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Veröffentlicht am 26.05.2019

Die Macht der Musik …

Der Dirigent
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Leningrad, Sommer 1941: Die Vorboten des Krieges sind zu spüren, alle Anzeichen deuten auf einen Angriff der Deutschen und ihrer Verbündeten hin. Namhafte Künstler, das Philharmonie-Orchester, das Ensemble ...

Leningrad, Sommer 1941: Die Vorboten des Krieges sind zu spüren, alle Anzeichen deuten auf einen Angriff der Deutschen und ihrer Verbündeten hin. Namhafte Künstler, das Philharmonie-Orchester, das Ensemble des Kirow-Balletts und die Elite der Stadt werden auf Anweisung Stalins evakuiert. Sehr zum Leidwesen seiner Frau Nina nutzt der Komponist Dmitri Schostakowitsch dieses Privileg nicht, sondern schreibt an seiner 7. Sinfonie weiter und beteiligt sich an der Aushebung von Schützengräben zur Verteidigung der Stadt. Ebenfalls in Leningrad bleiben Karl Eliasberg, Dirigent und Leiter des Rundfunkorchesters, der sich für seine betagte, im Rollstuhl sitzende Mutter, verantwortlich fühlt, und ein Großteil seiner Musiker sowie Stargeiger Nikolai, der seine 10jährige Tochter Sonja zuvor mit einem Kindertransport in Sicherheit gebracht hatte. Dann greifen die Deutschen an, Leningrad soll dem Erdboden gleichgemacht und ausgehungert werden, ein unvorstellbares Inferno beginnt …

Wie die neuseeländische Autorin Sarah Quigley, die seit dem Jahr 2000 in Berlin lebt, in einem Interview im Nachwort des Buches erklärt, ist die Geschichte von Schostakowitsch und dem Dirigenten Eliasberg eine Mischung aus Fakten und Fiktion und beruht auf sorgfältigen Recherchen und ihren eigenen Vorstellungen über den Krieg in Russland und die Belagerung Leningrads. Eingehend wird hier die Entstehung der 7. Sinfonie Schostakowitschs (Leningrader Sinfonie) geschildert, deren Aufführung am 9. August 1942 mit einem stark reduzierten und völlig erschöpften Orchester in Leningrad erfolgte und per Lautsprecher über die feindlichen Linien hinaus übertragen wurde. Dadurch sollte die Moral der Eingeschlossenen gestärkt und gleichzeitig der deutschen Wehrmacht mitgeteilt werden: wir sind noch lange nicht am Ende. Tatsächlich dauerte die Blockade beinahe 900 Tage und forderte ca. 1,1 Millionen Opfer, von denen die meisten verhungert sind.

Der Schreibstil ist dem Thema entsprechend leicht anspruchsvoll und erfordert eine gewisse Konzentration beim lesen. Es gelingt der Autorin großartig, den Figuren Leben einzuhauchen und ihre immer existenzieller werdenden Lebensumstände zu beschreiben. Die Kraft, die Musik entwickeln kann, steht dabei im Vordergrund. Musikalische Kenntnisse jedoch sind für den Leser nicht erforderlich, da die Sinfonie selbst nicht ausführlich erörtert wird. Es geht letztendlich um den Dirigenten Eliasberg, ein anfangs eher unsympathischer Mann, der aber im Laufe der Geschichte über sich selbst hinaus wächst.

Fazit: Ein eindringlicher Roman über unmenschliches Leid, über standhaftes Durchhaltevermögen und beharrliches Hoffen auf eine bessere Zukunft – aber auch ein Werk über den Mut, die Musik in diesen grausamen Zeiten beim Kampf ums Überleben einzusetzen.

Veröffentlicht am 16.05.2019

Die Vergangenheit holt uns immer wieder ein …

Die italienischen Schuhe
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Fredrik hat sich von der Welt zurückgezogen. Der ehemalige Chirurg lebt schon seit Jahren auf einer einsamen Schäre, alleine, ohne Nachbarn. Sein einziger Kontakt ist der Postbote, der mit seinem Boot ...

Fredrik hat sich von der Welt zurückgezogen. Der ehemalige Chirurg lebt schon seit Jahren auf einer einsamen Schäre, alleine, ohne Nachbarn. Sein einziger Kontakt ist der Postbote, der mit seinem Boot gelegentlich vorbeischaut. Doch dann, mitten im Winter ist plötzlich eine Frau da. Es ist Harriet, seine Jugendliebe. Sie will von ihm ein Versprechen eingelöst haben, das er ihr gegeben, aber nie erfüllt hat. Sie will mit ihm an einen Waldteich irgendwo in der Wildnis fahren, wie er ihr von beinahe vierzig Jahren versprochen hatte. Fredrik ist geschockt, er möchte die Fahrt hinauszögern, auf Frühling, auf wärmeres Wetter warten. Harriet jedoch drängt, sie will sofort aufbrechen. So begeben sich die beiden betagten Menschen mit einem alten Auto auf eine Fahrt ins Ungewisse, auf eine Reise in die Vergangenheit …

Der schwedische Schriftsteller und Theaterregisseur Henning Mankell (1948-2015) erhielt für seine Werke zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen. Im deutschsprachigen Raum wurde er hauptsächlich durch seine Krimi-Reihe mit Kommissar Kurt Wallander bekannt, schrieb aber auch sehr viele andere Bücher, die bei uns mehr oder weniger bekannt sind.

„Die italienischen Schuhe“ erschien in Deutschland erstmals im Jahr 2007 und wurde seither noch einige Male neu aufgelegt. Es ist ein berührendes Buch über das Leben allgemein, über Vereinsamung im Alter, über Krankheit und Tod - oftmals traurig, aber häufig zeigt der Autor in seiner unnachahmlichen Art dem Leser auf, wie wunderschön das Leben trotzdem sein kann. Unverkennbar ist auch hier Mankells Schreibstil, solide und sachlich bringt er die Dinge auf den Punkt. Schnörkellose, prägnante Sätze, kein Wort zu viel, trotzdem ist alles klar verständlich. Gelegentlich lässt er seine Protagonisten in Erinnerungen abschweifen und über Geschehenes resümieren, so dass man sich als Leser in die aktuellen Vorgänge einfühlen und die Handlungen der Personen besser verstehen kann. Mankell wäre nicht Mankell, hätte er nicht auch hier einige sozialkritische Themen behandelt und einfühlsam auf die Problematik unbegleiteter junger Flüchtlinge aufmerksam gemacht.

Fazit: Ein wunderbares Buch, tiefgründig und ausdrucksstark, über das Altern, über Freundschaft im Alter und darüber, dass es letztendlich nie zu spät ist.

Veröffentlicht am 04.05.2019

Lotterleben der Kardinäle …

Die nackten Masken
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Rom, 2. Dezember 1581, Papst Leo X. ist tot. Das Kardinalskollegium muss sich zur Neuwahl versammeln, lässt sich aber reichlich Zeit und findet lange keinen Nachfolger. Schließlich einigte man sich auf ...

Rom, 2. Dezember 1581, Papst Leo X. ist tot. Das Kardinalskollegium muss sich zur Neuwahl versammeln, lässt sich aber reichlich Zeit und findet lange keinen Nachfolger. Schließlich einigte man sich auf einen abwesenden flämischen Kardinal, den die Mehrheit überhaupt nicht kannte. Es ist Adrian von Utrecht, der sich dann Hadrian VI. nannte. Die Wahl kam beim Volk nicht gut an und auch die Kleriker mussten bald feststellen, dass sie unter dem neuen Papst und seinen Reformen ihr lasterhaftes Lotterleben nicht mehr so unverhohlen weiterführen konnten. Besonders Kardinal Cosimo Rolando della Torre mit seiner hübschen rothaarigen Palmira bekamen das zu spüren …

Luigi Malerba (geb. 1927 in der Provinz Parma, gest. 2008 in Rom) war ein italienischer Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor. Er schrieb zahlreiche Romane und Erzählungen, sowie Hör- und Fernsehspiele. Gemeinsam mit Umberto Eco und anderen gründete er die Schriftstellervereinigung „Gruppo 63“. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und weltweit veröffentlicht.

In „Die nackten Masken“ (Le maschere, 1994) erzählt uns der Autor phantasievoll ausgemalt über das Leben in Rom und im Vatikan in der Spätrenaissance, ohne jedoch vom geschichtlich überlieferten Hintergrund abzuweichen. Machtkämpfe, Verbrechen und Korruption waren an der Tagesordnung, Scheinheiligkeit und Aberglauben spielten eine nicht unbedeutende Rolle. Wir nehmen teil am bunten Leben der Stadt, erfahren viel über das sündhafte Treiben des Klerus, der selbst vor Mord nicht zurückschreckt, und erleben, wie die Bevölkerung mit der herrschenden Pest und Armut umgehen musste.

Der Schreibstil des Autors ist nicht ganz einfach, hat man sich aber erst mal daran gewöhnt, entdeckt man viel Witz, Ironie und Satire zwischen den Zeilen. Ein Vergleich mit den heutigen Zuständen dürfte dabei durchaus gewollt sein, denn manche Leute verstecken sich gerne hinter Masken, doch reißt man ihnen diese runter, bleibt nur die nackte Wahrheit übrig. Obwohl der Roman das sündige Leben, das Kurtisanentum und die Heuchelei der Kirchenoberen heftig anprangert, ist er in keiner Weise als religionsfeindlich zu bezeichnen.

Fazit: Ein intelligent geschriebener Renaissance-Krimi für den geschichtlich interessierten Leser.

Veröffentlicht am 02.05.2019

Harte Schale, weicher Kern …

Der Zopf meiner Großmutter
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In Deutschland ist es auch nicht besser als in Russland, stellt Großmutter nach ihrer durch einen Trick erschlichenen Aussiedlung fest. Jetzt leben sie umgeben von Juden im Wohnheim und sind auf deutsche ...

In Deutschland ist es auch nicht besser als in Russland, stellt Großmutter nach ihrer durch einen Trick erschlichenen Aussiedlung fest. Jetzt leben sie umgeben von Juden im Wohnheim und sind auf deutsche Almosen angewiesen. Auch die deutschen Ärzte sind unfähig, können sie doch keine der vielen Krankheiten feststellen, die Mäxchen, ihr sechsjähriger Enkel, ihrer Meinung nach hat. Er ist zurückgeblieben, ein schwacher Krüppel und debiler Idiot, den sie ständig von Keimen, Bakterien und anderen schädlichen Einflüssen fernhalten muss meint Großmutter, und dessen Magen nur von ihr selbst zubereitetes Püriertes verträgt. Für Max wird die Situation erst etwas besser, als sie die Klavierlehrerin Nina mit ihrer Tochter Vera kennen lernen. Großvater verliebt sich auf den ersten Blick in Nina und beginnt, als er ihr auf Großmutters Befehl beim Umzug helfen muss, ein Verhältnis mit ihr. Da Großmutter ihre einzige Aufgabe darin sieht, sich um ihren Enkel zu kümmern, merkt sie zunächst nicht, was um sie herum vorgeht …

Alina Bronsky (der Name ist ein Pseudonym) wurde 1978 in Jekaterinburg, dem damaligen Swerdlowsk in der UdSSR, geboren. Als sie 12 Jahre alt war, wanderte ihre Familie nach Deutschland aus. Sie arbeitete später als Werbetexterin und Redakteurin beim Darmstädter Echo, nachdem sei ein begonnenes Medizinstudium abgebrochen hatte. Alina Bronsky ist Mutter von vier Kindern. Der Vater ihrer ersten drei Kinder verunglückte 2012 tödlich in den Walliser Alpen. Heute lebt sie mit dem Theater- und Filmschauspieler Ulrich Noethen, von dem sie eine Tochter hat, in Berlin-Charlottenburg.

Ein Feuerwerk aus ätzendem Humor und tragisch-komischen Ereignissen hat die Autorin mit diesem Buch abgeliefert. Sie lässt Max, der im Laufe der Geschichte vom Sechsjährigen zum Teenager heranreift, selbst erzählen. Dabei wird klar, dass der Junge keineswegs geistig behindert ist und einen sehr klaren, wachen Verstand hat. Messerscharf erfasst er das Geschehen und erzählt altersgerecht, oftmals kritisch und anklagend, meist aber voller Verständnis und mit liebevollen Gefühlen für die Großeltern. Auch die Großmutter hat ein Herz, auch wenn sie gründlich versucht, es unter einer harten Schale zu verbergen.

Sehr wohltuend ist auch zu vermerken, dass nur wenige Protagonisten in die Geschichte eingebunden sind. Dadurch lässt sich das Buch zügig lesen und man verliert nie den Überblick: Großmutter, die den Eindruck einer bösartigen alten Frau erweckt, sich aber im Verborgenen äußerst hilfsbereit zeigt – Großvater, der zu Hause nur nickt oder den Kopf schüttelt, da er es längst aufgegeben hat, gegen seine Frau aufzumucken, außer Haus aber ganz andere Seiten zeigt – Max, an dem glücklicherweise die verächtlichen Worte der Großmutter abprallen und der trotzdem liebevoll von ihr spricht – Nina, die anfangs recht unsichere alleinlebende Frau mit Kind, die aber zu einer selbstsicheren Frau heranreift – und Vera, ihre Tochter, die sich vom bösen kleinen Mädchen zum netten Teenager wandelt.

Fazit: Eine außergewöhnliche Geschichte, die von absurder Situationskomik lebt, die aber dennoch berührt und nachdenklich macht und die ich gerne weiter empfehle!

Veröffentlicht am 07.04.2019

« Non, je ne regrette rien » …

Madame Piaf und das Lied der Liebe
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Paris 1944, die Stadt atmet auf. Die deutschen Besatzer sind vertrieben, das kulturelle Leben kann wieder stattfinden. Wie auch einige andere Künstler wird die 29-jährige Chanson-Sängerin Édith Piaf der ...

Paris 1944, die Stadt atmet auf. Die deutschen Besatzer sind vertrieben, das kulturelle Leben kann wieder stattfinden. Wie auch einige andere Künstler wird die 29-jährige Chanson-Sängerin Édith Piaf der Kollaboration beschuldigt, es droht ihr ein Auftrittsverbot. Während eines Engagements im wieder eröffneten Moulin Rouge trifft sie auf den damals 23jährigen Yves Montand. Sie erkennt sein hoffnungsvolles Talent und beginnt mit ihm zu arbeiten. Bald schon wird aus den beiden ein Liebespaar, sie gehen gemeinsam auf Tournee. Das glückliche Leben mit Yves inspiriert Édith zu ihrem Lied „La vie en rose“, das sie, neben „Non, je ne regrette rien“, weltberühmt machen sollte …

Michelle Marly ist das Pseudonym der deutschen Schriftstellerin Micaela Jary, der Tochter des Komponisten Michael Jary. Sie wurde 1956 in Hamburg geboren und schreibt seit 1993 unter verschiedenen Künstlernamen. Die Autorin ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt heute in München und Berlin.

In dem Roman „Madame Piaf und das Lied der Liebe“ beschreibt die Autorin einen Abschnitt im Leben der Édith Piaf, der wohl einer der glücklichsten und erfolgreichsten dieser Ausnahmesängerin gewesen sein dürfte. In Erinnerungen und Rückblicken erfährt der Leser einiges über ihre Kindheit und Jugendzeit und in einem kurzen Nachwort auch über ihr weiteres, eher tragisches Leben. Wie die fernere, äußerst erfolgreiche Karriere von Yves Montand verlief, ist ebenfalls nachzulesen, so dass man letztendlich ein umfassendes Bild beider Künstler erhält.

Die Autorin hat hier sehr gut und gewissenhaft recherchiert. Sie gibt dem Leser das Gefühl dabei zu sein, die Persönlichkeiten kennen zu lernen und Anteil an ihrem Leben zu nehmen. Man liebt und leidet mit Édith Piaf, dieser kleinen und willensstarken Frau, die sich über alle Konventionen hinwegsetzt, trinkt und feiert als gäbe es kein Morgen, und - wie in ihrem Lied „Non, je ne regrette rien“, nichts davon bedauert, nichts bereut. Man spürt förmlich ihre Liebe zu Yves Montand, die sie in ihrem Chanson das sie unsterblich gemacht hat, „La vie en rose“, zum Ausdruck bringt. Der flüssige Schreibstil, die ausführliche Darstellung der einzelnen Charaktere und die detaillierte Beschreibung der Gegebenheiten sind weitere Komponenten, die zum guten Gelingen dieses wunderbaren Buches beitragen.

Fazit: Ein ausgezeichneter Roman über eine außergewöhnliche Frau und Künstlerin, den ich gerne weiter empfehle.