bird
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Emmy sieht sich am Ziel ihrer Wünsche, als sie 1941 eine Stelle beim Evening Chronicle bekommt: ihrer Karriere als Kriegsberichterstatterin kann eigentlich nichts mehr im Weg stehen... Die Stelle erweist ...

Emmy sieht sich am Ziel ihrer Wünsche, als sie 1941 eine Stelle beim Evening Chronicle bekommt: ihrer Karriere als Kriegsberichterstatterin kann eigentlich nichts mehr im Weg stehen... Die Stelle erweist sich jedoch als ein Sekretärinnen-Job bei Mrs. Bird, der „Kummerkastentante“ einer Frauenzeitschrift, die auch schon Tage mit höherer Auflage erlebt hat. Und Mrs. Bird hat sehr eigenwillige Vorstellungen der Leserbriefe, die sie beantworten möchte, alle Briefe, sie sie als anstößig, inakzeptabel oder unerquicklich definiert, müssen geschreddert in den Papierkorb! Auch dürfen bestimmte Worte nicht in den Briefen erscheinen: „A-C: Affäre, amourös, atemlos, Bett, Bettjäckchen, Berlin... Die Liste war ellenlang. Wenn man las, wie Mrs. Bird moralische Verderbtheit umriss, konnten Sodom und Gomorrha einpacken.“ (S. 60) „Mrs. Bird sagte, sie musste diese Art von Unerquicklichkeiten 1911 nicht beantworten und sie hat nicht die Absicht, es jetzt zu tun“ (S. 63) wird Emmy bei der Einarbeitung erklärt.
Aber Emmy hat Mitleid mit den jungen Frauen, die Mrs. Bird um Rat fragen, sie sieht die Angst, Einsamkeit oder Verzweiflung dahinter... und beginnt deshalb, den Frauen selbst zu antworten und unterschreibt die Briefe als Mrs. Bird.
Gleichzeitig arbeitet Emmy nachts seit Beginn des Blitzkriegs als Freiwillige bei der Hilfsfeuerwehr, dort ist auch William, der Freund / Verlobte ihrer besten Freundin Bunty, tätig. Mit Bunty lebt Emmy auch zusammen in einer Wohnung, die deren Großmutter gehört. „Bei einem Luftangriff war es ein irrwitziger Spurt in den Anderson-Bunker im Garten, aber inzwischen waren wir daran gewöhnt und machten uns keine überflüssigen Sorgen.“ (S. 14)
Aber mehr will ich hier zum Inhalt nicht verraten...
AJ Pearce hat in ihrem Debütroman facettenreich den Londoner Alltag im Jahr 1941 beschrieben: die Angst vor den deutschen Bomben und den Umgang damit, die Rationierungen, die Sorgen um die Männer im Krieg – aber auch das ganz alltägliche Leben: trotz allem gehen Emmy und Bunty aus, besuchen Kinos und Tanzveranstaltungen, träumen von hübschen Kleidern, verlieben sich...
Freude, Liebe und Trauer liegen – wie so oft – eng beieinander, wir als Leserinnen sind schnell mitten im Geschehen und nehmen regen Anteil und werden Teil dieser Gemeinschaft. Wir schmunzeln, lächeln, staunen, erschrecken, trauern und weinen (ja, es gibt eine Stelle in diesem Buch, bei der mir die Tränen kamen) ... Aber es ist kein wirklich trauriges Buch, ich habe es eher als sehr lebensbejahend – trotz der widrigen Umstände – erlebt. Ich kann mich nur Annie Barrows, der Autorin von „Deine Juliet“, anschließen, die hinten auf dem Buchumschlag zitiert wird: „Eine rundum perfekte Geschichte“.
Der Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen, die Kapiteleinteilung perfekt. Die Protagonisten waren mir zum allergrößten Teil sympathisch.
Dieser Roman hat mich nachhaltig beeindruckt, ich hoffe auf weitere Bücher dieser Autorin – deshalb gibt es von mir eine absolute und klare Leseempfehlung!