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Veröffentlicht am 31.10.2016

Ein Baum - ein Leben

Das Marillenmädchen
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Es gibt eine Konstante in Elisabettas Leben: der Marillenbaum im Garten des Wiener Elternhauses. Noch in der Kriegszeit vom Vater gepflanzt, ist er Elisabettas Halt und Erinnerung an ihre Familie. Nur ...

Es gibt eine Konstante in Elisabettas Leben: der Marillenbaum im Garten des Wiener Elternhauses. Noch in der Kriegszeit vom Vater gepflanzt, ist er Elisabettas Halt und Erinnerung an ihre Familie. Nur durch einen Zufall war sie nicht im Haus, als ihre Familie deportiert wurde. Jedes Jahr nun kocht sie Marillenmarmelade ein und ihr Regal im Keller füllt sich mit den Gläsern, wie der Baum jedes Jahr um einen neuen Jahresring älter wird. Und jedes Jahr erinnern sie die Gläser im Regal an die Geschehnisse, die ihr widerfuhren. An ihre Schwestern Rahel und Judith, mit denen sie stumme Zwiesprache führt, an ihre Tochter Esther und ihre Enkelin.
Doch da kommt eines Tages Pola als Untermieterin ins Haus, eine junge deutsche Tänzerin, die Elisabetta verstört und aus ihrer Ruhe reißt. Es ist kein Zufall, der Pola zu Elisabetta führt.
Das Buch ist auf mehreren Zeitebenen geschrieben und manche Ereignisse werden nur angedeutet; kleine Gedanken- und Erinnerungssplitter die mich als Leserin sofort in das Leben Elisabettas und Polas hineinzogen. Rückblenden zeigen allmählich die Verbindung der beiden Frauen auf und ziehen sich wie eine dunkle Ahnung durch das Buch. Gerade, weil manches nicht ausgesprochen wird und es dem Leser überlassen ist, Schlüsse und Verbindungen zu ziehen und zwischen den Zeilen zu lesen, ist der Roman so überzeugend und hat mich tief berührt.
Ich konnte mich der sensiblen Sprache nicht entziehen, eine melancholische Sprache und trotzdem behält der Roman einen lebensbejahenden Grundton. Es ist ein emotionales Buch, das sicher kein Leser ohne innere Anteilnahme zur Seite legen kann. Ein wirkliches Leseerlebnis, das noch lange nachwirkt und im Kopf und im Herzen bleibt. Ich kann das Buch nur wärmstens empfehlen.

Veröffentlicht am 26.10.2016

Ein großartiger Familienroman

Ein Lied für die Geister
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Es war ein im Nachhinein unerklärlicher Jagdunfall bei dem Landreaux Iron den kleinen Sohn der benachbarten und verwandten Familie Ravich tötet. Nach einer Schwitzhüttenzeremonie folgen er und seine Frau ...

Es war ein im Nachhinein unerklärlicher Jagdunfall bei dem Landreaux Iron den kleinen Sohn der benachbarten und verwandten Familie Ravich tötet. Nach einer Schwitzhüttenzeremonie folgen er und seine Frau Emmeline einer alten indianischen Tradition und geben ihren jüngsten Sohn LaRose in Obhut der trauernden Familie Ravich. Kann der Verlust des Kindes durch einen weiteren Verlust gesühnt werden?
Louise Erdrich gelingt es, den Spagat der Familien der amerikanischen Ureinwohner zwischen Tradition und Moderne aufzuzeigen. Dazu geht sie mehrere Generationen zurück und erzählt in einer Parallelhandlung die Geschichte der Familie, von der ersten LaRose, der direkten Vorfahrin, bis hin zu Emmeline Iron, der Mutter des kleinen LaRose. Die Überlieferungen, das Wissen um die spirituelle Kraft der Lieder, das alles ist in dem kleinen Jungen vereint. Wenn es die Möglichkeit zur Aussöhnung gibt, dann liegt sie bei ihm.
Der Autorin gelingt es, die Zerrissenheit der amerikanischen Ureinwohner aufzuzeigen. Die an ihre Traditionen und Werten festhalten wollen, ohne sie zur Folklore verkommen zu lassen, die aber auch ein Teil des heutigen Amerikas sind, und immer noch zu selten ihren angestammten Platz in der Gesellschaft bekommen.
Ein Buch, das mich tief berührt hat, das menschliche Schwäche und Größe beschreibt, ohne zu werten oder anzuklagen. Gerade das macht diesen Roman so lesenswert. Die Autorin ist für mich eine große Stimme der amerikanischen Literatur.

Veröffentlicht am 13.10.2016

Noch besser als das erste Buch

Die Stille der Lärchen
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Ein kleines Dorf am Ende eines Tales, die Dorfgemeinschaft verschworen, die Familien seit Generationen auf ihren Höfen ansässig, da kommt eine fremde Familie, baut sich einen Glaskubus in die Berge und ...

Ein kleines Dorf am Ende eines Tales, die Dorfgemeinschaft verschworen, die Familien seit Generationen auf ihren Höfen ansässig, da kommt eine fremde Familie, baut sich einen Glaskubus in die Berge und wird sofort zu Außenseitern stigmatisiert.
Ein junges schönes Mädchen wird erschossen und bei den alten Lärchen in Sichtweise des Hauses der „Eindringlinge“ abgelegt, für die Dorfgemeinschaft, aufgehetzt und geführt vom Pfarrer, ist der Fall klar. Der Sohn des Fremden war‘s, sie wollen Rache und Selbstjustiz. Hier werden die Probleme noch nach alter Art gelöst, diesen Eindruck gewinnt der Kommissar Johann Grauner.
Grauner ist selbst Südtiroler, einer geerdeter Mann, der lieber seinen Hof und seine Kühe versorgen möchte, aber so ein kleiner Bauernhof allein versorgt keine Familie mehr. Ihm zur Seite steht sein Kollege Saltapepe, aus Neapel zur Bozener Polizei versetzt, fühlt er sich weder heimisch, noch glücklich in den Bergen.
Ein großartiger Kriminalroman, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Die Suche nach dem Täter und vor allem nach den Motiven ist stark in Szene gesetzt. Die Atmosphäre hat mir ausgesprochen gut gefallen, gleich nach wenigen Seiten hatte ich die Menschen und Orte vor Augen. Besonders gelungen fand ich die Charakterisierung der einzelnen Personen. Die knorrigen Ultener Bauern genauso, wie den schneidigen Süditaliener Saltapepe, für jede Figur findet der Autor eine eigene Stimme. Am besten gefiel mir wieder Johann Grauner, ein nachdenklicher Mensch, der sich tief in Opfer, wie Täter einfühlen kann. Er ist kein Freund von schnellen Urteilen und schnell gefundenen Wahrheiten: „Zweifel, sprach der Commissario leise, nur der Zweifel führt zur Wahrheit“
Waren meine Erwartungen nach dem ersten Kriminalroman von Lenz Koppelstätter schon hoch, sie wurden noch übertroffen!

Veröffentlicht am 10.10.2016

Ein besonderes Buch

Brüder für immer
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„Wenn Du vor mir stirbst, werde ich ein Buch über Dich schreiben“ Mit diesen Worten verabschiedet Quentin seinen geliebten und bewunderten großen Bruder, der in den spanischen Bürgerkrieg zieht.
Julian ...

„Wenn Du vor mir stirbst, werde ich ein Buch über Dich schreiben“ Mit diesen Worten verabschiedet Quentin seinen geliebten und bewunderten großen Bruder, der in den spanischen Bürgerkrieg zieht.
Julian und Quentin Bell wachsen in einer liebevollen und unkonventionellen Familie heran. Die Bindung zwischen den Brüdern ist eng, auch wenn sich der Altersunterschied im Lauf der Zeit immer deutlicher herausstellt. Mit 6 und 9 Jahren hat man viel mehr Gemeinsamkeiten, als mit 13 und 16, aber die tiefe Verbundenheit bleibt der beiden bleibt. Diese Geschichte ist viel mehr als eine Jugendgeschichte. Es geht ums Erwachsenwerden, Erfahrungen und Verletzungen. Wenn es sich bei der Familie um die Künstlerfamilie Vanessa und Clive Bell und Duncan Grant und Schwester und Schwager Virginia und Leonhard Woolf handelt, weiß man, dass es eine besondere Kindheit und Jugend war.
Es ist ein Roman, den Erwachsene mit genauso viel Gewinn lesen können, wie Jugendliche. Rindert Kromhout hat eine einfühlsame Stimme für Quentin Bell gefunden, dass ich fast meinte, Quentin selbst zuzuhören. Wer ein wenig über die Familien weiß, wird sich sofort heimisch fühlen. Mit Virginia Woolf als Tante ist der Lebensweg als Schriftsteller für Quentin vorgezeichnet, vor allem wenn man als Kind so liebevolle Förderung erfährt.
Es war allerdings mehr ein Familienroman über die bedeutenden Mitglieder der Bloomsbury Group, als nur über Julian und Quentin. Die Beziehungen der Erwachsenen untereinander, die künstlerische Entwicklung und Erfolge als Maler, Schriftsteller und Verleger nehmen einen großen Raum ein.
Ich habe das Buch einfach nur fasziniert gelesen, auch wenn es ein Roman ist, es spiegelt die künstlerische Aufbruchsstimmung der 20iger/30iger Jahre wieder und ist ein Leseerlebnis für junge Menschen und Erwachsene.
Ein wirklich besonderes Buch.

Veröffentlicht am 08.10.2016

Alte Schuld und späte Rache

Küstenbrut
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Im Kalender einer ermordeten Galeristin wird die Visitenkarte des Kunsthistorikers Professor Richard Gruben gefunden. Der örtliche Polizist Bert Mulsow kennt Gruben schon aus einer anderen Ermittlung und ...

Im Kalender einer ermordeten Galeristin wird die Visitenkarte des Kunsthistorikers Professor Richard Gruben gefunden. Der örtliche Polizist Bert Mulsow kennt Gruben schon aus einer anderen Ermittlung und nutzt die Verbindung, Gruben an die Ostsee einzuladen um eine Einschätzung der Galerie und Kunstwerke vorzunehmen – auf dem kleinen Dienstweg sozusagen.

Gruben, der im Augenblick in einer persönlichen Krise steckt, nimmt dieses Angebot gerne wahr, vor allem, da er sich nicht erklären kann, wie die Tote in den Besitz seiner Karte mit einer recht persönlichen Mitteilung kam. Aber schneller als ihm lieb ist, wird er in den undurchsichtigen Fall hinein gezogen. Die Galerie eine Rumpelkammer mit wertlosem Touristenkitsch, ein Erdbeerbaron, der das Dorf Niederwiek fast völlig beherrscht, Intrigen und menschliche Abgründe tun sich auf.

Auch wenn dies der zweite Band um Richard Gruben ist, macht es überhaupt keine Schwierigkeiten, ohne Vorkenntnisse einzusteigen. Der Fall ist schlüssig aufgebaut, der clever konstruierte Plot lädt zum Spurensuchen und Miträtseln ein. Dabei wird die Geschichte umso spannender, je weiter Gruben in die Vergangenheit eintaucht.

Die tollen Charaktere und die ausbalancierte Biografien der Protagonisten haben mir besonders gefallen. Die Geschichte entwickelt einen besonderen emotionalen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.

Angenehm dosiert war das Lokalkolorit, schöne Landschaftsbeschreibungen, die Ostseeküste mit ihrem besonderen Licht und ein paar Schrullen der Küstenbewohner rundeten das Buch ab.

Wieder einmal ein Krimi-Highlight aus dem Emons Verlag.