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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.10.2016

Ein erfolgloser Berufszauberer in der Welt der Waldfeen und anderer mystischer Wesen

Anton hat kein Glück
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Die Geschichte rund um den egoistischen, nörgelnden, neidischen, unsympathischen, erfolglosen Berufszauberer Anton vermischt gut gelungen realistische und märchenhafte bzw. fantastische Elemente. In sich ...

Die Geschichte rund um den egoistischen, nörgelnden, neidischen, unsympathischen, erfolglosen Berufszauberer Anton vermischt gut gelungen realistische und märchenhafte bzw. fantastische Elemente. In sich abwechselnden Abschnitten wird der Lebenslauf des Protagonisten ab Beginn mit der berufsmäßigen Zauberei gemeinsam mit seinem einst besten Freund einerseits und sein unfallbedingt erzwungener Aufenthalt im Wald, während dem er von einer Waldfee verflucht wird, andererseits geschildert. Antons Werdegang zu kennen ist notwendig, um verstehen zu können, warum er zu dem Antihelden geworden ist, als der er sich immer mehr herauskristallisiert. Die Passagen, die im Wald spielen, lesen sich wie ein modernes Märchen. Mystische Geschichten bzw. Fantasy sollte man also schon ein wenig mögen. Nur dann werden einem die verschiedenen Waldwesen mit z.T. phantasievoll belegten Namen wie Waldfee, Tränentriefer, Wiedergänger, Garnspuler, altes Miststück gefallen. Obwohl Antons Erleben im Wald völlig skurril und irreal ist, kommt einem das Ganze überhaupt nicht wirklichkeitsfern vor. Sehr schön ist es, die langsame Entwicklung des Protagonisten zum Positiven zu verfolgen.
Einem Vergleich mit Fredrik Backmans Büchern („Ein Mann namens Ove“), der auf dem Buchrückentext gezogen wird, hält das Buch aus Schweden nicht ganz stand, hat mir aber auch gut gefallen.

Veröffentlicht am 10.10.2016

Interessante Mischung zwischen Familiengeschichte und historischem Roman

Der Sturz des Doppeladlers
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Schon der Buchtitel deutet es an, dass uns das Buch in das österreichische Kaiserreich entführen wird, war doch der Doppeladler in der ehemaligen Habsburgermonarchie das Symbol für das Kaisertum der Habsburger. ...

Schon der Buchtitel deutet es an, dass uns das Buch in das österreichische Kaiserreich entführen wird, war doch der Doppeladler in der ehemaligen Habsburgermonarchie das Symbol für das Kaisertum der Habsburger. Wir nehmen während der Jahre 1916 bis 1921 teil am Schicksal von vier Familien aus Österreich, unter denen es Berührungspunkte geben wird: Bertas Verlobter fällt im Krieg, so dass sie sich und ihr gemeinsames Kind als ledige Mutter durch den Krieg bringen muss, wobei sie auf den Kärntener Lois trifft; Julius Holzer aus Südtirol kämpft als Kaiserjäger und muss nach schlimmsten kriegerischen Auseinandersetzungen erleben, wie seine Heimat Italien zugeschlagen wird; der patriarchalische Architekt Behlolavek gerät in russische Kriegsgefangenschaft, während zu Hause in Wien seine Frau das uneheliche Enkelkind vor ihm zu verheimlichen sucht; als hoher Beamter im Wiener Außenministerium ist Ferdinand von Webern an den demütigenden Friedensverhandlungen zwischen Österreich und den Siegern beteiligt.
Wer Familiengeschichten mag und geschichtliches Interesse vorrangig am Ersten Weltkrieg in Österreich hat, wird diesen Roman sicherlich mögen. Die Schicksale der verschiedenen Familien vor dem Hintergrund des furchtbaren Ersten Weltkrieges mit seinen vielen Toten und Verletzten, mit Hungersnöten und Warenknappheit berühren sehr. Umso glücklicher kann sich schätzen, wer 100 Jahre später leben darf. Viele Details sind über die politischen Besonderheiten Österreichs zu erfahren. Der deutsche Leser wird nicht alles auf Anhieb verstehen. Vor allem die sich inhaltlich um hohe Politik drehenden Dialoge von Weberns sind schwierig zu lesen. Aber die Geschichte regt vielleicht dazu an, sich näher mit dem Habsburger Reich und seinen Gebietsansprüchen in Tschechien, Tirol, Kärnten und dem Burgenland zu befassen.
Die Geschichte ist gut recherchiert. Der Schreibstil ist informativ und dank im Dialekt gehaltener Dialoge lebendig und authentisch.
Dieses Buch kann ich gerne weiterempfehlen.

Veröffentlicht am 02.10.2016

Portrait einer Frauenfreundschaft in Fortsetzungen

Meine geniale Freundin
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Nachdem die Werbetrommel für diesen Roman – erster Band einer Saga, deren übrige drei Bände schon bald veröffentlicht werden sollen – so kräftig gedreht wurde, war ich sehr neugierig auf das Buch. So ...

Nachdem die Werbetrommel für diesen Roman – erster Band einer Saga, deren übrige drei Bände schon bald veröffentlicht werden sollen – so kräftig gedreht wurde, war ich sehr neugierig auf das Buch. So viel, wie es vorab zu versprechen schien, bot es dann jedoch nicht. Es ist eine eher durchschnittliche Familiensaga. Nur mit einiger Mühe habe ich mich in die Geschichte hineinfinden können, weil die mitwirkenden Personen so zahlreich sind. Ihrer sind eine ganze Reihe neapolitanischer Handwerker und Händler nebst Kindern, deren italienische Vor- und Nachnamen sich nicht leicht merken lassen. Oft musste ich zur Orientierung nach vorne auf das dort abgedruckte Personenregister zurückgreifen. Die beiden wichtigsten Personen sind die Ich-Erzählerin Elena Greco, genannt Lenù, und Raffaella Cerullo, von Elena nur Lila genannt. Um ihr Heranwachsen im Neapel der 40er/50er Jahre bis hin zu ihrem 16. Lebensjahr geht es in der Geschichte. Beide sind hochintelligent und lernbegierig; der Buchtitel bezieht sich komischerweise auf Elena, obwohl Lila nicht minder genial ist. Leider ist es nur Lenù aufgrund der Förderung durch ihre Lehrerin möglich, aufs Gymnasium zu gehen, während sich Lila der typischen italienischen Dominanz von Vater und Bruder fügen muss. Der Ausblick auf die neapolitanischen Verhältnisse mit derber Sprache, Gewalt im Viertel und Einfluss der Camorra ist sehr interessant zu lesen, wenngleich Vieles nur erahnt werden kann. Viel Handlung gibt es nicht. Im Wesentlichen werden Episoden aus dem Alltagsleben der Viertelbewohner aneinandergereiht. Dabei dominieren Schilderungen mit Schulbezug von Lenù. Ob es wirklich Freundschaft ist, was die beiden Mädchen verbindet, halte ich manchmal für fraglich. Konkurrenzdenken und Verachtung spielen zwischen ihnen nämlich durchaus eine Rolle. Offensichtlich hält ihre Verbindung aber über 60 Jahre. Der letzte Abschnitt, davon insbesondere der letzte Satz, ist ein wahrer Cliffhanger und weckt meine Neugier auf die Fortsetzung.

Empfohlen für LeserInnen von Familiensagen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Erinnert an Franz Kafka

Die Vegetarierin
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Selten passt ein Cover so gut zu einem Roman wie das hier gewählte: rote/rosa Blumenblüten mit einem dazwischen angeordneten Stück rohen Fleisch, Fingern und einer Zunge. So müssen die Blumen aussehen, ...

Selten passt ein Cover so gut zu einem Roman wie das hier gewählte: rote/rosa Blumenblüten mit einem dazwischen angeordneten Stück rohen Fleisch, Fingern und einer Zunge. So müssen die Blumen aussehen, mit denen der Schwager Chong der Protagonistin Yong-Hye deren nackten Körper in Realisierung eines Kunstprojekts bemalt. Doch davon handelt erst der zweite Teil des insgesamt dreigeteilten Romans, der für mich sehr abstrakt ist mit Chongs Ideen über die Verbindung von Pflanzlichem und Menschlichem und der mir deshalb im Gegensatz zum Rest nicht so gut gefallen hat. Im ersten Teil schildert Yong-Hyes Ehemann in der Ich-Perspektive, wie sie plötzlich zur Vegetarierin (richtigerweise: Veganerin) wird. Im letzten Teil beschreibt Yong-Hyes Schwester deren Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt. Jeder Teil ist geprägt von einem eigenen Sprachstil - mal nüchtern, mal sinnlich. Inhaltlich geht es in dem kurzen Text um Verwandlung, Zerfall und Rebellion. Yong-Hyes plötzlicher Vegetarismus lässt ihre gesamte Familie auseinanderfallen. Die Protagonistin selbst verkümmert zusehends. Sie sehnt sich danach, zu einem mit der Erde verschmolzenen Baum zu werden. Über das dahinterstehende Motiv lässt sich nur spekulieren, zumal kein Teil aus Yong-Hyes eigenem Blickwinkel erzählt wird. Ihre Entscheidung begründet sie ihrem Mann gegenüber damit, „einen Traum“ gehabt zu haben. Vieles erscheint absurd und grotesk. Zu Recht wird das Buch im Klappentext als kafkaeske Geschichte bezeichnet. Gerade das macht das Besondere des Romans aus, so dass er in diesem Jahr verdient mit dem internationalen Man Booker-Literaturpreis, einer wichtigen Literaturauszeichnung Großbritanniens, ausgezeichnet wurde.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Fesselnder Thriller, der menschliche Abgründe ausleuchtet

Der Todesprophet
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Der unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidende Journalist Ben gerät in den Verdacht, zwei Frauen im erzwungenen Beisein ihrer Kinder getötet zu haben. Nicht nur steht er jetzt vor der Aufgabe, ...

Der unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidende Journalist Ben gerät in den Verdacht, zwei Frauen im erzwungenen Beisein ihrer Kinder getötet zu haben. Nicht nur steht er jetzt vor der Aufgabe, seine Unschuld beweisen zu wollen, sondern auch seine entführte Frau und Tochter in einem gnadenlosen Wettlauf um die Zeit zu retten. Dabei gerät er immer tiefer in einen Sumpf aus religiösem Fanatismus …

Ein fesselnder, temporeicher Thriller, der den Leser von Anbeginn zum Miträtseln auffordert, ohne dass es möglich ist, früh auf die schlussendliche Lösung zu kommen. Viele menschliche Abgründe werden geschildert und es gibt eine Reihe von Gräueltaten, die aber nicht so blutrünstig sind, als dass nicht auch zartbesaitete Leser sie verdauen könnten. Bis zum Ende gibt es eine Reihe unerwarteter Wendungen. Geschickt fließen gelegentlich Passagen aus der Sicht des Täters ein, die Hinweise auf seine kranke Psyche geben. Der überwiegende Teil der Geschichte wird allerdings aus der Perspektive des Protagonisten Ben geschildert. Gefallen hat mir die Ansiedlung der Geschichte in Berlin mit der Erwähnung so mancher bekannter Lokalität.