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Veröffentlicht am 06.05.2019

Warm und gelb wie ein Spätsommertag. Unbedingte Leseempfehlung!

Alte Sorten
5

Manchmal beschert einem das Schicksal Begegnungen, die sich als lebensverändernd erweisen. Als Sally – siebzehn, zornig, essgestört – und die dreißig Jahre ältere Landwirtin Liss – einsam, stoisch, wortkarg ...

Manchmal beschert einem das Schicksal Begegnungen, die sich als lebensverändernd erweisen. Als Sally – siebzehn, zornig, essgestört – und die dreißig Jahre ältere Landwirtin Liss – einsam, stoisch, wortkarg – zufällig aufeinandertreffen, ahnt keine der beiden Frauen, dass die andere ihr Dasein für immer verändern wird. Beide sind, jede auf ihre Art, versehrt, „manche hatten außen Narben, manche innen“. Liss lässt Sally auf ihrem Hof wohnen, Sally hilft Liss bei der Landarbeit. Die beiden unterschiedlichen und irgendwie doch einander gleichenden Frauen nähern sich vorsichtig, gleichwohl nicht ohne Spannungen, einander an: Beide haben ihre Geheimnisse, ihre mehr oder weniger sichtbare Verletzungen. Und dann sind da noch die Dorfgemeinschaft, Liss feindselig gegenübersteht und das Zusammenleben der beiden misstrauisch beäugt, und Sallys Eltern, die ihre minderjährige Tochter suchen …

Die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei auf den ersten Blick ungleichen Frauen birgt oftmals das Risiko, in die Untiefen des ‚Frauenroman‘-Kitsches abzurutschen – allerdings nicht, wenn ein so feinsinniger, kluger Autor wie Ewald Arenz sich ihrer annimmt. Er erzählt das Keimen, das zaghafte Sprießen und schließlich das Aufblühen dieser Freundschaft so behutsam und warm, sensibel und wortgewandt, wie es wohl kaum ein Zweiter vermag.

An diesem Buch liebte ich schlichtweg alles: die Story, den Schauplatz, die Figuren, die Erzählperspektive und allem voran die Sprache. Der Roman lebt in erster Linie von seinen beiden Protagonistinnen, doch auch die Nebenfiguren sind vielschichtig und niemals stereotyp. Die Geschichte ist aus auktorialer Erzählperspektive geschrieben, doch variieren Sprachduktus und -stil so gekonnt zwischen Liss und Sally, dass ich während des Lesens das Gefühl hatte, zwei Ich-Erzählerinnen zuzuhören. Ewald Arenz‘ Sprache kann ich gar nicht hoch genug loben: präzise und poetisch, mit allen Sinnen erfahrbar und doch leicht lesbar. Die Lektüre wurde für mich zu einer nahezu synästhetischen Erfahrung, und das von der ersten Seite an:

„Auf der Kuppe der schmalen Straße durch die Felder und Weinberge flimmerte die Luft über dem Asphalt. Als Liss mit dem alten offenen Traktor langsam hügelan fuhr, sah sie aus wie Wasser, das flüssiger war als normales Wasser; leichter und beweglicher. Sommerwasser. Man konnte es nur mit den Augen trinken.
Auf den abgeernteten, von Stoppeln glänzenden Feldern stand der Weizen noch als überwältigender Geruch nach Stroh; staubig, gelb, satt. Der Mais begann, trocken zu werden, und sein Rascheln im leichten Sommerwind klang nicht mehr grün, sondern wurde an den Rändern heiser und wisperig.“ (S. 5)

Dieses Buch zu lesen ist wie an einem Spätsommertag in einem Weizenfeld zu liegen. Warm. Friedvoll. Irgendwie ‚gelb‘.

Eine absolute, uneingeschränkte, aus tiefstem Herzen kommende Leseempfehlung!

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  • Geschichte
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  • Charaktere
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 02.05.2019

Eines meiner Lese-Highlights dieses Jahres

Dunkelgrün fast schwarz
0

„Freundschaft ist ein Gift, das langsam wirkt. Es ist nicht tödlich, aber es macht weich. […] Freundschaft macht, dass die Schreie, die die du auf der Innenseite deiner Haut tätowiert hast, hörbar werden.“ ...

„Freundschaft ist ein Gift, das langsam wirkt. Es ist nicht tödlich, aber es macht weich. […] Freundschaft macht, dass die Schreie, die die du auf der Innenseite deiner Haut tätowiert hast, hörbar werden.“ (S. 55)

Moritz, genannt ‚Motz‘, und Raffael, genannt ‚Raf‘, sind seit dem Kindergarten miteinander befreundet. Doch diese Freundschaft ist von Anfang an toxisch. Moritz ist sensibel, ein Synästhetiker, der die Menschen um sich in Farben wahrnimmt. Raf ist ungebärdig, gemein, hinterhältig; er drangsaliert seinen kleinen Bruder, die Kinder im Kindergarten und später in der Schule – und ja, auch Motz. Und doch hält Motz ihm die Treue, teils, weil es in dem Dorf, in dem sie leben, nur wenig andere Kinder gibt, teils, weil er Raf aufrichtig gernhat. Mit Raf befreundet zu sein, ist „das Schlimmste und das Beste zugleich“ (S. 119). Als sie im Teenageralter sind, stößt Johanna zu ihnen, Vollwaise und einsam. Aus der Zweier- wird eine Dreierfreundschaft, und, man ahnt, es, das geht auf Dauer nicht gut. Sie verlieren sich aus den Augen, bis Raf nach sechzehn Jahren unvermutet vor Motz‘ Tür steht, noch immer außergewöhnlich gutaussehend, mit einem Lächeln, „das Männer versöhnlich macht und Frauen ruhelos“ (S. 11). Raf „sieht aus wie einer, der das Leben leicht nimmt, weil das Leben es gut mit ihm meint. Man bekommt das Gefühl, etwas von dieser Leichtigkeit könnte abfärben, stünde man nur nah genug bei ihm“ (S. 38). Doch Raf ist noch immer undurchsichtig, sein Motiv, nach so vielen Jahren bei Motz aufzutauchen, rätselhaft. Dennoch lässt sich Motz, der beständige, freundliche, liebe Motz, dessen Freundin gerade ihr erstes gemeinsames Kind erwartet, erneut auf diese unheilvolle Freundschaft ein, lässt sich von dem Charme des Freundes wieder einfangen, unterwirft sich zunehmend Rafs Einfluss. Bis er schließlich erkennen muss, dass sich die Vergangenheit nicht einfach abschütteln lässt, denn „irgendwann holen dich die Dinge, vor denen du weggelaufen bist, ein. Oder du rennst ihnen entgegen und bist blöd genug, zu glauben, du könntest ihnen ausweichen“ (S. 422).

Dieser Roman ist eines meiner unangefochtenen Lese-Highlights dieses Jahres (wenn nicht überhaupt). „Dunkelgrün fast Schwarz“ ist eine Geschichte von Freundschaft und Abhängigkeit, von Liebe und Einsamkeit, von Enttäuschung und Erlösung. Und das ist so eindringlich – ich möchte fast sagen: meisterhaft – erzählt, dass ich während der Lektüre das Gefühl hatte, die Geschichte sickert in mich ein, setzt sich in mir fest und ‚macht was mit mir‘. Dass man eine Erzählung während des Lesens ‚sieht‘ und ‚hört‘, ist eine alltägliche Leseerfahrung. Manchmal konnte ich einen Roman auch ‚riechen‘ („Das Parfum“ von Patrick Süskind), bisweilen sogar ‚schmecken‘ („Der Duft von Schokolade“ von Ewald Arenz). Mareike Fallwickls Buch ging für mich noch einen Schritt weiter, diese Geschichte konnte ich überdies förmlich fühlen: Eine Berührung fühlt sich an „als säße eine Spinne auf meiner Haut, genau da, wo ihre Finger sie gestreift haben“ (S. 29), die Luft ist „plötzlich nicht mehr luftförmig […], sondern klebrig. Es juckt auf ihrer Haut, überall“ (S. 423).
Meine Lektüre wurde, ich kann es nicht anders sagen, zu einem multisensorischen Erlebnis – wenn nicht sogar zu einem synästhetischen. Mareike Fallwickl vermischt unterschiedliche Sinneseindrücke miteinander, und das auf einzigartige, kunstvolle Weise:

„Ihre Wohnung ist keine Wohnung, sondern ein Zimmer und das Zimmer ist ein Loch. Umgeben von dicken Mauern ist das Loch, grausig riecht es und gruftig, nach saurem Käse und schwarzgeriebenen Fingern.“ (S. 52)

„Ein Zorn, den man nicht haben darf, der einem vom anderen aberkannt wird, ist kühl und blau und halbflüssig, er hat eine Konsistenz wie Pudding, füllt den Kopf aus und das Herz.“ (S. 118)

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven und auf verschiedenen Zeitebenen erzählt; sie spielt in der Gegenwart und auf verschiedenen Vergangenheitsebenen, die die vergangenen Geschehnisse indes nicht chronologisch wiedergeben, sondern springen von der früheren zur späteren Kindheit der Jungen und dann wieder in ihre Teenager- bzw. Junge-Erwachsene-Jahre. Doch ist dies niemals verwirrend, sondern fügt sich zu einem harmonischen Ganzen, zu einem umfassenden Psycho- und Soziogramm dieser Freundschaft zusammen. Die Ereignisse werden aus der Perspektive dreier Figuren geschildert: Moritz‘ Sicht (in der dritten Person) sowie die seiner Mutter Marie und Johannas (jeweils aus der Ich-Perspektive). Allein durch diese Erzählperspektiven wird Moritz‘ Zurückhaltung, seine Passivität unterstrichen – er ist irgendwie immer der, mit dem ‚etwas gemacht‘ wird. Interessanterweise wird die Geschichte niemals aus Rafs Sicht erzählt – er bleibt immer Anschauungs-, Beobachtungsobjekt, seine Handlungen und Motivationen bleiben unerklärt und undurchsichtig. Überhaupt hat dieser Roman so unglaublich vielschichtige Figuren mit Ecken und Kanten, mit wunden Punkten, Schwächen, Talenten, Stärken, wie ich sie selten erlebt habe: echte Charaktere statt oberflächlicher Typen.

Und dann gibt es da noch etwas, das mich mitten ins Herz getroffen hat. Ich weiß nicht, vielleicht ist es so ein „Mama-Ding“ –aber wie Mareike Fallwickl in diesem Roman über Kinder schreibt – über die Liebe zu ihnen, die Gefühle, die sie auslösen, die Bedingungslosigkeit der Liebe, die man ihnen entgegenbringt (oder auch nicht), das argwöhnische Beobachten all dessen, was um sie herum geschieht, das niemals endende Beschützen-Wollen –, sprach mir dermaßen aus der (Mama-)Seele, dass ich das Buch streckenweise mit einem Kloß im Hals aus der Hand legen und das Gelesene erst einmal sacken lassen musste. Dazu einige meiner liebsten, eindringlichsten, berührendsten Textstellen:

„Seit ich Kinder habe, weiß ich, dass Wärme einen Geruch hat, Ein Kind riecht nach Wärme, vor allem an den Schläfen, am Haaransatz, es duftet nach einem Gefühl, für das es keinen Namen gibt, nach Weichheit, nach Vertrauen. […] Seit ich Kinder habe, friere ich nicht mehr.“ (S. 16)

„Kinder kennen keine Zurückhaltung. Wenn sie etwas schmerzt, körperlich oder seelisch, verziehen sie ihr Gesicht, und die Tränen springen ihnen aus den Augen. Die Reaktion ist unmittelbar. Ihr Zorn ist eine Urgewalt, ihr Schmerz ist es auch.“ (S. 211)

„Kinder sind Jo ein Graus, auch die hübschen, die mit den Leuchtaugen und Zuckergoscherln. Sie sind so unmittelbar, sie halten keinen erlernten Abstand ein, noch nicht, sie haben diesen ausgehängten Blick, der nicht mit einem Gehirn verbunden zu sein scheint, der überall hineingeht. Kinder starren, sie schauen nicht weg, mit offenem Mund glotzen sie. Ihre Finger sind klein und klebrig, wie Spinnenbeine so flink.“ (S. 352)

Wenn ich mir vorstelle, dass es sich bei diesem wort- und sprachgewaltigen Werk um einen Debütroman (sic!) handelt, kann ich mir kaum ausmalen, was Mareike Fallwickl zustande bringt, wenn sie sich erst einmal ‚warmgeschrieben‘ hat. Ihr neues Buch erscheint voraussichtlich im August dieses Jahres – und ich weiß schon, wer am Erscheinungstag mit scharrenden Hufen vor der Buchhandlung stehen und sie gleich bei Öffnung stürmen wird. Ich.

Veröffentlicht am 08.04.2019

Ich bin geflasht

Vater unser
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Die Sprache ist lässig wie ein Schulterzucken, mit zahlreichen österreichischen Einsprengseln, die dankenswerterweise nicht als mühsam aufgetragene Lokalkolorit-Patina daherkommen, sondern einfach passen. ...

Die Sprache ist lässig wie ein Schulterzucken, mit zahlreichen österreichischen Einsprengseln, die dankenswerterweise nicht als mühsam aufgetragene Lokalkolorit-Patina daherkommen, sondern einfach passen. So manches Grinsen hat mir Angela Lehners unbestreitbares Talent für Vergleiche entlockt. Da ist ein Beamter „klein und bullig wie ein Eierbecher“, die Mutter „langweilig wie ein Beutel Kamillentee“, eine Mit-Patientin hat „Ohren größer als Vorarlberg“ und der Imbiss ist „trostloser als ein dickes Kind auf einer Poolparty“. Fand ich spaßig.

Zur Handlung: Im Zentrum des Romans steht die Protagonistin und Ich-Erzählerin Eva Gruber, die aufgrund ihrer Behauptung, eine Kindergartenklasse erschossen zu haben, in die Psychiatrie eingewiesen wird. Die Behauptung war eine Lüge – und auch nicht Evas letzte – und diente einzig dem Ziel, in derselben Einrichtung untergebracht zu werden wie Evas Bruder Bernhard. Denn um ihn, den lebensbedrohlich Magersüchtigen, geht es Eva in erster Linie, darum, ihn zu „retten“. Und Eva weiß auch schon wie: Sie müssen ihren Vater umbringen, diese Wurzel allen Übels. Er ist das Geschwür, das unter der Haut schwärt: „Jedes Jahr füllt es sich mehr mit Eiter, nur um eines Tages überraschend zu platzen und den ganzen Menschen implodieren zu lassen.“

Das Buch ist dreigeteilt, jeder Teil im Sinne der Trinität jeweils mit „Vater“, „Sohn“ und „Heiliger Geist“ überschrieben. Und obwohl die drei Teile jeweils einen anderen Schwerpunkt haben, fügen sie sich zu einem stimmigen Ganzen. Während des ersten Teils, Evas „Therapie“, war ich hin- und hergerissen, ob ich Eva schütteln will und ihr sagen, sie möge sich jetzt mal bitte am Riemen reißen – oder ob ich sie nicht doch besser mit nach Hause nehme, ihr einen Teller heiße Suppe gebe und ihr sage, sie solle sich mal richtig ausschlafen. Zu Beginn des zweiten Teils (ohne zu spoilern: die Szene, in der Eva die alte Frau beobachtet, die in der prallen Sonne steht, und dann mit ihr, nennen wir es: ‚interagiert‘) war mir klar: Ich spiele im Team Eva. Auch wenn sie lügt und manipuliert, das Klinikpersonal verarscht und man als Leser*in nie weiß, was Dichtung ist und was Wahrheit, ob die geschilderten Ereignisse Wirklichkeit sind oder nur in Evas Kopf existieren. Mit der Eva als Kind, wie sie sich in ihren Rückblicken darstellt („Ich bete nicht für einen Lutscher“), wäre ich als Kind gern befreundet gewesen. Auch oder gerade weil meine Mutter diese Freundschaft höchstwahrscheinlich argwöhnisch beäugt hätte. Und die erwachsene Eva nehme ich mit heim und koche ihr Suppe. Auch Alphatiere müssen sich mal ausruhen.

Ungeachtet meiner nicht zu leugnenden Sympathie für die Autorin, kann ich schon jetzt behaupten, dass „Vater unser“ zu meinen Lesehighlights 2019 gehört. Very well done, Angela Lehner!

Veröffentlicht am 08.04.2019

In einem Rutsch weggelesen

Liebes Kind
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Romy Hausmann schildert die Geschehnisse aus der Perspektive dreier Figuren, der Protagonistin, des von Geburt an in der Hütte eingesperrten Mädchens Hannah und Matthias', der seit vierzehn Jahren auf ...

Romy Hausmann schildert die Geschehnisse aus der Perspektive dreier Figuren, der Protagonistin, des von Geburt an in der Hütte eingesperrten Mädchens Hannah und Matthias', der seit vierzehn Jahren auf ein Lebenszeichen seiner verschwundenen Tochter hofft. Jede Figur ist gut und glaubwürdig gezeichnet, mit eigenem Sprachduktus und differenzierten Charaktereigenschaften. Insbesondere mit dem Mädchen Hannah ist Romy Hausmann aus meiner Sicht ein echt großer Wurf gelungen. Wie Hannah die Ungeheuerlichkeiten, die sie erlebt hat, beinahe lakonisch als Selbstverständlichkeit schildert - für sie sind sie es auch, sie kennt seit ihrer Geburt keine andere Welt als die der Hütte, kein anderes Gesetzt als das Wort ihres Vaters - ließ mich zwischen Mitgefühl und eiskaltem Grausen schwanken.

Ich habe an einem Nachmittag mit dem Buch begonnen - und es in derselben Nacht beendet. In einem Schwung weggelesen, weil es mich so fesselte. Jedes Magenknurren, jeder Anflug von Durst, jeder Gang ins Bad waren mir eine äußerst lästige Unterbrechung der Lektüre.

Chapeau, Romy Hausmann, zu diesem Debüt!

Veröffentlicht am 04.04.2019

Nichts für Zuckerphobiker

Der Duft von Schokolade (eBook)
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Eine Warnung. vorweg: Wer gerade auf seine schlanke Linie achtet und/oder Süßem nichts abgewinnen kann, sollte unbedingt die Finger von diesem Roman lassen! Er macht unweigerlich Appetit auf Schokolade, ...

Eine Warnung. vorweg: Wer gerade auf seine schlanke Linie achtet und/oder Süßem nichts abgewinnen kann, sollte unbedingt die Finger von diesem Roman lassen! Er macht unweigerlich Appetit auf Schokolade, Kuchen, Torte, Kakao …

Wien im Frühling 1881. Der junge Leutnant August Liebeskind hat seinen Dienst bei der Armee quittiert. Im Herbst, so ist es geplant, wird er in die Schokoladenfabrik seines Onkels eintreten, doch zunächst blickt er einem Sommer voller Muße entgegen. Da begegnet er Elena Palffy: selbstbewusst, unabhängig, unkonventionell und wie August eine schwelgerische Schokoladenliebhaberin. Anfänglich ist August von Elena irritiert, dann fasziniert, schließlich – wen wundert’s – verliebt er sich in die geheimnisvolle Fremde.

Zugegeben, der Plot erscheint zunächst nicht besonders aufsehenerregend. Irgendwie meint man, alles schon in ähnlicher Form woanders gelesen zu haben: Sei es der Gegensatz von konventionellem Mann und unkonventioneller Frau („Daisy Miller“ von Henry James, „Zeit der Unschuld“ von Edith Wharton u. v. m.), sei es die epische Huldigung der Schokolade (Joanne Harris: „Chocolat“) oder die literarische Beschäftigung mit dem Duft (Patrick Süskind: „Das Parfum“). Und doch lohnt sich die Lektüre, denn Ewald Arenz gelingt es meisterhaft, diese Versatzstücke auf wunderbare Art neu zu arrangieren und der Geschichte einen unerwarteten Twist zu geben.

So verleiht seine olfaktorische Sensibilität dem Protagonisten beispielsweise beinahe übersinnliche Fähigkeiten – das mag krude klingen, passt aber erstaunlich gut. Zum anderen ist diese Geschichte ein wahrhaft multisensorischer Genuss. Es ist bemerkenswert, wie der Autor es schafft, Aromen so in Worte zu fassen, dass man sie buchstäblich schmecken und riechen kann. Dazu ein Beispiel vom Beginn des Romans, als August die Konditorei Demel betritt:

„Als Erstes und am stärksten kam einem, wie als Begrüßung, schon an der Tür der Geruch des frisch röstenden und aufgebrühten Kaffes entgegen. Dann der Zigarrenrauch, der einzige Duft, den man sehen konnte. Und dann, ganz zart und jeder unverwechselbar, die vielen kleinen Düfte. Bitter, von geraspelter Schokolade. Oder geschmolzen und süß, von den Schokoladen der Damen an kühlen Tagen wie heute, mit einem Hauch Vanille darin. Tragant, der einfache, süße Geruch (…). Honig (…): rosigsüß (…), blütensüß (…), walddunkel (…), durchsichtig fein (…).“

Zu guter Letzt: Eigentlich lese ich gerne Bücher in der Jahreszeit, in der sie spielen. Doch obwohl die Handlung im Sommer angesiedelt ist, passt „Der Duft von Schokolade“ auch wunderbar zum Advent, zu heißem Kakao und Gebäck, zu Zimt und Honig, Nüssen und Datteln …