Es ist schwierig, 650 Seiten geballte Fantasy kurz Zusammenzufassen. Aber im Grunde geht es um die vier Iliaden. Dies sind magische Artefakte, die an Macht gewinnen, wenn sie in Liebe verschenkt werden und an Kraft verlieren, wenn sie behalten oder geraubt werden. Die Weisen Frauen haben früher mithilfe dieser Artefakte friedvoll über das Land regiert Doch nun sind die Iliaden verschollen und es herrscht Gewalt. Walgreta, eine junge Zwergin, deren Wunsch, eine Weise Frau zur werden, sich nicht erfüllen konnte, trifft zu Beginn der Geschichte auf den elfischen Wandererzähler Fayanú und die beiden beschließen die Iliaden zu sammeln und den Weisen Frauen zurückzugeben, damit sie wieder in Frieden herrschen können.
Es gibt sehr viele Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Meine Sympathie mit den einzelnen Figuren hat im Laufe der Geschichte ständig ab und wieder zu genommen. Insgesamt würde ich sagen, dass ich die meisten Charaktere, darunter auch Walgreta, eher weniger mochte, was ich aber überhaupt nicht schlimm fand. Denn anders als bei anderen Büchern, hat das mein Leseerlebnis nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil, ich fand es sehr interessant die Charaktere versuchen zu verstehen und zu beobachten, wie sie sich im Laufe der Geschichte (positiv oder negativ) weiterentwickeln. Es hat mir einfach sehr gut gefallen, wie vielseitig sie waren, jeder hatte seine guten und schlechten Seiten, wie im wirklichen Leben. Jeder einzelne war eine Bereicherung für die Geschichte und hat sie interessanter gemacht.
Ein Highlight beim Lesen war der unglaubliche Schreibstil, was ein wenig ironisch ist, weil ich am Anfang nicht besonders gut damit zurecht gekommen bin. Die ungewohnte, kunstvolle Sprache hat mir den Einstieg in die Geschichte erst einmal erschwert. Ich musste mich sehr konzentrieren und Abschnitte oft doppelt lesen, um den Inhalt zu verstehen, was die ersten 50 Seiten für mich relativ anstrengend gemacht hat. Doch als ich mich dann daran gewöhnt und darauf eingelassen habe, konnte ich den wundervollen Schreibstil genießen ohne mich gleichzeitig vom Inhalt ablenken zu lassen. Dieses Buch ist so sprachgewaltig, bildhaft und besonders geschrieben, dass ich Angst habe, das Nächste, das ich lesen werden, wird mir dagegen fade erscheinen. Auch gut gefallen haben mir die vielen unterschiedlichen Handlungsstränge, die sich abgewechselt haben und am Ende zusammengeführt wurden, wodurch eine besondere Spannung aufgebaut wurde.
Die Welt, die in diesem Buch erschaffen wurde, ist gut durchdacht und sehr komplex, vielleicht manchmal zu komplex, um beim ersten Lesen alles nachvollziehen zu können und nicht den Überblick zu verlieren. Die Landschaft wurde wunderschön beschrieben und ich hatte das Gefühl, direkt in die Welt einzutauchen. Ich mochte auch die Idee, mit den unterschiedlichen Völkern, mit ihren ganz eigenen Traditionen und Werten, den Weisen Frauen, den Artefakten und diese einzigartige Magie, die hier herrscht. Es wurden wichtige Themen eingebunden, die in die Realität übertragen werden können, wie zum Beispiel die Rolle der Frau, die sich in der Geschichte zwischen den Völkern deutlich unterschieden hat und vor Augen geführt hat, wie absurd Normen einer Gesellschaft erscheinen können, wenn man sie von außen betrachtet.
Allerdings konnte mich die Geschichte nicht hundertprozentig überzeugen. Während des Lesen war ich mir immer wieder unsicher, ob ich es total genial oder doch gar nicht so gut finde. Teilweise war ich einfach überfordert mit den vielen Parteien in dem Buch, welche unterschiedlichen Ziele sie verfolgen und aus welchen Gründen Charaktere so gehandelt haben, wie es taten. Manchmal wurden mir bedeutsame Szenen oder Vorgänge zu schnell abgehandelt, so dass sie schon wieder vorüber waren, bevor ich vollkommen begriffen habe, was da eigentlich gerade passiert ist. Außerdem muss ich sagen, dass die Liebesgeschichte nicht wirklich bei mir ankam. Am Anfang habe ich noch mitgefühlt und dachte mir „ach wie schön“ aber im weiteren Verlauf ist sie mir irgendwie total unwichtig geworden. Deswegen finde ich es auch nicht so schlimm, für mich stand das Drumherum einfach mehr im Fokus. Allerdings hat das auch dazu geführt, dass ich teilweise recht wenig mit den Charakteren mitgefühlt habe, was ich mir selbst auch nicht so richtig erklären kann. Ich fand die Geschichte aber trotzdem spannend und wollte jederzeit unbedingt wissen, wie es weitergeht und worauf das Ganze hinausläuft.
Insgesamt kann ich das Buch allen empfehlen, die gern High Fantasy lesen und Lust auf eine tiefgründige Geschichte haben, die man nicht mal so eben nebenbei Weglesen kann, sondern auf die man sich voll konzentrieren und einlassen muss, die sich aus der Masse abhebt, vielschichtig ist und die Lesenden in eine völlig neue Welt entführen wird.